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HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 1136

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 317/11, Beschluss v. 24.08.2011, HRRS 2011 Nr. 1136


BGH 1 StR 317/11 - Beschluss vom 24. August 2011 (LG Bochum)

Steuerhinterziehung (Verletzung des Verwertungsverbots des BZRG bei der Rechtsfolgenentscheidung: Tilgungsreife, Beruhen; Verhängung kurzer Freiheitsstrafen).

§ 370 AO; § 51 Abs. 1 BZRG; § 47 StGB; § 337 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Schon die - vorbehaltslose - Erwähnung der früheren Verurteilung in der Hauptverhandlung und in den Urteilsgründen stellt einen unzulässigen Vorhalt und daher einen Verstoß gegen § 51 Abs. 1 BZRG dar. Er kann den Bestand des Rechtsfolgenausspruchs allerdings dann nicht gefährden, wenn auszuschließen wäre, dass sich der Rechtsfehler bei der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 22. November 2010 im Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen zu der Vorverurteilung des Angeklagten aufgehoben.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in elf Fällen und wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in sechs Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.

Soweit sich die Revision des Angeklagten gegen den Schuldspruch richtet, ist sie unbegründet, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 21. Juli 2011 dargelegten Gründen, die durch die Gegenerklärung hierzu nicht entkräftet werden, insoweit keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

Demgegenüber hat der Rechtsfolgenausspruch wegen der Verletzung sachlichen Rechts - Verstoß gegen § 51 Abs. 1 BZRG - keinen Bestand. Gemäß § 51 Abs. 1 BZRG dürfen dem Betroffenen - hier dem Angeklagten - eine Verurteilung und die zugrunde liegende Tat im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht mehr zu seinem Nachteil verwertet werden, wenn die Verurteilung im Bundeszentralregister getilgt worden ist oder wenn sie hätte getilgt werden müssen (Tilgungsreife).

In den Feststellungen zur Person des Angeklagten findet sich der Hinweis auf seine Verurteilung durch das Landgericht Aurich vom 17. Oktober 1990 - rechtskräftig am selben Tag - wegen versuchter Brandstiftung in Tateinheit mit versuchtem Versicherungsbetrug zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, unter kurzer Schilderung des zugrunde liegenden Sachverhalts.

Bei jener Verurteilung aus dem Jahre 1990 beträgt die Tilgungsfrist 15 Jahre (§ 46 Abs. 1 Nr. 4 BZRG). Zum Zeitpunkt der Verurteilung des Angeklagten in diesem Verfahren am 22. November 2010 war somit längst Tilgungsreife eingetreten. Anhaltspunkte dafür, dass der Ablauf der Frist gehemmt war (§ 47 BZRG) - etwa wegen weiterer noch nicht tilgungsreifer Vorverurteilungen oder weil die Bewährungsstrafe noch nicht erlassen ist - sind nicht ersichtlich.

Schon die - vorbehaltslose - Erwähnung der früheren Verurteilung in der Hauptverhandlung und in den Urteilsgründen stellt einen unzulässigen Vorhalt und daher einen Verstoß gegen § 51 Abs. 1 BZRG dar (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Februar 1992 - 2 StR 454/91). Dies könnte den Bestand des Rechtsfolgenausspruchs allerdings dann nicht gefährden, wenn auszuschließen wäre, dass sich der Rechtsfehler bei der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat. Dies ist hier indes nicht der Fall; die Strafkammer hat die Vorverurteilung zum Nachteil des Angeklagten verwertet.

Zwar hat das Landgericht dem Angeklagten bei den allgemeinen Strafzumessungserwägungen zur Festsetzung der Einzelstrafen einen - bis zu den nunmehr abgeurteilten Taten - untadeligen Lebenslauf bescheinigt. Bei den Erwägungen zur Strafaussetzung zur Bewährung hat es festgestellt, dass die Vorstrafe einer günstigen Sozialprognose nicht entgegenstehe.

Jedoch hat die Strafkammer bei ihrer Entscheidung, bei allen Taten (Einzel-)freiheitsstrafen zu verhängen, auch wenn diese unter sechs Monaten liegen (§ 47 Abs. 1 StGB), die Vorverurteilung des Angeklagten einbezogen. Von den 17 Einzelfreiheitsstrafen liegen 14 unter sechs Monaten (sechs mal drei Monate, acht mal vier Monate). Die Strafkammer hat dazu folgende Erwägungen angestellt:

"Die besonderen Umstände, die die Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Angeklagten unerlässlich machen, liegen bereits in Form der Vielzahl der Taten, der organisierten Arbeitsweise und der jeweils entstandenen nicht unerheblichen Schäden vor, die insgesamt eine nicht unerhebliche kriminelle Energie des Angeklagten offenbaren. Im Übrigen ist auch die - wenn auch nicht einschlägige - Vorstrafe (vgl. Stree in Schönke/ Schröder, StGB § 47 Rn. 11) zu berücksichtigen. Zwar lässt sich bei Wiederholungstätern die Unerlässlichkeit einer Freiheitsstrafe nicht schematisch bejahen (vgl. OLG Schleswig NJW 1982, 116). Die Beurteilung der Frage, ob die Verhängung einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten zur Einwirkung auf einen Wiederholungstäter wegen der in der Tat oder Persönlichkeit liegenden Umständen unerlässlich ist, hängt vielmehr - ebenso wie beim Ersttäter - von den Umständen des Einzelfalls ab. Vor dem Hintergrund der Verhängung einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren im Jahr 1990, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, zeichnet sich nach dem vom Angeklagten gewonnenen persönlichen Eindruck klar ab, dass die Verhängung einer Freiheitsstrafe das einzige Mittel ist, den Angeklagten vom Fortsetzen strafbaren Verhaltens abzubringen."

Damit hat die Strafkammer auch der Vorverurteilung wesentliches Gewicht bei der Entscheidung nach § 47 Abs. 1 StGB beigemessen. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das Landgericht ohne die Vorstrafe insoweit anders entschieden hätte, und ebenso wenig, dass diese die Festsetzung der Einzelstrafen sowie der Gesamtstrafe auch sonst zum Nachteil des Angeklagten beeinflusst hat.

Der Rechtsfolgenausspruch hat daher keinen Bestand. Mit Ausnahme derjenigen zur Vorverurteilung sind die zugehörigen Feststellungen vom Rechtsfehler nicht erfasst und können insoweit bestehen bleiben. Sie dürfen durch weitere Feststellungen, die zu den bisher getroffenen nicht in Widerspruch stehen, ergänzt werden.

Der Schriftsatz des Verteidigers vom 22. August 2011 hat dem Senat bei seiner Entscheidung vorgelegen.

HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 1136

Bearbeiter: Karsten Gaede