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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 179/93, Urteil v. 15.03.1994, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 1 StR 179/93 - Urteil vom 15. März 1994 (LG Mannheim)

BGHSt 40, 97; Strafbarkeit der Leugnung des Massenmords an Juden (Holocaust); Straftatbestand der Volksverhetzung (Angriff gegen die Menschenwürde); Anwendbarkeit der Beleidigungsdelikte in diesem Zusammenhang; Beweisantragsrecht (Offenkundigkeit); Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (Rechtsgut).

§ 130 StGB; § 185 StGB; § 186 StGB; § 189 StGB; § 244 Abs. 3 Satz StPO

Leitsätze

1. Zur Strafbarkeit des Leugnens der systematischen Tötung von Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. (BGHSt)

2. § 130 StGB verlangt einen Angriff auf die Menschenwürde. Allein die Verletzung der Ehre einer Person genügt hierfür nicht. Erforderlich ist vielmehr, dass der angegriffenen Person ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen und sie als minderwertiges Wesen behandelt wird. Der Angriff muss sich mithin gegen den ihre menschliche Würde ausmachenden Kern der Persönlichkeit, nicht lediglich gegen einzelne Persönlichkeitsrechte, richten (BGHR StGB § 130 Menschenwürde 1). (Bearbeiter)

3. Ein Angriff auf die Menschenwürde ist, soweit es sich um Äußerungen handelt, die die jüdische Bevölkerung berühren, insbesondere dann gegeben, wenn der Täter sich mit der nationalsozialistischen Rassenideologie identifiziert oder seine Äußerungen sonst damit in Zusammenhang stehen (BGH NStZ 1981, 258). Er steht gleichfalls nicht in Frage, wenn der Täter die Tatsache der systematischen Morde an Juden als Lügengeschichte darstellt, absichtlich erfunden zur Knebelung und Ausbeutung Deutschlands zugunsten der Juden. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

I. Auf die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 13. November 1992 mit den Feststellungen aufgehoben.

II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen tateinheitlich begangener Volksverhetzung, übler Nachrede, Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und Aufstachelung zum Rassenhaß zur Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Außerdem hat es "die sichergestellten Videobänder" eingezogen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Die Staatsanwaltschaft hat ihr auf die Sachrüge gestütztes Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt vertreten wird, auf den Strafausspruch beschränkt.

Beide Rechtsmittel erweisen sich als begründet.

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts plante und organisierte der Angeklagte für den Herbst 1991 eine Vortragsveranstaltung mit dem amerikanischen "Hinrichtungsexperten" Fred Leuchter; Thema der Veranstaltung sollten die Ergebnisse der Nachforschungen sein, die Leuchter über die Existenz von Gaskammern und die Größe von Krematorien in den ehemaligen Konzentrationslagern von Auschwitz, Birkenau und Majdanek angestellt hatte. Zu dem Vortragsabend lud der Angeklagte alle Mediengruppen und - durch persönlich abgefaßte Einladungen - einen größeren Personenkreis ein. An der Veranstaltung, die am 19. November 1991 in einer Gaststätte in Weinheim für jedermann zugänglich durchgeführt, vom Angeklagten geleitet und auf seine Veranlassung hin vollständig auf ein Videoband aufgezeichnet wurde, nahmen etwa 120 Zuhörer sowie ein Fernsehteam des Südwestfunks teil. Von der Videoaufzeichnung ließ der Angeklagte später Kopien herstellen, von denen er zwischen 12 und 24 Stück an einen Verlag zum Weitervertrieb verkaufte.

Zu Beginn der Veranstaltung richtete der Angeklagte einige einleitende Sätze an die Anwesenden. Sodann übergab er das Wort an den Referenten Fred Leuchter, dessen in englischer Sprache gehaltene Ausführungen er anschließend teils wörtlich, teilweise zusammengefaßt oder ergänzt, ins Deutsche übersetzte.

In seinem Vortrag legte Leuchter zunächst dar, welche Untersuchungen er in den ehemaligen Konzentrationslagern durchgeführt habe; dabei sei er zu dem Ergebnis gelangt, daß dort lediglich Desinfektionsanlagen, jedoch keine Gaskammern vorhanden gewesen seien und daß es demzufolge auch keine Massenvernichtungen von Juden habe geben können. Auch seien die vorhandenen Krematorien nach ihrer Größe nicht annähernd in der Lage gewesen, eine große Anzahl von Leichen in kurzer Zeit zu verbrennen.

In einem 2. Teil schilderte Leuchter sodann die "Attacken", die von bestimmten jüdischen Personen und Organisationen in den USA und in Frankreich auf Grund seiner Äußerungen zum "Gaskammermythos" gegen ihn unternommen worden seien und die bereits zur Vernichtung seiner beruflichen Existenz und zu strafrechtlicher Verfolgung (wegen angeblich unzulässiger Berufsausübung) geführt hätten. Dabei sei es seinen Gegnern nur darum gegangen, die von ihm - Leuchter - propagierte Wahrheit zu unterdrücken und ihn "mundtot zu machen".

In einem weiteren Abschnitt gab Leuchter schließlich seiner Hoffnung Ausdruck, daß es ihm gelingen werde, in einem sog. Bürgerrechts-Verfahren, das er in den USA gegen verschiedene jüdische Organisationen, eine große Anzahl von Einzelpersonen und einzelstaatliche Regierungen anhängig gemacht habe, sein Recht auf freie Meinungsäußerung zu verteidigen. Diesen Gruppen und Personen werde "irgendwann noch eine Lektion für ihre niederträchtigen Bemühungen erteilt werden". Er sehe "auch für den Gaskammermythos ein Licht am Ende des Tunnels"; täglich tauchten Beweise für die Richtigkeit seiner Untersuchungen auf.

Seine Ausführungen schloß Leuchter mit einer "Botschaft an das deutsche Volk". Darin heißt es u.a.: "Die Deutschen waren seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges Weltbürger zweiter Klasse. Auf Grund der Gaskammerlüge, die den Deutschen aufgezwungen wurde, trägt ein ehemals stolzes Volk die Schuld einer abscheulichen Sünde mit sich herum, die es nie begangen hat. Heinrich der IV. tat Buße, indem er barfuß mitten im Winter über die Alpen nach Rom pilgerte. Wohin geht das deutsche Volk jetzt? Nach Israel? 45 Jahre Buße sind genug! Insbesondere für eine Sünde, die nie begangen wurde" (UA S. 64). Er forderte die Deutschen auf, sein Verlangen nach einer Untersuchung der "angeblichen Gaskammern" zu unterstützen und sich "von dieser Lüge der Erfindung" (im Original: "fabrication of history") zu befreien.

Die von Leuchter mehrfach verwendeten Begriffe "Gaskammerlüge" und "Gaskammermythos" übersetzte der Angeklagte wörtlich. Dagegen gebrauchte er wiederholt die Formulierung "Klarsfeld-Clan", "Klarsfeld-Seilschaft" oder "Klarsfeld- Sippschaft", wenn Leuchter lediglich den Namen Klarsfeld nannte oder von der "Klarsfeld-Stiftung" (Klarsfeld-Foundation) sprach.

II.

Die Revision des Angeklagten

1. Die Verfahrensrüge, mit der die Revision die Ablehnung mehrerer, auf die Verlesung verschiedener Urkunden gerichteter Beweisanträge beanstandet, ist offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

Gleiches gilt für den Beweisantrag vom 13. November 1992, mit welchem der Angeklagte die Vernehmung eines Sachverständigen erstrebt hatte und den das Landgericht mit der Begründung abgelehnt hat, die beantragte Beweiserhebung sei wegen Offenkundigkeit (der Massenvergasungen von Juden in den Konzentrationslagern) überflüssig. Hierzu ist lediglich folgendes anzumerken:

Die Strafkammer hat entgegen der Auffassung der Revision den Begriff der Offenkundigkeit nicht verkannt. Zu Recht hat sie angenommen, der Massenmord an den Juden, begangen vor allem in den Gaskammern von Konzentrationslagern während des 2. Weltkrieges, sei als geschichtliche Tatsache offenkundig; eine Beweiserhebung darüber sei deshalb überflüssig (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO). Das Landgericht befindet sich damit in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (NJW 1993, 916, 917), des Bundesgerichtshofes (BGHZ 75, 160, 162 = NJW 1980, 45; NStZ 1981, 258; BGHSt 31, 226, 231 f.; Urt. vom 11. November 1976 - 2 StR 508/76) und der Oberlandesgerichte (vgl. OLG Schleswig MDR 1978, 333; OLG Köln NJW 1981, 1280, 1281; OLG Celle NJW 1982, 1545). Der Senat hat keinen Anlaß, von dieser gefestigten Rechtsprechung, die er zuletzt mit Beschluß vom 16. November 1993 - 1 StR 193/93 (NStZ 1994, 140) bestätigt hat, abzuweichen. Der Beweisantrag vom 13. November 1992 zielte letztlich auf die Widerlegung dieser offenkundigen Tatsache ab. Die in der Revisionsverhandlung geäußerte Auffassung des Verteidigers, Gegenstand der beantragten Beweiserhebung sei nur die Beschaffenheit einzelner Gebäude gewesen, die Tatsache der massenhaften Ermordung von Juden sollte dagegen nicht in Zweifel gezogen werden, trifft nach dem erkennbaren Sinn des Beweisantrages nicht zu; denn sowohl dem Referenten Fred Leuchter als auch dem Angeklagten selbst ging und geht es darum, eben diesen, von ihnen als "Gaskammerlüge", "Auschwitzmythos" u.ä. bezeichneten Massenmord zu leugnen. Die Strafkammer hat daher die Ablehnung zutreffend auf die Vorschrift des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO gestützt.

2. Die Sachrüge führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, weil das Landgericht die Voraussetzungen der Vorschrift gegen Volksverhetzung (§ 130 StGB), welche von den angewendeten Straftatbeständen die schwerste Strafdrohung enthält, nicht ausreichend dargelegt hat.

a) § 130 StGB verlangt einen Angriff auf die Menschenwürde. Allein die Verletzung der Ehre einer Person genügt hierfür nicht. Erforderlich ist vielmehr, daß der angegriffenen Person ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen und sie als minderwertiges Wesen behandelt wird. Der Angriff muß sich mithin gegen den ihre menschliche Würde ausmachenden Kern der Persönlichkeit, nicht lediglich gegen einzelne Persönlichkeitsrechte, richten (BGHR StGB § 130 Menschenwürde 1; Lenckner in Schönke/Schröder, StGB 24. Aufl. § 130 Rdn. 7 jeweils m.w.N.; BT-Drucks. III/1746 S. 3).

Ein Angriff auf die Menschenwürde ist, soweit es sich um Äußerungen handelt, die die jüdische Bevölkerung berühren, insbesondere dann gegeben, wenn der Täter sich mit der nationalsozialistischen Rassenideologie identifiziert oder seine Äußerungen sonst damit in Zusammenhang stehen (BGH NStZ 1981, 258; vgl. auch Senatsbeschluß vom 16. November 1993 - 1 StR 193/93 - NStZ 1994, 140). Er steht gleichfalls nicht in Frage, wenn der Täter die Tatsache der systematischen Morde an Juden als Lügengeschichte darstellt, absichtlich erfunden zur Knebelung und Ausbeutung Deutschlands zugunsten der Juden. Aber auch aus vielfachen weiteren Umständen kann im Einzelfall ein Angriff auf die Menschenwürde entnommen werden. Daraus ergibt sich zugleich, daß das bloße Bestreiten der Gaskammermorde den Tatbestand der Volksverhetzung nicht erfüllt. Dies steht im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (NStZ 1981, 258 und 1994, 140; vgl. auch OLG Celle NJW 1982, 1545; ebenso Lenckner in Schönke/Schröder, StGB 24. Aufl., § 130 Rdn. 7; Ostendorf in StGB-AK, § 130 Rdn. 15; Schmidt MDR 1981, 972, 974 f.).

Auch der Gesetzgeber ist bei der Neuregelung des Absatzes 1 Satz 1-5 und des Absatzes 2 Satz 2-4 des § 194 StGB durch das 21. Strafrechtsänderungsgesetz, die dem Leugnen des unter der Herrschaft des Nationalsozialismus oder einer anderen Gewalt- oder Willkürherrschaft begangenen Unrechts strafrechtlich begegnen soll (BT-Drucks. 10/3242 S. 8), davon ausgegangen, daß das bloße Bestreiten der systematischen Tötung von Juden nicht den Tatbestand des § 130 erfüllt (vgl. die zusammenfassende Darstellung bei Lenckner aaO § 194 Rdn. 1).

b) Das Landgericht beschränkt sich im Rahmen seiner Feststellungen darauf, den Ablauf der Veranstaltung festzustellen. Lediglich in einer zusammenfassenden Feststellung am Ende der Beweiswürdigung heißt es, der Angeklagte habe die Judenvernichtungen während des nationalsozialistischen Regimes als "eine von Juden absichtlich erfundene Lügengeschichte zum Zwecke der Ausbeutung und Knebelung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg zugunsten der Juden" dargestellt, um so Haßgefühle gegen die jüdische Bevölkerung anzustacheln (UA S. 80). Es unterliegt keinem Zweifel, daß der Tatbestand des § 130 Nr. 1, Nr. 3 StGB erfüllt wäre, wenn der Angeklagte bei der Durchführung der Veranstaltung sich so verhalten hätte. Doch liegt der wesentliche Mangel des Urteils darin, daß das Landgericht die von ihm angenommene Einstellung des Angeklagten nicht ausreichend aus dem Gesamtzusammenhang des Geschehens entwickelt und festgestellt hat.

Die Auslegung von schriftlichen und mündlichen Äußerungen auf ihren tatsächlichen Gehalt ist Sache des Tatrichters, wobei die gesamten Begleitumstände zu berücksichtigen sind. In Betracht kommen im vorliegenden Fall hierfür insbesondere die dem Angeklagten bekannte oder von ihm vorausgesetzte politische Grundeinstellung der Zuhörer und ihr Vorverständnis, ihr sonstiges Verhalten (etwa Beifallskundgebungen bei bestimmten Aussagen), besondere Gesten des Angeklagten, die Betonung einzelner Passagen durch Stimmlage oder Lautstärke sowie kommentierende Bemerkungen.

Zwar finden sich im Urteil Feststellungen, die auf einen Angriff des Angeklagten auf die Menschenwürde der deutschen jüdischen Bevölkerung hindeuten. So hat der Angeklagte bei seiner Übersetzung des Vortrags von Fred Leuchter verschiedentlich die Begriffe "Gaskammerlüge", "Gaskammermythos" und "Auschwitzmythos" verwendet; darüber hinaus hat er bei der Übersetzung von Leuchters "Botschaft an das deutsche Volk" erklärt: "45 Jahre Strafe sind genug! Insbesondere für eine Sünde, die nie begangen wurde". Das Landgericht hat auch auf den Ablauf der Veranstaltung, namentlich auf die Einführungs- und Schlußworte des Angeklagten, seine Zustimmung ausdrückenden Anmerkungen während der Übersetzung hingewiesen, wobei diese Umstände freilich nur als Beleg dafür angeführt werden, es sei dem Angeklagten darum gegangen, seine Ansicht des Revisionismus in die Öffentlichkeit zu transportieren (UA S. 80); der Begriff des Revisionismus, wie er hier gemeint sein soll, bleibt aber unerörtert. Andererseits will das Landgericht nicht ausschließen, daß es dem Referenten Fred Leuchter bei seinen Ausführungen "im rein formalen Sinne um eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der geschichtlichen Vergangenheit" gegangen sei, "die möglicherweise, auch wenn sie falsch sind, unter dem Schutz des Artikel 5 Absatz 3 GG stehen (UA S. 74); war es aber so, können allein die zustimmenden Kommentare des Angeklagten einen Angriff auf die Menschenwürde noch nicht belegen.

Insgesamt fehlt es an einer zusammenfassenden Würdigung solcher Umstände, die für oder gegen die Annahme sprechen, der Angeklagte habe in feindseliger Haltung die Menschenwürde der inländischen jüdischen Bevölkerung angegriffen. Mag auch manches dafür sprechen, daß der Angeklagte aus diesem Beweggrund handelte, so kann doch das Revisionsgericht diese Würdigung nicht selbst vornehmen; sie ist allein Aufgabe des Tatrichters.

c) Für die Erfüllung des Tatbestandes des § 130 StGB ist weiter erforderlich, daß der Angriff auf die Menschenwürde durch eine der in § 130 Nr. 1-3 StGB aufgeführten Handlungen erfolgt; das Landgericht hat sich insoweit darauf beschränkt, die Nr. 1 und 3 des Tatbestandes als gegeben anzusehen, ohne darzulegen, welche Äußerungen des Angeklagten welche der sehr unterschiedlichen Begehungsweisen erfüllen sollen.

Das Aufstacheln zum Haß (§ 130 Nr. 1) muß objektiv geeignet und subjektiv bestimmt sein (vgl. Lenckner in Schönke/Schröder 24. Aufl. § 130 Rdn. 5a; Lömker, Die gefährliche Abwertung von Bevölkerungsteilen, 1970, S. 67), eine gesteigerte, über die bloße Ablehnung und Verachtung hinausgehende feindselige Haltung gegen die betreffenden Bevölkerungsteile zu erzeugen oder zu steigern (vgl. BGHSt 21, 372; BGH NStZ 1981, 258). Insoweit fehlen insbesondere Feststellungen des Landgerichts dazu, inwieweit die Äußerungen des Angeklagten dazu bestimmt waren, zum Rassenhaß aufzustacheln.

