Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 27/02, Beschluss v. 27.02.2002, HRRS-Datenbank, Rn. X
1. Nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 9. Oktober 2001 wird dem Angeklagten auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt der Angeklagte.
Damit ist der Beschluß des Landgerichts Frankfurt am Main vom 20. Dezember 2001, mit dem die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen worden ist, gegenstandslos.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit eine Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung versagt worden ist.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "Handeltreibens mit Kokain" in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt und sichergestellte Betäubungsmittel eingezogen; es hat angeordnet, daß die in Ungarn vollzogene Auslieferungshaft im Verhältnis 1:2 anzurechnen ist. Die hiergegen gerichtete, wirksam auf die Nichtgewährung von Strafaussetzung zur Bewährung beschränkte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
1. Das Landgericht hat die Frage einer Strafaussetzung zur Bewährung im Urteil ausführlich erörtert. Hierbei hat es zunächst hervorgehoben (UA S. 11), daß besondere Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB vorliegen, und hierfür rechtsfehlerfrei vier Gesichtspunkte angeführt (Fehlen von Vorstrafen, Geständnis, Vorliegen kontrollierter Scheingeschäfte, Tatbegehung zur Finanzierung des Eigenkonsums). Eine Strafaussetzung hat das Landgericht gleichwohl mit der Begründung abgelehnt, es liege keine positive Sozialprognose im Sinne von § 56 Abs. 1 StGB vor, da der Angeklagte keine sozialen und beruflichen Bindungen, keine Berufsausbildung und kein Berufsziel habe; vor diesem Hintergrund könne die Kammer "keine positive Prognose abgeben. Es kann vielmehr überhaupt keine Prognose gestellt werden" (UA S. 13). Diese Erwägungen sind rechtsfehlerhaft.
2. Die Voraussetzungen des § 56 StGB sind von Amts wegen zu prüfen. Der Tatrichter darf daher von der erforderlichen prognostischen Beurteilung auch dann nicht absehen, wenn sie schwierig oder im Ergebnis unklar ist. Fehlen günstige Umstände, so kann die für eine Strafaussetzung erforderliche positive Prognose nicht gestellt werden. Bei der Beurteilung sind alle für die Sozialprognose erheblichen tatsächlichen Umstände umfassend zu würdigen; eine schematische Trennung von "einfachen" (prognoserelevanten) und "besonderen" Umständen ist § 56 StGB fremd. Die zumindest mißverständliche Ausführung des Landgerichts, eine Prognose könne "überhaupt nicht" gestellt werden, trifft daher nicht zu. Besondere Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB sind regelmäßig auch für die Prognose im Sinne von § 56 Abs. 1 StGB von Belang; dies war auch hier der Fall, so daß dem Landgericht eine Vielzahl von für und gegen eine Erwartung im Sinne von § 56 Abs. 1 StGB sprechenden, im Urteil dargelegten Umständen für seine Beurteilung zur Verfügung stand. Der Begründungsaufbau des, Landgerichts, der "besondere Umstände" zunächst isoliert feststellt und dann die Prognosestellung aus den zitierten Gründen ablehnt, läßt besorgen, der Tatrichter habe die notwendige Beziehung zwischen beiden Teilen nicht gesehen. Über die Strafaussetzung zur Bewährung ist daher neu zu entscheiden.
Bearbeiter: Karsten Gaede