hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 503

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 682/10, Urteil v. 29.03.2011, HRRS 2011 Nr. 503


BGH 1 StR 682/10 - Urteil vom 29. März 2011 (LG Bayreuth)

Zutreffende Ablehnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus; Rücktritt vom Versuch der gefährlichen Körperverletzung; Voraussetzungen der Bedrohung (Messereinsatz; konkludente Bedrohung).

§ 63 StGB; § 24 StGB; § 224 StGB; § 22 StGB; § 241 StGB

Entscheidungstenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Bayreuth vom 14. September 2010 wird verworfen.

Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch dem Beschuldigten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

I.

Das Landgericht hat den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

II.

Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Beschuldigte seit mindestens dem Jahre 2000 an einer paranoiden Schizophrenie. Diese Erkrankung hat bereits mehrmals zu teils längeren Aufenthalten auf der geschlossenen Station des Bezirkskrankenhauses Bayreuth geführt. Anlass waren Suizidversuche des Beschuldigten. Für den Beschuldigten besteht seit vielen Jahren eine Betreuung, die u.a. auch die Aufenthaltsbestimmung mit der Befugnis zur Unterbringung in einer geschlossenen Station umfasst. Der Beschuldigte ist bisher strafrechtlich nicht vorgeahndet.

Zum Tatgeschehen ist die Strafkammer von folgendem Sachverhalt ausgegangen:

Der Beschuldigte stand am Morgen des 4. März 2010 unter dem Einfluss eines Wahnsystems, was sich u.a. darin äußerte, dass er der Auffassung war, sein ehemaliger Arbeitskollege K. bei der Fa. I. habe ihn früher mit seinen Brüdern (die es in Wirklichkeit nicht gibt) überfallen. Außerdem sei dieser schuld daran, dass ihm sein Führerschein entzogen worden sei. Gegen 11.00 Uhr fuhr der Beschuldigte mit seinem Fahrrad zum Betriebsgelände der Fa. I. In seiner rechten hinteren Gesäßtasche führte er einen Notfallhammer mit sich. Außerdem hatte er ein beidseitig geschliffenes Messer mit einer Klingenlänge von 11,5 cm bei sich. Er begab sich zum Büro von K.. Nachdem der Beschuldigte dem Zeugen K. einige diesem unverständliche Vorhaltungen im Zusammenhang mit dem Führerschein gemacht hatte, nahm dieser den Telefonhörer, um seinen Vorgesetzten zu informieren. In diesem Moment zog der Beschuldigte das Messer aus der Scheide und ging auf den Zeugen zu. Der Beschuldigte befürchtete, dass K. Hilfe herbeiruft und er wieder ins Bezirkskrankenhaus eingewiesen werde. K. wich auf dem Rollstuhl weiterhin sitzend etwas zurück. Mit dem Messer stach der Beschuldigte in Richtung des Körpers von K. Diesem gelang es, mit einer Abwehrbewegung eine Verletzung zu verhindern, wobei es zu einem leichten Kontakt des Messers mit dem Bauch kam. Als der Geschädigte den Beschuldigten laut anschrie, was er denn von ihm wolle, ließ dieser von ihm ab. Er äußerte noch, er gebe dem Zeugen sieben Tage Zeit, um das Problem mit dem Führerschein zu klären, sonst passiere etwas. Sodann verließ er das Büro und fuhr mit dem Fahrrad nach Hause.

Der Beschuldigte wollte den Zeugen K. nicht töten. Vielmehr wollte er ihn mit dem Messer in erster Linie bedrohen, wobei er aber billigend in Kauf nahm, dass es zu einer Verletzung des Geschädigten kommen könnte. Außerdem ging er davon aus, dass K. ernsthaft annehmen würde, er wolle ihn mit dem Messer töten. K. erlitt keine Verletzungen. Auch die Kleidung wurde nicht beschädigt. K. bemerkte nur eine Berührung im Bauchbereich.

Das Landgericht würdigt das Verhalten des Beschuldigten als Bedrohung in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung. Er könne jedoch nicht bestraft werden, weil er im nicht ausschließbaren Zustand der Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB gehandelt habe. Wegen der akuten paranoiden Psychose sei bei dem Beschuldigten die Einsichtsfähigkeit zum Zeitpunkt der Tat mit hoher Wahrscheinlichkeit aufgehoben, jedenfalls die Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt gewesen.

Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat die Strafkammer abgelehnt, "weil zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass der 'Angeklagte' infolge seiner krankhaften seelischen Störung weitere Taten begehen wird und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich wäre" (UA S. 8).

III.

Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat, was die Ablehnung der Unterbringung des Beschuldigten gemäß § 63 StGB betrifft, im Ergebnis keinen Rechtsfehler ergeben.