Auch für die weitere Begehungsform des Beschimpfens, böswillig verächtlich Machens und Verleumdens (§ 130 Nr. 3 Alt. 1-3 StGB) fehlt jede Darlegung, welche Begehungsform durch welche Handlungsweise des Angeklagten erfüllt sein soll; auch insoweit versteht es sich nicht von selbst, daß diese Begehungsweisen erfüllt sind.

Die Aufhebung der Verurteilung wegen Volksverhetzung führt zur Aufhebung des Schuldspruches insgesamt, weil die übrigen vom Landgericht angenommenen Tatbestände hiermit in Tateinheit stehen.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft

Zwar hat die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel auf den Strafausspruch beschränkt. Diese Beschränkung ist jedoch nicht wirksam, weil es, wie ausgeführt, an tragfähigen Feststellungen zum Schuldspruch fehlt (vgl. BGH NStZ 1994, 130; Pikart in KK, StPO 3. Aufl., § 344 Rdn. 20 a.E.). Art und Umfang der Schuld des Angeklagten lassen sich deshalb nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maß bestimmen. Da eine getrennte Anfechtung des Rechtsfolgenausspruchs mithin ausscheidet, ergreift die Revision der Staatsanwaltschaft auch den Schuldspruch. Sie hat aus denselben Gründen Erfolg wie das Rechtsmittel des Angeklagten. Es läßt sich nicht ausschließen, daß sich der dargelegte Rechtsfehler auch zum Vorteil des Angeklagten ausgewirkt hat.

III.

Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:

1. Was die im Rahmen des vorliegenden Verfahrens zu erörternden Beleidigungsdelikte (§§ 185, 186, 189 StGB) betrifft, so kommen als Verletzte nur solche Personen in Betracht, die unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wegen ihrer jüdischen Abstammung verfolgt wurden und ihr Leben als Opfer dieser Gewaltherrschaft verloren oder die Verfolgung überlebt haben und Teil der inländischen Bevölkerung sind. Denn nur hinsichtlich dieser Personengruppen ist eine Strafverfolgung von Amts wegen zulässig (§ 194 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 StGB). Ein Strafantrag ist von keiner Seite gestellt worden.

2. Ob die genannten Äußerungen, wie das Landgericht offensichtlich angenommen hat, als Tatsachenbehauptungen eine üble Nachrede im Sinne des § 186 StGB darstellen, erscheint zumindest fraglich; wegen des in ihnen enthaltenen negativen Werturteils handelt es sich eher um eine Beleidigung (§ 185 StGB; zur Abgrenzung vgl. Lenckner in Schönke/Schröder aaO § 186 Rdn. 4 m.w.Nachw.).

Dieser Tatbestand liegt hier allerdings schon deshalb nahe, weil die vom Angeklagten gebrauchten Formulierungen und die Begleitumstände seiner Äußerungen geeignet sind, das Verfolgungsschicksal der betroffenen Juden, welches Teil ihrer persönlichen Würde ist (vgl. BGHZ 75, 160, 162 f.), verächtlich zu machen. Dies gilt insbesondere für die Ausdrücke "Gaskammermythos", "astronomische Zahlen", die Behauptung, die Zahlen seien "lächerlich", oder die Bemerkung, es würde (nach den von Leuchter getroffenen Feststellungen) ca. 68 Jahre dauern, um 6 Millionen Menschen zu exekutieren, und die Exekutionen würden bis zum Jahr 2006 dauern.

3. Unklar und lückenhaft sind die Ausführungen des Landgerichts auch hinsichtlich der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (§ 189 StGB). Weder die tatsächlichen Feststellungen noch die rechtliche Würdigung des Urteils lassen erkennen, hinsichtlich welcher Verstorbener die Tat begangen worden sein soll.

Sollte die Kammer hierbei - wie die Bundesanwaltschaft in der Revisionsverhandlung ausgeführt hat - an deutsche Juden gedacht haben, die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung waren, diese jedoch überlebt haben und erst nach dem Krieg verstorben sind, so wäre der Strafantrag eines Angehörigen erforderlich. Da ein solcher Strafantrag bisher jedoch nicht gestellt ist, würde eine Bestrafung schon aus diesem Grund ausscheiden. Eine Strafverfolgung von Amts wegen setzt nämlich voraus, daß der Verstorbene sein Leben als Opfer der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft verloren hat (§ 194 Abs. 2 Satz 2 StGB).

Denkbar ist allerdings auch, daß das Landgericht den Tatbestand des § 189 StGB auf die in den Konzentrationslagern ermordeten Juden bezogen hat. Insofern bedürfte es keines Strafantrages.

Soweit das Landgericht diesen Tatbestand dadurch als erfüllt angesehen haben sollte, daß der Angeklagte die Existenz von Gaskammern sowie die massenhafte Vergasung von Juden in den Konzentrationslagern insgesamt bestreitet, bestehen gegen den Schuldspruch an sich keine Bedenken. Derartige Behauptungen verletzen den Schutzbereich des § 189 StGB.

Welches Rechtsgut die Bestimmung schützen soll, ist umstritten. Ein Teil des Schrifttums stellt auf die Ehre des Verstorbenen ab; nach anderer Meinung soll das Pietätsgefühl der Angehörigen oder der Allgemeinheit geschützt werden. Nach einer vermittelnden Auffassung geht es um die Nachwirkung des Schutzes der Persönlichkeit, die in der postmortalen Respektierung der menschlichen und sozialen Leistung des Verstorbenen ihren Ausdruck findet (vgl. im einzelnen Lenckner in Schönke/Schröder StGB 24. Aufl., § 189 Nr. 1 m.w.Nachw.). Der Senat neigt der letztgenannten Ansicht zu.

Die Frage bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung. Zu eng erscheint allerdings eine Beschränkung auf die Respektierung der "menschlichen und sozialen Leistung" des Verstorbenen. Der Bundesgerichtshof hat bereits in einer Entscheidung vom 20. März 1968 (BGHZ 50, 133) aus der verfassungsrechtlichen Wertordnung des Grundgesetzes, insbesondere dessen Art. 1 und 2, eine Schutzgarantie für die Menschenwürde hergeleitet, die auch nach dem Tod "antastbar", mithin schutzbedürftig bleibe und deshalb für Verstorbene nicht entfalle, vielmehr - wenn auch in eingeschränkter und veränderter Form - fortbestehe (aaO S. 136 ff.).

Untrennbarer Bestandteil der Würde eines Menschen können auch die besonderen Umstände seines Todes sein. Hat er, wie die in den Gaskammern der Konzentrationslager ermordeten Juden, ohne persönliche Schuld, allein auf Grund seiner Abstammung ("Rasse") durch staatlich organisierte und gelenkte Gewaltmaßnahmen auf grausame Weise sein Leben verloren, so prägt dieses schwere Schicksal seine individuelle Würde und damit zugleich und unmittelbar auch sein Andenken unter den Lebenden. Der Anspruch auf Achtung jenes Schicksals wird jedenfalls verletzt, wenn der nationalsozialistische Massenmord an den Juden als "Gaskammerlüge", "Gaskammermythos", "Auschwitzlüge" oder mit ähnlichen Begriffen als bloße Erfindung abgetan und dies mit herabsetzenden Begriffen ("Lüge") negativ betont wird. Gleiches gilt für den Versuch, die alle Vorstellungen übersteigende Zahl der Opfer durch pseudo-wissenschaftliche Berechnungen ins Lächerliche zu ziehen. Derartige Ausführungen haben nichts mit sachbezogener Diskussion über historische Ereignisse zu tun; sie mißachten auf das Schwerste die über den Tod fortbestehende und schutzbedürftige Würde der Opfer.

3. Neuer Feststellungen und Überprüfung bedarf schließlich auch die Frage, ob die Äußerungen des Angeklagten den Tatbestand der Aufstachelung zum Rassenhaß (§ 131 Abs. 1 Nr. 1 und 4 StGB) erfüllen (vgl. dazu BGH NStZ 1981, 258). Über die von ihm übersetzten Darstellungen Leuchters hat der Angeklagte Videobänder hergestellt und verbreitet (§ 11 Abs. 3 StGB).

4. Die Entscheidung über die Einziehung der Videobänder hat im übrigen auch deshalb keinen Bestand, weil weder die Urteilsformel noch die Gründe eine hinreichend bestimmte Bezeichnung der Bänder enthalten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes müssen eingezogene Gegenstände jedoch so genau angegeben werden, daß bei allen Beteiligten und Vollstreckungsorganen Klarheit über den Umfang der Einziehung besteht (Dreher/Tröndle StGB 46. Aufl. § 74 Rdn. 71 m.w.Nachw.).

Externe Fundstellen: BGHSt 40, 97; NJW 1994, 1421; NStZ 1994, 390; StV 1994, 538

Bearbeiter: Rocco Beck