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HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 1026

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, AK 18/13, Beschluss v. 10.10.2013, HRRS 2013 Nr. 1026


BGH AK 17 - 19/13 - Beschluss vom 10. Oktober 2013

Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung; Verabredung zum Mord; dringender Tatverdacht; Fluchtgefahr; Fortdauer der Untersuchungshaft.

§ 129a Abs. 1 StGB; § 211 StGB; § 30 Abs. 2 StGB; § 121 Abs. 1 StPO; § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO

Entscheidungstenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern. Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach den allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe

I. Die Beschuldigten wurden am 13. März 2013 vorläufig festgenommen. Mit Haftbefehlen vom 14. März 2013 ordnete das Amtsgericht Dortmund die Untersuchungshaft an. Nach Übernahme des Verfahrens durch den Generalbundesanwalt am 18. März 2013 erließ der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs mit Beschlüssen vom 4. April 2013 neue Haftbefehle. Diese wurden bezüglich der Beschuldigten S. und D. am 10. April 2013 sowie bezüglich des Beschuldigten B. am 11. April 2013 in Vollzug gesetzt.

Übereinstimmender Gegenstand der Haftbefehle ist der Vorwurf, die Beschuldigten hätten sich gemeinsam mit dem Mitbeschuldigten G. zu einer konspirativ handelnden radikalislamistischen inländischen terroristischen Vereinigung zusammengeschlossen, die sich zum Ziel gesetzt habe, arbeitsteilig unter Verwendung von Sprengmitteln und Schusswaffen führende Mitglieder der Partei Pro NRW zu töten und damit die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen. In Ausübung dieses Vorhabens hätten sie Schusswaffen und Schalldämpfer erworben und besessen, andere im Umgang mit diesen Waffen unterwiesen bzw. sich im Umgang mit diesen Waffen unterweisen lassen sowie verabredet, den Vorsitzenden der Pro NRW am Morgen des 13. März 2013 zu töten (Verbrechen und Vergehen, strafbar nach § 129a Abs. 1, § 30 Abs. 2, § 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2, § 25 Abs. 2, § 52 StGB, § 52 Abs. 3 Nr. 2a WaffG).

II. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen bei allen drei Beschuldigten vor.

1. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts - soweit für die Haftfortdauerentscheidung von Bedeutung - im Wesentlichen von folgendem Geschehen auszugehen:

Die Pro NRW wurde im Jahre 2007 gegründet; ihr Vorsitzender ist der Rechtsanwalt Be. Eines ihrer Hauptbetätigungsfelder ist der Kampf gegen die angeblich drohende Islamisierung Deutschlands. Sie führte im Rahmen des Landtagswahlkampfs in Nordrhein-Westfalen Ende April/Anfang Mai 2012 eine "Moscheentour" unter dem Motto "Freiheit statt Islam" durch. Diese Tour wurde durch einen Wettbewerb begleitet, bei dem islamkritische Karikaturen eingesendet werden sollten, die sodann u.a. ausgestellt und im Internet veröffentlicht wurden. Dieses Vorgehen führte zu heftigen Reaktionen radikalislamistischer Gruppierungen, die u.a. im Internet zur Tötung der Verantwortlichen aufriefen.

Die vier Beschuldigten kennen sich teilweise bereits seit längerer Zeit. Sie wandten sich dem Islam zu und radikalisierten sich. D. und G. recherchierten bereits ab dem Jahre 2011 unabhängig voneinander im Internet nach Sprengstoffen. Sie waren anlässlich der Durchführung der geschilderten Wahlkampfaktionen der Pro NRW der Auffassung, der Islam müsse gegen dieses Vorgehen verteidigt werden.

Ab September 2012 trafen die Beschuldigten sich regelmäßig wechselseitig; das erste gemeinsame Treffen aller vier Beschuldigten fand spätestens am 23. Dezember 2012 in der Wohnung des S. statt. Sie hatten eine aus dem Internet heruntergeladene Landesliste der Pro NRW, die insgesamt 28 Namen umfasst. Hiervon wurden neun Namen mit einem roten Stift markiert. Sie kamen überein, gemeinsam jedenfalls den Vorsitzenden der Pro NRW, den in L. wohnenden Rechtsanwalt Be., zu töten. Die Rechtfertigung dieser Tat, mit der Vergeltung wegen des Vorgehens der Pro NRW geübt werden sollte, leiteten sie u.a. aus zwei Koransuren und weiteren, zum Teil aus dem Internet heruntergeladenen Schriften ab. Sie verfügten über zwei funktionsfähige Schusswaffen der Marken Beretta und Ceska mit Munition sowie zwei selbstgebaute Schalldämpfer. In der Wohnung des G. befanden sich darüber hinaus explosive und explosivverdächtige Stoffe. Im Einzelnen sind u.a. folgende Aktivitäten feststellbar:

