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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 33/00, Beschluss v. 29.02.2000, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 1 StR 33/00 - Beschluß v. 29. Februar 2000 (LG Memmingen)

Absolute Beweiskraft des Protokolls; "Konnexität zwischen Beweistatsache und Beweismittel"; Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen; Hilfstatsache; Bedeutungslosigkeit

§ 274 StPO; § 244 StPO; § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die absolute Beweiskraft des Protokolls (§ 274 StPO) bezieht sich nicht auf die Begründung von Anträgen.

2. Ein auf die Vernehmung eines Zeugen gerichteter Beweisantrag verlangt sowohl die Behauptung einer konkreten Tatsache als auch die Behauptung, daß der Zeuge diese Tatsache aus eigener Wahrnehmung bekunden kann. Darüber hinaus muß erkennbar sein, weshalb der Zeuge überhaupt etwas zu dem Beweisthema bekunden können soll. In Fällen, in denen sich dieser Zusammenhang nicht von selbst versteht, ist die "Konnexität zwischen Beweistatsache und Beweismittel" näher darzulegen (BGHSt 43, 321, 329 f. m.w. Nachw.).

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 9. September 1999, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben (§ 349 Abs. 4 StPO). In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen eines gemeinschaftlich mit dem früheren Mitangeklagten K. begangenen schweren Raubes zu sieben Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. K. wurde zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Insoweit ist das Urteil rechtskräftig.

Die Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg; die Strafkammer hat einen Beweisantrag nicht rechtsfehlerfrei zurückgewiesen.

1. Im wesentlichen aufgrund der Angaben von K. ist folgendes festgestellt:

a) K. hat am 24. Februar 1999 ein Ehepaar unter Einsatz einer (ungeladenen) Gaspistole und eines Messers "mit einer Gesamtlänge von 28 Zentimeter, Klingenlänge 17 Zentimeter, einseitig geschliffen und spitz zulaufend" in dessen Wohnung überfallen. Er erbeutete 3.300 DM, seine Erwartung, aus dem Tresor einen größeren Geldbetrag erbeuten zu können - er rechnete mit 250.000 DM, tatsächlich befanden sich dort 170.000 DM - erfüllte sich letztlich nicht, da er sich in einer "Rangelei" mit dem Ehemann nicht durchsetzen konnte und daher floh.

b) Die Idee zur Tat stammte vom Angeklagten, der den zögerlichen K. nach wiederholtem Zureden und nachdem K. schon mehrere vergebliche Anläufe unternommen hatte, erst am Tattag zur endgültigen Tatbegehung veranlaßte. An der unmittelbaren Tatausführung war er nicht beteiligt, da er dem Geschädigten persönlich bekannt war. Er hat jedoch am Tattag K. das Messer und die Pistole gegeben und ihn mit seinem Pkw vor das Haus der Opfer gefahren. Es war vereinbart, daß er in einer nahgelegenen Seitenstraße auf K. warten sollte, um ihn - nach vorheriger Teilung der Beute - zum Flughafen zu bringen, von wo K. in die Türkei fliegen sollte. Tatsächlich hatte sich der Angeklagte aber bereits entfernt, als K. zum vereinbarten Treffpunkt kam.

2. Der Angeklagte hat eine Beteiligung an der Tat bestritten. Sein Bemühen, die Glaubhaftigkeit der Aussagen von K. zu erschüttern, ist gescheitert.

a) Eine Reihe von Alibizeugen sieht die Strafkammer als unglaubwürdig an.

b) Die vom Angeklagten in den Raum gestellte Möglichkeit, daß ein anderer Hintermann des K. gewesen sein könnte, hat die Strafkammer verneint.

aa) Bei K. wurde ein vom Tattag stammender Busfahrschein mit einem Fahrtziel in der Nähe der Wohnung des Ko. gefunden. Ko. hatte durch ein Geschäft mit dem Geschädigten im Ergebnis hohe Verluste erlitten. Jedoch war Ko. ausweislich seines Passes am Tattag in Polen, K. war am Morgen des Tattages zu einer in der Nähe von dessen Wohnung gelegenen Firma gefahren, wo er sich vergeblich um einen Arbeitsplatz bewarb.

bb) K. hatte einen Teil der Beute dem D. überlassen. Diesen hatte er jedoch - offenbar zufällig - am Tag nach der Tat erstmals nach acht Jahren wieder getroffen.

c) Die Strafkammer hat auch die Möglichkeit verneint, daß nicht der Angeklagte K. die Pistole gegeben hat. In diesem Zusammenhang hat der Angeklagte geltend gemacht, daß K. schon früher im Besitz der Pistole war. Hierzu hat der Zeuge L. bekundet, K. habe ihm im Sommer 1998 eine Pistole zum Ausgleich von Schulden angeboten. Soweit er, L., bei der Polizei angegeben habe, er habe diese Pistole auch von K. gezeigt bekommen, sei diese Angabe allerdings nicht richtig gewesen.

Die Strafkammer hat aus dem Aussageverhalten L.s geschlossen, daß er insgesamt unglaubwürdig sei.

3. Der Angeklagte hat sich mit einem Beweisantrag auf das Zeugnis der Zeugen Ka. - Türsteher einer Diskothek - und B. berufen, daß diese das von K. bei der Tat verwendete Messer schon früher in dessen Besitz gesehen hätten. Ergänzend heißt es in dem Antrag, K. habe einen Raub zum Nachteil von B. begangen.

a) Diesen Antrag hat die Strafkammer abgelehnt, "weil auch nach näherer Erläuterung der Verteidigung die Beweistatsachen aufs geradewohl behauptet werden .... Soweit der Zeuge B. einen gegen ihn gerichteten Raub des Angeklagten K. bestätigen soll, wird dieser als wahr unterstellt".

b) Soweit dieser Beschluß auf nähere Erläuterungen der Verteidigung Bezug nimmt, ergibt die Niederschrift der Hauptverhandlung, daß der Verteidiger den Antrag vor dessen Bescheidung zweimal erläutert hat:

aa) Der erste Vermerk sagt über den Inhalt der Erläuterungen nichts aus.

bb) Ausweislich des zweiten Vermerks hat der Verteidiger erklärt, daß die genannten Zeugen "beim Angeklagten K. vor dem 24. Februar 1999 ein großes Messer gesehen haben sollen".

4. Gegen diesen Beschluß (vgl. oben 3a) wendet sich die Revision.

a) In tatsächlicher Hinsicht trägt sie vor, im Rahmen der Erläuterung des Beweisantrags habe sie folgendes geltend gemacht:

aa) Der Zeuge Ka. habe im Rahmen seiner Tätigkeit als Türsteher einer Diskothek bei K. ein "ca. 30 cm großes, 'Rambo-Messer' ... gesehen und ihn aufgefordert, dieses Messer abzugeben, sonst werde ihm der Zutritt zur Diskothek verweigert".

bb) Bei dem Raub zum Nachteil von B. habe K. ein ca. 30 cm langes "Rambo-Messer" bei sich geführt.

b) Wie dargelegt, ergibt sich dies aus der Niederschrift der Hauptverhandlung so nicht. Soweit diese - nur im zweiten Vermerk - überhaupt inhaltliche Ausführungen enthält (vgl. oben 3b), stehen sie zu dem jetzigen Vorbringen nicht in Widerspruch, sondern präzisieren es. Die absolute Beweiskraft des Protokolls (§ 274 StPO) bezieht sich nicht auf die Begründung von Anträgen (vgl. Engelhardt in KK 4. Aufl. § 273 Rdn. 10 m.w.Nachw.). Von der Möglichkeit, eine Revisionsgegenerklärung abzugeben (§ 347 Abs. 1 Satz 2 StPO; vgl. auch Nr. 162 Abs. 2 RiStBV), hat die Staatsanwaltschaft keinen Gebrauch gemacht. Auch der Generalbundesanwalt hat seinem Antrag vom 26. Januar 2000 das Revisionsvorbringen zugrundegelegt.

Unter diesen Umständen sieht der Senat keine Veranlassung, die Richtigkeit des Revisionsvorbringens zum Inhalt der Erläuterungen in tatsächlicher Hinsicht zu überprüfen, obwohl sie von der Niederschrift der Hauptverhandlung nicht belegt wird.

