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HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 443

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 501/15, Beschluss v. 02.03.2016, HRRS 2016 Nr. 443


BGH 2 StR 501/15 - Beschluss vom 2. März 2016 (LG Darmstadt)

Nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe (Darstellung im Urteil); Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Voraussetzungen).

§ 55 Abs. 1 StGB; § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO; § 64 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 9. Juli 2015 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

a) soweit eine Entscheidung über die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist;

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung mehrerer Einzelgeldstrafen aus früheren Verurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Dagegen wendet sich die Angeklagte mit ihrer Revision, mit der sie die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

Die von der Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen haben aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 10. November 2015 keinen Erfolg. Ebenso hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Dagegen erweist sich der Rechtsfolgenausspruch als teilweise rechtsfehlerhaft.

1. Der Ausspruch über die Gesamtstrafe hat keinen Bestand. Das Urteil erweist sich als lücken- und damit rechtsfehlerhaft, weil sich den Feststellungen nicht entnehmen lässt, ob - wie es § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB voraussetzt - die einbezogenen Geldstrafen zum Zeitpunkt des Urteilserlasses noch nicht erledigt waren. Die Strafkammer hat unter Auflösung des Gesamtstrafenbeschlusses des Amtsgerichts Mannheim vom 5. Februar 2015 die mit Strafbefehl des Amtsgerichts Mannheim vom 15. April 2014 und die mit Urteil des Amtsgerichts Lampertheim vom 26. Juni 2014 verhängten Einzelgeldstrafen (90, 60, 40 und 40 Tagessätze) in die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe einbezogen. Den Vollstreckungsstand der einbezogenen Geldstrafen aus den früheren Verurteilungen teilt das Urteil nicht mit. Dem Senat ist eine revisionsrechtliche Überprüfung der Voraussetzungen des § 55 StGB daher nicht möglich. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Angeklagte durch eine möglicherweise fehlerhafte Gesamtstrafenbildung beschwert ist. Die Sache bedarf daher insoweit der erneuten Verhandlung und Entscheidung. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf das von der Revision vorgelegte - möglicherweise ebenfalls gesamtstrafenfähige - Urteil des Amtsgerichts Mannheim vom 22. April 2015 (20 Ds ) sowie auf das Vorbringen der Revision hin, die einbezogenen Geldstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Lampertheim vom 26. Juni 2014 seien bereits am 25. November 2014 durch Zahlung erledigt gewesen. Insbesondere empfiehlt es sich, die Feststellungen zu strafrechtlichen Vorbelastungen der Angeklagten aufgrund eines auch noch zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung aktuellen Bundeszentralregisterauszugs zu treffen.

2. Auch soweit das Landgericht keine Entscheidung über die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB getroffen hat, hat das Urteil keinen Bestand. Hierzu hat der Generalbundesanwalt ausgeführt:

„Die Feststellungen zur Heroinabhängigkeit der Angeklagten seit 2004 und nach einer drogenfreien Zeit zum erneuten Heroinkonsum der Angeklagten im Tatzeitraum 2013 (UA S. 3) verbunden mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes drängten zu der Prüfung, ob die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 64 StGB gegeben sind. Diese Feststellungen legen nahe, dass die Angeklagte einen Hang im Sinne des § 64 Satz 1 StGB hat, Betäubungsmittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Dass sich die Angeklagte zurzeit erneut in einem Methadonprogramm befindet (UA S. 5) steht der Feststellung eines Hangs nicht entgegen (…). Soweit sie in dieser Zeit erstmalig strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, zudem erheblich verschuldet war und sich bereits vom Geschädigten Geld geliehen hatte, legen die Feststellungen auch nahe, dass die abgeurteilte Tat als Beschaffungstat auf dem Hang der Angeklagten beruht. Bereits die Schwere der Anlasstat deutet daraufhin, dass der Angeklagten auch die für eine Maßnahme nach § 64 StGB erforderliche Gefahrenprognose zu stellen ist. Die Durchführung einer Substitutionstherapie spricht für einen grundsätzlichen Therapiewillen der Angeklagten und für die gemäß § 64 Satz 2 StGB für die Anordnung und den Vollzug der Maßregel erforderliche konkrete Erfolgsaussicht. Die Frage der Unterbringung der Angeklagten nach § 64 StGB bedarf daher unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) der Prüfung und Entscheidung durch ein neues Tatgericht.

Dass nur die Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO). Die Beschwerdeführerin hat die Nichtanwendung des § 64StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. Senat, Urteil vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362 f.).“ Dem schließt sich der Senat an.

3. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht - im Falle der Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB - eine mildere Strafe verhängt hätte, so dass die für die Tat vom 3. November 2013 verhängte Einzelfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten bestehen bleiben kann.

HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 443

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede