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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 1032

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 526/15, Urteil v. 05.07.2017, HRRS 2017 Nr. 1032


BGH 2 StR 526/15 - Urteil vom 5. Juli 2017 (LG Bonn)

Verfall (Absehen von der Anordnung, soweit das Erlangte nicht mehr im Vermögen des Angeklagten vorhanden ist).

§ 73c Abs. 1 Satz 2 StGB a.F.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten M. wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 10. April 2015 im Strafausspruch aufgehoben.

2. Auf die Revision des Angeklagten P. wird das vorgenannte Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit davon abgesehen wurde, Verfall von Wertersatz in Höhe von 100.192 € anzuordnen, weil dem Ansprüche der Verletzten im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB a.F. entgegenstehen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

4. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten M. und P. sowie die Revision des Angeklagten H. werden mit der Maßgabe verworfen, dass hinsichtlich der Gesamtfreiheitsstrafe für die Angeklagten H. und P. jeweils ein Monat Freiheitsstrafe als vollstreckt gilt.

5. Der Angeklagte H. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten H. wegen Diebstahls in vierzehn Fällen sowie schweren Bandendiebstahls in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten, den Angeklagten M. wegen Diebstahls in sechs Fällen sowie wegen schweren Bandendiebstahls in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten und den Angeklagten P. wegen Diebstahls in neun Fällen sowie schweren Bandendiebstahls in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Außerdem hat es Entscheidungen nach § 111i Abs. 2 StPO a.F. getroffen. Die Revisionen der Angeklagten haben in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet.

I.

Die Angeklagten verübten in wechselnder Beteiligung im Zeitraum von Oktober 2013 bis Mai 2014 eine Vielzahl von Diebstahlstaten, wobei sie sich auf die Entwendung von Komplettreifensätzen aus Autohäusern spezialisiert hatten. Bei einigen Gelegenheiten wurden jedoch auch andere Gegenstände entwendet. Der Schaden bei den einzelnen Taten belief sich auf Beträge zwischen 3.000 und ca. 30.000 €. Die Taten erforderten einen hohen logistischen Aufwand. Die Objekte wurden einzeln ausfindig gemacht und tagsüber ausgekundschaftet. Die Diebstahlstaten erfolgten in der Nacht unter Nutzung gemieteter Transporter, die zum Abtransport dienten, und dauerten mehrere Stunden. Die Erlöse aus den Verkäufen der Reifensätze teilten die Angeklagten unter sich auf, wobei das Geld zur Zahlung von Schulden und insbesondere auch zur Deckung des Lebensunterhalts verwendet wurde.

Zwischen dem 31. Oktober 2013 und dem 19. Januar 2014 kam es zu acht Taten der Angeklagten H. und P., an denen sich zum Teil neben diesen beiden auch die jetzige Verlobte des Angeklagten H. sowie ein langjähriger Bekannter von ihr beteiligten (Fälle B. II. 1-8 der Urteilsgründe).

Ab dem 17. März 2014 war auch der Angeklagte M. in diese Taten involviert, zunächst allein mit dem Angeklagten H. (Fälle B.II. 9-11, 13 der Urteilsgründe), schließlich zusammen mit den beiden anderen Angeklagten, mit denen er sich - nach dem gemeinsamen Erwerb eines Fahrzeugs zum Abtransport entwendeter Felgen Anfang April 2014 - (konkludent) zur Begehung künftiger Taten zusammengetan hatte (Fälle B.II. 14, 16-20 der Urteilsgründe). Er verband damit - wie die anderen beiden Angeklagten, die sich ebenso wie er selbst in finanziellen Schwierigkeiten befanden - die Absicht, sich durch den Zusammenschluss eine dauerhafte Einnahmequelle von einigem Umfang zur Deckung seines Lebensunterhalts zu verschaffen. Fall B.II. 12 der Urteilsgründe am 29. März/30. März 2014 wurde von allen drei Angeklagten begangen, zu diesem Zeitpunkt bestand allerdings die Bandenabrede noch nicht. Im Fall B.II. 15 der Urteilsgründe kam es - jenseits der getroffenen Bandenabrede - zu einem spontanen Felgendiebstahl durch die Angeklagten H. und M. .

II.