5. Die Rüge hat Erfolg.

a) Ein auf die Vernehmung eines Zeugen gerichteter Beweisantrag verlangt sowohl die Behauptung einer konkreten Tatsache als auch die Behauptung, daß der Zeuge diese Tatsache aus eigener Wahrnehmung bekunden kann. Darüber hinaus muß erkennbar sein - hierauf hebt der Generalbundesanwalt ab -, weshalb der Zeuge überhaupt etwas zu dem Beweisthema bekunden können soll. In Fällen, in denen sich dieser Zusammenhang nicht von selbst versteht, ist die "Konnexität zwischen Beweistatsache und Beweismittel" näher darzulegen (BGHSt 43, 321, 329 f. m.w. Nachw.).

b) Jedenfalls nach den dargelegten Erläuterungen war klargestellt, woher die Zeugen wissen sollten, daß K. schon bei vor der Tat liegenden mehreren Gelegenheiten im Besitz eines ca. 30 cm langen Messers war. Freilich heißt es in dem Beweisantrag auch, daß die Zeugen bekunden sollten, daß es sich bei dem von ihnen gesehenen Messer um das bei der Tat verwendete Messer gehandelt hat. Bei der Tat waren die Zeugen offensichtlich nicht anwesend, woher sie dies sonst wissen sollten, ist nicht erkennbar. Bei sinngerechtem Verständnis handelt es sich bei diesem Vorbringen jedoch nicht um die Beweisbehauptung, sondern um das Beweisziel (vgl. BGHSt 39, 251, 253 f.). Nach dem Willen des Antragstellers sollte die Strafkammer im Falle des Gelingens des angebotenen Beweises aus der Feststellung, daß K. schon früher im Besitz eines Messers war, den Schluß ziehen, daß er entgegen seinen Angaben das bei der Tat verwendete Messer nicht erst am Tattag vom Angeklagten erhalten hatte. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, daß das bei der Tat verwendete Messer - wie sich schon aus dessen genauer Beschreibung in den Urteilsgründen (vgl. oben 1a) ergibt und was im übrigen die Niederschrift der Hauptverhandlung bestätigt - dem Gericht vorlag. Eine Aussage der Zeugen, daß dieses Messer in seinem Aussehen dem Messer entspricht, das sie früher bei K. gesehen haben, erscheint daher möglich.

c) Letztlich war der Beweisantrag damit auf die Feststellung einer vielfach als "Hilfstatsache" bezeichneten Tatsache gerichtet, da sie die Bewertung eines anderen Beweisergebnisses (hier: Glaubwürdigkeit der Aussage K.s, er habe das Messer erst am Tattag vom Angeklagten erhalten) ermöglichen sollte (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 244 Rdn. 219 m.w. Nachw.), ohne daß sich selbst im Falle des Gelingens des Beweises hieraus zwingend eine für den Angeklagten günstigere Schlußfolgerung ergeben müßte. Selbst wenn sich ergeben sollte, daß schon früher ein ähnliches Messer im Besitz von K. war, wäre die Strafkammer nicht gehindert gewesen, gleichwohl die Überzeugung zu gewinnen, daß er das bei der Tat verwendete Messer erst am Tattag vom Angeklagten erhalten hat.

d) Die Strafkammer hätte den Beweisantrag daher als bedeutungslos (§ 244 Abs. 3 Satz 2 2. Alternative StPO) ablehnen können. Da die Bedeutungslosigkeit der unter Beweis gestellten Tatsache aber nicht offenkundig ist, hätte sie in einem Ablehnungsbeschluß (§ 244 Abs. 6 StPO) konkret begründen müssen, warum sie selbst im Fall des Gelingens des Beweises die erhoffte Schlußfolgerung nicht ziehen würde (st. Rspr., vgl. nur BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 15 m.w.Nachw.). All dies ist nicht geschehen.

e) Grundsätzlich kann das Revisionsgericht eine fehlerhafte Ablehnung eines Beweisantrages nicht durch eine andere Begründung ersetzen (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 244 Rdn. 86; Gollwitzer aaO Rdn. 364 jew. m.w.Nachw.). Es kann je nach den Umständen des Einzelfalles allenfalls ausschließen, daß das Urteil auf der fehlerhaften Begründung des Ablehnungsbeschlusses beruht (vgl. Gollwitzer aaO). Angesichts der gesamten Beweislage (vgl. oben 2) kann der Senat, dem eine eigene Beweiswürdigung versagt ist, hier aber nicht ausschließen, daß die Strafkammer insgesamt die Aussagen K.s in einer für den Angeklagten günstigeren Weise bewertet hätte, wenn sie zu dem Ergebnis gekommen wäre, daß dessen Aussage hinsichtlich des Messers falsch ist.

Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.

Externe Fundstellen: NStZ 2000, 437; StV 2000, 652

Bearbeiter: Karsten Gaede