B. legte in einem Schriftstück unter der Überschrift "Riconicion" Grundzüge der Vorbereitung und des Ablaufs eines Anschlags auf eine Person nieder. Am 30. November 2012 forderte D. den S. auf, den Umgang mit Schusswaffen zu trainieren. Am 9. Dezember 2012 wurden in Gi. KFZ-Kennzeichen gestohlen; diese wurden in der Wohnung des G. sichergestellt. Am 11. Dezember 2012 fuhr G. mit seinem Auto zu mindestens einem Wohnort eines hochrangigen Mitglieds der Pro NRW. Im Anschluss an das Treffen in der Wohnung des S. am 23. Dezember 2012 unternahmen D. und S. am 24. und 25. Dezember 2012 eine Fahrt im PKW des D., bei der sie mehrere Adressen von Mitgliedern der Pro NRW auskundschafteten, die teilweise auf der genannten Liste markiert waren. Danach trafen sich alle vier Beschuldigten in der Wohnung des B. Am 18. Januar 2013 spähten D., S. und B. sowie ein gesondert Verfolgter zwei Aldi-Filialen aus. Am 1. Februar 2013 druckte G. aus dem Internet die Fahrtroute von seinem Wohnort in Bo. zu dem Wohnsitz des Be. aus. Ebenfalls ausgedruckt wurde das Ergebnis einer Internet-Suche nach der Polizeiwache in der Nähe der Wohnung des Be. D. ersteigerte in der Folgezeit im Internet ein Magazin für die Pistole Ceska. Am 26. Februar 2013 führte G. eine Ausspähfahrt zum Wohnsitz des Be. durch. Ab dem 1. März 2013 trafen sich die Beschuldigten in der neuen Wohnung des S. in E., in die auch B. einzog. Diese Wohnung diente in der Folgezeit als gemeinsamer Treffpunkt. Die vier Beschuldigten trafen weitere Absprachen, wobei die Kommunikation zwischen dem zeitweise ortsabwesenden G. und den übrigen Beschuldigten vor allem über S. abgewickelt wurde. Dabei ging es etwa um den Zeitpunkt der geplanten Tat. Sie bezeichneten sich als Gruppe bzw. Gemeinschaft, verwandten Tarnbegriffe und verhielten sich auch im Übrigen konspirativ. Am Abend des 11. März 2013 trafen sich die vier Beschuldigten erneut in der Wohnung des S. Sodann verließen G., B. und D. die Wohnung, nahmen einen der beiden in der Wohnung des S. befindlichen Schalldämpfer mit und fuhren mit dem PKW des G. über L. zu der Wohnung des G. in Bo., wo sich die beiden Pistolen befanden. Dabei unterhielten sie sich über den bevorstehenden Anschlag. Während zweier weiterer Autofahrten am Abend des 12. März 2013 besprachen G. und B. Zeitpunkt und Einzelheiten des geplanten Anschlags sowie die Funktionsweise der Pistole Beretta. Sie entschlossen sich, am späteren Abend eine weitere Ausspähfahrt zum Wohnsitz des Be. zu unternehmen. Während dieser wurden sie festgenommen. D. wurde in der Wohnung des G. in Bo., S. in seiner Wohnung in E. gefasst.

2. Der dringende Verdacht hinsichtlich dieses Geschehens ergibt sich vor allem aus den Erkenntnissen, die aus der Überwachung der Telekommunikation sowie der Innenräume der Fahrzeuge von G. und D. gewonnen werden konnten. Die Beschuldigten unterhielten sich in zahlreichen Gesprächen über die bevorstehende Tat und sprachen dabei auch über konkrete Einzelheiten. Von Bedeutung sind daneben die Ergebnisse der durchgeführten Observationen, die Inhalte der sichergestellten Urkunden, insbesondere der dargestellten Ausdrucke aus dem Internet, sowie der sichergestellten Datenträger. Diese Ergebnisse werden ergänzt etwa durch die sichergestellten Schusswaffen, Schalldämpfer, Explosivstoffe sowie durch mündliche Äußerungen des G. nach seiner Verhaftung, den Inhalt von durch G. und B. verfassten Briefen sowie die Bekundungen zahlreicher Zeugen. Hinsichtlich der Einzelheiten nimmt der Senat Bezug auf die Darlegungen in den Haftbefehlen sowie der Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 9. September 2013.

3. Danach besteht der dringende Verdacht, dass die Beschuldigten sich wegen einer Verabredung zum Mord nach § 30 Abs. 2 i.V.m. § 211 StGB strafbar gemacht haben. Da allein dieser Tatvorwurf die Fortdauer der Untersuchungshaft für die drei Beschuldigten trägt, kann offen bleiben, ob ihr Verhalten daneben mit hoher Wahrscheinlichkeit die Strafbarkeit nach den weiteren in den Haftbefehlen aufgeführten Delikten begründet.

