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Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 287/03, Beschluss v. 27.08.2003, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 2 StR 287/03 - Beschluss vom 27. August 2003 (LG Erfurt)

Verminderte Schuldfähigkeit; vertypter Milderungsgrund; sexuelle Nötigung; Strafzumessung; Schuldspruch; milderes Recht.

§ 21 StGB; § 177 StGB a.F.; § 177 StGB n.F.; § 2 Abs. 3 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 24. März 2003 im Strafausspruch aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexueller Nötigung, in Anwendung der §§ 177 Abs. 1, 178 StGB in der Fassung des 4. StrRG, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Seine auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision hat teilweise Erfolg.

1. Die Verfahrensrügen sind aus den vom Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführten Gründen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Das gilt gleichermaßen für die Sachrüge, soweit sie sich gegen die Feststellungen zum objektiven Sachverhalt und zum Vorsatz des Angeklagten wendet. Angesichts der jeweils massiven Gewalteinwirkungen auf das Tatopfer zur Überwindung der Gegenwehr lag die Annahme, der Angeklagte könne aufgrund seiner Alkoholisierung den entgegenstehenden Willen der Geschädigten nicht bemerkt haben, gänzlich fern.

2. Die Sachrüge führt jedoch zur Aufhebung des Strafausspruchs. Die Erwägungen, auf Grund derer das Landgericht die Annahme minder schwerer Fälle der Vergewaltigung abgelehnt hat, sind nicht frei von Rechtsfehlern.

a) Das Landgericht hat - im Ergebnis rechtsfehlerfrei - aufgrund der Alkoholisierung des Angeklagten in beiden Fällen die Voraussetzungen des § 21 StGB als gegeben angesehen. Zwar wären die in den Urteilsgründen hervorgehobenen Umstände, daß der Angeklagte "noch laufen" und daß man "mit ihm noch sprechen" konnte und daß er noch in der Lage war, den Geschlechtsverkehr durchzuführen, für sich kaum geeignet, das Vorliegen von Steuerungsunfähigkeit auszuschließen. Die Feststellung einer nur erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit wird jedoch von den Erwägungen zum Verhalten des Angeklagten, insbesondere zu seiner Anpassungsfähigkeit an unvorhergesehene Abläufe und Komplikationen, hinreichend getragen.

b) Bei der Prüfung, ob die beiden Taten als minder schwere Fälle im Sinne des § 177 Abs. 2 a.F. StGB anzusehen seien, hat das Landgericht den vertypten Milderungsgrund der erheblich verminderten Schuldfähigkeit nicht erörtert; dies war hier aber geboten. Aufbau und Fassung der Urteilsgründe lassen hier nicht den Schluß zu, das Landgericht habe die der Prüfung zugrunde zu legenden Gesichtspunkte zutreffend erkannt; vielmehr legen sie die Annahme nahe, daß der Tatrichter das Vorliegen minder schwerer Fälle gar nicht als Frage der Strafzumessung, sondern als solche des Schuldspruchs angesehen hat. Hierfür spricht namentlich die Einstellung in den Abschnitt IV der Urteilsgründe; darüber hinaus der Umstand, daß die nur wenige Zeilen umfassenden, pauschalen Ausführungen sich im Zusammenhang mit der Erörterung der Konkurrenz finden (UA S. 14). Das Landgericht hat hierbei nicht erkennbar bedacht, daß das Vorliegen eines vertypten Milderungsgrundes - hier erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit - nach ständiger Rechtsprechung schon für sich allein oder im Zusammenhang mit anderen Milderungsgründen die Annahme eines minder schweren Falls begründen kann (vgl. dazu Tröndle/ Fischer, StGB 51. Aufl. § 50 Rdn. 3 ff. m.w.N.). Ein Beruhen des Strafausspruchs auf diesem Rechtsfehler kann hier nicht ausgeschlossen werden.

c) Die Feststellungen können insgesamt aufrechterhalten werden, da sie von dem Rechtsfehler nicht berührt sind. Ergänzende Feststellungen des neuen Tatrichters sind möglich.

3. Der Rechtsfehler bei der Strafzumessung greift nicht auf die Frage des gemäß § 2 Abs. 3 StGB anzuwendenden milderen Rechts und daher auf den Schuldspruch durch.

a) Bei der Prüfung des gemäß § 2 Abs. 3 StGB anzuwendenden Rechts gilt der Grundsatz strikter Alternativität auf der Grundlage eines konkreten, auf den Einzelfall bezogenen Vergleichs (BGHSt 20, 22, 29 f.; 24, 94, 97; 37, 320, 322; vgl. Gribbohm in LK 11. Aufl. § 2 Rdn. 40). Ein solcher Vergleich ergibt hier, daß die vom Landgericht vorgenommene Anwendung der §§ 177, 178 a.F. StGB auch dann zutreffend wäre, wenn die Erwägungen zum Vorliegen eines minder schweren Falles auf rechtsfehlerfreier Grundlage zu einem anderen Ergebnis geführt hätten: Bei Anwendung des Tatzeitrechts ergäbe sich bei Annahme eines minder schweren Falles unter "Verbrauch" des vertypten Milderungsgrundes ein Strafrahmen von sechs Monaten bis fünf Jahre (§ 177 Abs. 2 a.F. StGB), bei Annahme eines minder schweren Falles ohne Berücksichtigung des § 21 und nochmaliger Milderung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB ein Strafrahmen von einem Monat bis zu drei Jahren und neun Monaten. Würde bei Anwendung des neuen Rechts der vertypte Milderungsgrund zur Anwendung des § 177 Abs. 1 StGB führen, so könnte sich bei Vorliegen sonstiger Milderungsgründe in Anwendung des § 177 Abs. 5, 1. Halbsatz StGB ein Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, bei nochmaliger Milderung ein solcher von einem Monat bis drei Jahren und neun Monaten ergeben. § 177 n.F. StGB erweist sich daher unter keinem denkbaren Gesichtspunkt als milderes Recht.

b) Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts verbleibt es daher in Anwendung des Grundsatzes strikter Alternativität des Gesamtrechtszustandes bei dem Schuldspruch auf der Grundlage des Tatzeitrechts; die Verurteilung wegen in Tateinheit stehender sexueller Nötigung gemäß § 178 Abs. 1 a.F. StGB im Fall 2 kommt nicht in Wegfall (vgl. BGH, Beschluß vom 1. Oktober 1998 - 4 StR 347/98). Soweit der Generalbundesanwalt insoweit auf die Entscheidungen BGH NStZ 1999, 186 f. und BGH NStZ-RR 1999, 293 f. hingewiesen hat, betrafen diese jeweils andere Fallgestaltungen.

c) An einer Verwerfung der Revision, soweit sie sich gegen den Schuldspruch wendet, gemäß § 349 Abs. 2 StPO ist der Senat durch den Antrag des Generalbundesanwalts, die Revision unter Änderung des Schuldspruchs insgesamt zu verwerfen, nicht gehindert (vgl. u.a. BGHR StPO § 349 Abs. 2 Antrag 1).

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2004, 14

Bearbeiter: Ulf Buermeyer