1. Die Strafkammer hat rechtsfehlerfrei verneint, dass von dem Beschuldigten künftig erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind. Es kann im vorliegenden konkreten Einzelfall dahinstehen, ob das Landgericht die Frage des Subsidiaritätsprinzips (vgl. zum Streitstand Fischer, StGB, 58. Aufl., Rn. 23 zu § 63) und des Wertes der Erklärung des Beschuldigten, sich in eine heimartige Einrichtung zu begeben, zutreffend eingeordnet hat. Zu letzterem ist immerhin zu berücksichtigen, dass der Aufgabenbereich des Betreuers auch die Befugnis zur Unterbringung in einer geschlossenen Station umfasst und die Betreuerin den Beschuldigten schon mehrmals in eine geschlossene Anstalt eingewiesen hat (UA S. 3/4). Diese Fragen können hier jedoch offen bleiben. Denn das Landgericht hat - gestützt auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. L. - das Absehen von der Unterbringung auf andere tragfähige Umstände gestützt (UA S. 10 unten). Danach ist es, obwohl der Beschuldigte schon seit ca. zehn Jahren an der paranoiden Psychose leidet, bisher nie zu Übergriffen gegen Dritte gekommen. Bei den psychosebedingten Taten handelt es sich vornehmlich um autoaggressive Handlungen und nicht um fremdaggressives Verhalten. Es sei eher mit suizidalen als mit fremdaggressiven Handlungen zu rechnen. Dass die zeitlichen Abstände zwischen den stationären Klinikaufenthalten kürzer wurden, deutet nicht ohne weiteres auf die Begehung fremdaggressiver Taten hin.

Wenn der Tatrichter danach die von der Rechtsprechung (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 StR 547/10 Rn. 3 mwN) geforderte "Wahrscheinlichkeit höheren Grades" für die Begehung erheblicher rechtswidriger Taten verneint, ist es rechtlich nicht zu beanstanden.

2. Hinzu kommt, dass nach den Urteilsfeststellungen Zweifel bestehen, ob die Anlasstat versuchte gefährliche Körperverletzung überhaupt gegeben ist; denn es drängt sich ein freiwilliger Rücktritt vom Versuch auf.

Der Beschuldigte hat zwar eine Stichbewegung mit bedingtem Körperverletzungsvorsatz gemacht, aber den "Geschädigten" weder verletzt noch dessen Kleidung beschädigt. Als der "Geschädigte" den Beschuldigten laut anschrie, was er denn von ihm wolle, ließ dieser von ihm ab (UA S. 5). Das beruht auf der glaubhaften Zeugenaussage des "Geschädigten", wonach der Beschuldigte sofort von ihm abgelassen habe, nachdem er ihn angeschrien habe, was er denn von ihm wolle, er habe ihm doch nichts getan (UA S. 7). Dass der Beschuldigte gehindert war, noch einmal zuzustechen, ist genauso wenig festgestellt wie sein "Rücktrittshorizont". Ein freiwilliger Rücktritt hätte demnach zumindest erörtert, wenn nicht gar angenommen werden müssen.

Die gegebenenfalls allein verbleibende Bedrohung wäre im konkreten Einzelfall nicht verhältnismäßig für die außerordentlich belastende Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Aber selbst die Bejahung der Bedrohung i.S.d. § 241 StGB ist nicht unproblematisch. Der Beschuldigte hat zunächst nichts Drohendes gesagt und im Übrigen nur mit (bedingtem) Körperverletzungsvorsatz gehandelt. Aus der Verwendung eines Messers kann nicht ohne weiteres auf eine konkludente Verbrechensdrohung geschlossen werden (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 26. Juni 2008 - 3 StR 182/08 Rn. 13 und BGH, Beschluss vom 1. August 2006 - 3 StR 249/06 Rn. 2). Der "Geschädigte" hat nicht geglaubt, "dass der Beschuldigte ihn habe töten wollen" (UA S. 7). Für die Feststellung der Strafkammer, der Beschuldigte sei davon ausgegangen, dass der "Geschädigte" ernsthaft annehmen würde, er wolle ihn mit dem Messer töten (UA S. 5), fehlt es daher an einer tragfähigen Grundlage.

Sollte der Tatrichter in der nach dem Versuch gemachten Äußerung des Beschuldigten "sonst passiere etwas" die Bedrohung gesehen haben, fehlt es an der näheren Darlegung, weshalb der Zeuge K. dadurch mit der Begehung eines gegen ihn gerichteten Verbrechens bedroht wurde (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 5. September 2002 - 4 StR 253/02).

HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 503

Bearbeiter: Karsten Gaede