1. Die Revision des Angeklagten H.

Die Revision des Angeklagten H. bleibt abgesehen von der Kompensationsentscheidung (s. II.4.) ohne Erfolg.

Das Landgericht hat bei der Strafzumessung in den Fällen II.B. 1-13, 15 der Urteilsgründe den Strafrahmen des § 243 Abs. 1 StGB nach § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB gemildert, ohne in der gebotenen Weise zu prüfen, ob der vertypte Strafmilderungsgrund des § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB eine Ausnahme von der Regelwirkung des § 243 Abs. 1 StGB zu begründen vermag und so die Anwendung des § 242 StGB, Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, in Betracht kommt. Dies stellt zwar einen Rechtsfehler dar, der sich hier aber nicht zu Lasten des Angeklagten ausgewirkt hat. Die Strafkammer ist von einem nach § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 243 StGB ausgegangen, hat diesen aber - insoweit rechtsfehlerhaft zu Gunsten des Angeklagten - unzutreffend berechnet, weil sie ein zu geringes Mindestmaß angenommen hat (Geldstrafe statt Freiheitsstrafe von einem Monat). Sie hat damit ihrer Strafbemessung nur insoweit einen von § 242 StGB abweichenden Strafrahmen zugrunde gelegt, als sie von einem Höchstmaß von sieben Jahren und sechs Monaten ausgegangen ist. Es lässt sich ausschließen, dass sich das (abweichende) Höchstmaß auf die Strafzumessung ausgewirkt hat. Das Landgericht hat insoweit Einzelstrafen zwischen einem Jahr und sechs Monaten und zwei Jahren verhängt; damit handelt es sich - bei einer Mindeststrafe von einem Monat Freiheitsstrafe - noch um Freiheitsstrafen im unteren Bereich des Strafrahmens, bei denen mit Blick auf das Höchstmaß der angedrohten Freiheitsstrafe Auswirkungen ausgeschlossen werden können.

2. Die Revision des Angeklagten M.

Die Revision des Angeklagten M. bleibt ohne Erfolg, soweit sie sich gegen den Schuldspruch richtet. Hingegen hält der Strafausspruch rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Das Landgericht hat im Rahmen der konkreten Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass die kriminelle Energie erheblich gewesen sei, weil die Angeklagten auf einer hohen Organisationsbasis in einem Tatzeitraum, der sich über mehrere Monate hingezogen habe, eine Vielzahl Taten begangen hätten. Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die bei allen Angeklagten gleichlautend verwendete Formulierung lässt besorgen, dass der Strafzumessung des Angeklagten M. womöglich ein zu hoher Schuldumfang zugrunde gelegt worden ist. Es erscheint schon fraglich, ob bei dem Angeklagten M., der nur vom 17. März 2014 bis zum 14. Mai 2014 an den Diebstählen beteiligt war, anders als bei den anderen Angeklagten, die seit Oktober 2013 weitere acht Taten gemeinsam begangen hatten, überhaupt von einem „mehrere“ Monate dauernden Tatzeitraum gesprochen werden kann. Jedenfalls hätte die Strafkammer in den Blick nehmen müssen, dass der Angeklagte M. gegenüber den anderen Angeklagten in einem begrenzten Tatzeitraum an einer geringeren Zahl an Straftaten beteiligt war und die Organisationsbasis für die begangenen Taten in den Monaten vor dem Beginn seiner Mitwirkung geschaffen worden war.

Dieser Mangel führt zur Aufhebung der Einzelstrafaussprüche und zum Wegfall des Gesamtstrafenausspruchs.

3. Die Revision des Angeklagten P.

Die Revision des Angeklagten P. führt zur Aufhebung des Ausspruches nach § 111i Abs. 2 StPO a.F. und zu einer Kompensationsentscheidung; im Übrigen ist sie unbegründet.

a) Die Verfahrensbeanstandungen greifen nicht durch. Hinsichtlich der Aufklärungsrüge wird auf die Zuschrift des Generalbundesanwalts verwiesen.

Die Verfahrensrüge, § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO sei verletzt, weil der Vorsitzende in der Hauptverhandlung nicht mitgeteilt habe, dass vor der Einstellung angeklagter Taten nach § 154 Abs. 2 StPO Gespräche zwischen Gericht und Staatsanwaltschaft stattgefunden hätten, bleibt erfolglos. Nach Einholung dienstlicher Erklärungen durch den Senat steht fest, dass es solche Gespräche nicht gegeben hat. Der behauptete Dokumentationsverstoß liegt nicht vor. Soweit die Revision nach Bekanntwerden der dienstlichen Erklärungen nunmehr einen Verstoß gegen eine Dokumentationspflicht von Erörterungen im Sinne von § 257b StPO rügt, gibt sie ihrer Verfahrensrüge eine andere Angriffsrichtung (vgl. zur Maßgeblichkeit der „Angriffsrichtung“ BGH NStZ 2008, 229, 230), weshalb sie insoweit unzulässig ist.

b) Der Schuldspruch gegen den Angeklagten ist frei von Rechtsfehlern; auch der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung stand. Die wie beim Angeklagten H. fehlerhaften Erwägungen bei der Strafrahmenwahl haben sich auch beim Angeklagten P. nicht zu seinen Lasten ausgewirkt.

c) Hingegen hielt der Ausspruch nach § 111i Abs. 2 StPO a.F. rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Den Urteilsgründen lässt sich zwar hinreichend deutlich entnehmen, dass das Landgericht davon ausgegangen ist, der Angeklagte habe aus den Diebstählen in den Fällen B.II. 1-8, 12, 14, 16-19, an denen er als Mittäter beteiligt war, faktisch die wirtschaftliche Mitverfügungsgewalt an den entwendeten Reifensätzen erlangt, deren Verkehrswert sich auf insgesamt 221.213,34 € belief. Dagegen ist aus Rechtsgründen nichts zu erinnern (vgl. BGH NStZ-RR 2014, 44).

Allerdings ist die Strafkammer bei der Ausübung des ihr in § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB a.F. eingeräumten Ermessens davon ausgegangen, dass der hälftige Miteigentumsanteil des Angeklagten an drei mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücken einen vorhandenen Vermögenswert von 88.668,82 € bilde (weil auf jedem der drei Grundstücke im Wege der Arrestvollstreckung eine Sicherungshypothek von 29.556,27 € eingetragen worden sei) und der Angeklagte deshalb unter weiterer Berücksichtigung des gepfändeten Bargeldbetrags von 4.850 € und des Erlöses von 6.673,33 € aus der Notveräußerung des gepfändeten PKWs über Vermögensgegenstände von 100.192 € verfüge. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Zutreffend hat insoweit der Generalbundesanwalt ausgeführt:

„Die Strafkammer hätte den Nettowert des Miteigentumsanteils des Angeklagten an den drei Grundstücken ansetzen müssen, d.h. den Verkehrswert abzüglich etwaiger Belastungen (vgl. BGHSt 51, 65, 69; NStZ 2000, 480, 481; wistra 2003, 424, 425; NStZ-RR 2005, 104, 105). Der aktuelle Verkehrswert der Grundstücke lässt sich weder aus der Höhe der eingetragenen Sicherungshypotheken noch aus der Feststellung, dass der Angeklagte und seine Ehefrau die Grundstücke 2013 zum Preis von 167.000 € von seinen Eltern erworben haben (vgl. Bl. 8 UA), entnehmen. Ferner beläuft sich den Feststellungen zufolge der „Schuldenstand“ aus dem Grundstückskauf „noch auf ca. 140.000 €“ (vgl. Bl. … UA). Danach erscheint es zumindest naheliegend, dass die Grundstücke in entsprechender Höhe (dinglich) belastet sind, so dass der genannte Betrag vom Verkehrswert der Grundstücke abzuziehen gewesen wäre”.

4. Im Hinblick auf die überlange Dauer des Revisionsverfahrens, die die Angeklagten nicht zu vertreten haben, war anzuordnen, dass hinsichtlich der Gesamtfreiheitsstrafe für die Angeklagten H. und P. jeweils ein Monat Freiheitsstrafe als vollstreckt gilt. Hinsichtlich des Angeklagten M. obliegt es dem neuen Tatrichter, über eine Kompensation für die Verzögerung im Revisionsverfahren zu entscheiden.

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 1032

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2018, 24

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede