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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 262

Bearbeiter: Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 464/22, Beschluss v. 10.01.2023, HRRS 2023 Nr. 262


BGH 1 StR 464/22 - Beschluss vom 10. Januar 2023 (LG Konstanz)

Begründung der Verfahrensrüge (kein Anspruch auf rechtzeitige Übersendung der Verfahrensakte vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist).

§ § 344 Abs. 2 StPO; § 345 Abs. 1 StPO; § 32f Abs. 2 StPO

Leitsatz

Der Angeklagte kann sich mit Hinblick auf eine unzulässige, da nicht ausreichend begründete Verfahrensrüge nicht darauf berufen, er habe nicht rechtzeitig Akteneinsicht erhalten. Ein Anspruch auf Übersendung der in Papierform geführten Akte, erst recht innerhalb einer kürzeren Frist als der des § 345 Abs. 1 StPO, sieht § 32f Abs. 2 StPO nicht vor. Das gesetzlichen Leitbild ist zudem die Einsicht in die Verfahrensakten in den Diensträumen.

Entscheidungstenor

Die Revision des Beschuldigten gegen das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 11. Juli 2022 wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Mit Blick auf die Rüge der Verletzung formellen Rechts bemerkt der Senat ergänzend zu der Antragsschrift des Generalbundesanwalts:

Soweit der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO darin sieht, dass das Landgericht zu Unrecht einen Beweisantrag auf Einholung eines weiteren rechtsmedizinischen Sachverständigengutachtens zur Schuldfähigkeit abgelehnt habe, ist die Rüge nicht in einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Weise erhoben worden und damit unzulässig. Denn die Revision hat versäumt, den Inhalt des Beweisantrags (Beweistatsache und Beweismittel) nebst Begründung sowie des gerichtlichen Ablehnungsbeschlusses innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO vorzutragen (vgl. zu den Darlegungsanforderungen bei der Beweisantragsrüge etwa BGH, Beschlüsse vom 11. Mai 2021 - 5 StR 110/21; vom 9. April 2019 - 4 StR 38/19 und vom 12. März 2013 - 2 StR 34/13 Rn. 2). Das mit Schriftsatz vom 21. Dezember 2022 ergänzte Beschwerdevorbringen zur Erwiderung auf den Antrag des Generalbundesanwalts, Beweisantrag und Gerichtsbeschluss seien vom Landgericht nicht (rechtzeitig) mit dem schriftlichen Urteil und der Protokollabschrift übersandt worden, hilft darüber nicht hinweg. Das fertiggestellte und zu den Akten genommene Hauptverhandlungsprotokoll (§ 271 StPO) unterliegt zwar gemäß § 147 StPO dem Akteneinsichtsrecht des Verteidigers (BGH, Beschluss vom 29. Oktober 1980 - StB 43/80, BGHSt 29, 394); einen Anspruch auf Übersendung der in Papierform geführten Akte, erst recht innerhalb einer kürzeren Frist als der des § 345 Abs. 1 StPO, sieht § 32f Abs. 2 StPO aber nicht vor (vgl. [zur insoweit unveränderten Rechtslage vor Inkrafttreten des § 32f StPO] BGH, Beschluss vom 12. September 2007 - 1 StR 337/07; dazu BVerfG, Beschluss vom 14. September 2011 - 2 BvR 449/11). Dass das Landgericht die dem gesetzlichen Leitbild entsprechende Einsicht in die Verfahrensakten in den Diensträumen versagt oder nur erschwert habe, behauptet die Revision nicht. Sollten die Ausführungen vom 21. Dezember 2022 als Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Begründung der Verfahrensrüge zu verstehen sein, hätte dieser mithin keinen Erfolg. Ein Ausnahmefall zur Nachholung oder Ergänzung von Verfahrensrügen liegt ersichtlich nicht vor (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Januar 2021 - 1 StR 242/20 Rn. 9 ff. und vom 6. Mai 1997 - 4 StR 152/97). Die Rüge wäre allerdings auch unbegründet, denn der Ablehnungsbeschluss des Landgerichts weist keinen Rechtsfehler auf.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 262

Bearbeiter: Christoph Henckel