Die Beschuldigten verabredeten mit großer Wahrscheinlichkeit, den Vorsitzenden der Pro NRW, Be., zu ermorden. Sie waren ernsthaft entschlossen, an der Verwirklichung dieses bereits in hohem Maße konkretisierten Verbrechens als Mittäter mitzuwirken. Dies gilt auch für den Beschuldigten S. Dieser verblieb zwar am Abend des 11. März 2013 in seiner Wohnung in E. Hieraus und aus den weiteren konkreten Umständen ist nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen zwar zu schließen, dass er an der unmittelbaren Durchführung der Tat nicht beteiligt sein sollte. Der bisher ermittelte Sachverhalt belegt jedoch gleichwohl eine Mittäterschaft und nicht nur eine Beihilfe des S. bezüglich der geplanten Tat. Diese beruhte auf einem gemeinsamen Tatplan aller vier Beschuldigten, der wiederum einer gemeinsamen Motivation entsprang. S. war als vollwertiges Mitglied der Gruppe in vollem Umfang während des gesamten Zeitraums, der sich jedenfalls von Dezember 2012 bis März 2013 erstreckte und damit mehrere Monate andauerte, in die konkrete Planung und Vorbereitung der Tat eingebunden. Dabei erbrachte er objektive Beiträge von erheblichem Gewicht, die insbesondere über das bloße psychische Unterstützen derjenigen, die an dem geplanten Attentat unmittelbar beteiligt sein sollten, weit hinausgingen. Schließlich war sein Interesse an der Durchführung der Tat genauso hoch wie dasjenige der übrigen Beschuldigten.

4. Für die drei Beschuldigten ist der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) gegeben. Sie haben im Falle ihrer Verurteilung mit einer nicht unerheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Von dieser Straferwartung geht ein entsprechend hoher Fluchtanreiz aus. Dem stehen - auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Verteidigung des Beschuldigten S. - ausreichend gewichtige, die Fluchtgefahr hemmende Umstände nicht entgegen. Es ist deshalb wahrscheinlicher, dass sie, in Freiheit belassen, sich dem Verfahren entziehen als sich ihm stellen werden. Ergänzend wird auf die fortgeltenden Gründe der Haftbefehle verwiesen.

Unter diesen Umständen vermögen Maßnahmen nach § 116 Abs. 1 StPO nicht die Erwartung zu begründen, dass auch durch sie der Zweck der Untersuchungshaft erreicht werden kann.

5. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft. Nach der Festnahme der Beschuldigten waren zahlreiche, zum Teil in hohem Maße aufwändige und zeitintensive Ermittlungsmaßnahmen vorzunehmen. So waren etwa 1000 Asservate, darunter beispielsweise 17 Mobiltelefone, 14 SIM-Karten, sechs Laptops, acht USB-Sticks, sieben SD-Karten, zwei Festplatten und ein Navigationsgerät, zu untersuchen. Daneben waren die äußerst umfangreichen TKÜ- und Innenraumüberwachungsmaßnahmen auszuwerten. Die Ermittlungsbehörden haben zudem bereits weit mehr als 50 Zeugen vernommen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 9. September 2013 Bezug genommen.

6. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu dem gegen die Beschuldigten erhobenen, diese Entscheidung tragenden Tatvorwurf gemäß § 30 Abs. 2, § 211 StGB nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

III. Die Ermittlungszuständigkeit des Generalbundesanwalts - und damit die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs zum Erlass der Haftbefehle - folgt bereits aus § 142a Abs. 1 Satz 1, § 120 Abs. 1 Nr. 6 GVG, denn es besteht jedenfalls ein Anfangsverdacht für eine mitgliedschaftliche Beteiligung der Beschuldigten an einer terroristischen Vereinigung, strafbar nach § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB; es kommt deshalb nicht darauf an, ob daneben die Voraussetzungen des § 120 Abs. 2 Nr. 1 oder 3 GVG vorliegen. Alle vier Beschuldigten verstanden sich selbst als zusammengehörige Gruppe. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit waren die Zwecke und Tätigkeiten dieser Gruppierung auf die Begehung mehrerer Straftaten gerichtet. In diesem Zusammenhang fällt neben dem Motiv für das Verhalten der Beschuldigten insbesondere der Umstand ins Gewicht, dass auf der Namensliste der Mitglieder der Pro NRW mehrere Namen markiert waren und Erkundungsfahrten nicht nur zum Wohnsitz des Be., sondern auch weiterer, teilweise markierter Personen durchgeführt wurden, wenn auch der Inhalt des überwachten Gesprächs zwischen G. und B. auf der Rückfahrt von der Moschee zur Wohnung des G. am 12. März 2013 dafür sprechen könnte, dass letztlich die Bestrebungen darauf gerichtet waren, den Vorsitzenden der Pro NRW als "Kopf von diese Partei" zu treffen. Aufgrund der bisher ermittelten Umstände ist es daneben im Sinne eines Anfangsverdachts ausreichend wahrscheinlich, dass die Gruppe die für eine Vereinigung erforderlichen strukturellen Voraussetzungen aufwies.

HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 1026

Bearbeiter: Christian Becker