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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 546

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 532/18, Beschluss v. 13.03.2019, HRRS 2019 Nr. 546


BGH 1 StR 532/18 - Beschluss vom 13. März 2019 (LG München II)

Fehlender Pflichtverteidiger (alleinige Mitwirkung eines nicht mehr als Rechtsanwalt zugelassenen Scheinverteidigers an der Hauptverhandlung).

§ 338 Nr. 5 StPO; § 140 StPO

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 12. März 2018, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten G. wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Sachbeschädigung, wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit drei tateinheitlichen vorsätzlichen Körperverletzungen, wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlicher Körperverletzung, wegen zwei tatmehrheitlichen Fällen des Raubes jeweils in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und mit räuberischem Diebstahl, wegen vier tatmehrheitlichen Fällen des versuchten Wohnungseinbruchdiebstahls, in drei Fällen jeweils in Tateinheit mit Sachbeschädigung, wegen Diebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung sowie wegen zwei Fällen des versuchten Diebstahls jeweils in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verurteilt, seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet sowie eine Einziehungsentscheidung getroffen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.

Das Urteil hat insgesamt keinen Bestand (§ 349 Abs. 4 StPO), weil die Revision zu Recht geltend macht, dass der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO gegeben ist.

1. Der Angeklagte beanstandet, er sei während der ersten beiden Hauptverhandlungstage am 15. und 16. Januar 2018 durch den Pflichtverteidiger Rechtsanwalt W. nicht ordnungsgemäß verteidigt gewesen, da dieser „nach gesicherter Erkenntnis“ seit dem 29. Dezember 2017 bestandskräftig nicht mehr zur Rechtsanwaltschaft zugelassen gewesen sei. Aus datenschutzrechtlichen Gründen könne jedoch nicht mitgeteilt werden, woher diese Erkenntnis stamme. Am fünften Verhandlungstag sei dem Angeklagten Rechtsanwalt B. als weiterer Pflichtverteidiger bestellt und am sechsten Verhandlungstag Rechtsanwalt W. entpflichtet worden, der vom dritten bis fünften Verhandlungstag wegen Krankheit nicht erschienen sei. An den ersten beiden Hauptverhandlungstagen sei während eines wesentlichen Teils der Hauptverhandlung, der Verlesung der Anklage, den Mitteilungen gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO, den Angaben des Angeklagten zu seinen persönlichen Verhältnissen und seiner Einlassung zur Sache kein zugelassener Verteidiger zugegen gewesen. Dieser Verhandlungsteil sei auch nicht wiederholt worden.

Rechtsanwalt B. erhielt auf seine Anfrage bei der Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesgerichtsbezirk München, ob die Zulassung von Rechtsanwalt W. im Zeitraum vom 15. Januar 2018 bis 29. Januar 2018 bestandskräftig nicht mehr gegeben gewesen sei, lediglich die Auskunft, Rechtsanwalt W. sei nicht mehr zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Weitere Auskünfte dürften aufgrund der Verschwiegenheitspflicht gemäß § 76 Abs. 1 BRAO nicht erteilt werden. Ein weiteres Auskunftsbegehren des Rechtsanwalts an den Präsidenten des Landgerichts München II ergab, dass dort keine Erkenntnisse vorlägen. Eine Anfrage an Rechtsanwalt W. selbst blieb unbeantwortet.

2. Die Rüge ist entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts zulässig erhoben worden (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

Der Generalbundesanwalt meint, die vom Revisionsführer entfalteten Bemühungen, die „gesicherte Erkenntnis“ anderweitig zu verifizieren, hätten nicht ausgereicht. Es hätte einer Wiederholung der Anfrage bei der Rechtsanwaltskammer bedurft. Außerdem habe die Revision nicht vorgetragen, ob der Wahlverteidiger des Angeklagten an den ersten beiden Hauptverhandlungstagen anwesend gewesen sei und auch nicht, dass Rechtsanwalt B. dem Angeklagten am zweiten Hauptverhandlungstag für die Dauer der Abwesenheit von Rechtsanwalt W. zum Pflichtverteidiger bestellt worden sei und während dessen Abwesenheit von 10.37 bis 11.58 Uhr die Verteidigung übernommen habe.

Der Angabe des kurzen Zeitraums von 10.37 bis 11.58 Uhr, währenddessen der neu bestellte Pflichtverteidiger anwesend war, bedurfte es indes nicht, da sich bereits aus dem übrigen Vortrag die Abwesenheit eines Verteidigers im verbleibenden Zeitraum bei wesentlichen Verhandlungsteilen ergab, der die Revision begründet. Insoweit musste die Revision auch nicht ausdrücklich darauf hinweisen, dass ebenfalls der Wahlverteidiger nicht anwesend war, da sich aus dem Revisionsvortrag ergibt, dass mit Ausnahme von Rechtsanwalt W. kein Verteidiger anwesend war. Eine weitere Anfrage bei der Rechtsanwaltskammer war entbehrlich, da diese weitere Auskünfte bereits unter Hinweis auf ihre Verschwiegenheitspflicht verweigert hatte und der Revisionsführer daraufhin weitere Bemühungen in Gestalt einer Anfrage bei dem Präsidenten des Landgerichts München II sowie bei Rechtsanwalt W. direkt entfaltet hatte.

3. Die Verfahrensrüge ist begründet.

Dem Angeklagten war Rechtsanwalt W. als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Dieser trat in den beiden Hauptverhandlungsterminen vor der Jugendkammer am 15. und 16. Januar 2018 als dessen alleiniger Verteidiger auf. Mit Schreiben vom 19. Februar 2019 teilte der Präsident der Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesgerichtsbezirk München dem Senat auf dessen Anfrage mit, dass Assessor W. seit 29. Dezember 2017 nicht mehr zur Rechtsanwaltschaft zugelassen sei. Infolgedessen durfte der ehemalige Rechtsanwalt zur Zeit der Hauptverhandlung nicht mehr als Verteidiger auftreten (§§ 142, 138 Abs. 1 StPO).

Da es sich vorliegend um einen Fall notwendiger Verteidigung handelt (§ 140 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 5 StPO), begründet die alleinige Mitwirkung eines nicht als Rechtsanwalt zugelassenen Scheinverteidigers an der Hauptverhandlung den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Februar 2002 - 5 StR 617/01, BGHSt 47, 238, 239, 242 und vom 20. Juni 2006 - 4 StR 192/06 Rn. 4).

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 546

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2019, 187

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede