HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Oktober 2012
13. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Dysfunktionales Verhältnis zwischen Sachverständigem und (Jugend‑)Strafjustiz

Von Prof. Dr. Ulrich Eisenberg, Berlin

Einleitung

Zu dem hier exemplarisch erörterten konkreten Verfahren[1] verhält sich eine Pressemitteilung des BGH vom 11. 11. 2010 – Nr. 214/10 – wie folgt: "Der Angeklagte wurde durch das Urteil des Landgerichts Ulm wegen zweifachen Mordes in zwei tateinheitlichen Fällen, heimtückisch begangen und aus Habgier, sowie wegen Diebstahls mit Waffen zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Das Landgericht hat die besondere Schwere der Schuld des Angeklagten festgestellt und dessen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vorbehalten. – Nach den Feststellungen des Landgerichts erschossen der zur Tatzeit 18 Jahre und sechs Monate alte Angeklagte und der nicht revidierende Mitangeklagte in der Nacht von Gründonnerstag, dem 9. April 2009, auf Karfreitag, dem 10. April 2009, in der Wohnung, in der der Angeklagte mit seiner Familie lebte, zunächst gegen 22.30 Uhr die beiden Schwestern des Angeklagten. Danach suchten sie eine Gaststätte in Eislingen auf, um die Eltern des Angeklagten zu treffen, die dort mit einem befreundeten Ehepaar den Abend verbrachten. Sie verließen die Gaststätte und gingen zurück zu der Wohnung der Eltern des Angeklagten, um dort auf deren Rückkehr zu warten. Als diese kurze Zeit später ebenfalls in der Wohnung eintrafen, wurden auch sie von dem Angeklagten und dessen Mittäter erschossen. Hauptmotiv des Angeklagten für die Tötung seiner Familie war Habgier. Durch die Tat wollte er als Alleinerbe an das Vermögen seiner Eltern gelangen. Das sachverständig beratene Landgericht hat nach einer umfassenden Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Angeklagten und seines fortgeschrittenen Entwicklungsstandes das Vorliegen von Reifeverzögerungen verneint und Erwachsenenstrafrecht angewandt. Die insbesondere hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs als offensichtlich unbegründet verworfen."

Hat ein Verfahren vor einer großen Jugendkammer 19 Hauptverhandlungstage[2] angedauert und hat zudem ein Sachverständiger mehrere Male jeweils über Stunden die beiden Angeklagten exploriert, so kann eine kritische Erörterung, zumal lediglich anhand des Urteils und des Gutachtens, allenfalls im Sinne einzelner Zweifel und unter Vorbehalten wissenschaftlich vertretbar sein. Liest sich das Urteil jedoch als nicht frei von Anhaltspunkten für ergebnisrelevante Widersprüche, und erweckt das Gutachten den Anschein des tendenziellen Taktierens bei zentralen der aufgetragenen Fragen, so mag eine solche Erörterung aus strafprozessual-beweisrechtlicher wie aus jugendstrafrechtlicher Sicht verantwortbar sein. Dies gilt umso mehr, als nach dem Ablauf des gesamten Verfahrens davon auszugehen ist, dass die Staatsanwaltschaft wie das Jugendgericht nicht über die der Soll-Vorschrift des (gemäß § 107 JGG auch in Verfahren gegen Heranwachsende geltenden) § 37 JGG geschuldete erzieherische Befähigung verfügten. Indes beschränken sich die Ausführungen aus Raumgründen auf das Verfahren betreffend nur einen der beiden Angeklagten, und zwar den nach allgemeinem Strafrecht verurteilten M, und auch darin nur auf einzelne Aspekte.

I. Auswahl des Sachverständigen

1. Gesetzliche Regelungen (§§ 73, 161 a Abs. 1 S. 2 StPO, §§ 109 Abs. 1 S. 1, 43 Abs. 2 S. 2 JGG)

a) Die Staatsanwaltschaft gibt aus Gründen der Zweckmäßigkeit einem am Verfahren beteiligten Verteidiger vor der Auswahl des Sachverständigen grundsätzlich Gelegenheit, sich hierzu zu äußern (vgl. auch RiStBV Nr. 70 Abs. 1). Diese Gründe sind weniger triftig, wenn es sich bei dem Gegenstand der Untersuchung um einen häufig wiederkehrenden tatsächlichen Sachverhalt handelt (z. B. BAK-Gutachten)[3], und die Gründe haben ggfs. zurückzustehen, wenn eine Gefährdung des Untersuchungszwecks (vgl. auch § 147 Abs. 2 StPO) oder eine nicht mehr vertretbare Verzögerung des Verfahrens zu besorgen ist. – Rechtstatsächlich bleibt es schon aus verfahrensökonomischen Gründen im Hauptverfahren häufig bei dem von der Staatsanwaltschaft bestellten Sachverständigen, d. h. das Gericht sieht davon ab, seinerseits einen anderen Sachverständigen zu bestellen. Daher empfiehlt es sich, sofern die Frage der Zuständigkeit des Gerichts schon

beantwortet werden kann, die Auswahl des Sachverständigen vor Bestellung auch mit dem Vorsitzenden des (alsdann) erkennenden Gerichts zu erörtern.[4]

Im vorliegenden Fall hatte die Staatsanwaltschaft vor Beauftragung des Sachverständigen zwar die Auffassung des Verteidigers des Beschuldigten M eingeholt, der sich jedoch mit diesem Sachverständigen nicht einverstanden erklärte und für seinen Mandanten die Beauftragung eines anderen Sachverständigen empfahl.[5] Gleichwohl beauftragte die Staatsanwaltschaft sodann (am 29. 6. 2009) diesen Sachverständigen mit der Erstattung von Gutachten über beide Beschuldigten. Ein solches Vorgehen berührt zum einen den Grundsatz der Waffengleichheit, sofern der Verteidigung die Möglichkeit einer tatsächlichen Einflussnahme versagt wurde.[6] Insbesondere aber kann solches mit der Pflicht zur Wahrheitsermittlung kollidieren, wenn die abweichende Auffassung der Verteidigung auf sachlichen Gründen beruht[7] – der beauftragte Sachverständige führt als Briefkopf folgende Angaben[8] : "Arzt für Psychiatrie. Schwerpunkt Forensische Psychiatrie. Forensische Psychiatrie (DGPPN). Sachverständigen-Praxis", d. h. ein Hinweis auf eine fachliche Spezialausbildung bezüglich zu begutachtender Jugendlicher und Heranwachsender findet sich nicht. Indes ist die (jugend‑)strafprozessuale Angreifbarkeit der Auswahl des Sachverständigen engen Grenzen unterworfen (vgl. unten III. 1.).

b) Der an den Psychiater erteilte Gutachtenauftrag enthielt folgende Fragen[9]: (1) Entwicklungsstand zur Tatzeit (§ 43 Abs. 2 JGG), (2) möglicherweise verminderte Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 StGB), (3) Voraussetzungen einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB, evtl. in Verbindung mit §§ 105, 7 JGG), (4) Voraussetzungen einer vorbehaltenen Sicherungsverwahrung (§ 106 Abs. 3 JGG; § 66 StGB).

Demgegenüber kommt es für Frage (1), die sich bei dem Beschuldigten M zentral auf die Untersuchung der Reifeentwicklung bezieht (§ 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG), im Allgemeinen vorrangig auf die Kompetenz auf dem Gebiet der Jugend-Entwicklungspsychologie an,[10] und für Frage (4), d. h. betreffend die Voraussetzungen des Vorbehalts der Anordnung von Sicherungsverwahrung (§ 106 Abs. 3 JGG),[11] vorrangig auf Erkenntnisse der Psychologie, der Kriminologie sowie der empirischen Straf- bzw. Maßregelvollzugswissenschaft,[12] da das Gesetz nicht von psychopathologischen oder körperlich bedingten Auffälligkeiten ausgeht (vgl. auch § 81a JGG, § 275a Abs. 4 S. 1 StPO). Demgegenüber war die Beauftragung eines Psychiaters im Hinblick auf Fragen (2) und (3) angezeigt. – Insgesamt aber lässt die Entstehungsgeschichte des § 43 Abs. 2 S. 2 JGG erkennen, dass mit der Ersetzung des Begriffs "Jugendarzt" (§ 28 Abs. 3 RJGG 1943) der Kreis der in Betracht kommenden Gutachter über den Bereich der Ärzte hinaus erweitert[13] und Entsprechendes durch die Streichung des Begriffs "kriminalbiologisch" (gemäß 1. JGG-ÄndG) verdeutlicht worden ist. Auch wäre es im Hinblick auf die Schwere der Tatvorwürfe nicht unverhältnismäßig gewesen, zumindest zusätzlich einen Nicht-Psychiater zu beauftragen.

Unabhängig davon aber verlangt die Soll-Vorschrift des § 43 Abs. 2 S. 2 JGG, die gemäß § 109 Abs. 1 S. 1 JGG auch für Heranwachsende gilt, dass der auszuwählende Sachverständige als speziell zur Untersuchung Jugendlicher bzw. Heranwachsender "befähigt" ausgewiesen ist. Demgegenüber geschah die Auswahl im vorliegenden Fall entgegen dieser gesetzlichen Vorschrift. – Soweit demgegenüber gelegentlich argumentiert wird, auch ein für Erwachsene ausgebildeter Psychologe, Kriminologe oder Psychiater berücksichtige regelmäßig Ereignisse und Persönlichkeitsentwicklungen während Kindheit, Jugend und Heranwachsendenalter und verstehe sich deshalb ohnehin auch darauf, beruht dies auf einem methodischen Fehlverständnis: die vom Gesetz verlangte Befähigung hat nur derjenige, der qua spezieller Ausbildung und beruflicher Tätigkeit im zeitlichen Lebensquerschnitt, d. h. im Zeitraum des jeweiligen aktuellen Lebensalters, mit Jugendlichen und Heranwachsenden befasst ist, zumal ein Erwachsenen-Psychiater in der Regel um keine praktische Erfahrung in der Beurteilung diesbezüglicher Entwicklungsfragen verfügt.

2. Außergesetzliche Umstände

a) Ein Abweichen von der Soll-Vorschrift des § 43 Abs. 2 S. 2 JGG wäre ohne weiteres dann vertretbar oder gar angezeigt, wenn es an im Sinne dieser Vorschrift qualifizierten Sachverständigen fehlte bzw. solche erst in einem nicht mehr verhältnismäßigen Zeitraum abkömmlich wären. Jedoch steht schon auf dem Gebiet der Jugendpsychiatrie eine hinreichende Anzahl speziell ausgebilde-

ter bzw. zertifizierter Sachverständiger zur Verfügung. Zwar besagt dieser oder jener spezielle Ausbildungsabschluss bzw. diese oder jene Zusatzqualifikation für sich genommen noch nicht Hinreichendes über die Geeignetheit für die in Rede stehenden forensischen Aufgaben. Jedoch wird schwerlich verneint werden können, dass es unter den Personen mit entsprechend nachgewiesenen Spezialkenntnissen zumindest einige gibt, die auch die erforderliche Geeignetheit der genannten Art aufweisen. Hiernach ist nicht auszuschließen, dass die Heranziehung des Sachverständigen in dem vorliegenden Fall gezielt unter Missachtung des Gesetzes (§ 43 Abs. 2 S. 2 JGG) geschehen ist.

b) Die vorgenommene Auswahl könnte sich zum einen aus der Würdigung des herangezogenen Sachverständigen im Urteil heraus erklären. Darin wird dieser als "überaus erfahren" bezeichnet, er sei "seit 16 Jahren als forensischer Psychiater tätig und hat in dieser Zeit mehr als 1000 Gutachten verfasst" (S. 117). Indes verlangen strafprozessual-beweisrechtliche Grundlagen der Wahrheitsermittlungspflicht umso mehr eine Überprüfung der von einem Sachverständigen bevorzugten Methodik sowie seiner Schulrichtung und seinem Verständnis von der Rolle als forensischer Gutachter gerade dann, wenn der Sachverständige besonders häufig beauftragt wird, da die Art der Begutachtung von den genannten Kriterien nicht unbeeinflusst bleibt. Zur Prüfung und Darlegung der Geeignetheit schwerlich geeignet wäre hingegen etwa das Bemerken, der Sachverständige sei dem Gericht als "erfahren" bzw. als "zuverlässig" bekannt. Hierfür wäre vielmehr Voraussetzung, dass das Gericht den Sachverständigen in seiner Arbeitsweise tatsachenbezogen überprüft hat. Ansonsten bedeutet eine solche Wendung eher nur, dass das Gericht oder andere Gerichte in mehreren vorausgegangenen Verfahren dem Sachverständigen gefolgt sind oder doch dessen Gutachten nicht beanstandet haben, nicht jedoch lässt sich daraus ein Argument dafür herleiten, dass die Gutachten methodisch beanstandungsfrei gewesen sind. Vielmehr könnte gar zu besorgen sein, dass die Gutachten eines besonders häufig herangezogenen Sachverständigen tendenziell weniger abwägende, sondern eher "sichere" Aussagen enthalten und daher latent besonders fehlerverdächtig sind.[14] – Was speziell die an den Sachverständigen gerichtete Frage (2) anbetrifft, so ist rechtstatsächlich nicht zu übersehen, dass eine tendenziell häufige Verneinung der Voraussetzungen die Legitimation (jugend‑)strafjustitieller Tätigkeit auf der Grundlage des (jugend-)strafrechtlichen Schuldprinzips i. S. eines Regel-Ausnahme-Verhält­nisses[15] zunehmend in Frage stellen müsste. Damit aber ist die einschlägige Sachverständigentätigkeit von existentieller Bedeutung für die Institution (Jugend‑)Straf­justiz. Zugleich sind die (jugend-)strafjustitiell veranlassten und von Sachverständigen unterstützten Beschränkungen der Verneinung der Schuldfähigkeit in gewissem Ausmaß durch kriminalpolitische Motive oder aber institutionelle Eigenbelange bedingt.[16] So wird im Einzelnen bezüglich der Voraussetzungen verminderter Schuldfähigkeit zur Verneinung der Erheblichkeit seitens der Judikatur entscheidend auf die Würdigung der Anforderungen der Rechtsgemeinschaft abgestellt, die umso höher seien, je schwerwiegender das Delikt sei.[17]

Weiterhin mögen es Anhaltspunkte für eine etwaige Servilität des Gutachtens sein, die zu seiner Heranziehung geführt haben. Zum einen unterwirft sich das Gutachten wiederholt den Ergebnissen der noch ausstehenden richterlichen Beweiswürdigung (S. 103, 105, 108, 112, 113, 118, 126, 130, 131) – nicht also etwa noch festzustellenden Anknüpfungstatsachen -, und zwar insbesondere bei Themen, zu denen nach dem Gutachtenauftrag (vgl. oben 1. b) der Sachverständige seinerseits Stellung zu nehmen gehabt hätte (vgl. näher unten II. 1.). Zum anderen bedient sich der Sachverständige mehrfach sprachlicher Wertungen solchen Inhalts, wie sie am ehesten den Pflichten des Auftraggebers entsprechen, jedoch in einem Sachverständigengutachten zur Persönlichkeit eines Beschuldigten unzulässig sind. So verwendet der Sachverständige (betr. einen zeitlich vorausgegangenen Einbruchsdiebstahl) die Floskel[18] "signifikant gesteigerte kriminelle Energie" (S. 122), und (betr. die Tötungsdelikte) heißt es, "auf eine enorme Kaltblütigkeit hinweisende Fähigkeit zu schauspielerischer Verstellung" (S. 127), "mit außergewöhnlicher Kaltblütigkeit und Unbarmherzigkeit durchgeführt" und "unfassbare Bedenkenlosigkeit" sowie "absolute Menschenverachtung" (S. 129).

II. Anwendung von Jugend- oder von Allgemeinem Strafrecht (§ 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG), "Habgier" als mordqualifizierendes Merkmal (§ 211 Abs. 2 StGB) sowie Sanktionen

1. Anschein des Taktierens im Gutachten

Die an den Sachverständigen gerichtete Frage (1) betrifft die "Gesamtwürdigung der Persönlichkeit" (§ 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG) des Beschuldigten M, wobei es von Gesetzes wegen darauf ankommt, ob er "noch einem Jugendlichen gleichstand". Dabei ist die Fassung "des Jugendlichen" in § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG missverständlich. Würde man die Legaldefinition des § 1 Abs. 2 JGG zugrundelegen, so würde dies implizieren, dass es eine abstrakte Norm des Jugendlichen gäbe, mit der ein Heranwachsender zu

vergleichen wäre. Ein empirisch abgesichertes Leitbild (eines "normal" entwickelten Heranwachsenden oder) eines "normalen" Jugendlichen steht jedoch nicht zur Verfügung. Vielmehr kommt es – im Gegensatz zu Stufen- und Phasenmodellen – auch während der "Reifezeit" auf verschiedenen Gebieten zu eher kontinuierlich fortschreitenden Veränderungen. Einigkeit besteht darin, dass es "entwicklungspsychologisch gesehen … zwischen dem 17. und 18. Lebensjahr keine Zäsur"[19] gibt.

a) Eher äußere Umstände zur Bejahung des "noch einem Jugendlichen Gleichstehens" lagen vor. Zum einen war der Beschuldigte M zur Tatzeit erst 18 Jahre und 6 Monate alt. Zum anderen hatte er kein eigenes Einkommen, d. h. er konnte seine Lebensführung nur eingeschränkt selbst bestimmen. Zudem befand er sich als Gymnasiast (12. Schuljahr) im Leistungsbereich eher in einem Schonraum und war insofern ohne Erfahrung, wie sie ein Erwachsener im Berufsleben gewinnt. Demgemäß hat die Jugendgerichtshilfe sich dezidiert für die Anwendung materiellen Jugendstrafrechts ausgesprochen (Urteil S. 120), eine Auffassung, die der Sachverständige verengt wiedergab und zurückwies (Gutachten S. 119 f.).

b) An persönlichkeitsbezogenen Umständen wären als Entscheidungshilfe für das Gericht Befunde zum psychosozialen Tathintergrund, zur Tatdynamik und zur Tötungsmotivation wesentlich gewesen. Jedoch verhält sich das Gutachten zu diesen drei Kriterien mit dem Bemerken, es sei "unklar" geblieben (S. 105, ähnlich S. 123), und es bietet dem Gericht an, es handle sich um einen "Grenzfall" (Gutachten S. 121). Diese Stellungnahme ist, soweit die Unterlagen eine Würdigung erlauben (vgl. oben vor I.), eher sachfremd (vgl. die nachfolgenden Ausführungen), ohne dass ein Offen-Lassen objektiven Schwierigkeiten der Untersuchung geschuldet sein könnte. Dabei ist in diesem Beitrag nicht darüber zu befinden, ob diese Einlassungen des Sachverständigen darauf zurückzuführen sind, dass er die Anklageschrift des Auftraggebers nicht widerlegen mochte,[20] oder ob er als Nicht-Jugendpsychiater tatsächlich zu keiner Klarheit gelangt war.

Was den psychosozialen Tathintergrund angeht, so stand der Beschuldigte M nach den Feststellungen im Gutachten wie im Urteil unter Dirigat und Erwartungsdruck des Vaters, dem sich die Mutter und die Schwestern insoweit nicht widersetzten. So erfüllte der Beschuldigte M die Erwartungen des Vaters im Leistungsbereich im Vergleich zu den beiden Schwestern nur eingeschränkt, und zumindest der Vater machte aus seinem Missfallen bezüglich des Verhältnisses der beiden Beschuldigten untereinander keinen Hehl. Der Sachverständige referiert speziell die Angaben des Beschuldigten M ihm gegenüber, er habe "den Druck nicht mehr ausgehalten", seit dem 15./16. Lebensjahr habe er Selbsthass empfunden und an Suizid gedacht, dies sei dann um die Jahreswende 2008/2009 umgeschlagen in Hass auf die Familie, so dass er die Situation als ausweglos empfunden habe. Hiernach waren die Tötungsdelikte unmittelbarer Ausdruck der Auseinandersetzung mit dem Vater und der Familie, d. h. eine Ablösung von der Herkunftsfamilie hatte gerade nicht stattgefunden. Allenfalls stellten die Tötungen ihrerseits einen Teilabschnitt des Ablösungsprozesses dar. Demgegenüber hätte die Beurteilung im Urteil, die Ablösung sei bereits beendet gewesen (S. 120), eines näheren, nach den ermittelten Tatsachen nicht zu leistenden Begründungsaufwandes bedurft, wenn der Sachverständige die Frage nicht offengelassen hätte. Das Urteil setzt sich z. B. auch nicht damit auseinander, dass im Gutachten festgehalten ist, er "hatte Tränen in den Augen, als er angab, ´vor allem den Vater zu vermissen`" (S. 99).

Bezüglich der Tatdynamik ist zunächst zu berücksichtigen, dass nach den Feststellungen im Gutachten wie im Urteil der Beschuldigte M, abgesehen von der Verbindung zu dem Mitbeschuldigten, nie eine nähere freundschaftliche Beziehung hatte, wobei die Feststellungen Anhaltspunkt für Züge von Selbstunsicherheit auch in Zusammenhang mit einer possessorischen Einstellung des Vaters ihm gegenüber enthalten. Das Besondere an der dann (endlich) entstehenden Freundschaft zu dem Mitbeschuldigten bestand darin, dass dieser – nach dem gutachtlichen Befund lag bei ihm das sogen. Asperger-Syndrom (ICD-10 F84.5) vor, d. h. er war in seinen interaktiven Möglichkeiten eingeschränkt – noch deutlich (selbst‑)un­sicherer war als der Beschuldigte M. Hiernach liegt, unter allem Vorbehalt, die Interpretation nahe, dass diese Verbindung für das Bemühen des Mitbeschuldigten M funktional war, sich wie in einer "Ersatzwelt" gegenüber den Belastungen durch die Person des Vaters zu behaupten, und zwar zunächst durch Streiche, sodann auch durch Diebstähle, allerdings auch Gewalt gegen Tiere. Eine solche Verlagerung kommt am ehesten vor bei als anhaltende Kränkung empfundenem Verhalten seitens Dritter und reduziertem Selbstwertgefühl sowie (subjektiv) als unlösbar empfundenen Konstellationen der Realwelt.[21] Im Anschluss an derlei Empfindungen des Nichtakzeptiertwerdens sind, zumal wenn damit eine gewisse Angst hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung einhergeht, sind Aggressionen gegen Sachen oder schlechthin gegen Schwächere – also z. B. auch Tiere – durchaus geläufig,[22] etwa als Ventilfunktion. Zudem kann es zu einer Überidentifizierung mit einer selbstwerterhöhen-

den Rolle kommen[23] – im Ausgangsfall könnte solches im Zusammenhang mit einer gleichsam ideenfanatischen Verstrickung, entstanden aus früheren Versagungen und gescheiterter personaler Kommunikation vor allem mit dem Vater, zu erkennen sein. Als aber die Dynamik dieser von den beiden Mitbeschuldigten gegenüber Dritten völlig abgeschirmten "Nebenrealität" sich bis hin zu Plänen der Tötung der zentralen Ursache für die Beeinträchtigung entwickelte, war keine Person eingeweiht, und folglich konnte niemand Einhalt gebieten. – Stimmig zu dieser Interpretation ist die langfristige, Züge der Zelebrierung tragende Planung und Vorbereitung der Tötungen ebenso wie der Umstand, dass auch nach der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung hinsichtlich aller vier Getöteten "offen blieb" (Urteil S. 34, 38 f., 53 ff.), wer wie oft geschossen hat. Anlässlich der polizeilichen Vernehmung hatte der Mitbeschuldigte angegeben, der Beschuldigte M habe auf die Schwestern und den Vater, er hingegen auf die Mutter geschossen, später äußerte er, er allein hätte sämtliche Schüsse auf die vier Opfer abgegeben (Wiedergabe im Gutachten). Gleichfalls stimmig zu der dargelegten Dynamik ist die Zahl von insgesamt ca. 30 abgegebenen Schüssen – allein gegenüber den beiden Schwestern waren es jeweils 9 oder 10 (Urteil S. 35), gegenüber dem Vater bzw. der Mutter 7 bzw. 4 (Urteil S. 38) –, wie es zwar auch bei Affekttaten oder aber sogen. "Hinrichtungen" nicht ganz selten vorkommt, indes gerade bei Jugendlichen und Heranwachsenden auch als ein Ausdruck von Entledigungsbedürfnis (gar eingebettet in ein Ekelempfinden gegenüber den Opfern wie vor sich selbst). Zumindest ist nicht erkennbar, dass durch die Zahl der Schüsse der Verdacht eher auf unbekannte Täter gelenkt werden sollte oder hätte gelenkt werden können.

Hinsichtlich der "Tatmotivation" bietet das Gutachten – eher außerhalb psychiatrischer Kompetenz – in strafrechtlicher Wertung an,[24] falls es sich um "Hass" gehandelt habe, sei eher Unreife im Sinne des § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG anzunehmen, falls es sich um Bereicherung" gehandelt habe, eher nicht (S. 124). Diese – tendenziell tatbezogene und daher bezüglich § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG verfehlte – Stellungnahme eröffnete dem Gericht die Möglichkeit, ohne größeren Begründungsaufwand das mordqualifizierende Merkmal "Habgier" zu bejahen und Erwachsenenstrafrecht anzuwenden.

c) Anhaltspunkte für den Anschein des Taktierens könnten auch in den im Urteil wiedergegebenen Stellungnahmen des Sachverständigen in der Hauptverhandlung hinsichtlich der Ergebnisse des in seinem Auftrag von einer Diplom-Psychologin durchgeführten testpsychologischen Zusatzgutachtens (vom 7. 10. 2009) – unter Anwendung des FPI bzw. des Baumzeichentests, des Rotter-Satzergänzungstests, des Rorschach-Tests und des TAT – zu erkennen sein. Die Ergebnisse dieses Zusatzgutachtens deuteten sämtlich auf "Unreife" im Sinne des § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG hin (Urteil S. 103 f.). Im Einzelnen hat die Zusatzgutachterin zu dem Satzergänzungstest wiedergegeben (S. 7): "Er hasse sich, die Schuld quäle ihn, insgeheim sehne er sich nach seiner Familie", und die abschließende Beurteilung zu sämtlichen Testergebnissen lautet (S. 7): "eine depressiv gestimmte, emotional unreife, leicht frustrierbare, gehemmte, introvertierte, psychisch labile Persönlichkeit". Die Zusatzgutachterin hat zudem ausdrücklich vermerkt (S. 1), dass sie sich auch "auf Kenntnis der psychiatrischen Untersuchungsbefunde" des Sachverständigen "stützt", d. h. sie hat ihre Beurteilung trotz Kenntnis der einschränkenden Äußerungen des Sachverständigen ohne Relativierung im Sinne einer etwaigen Manipulation abgegeben.

Diese Ergebnisse sind im Urteil unter Bezugnahme auf Ausführungen des Sachverständigen, der ausweislich des Briefkopfs (vgl. oben I. 1.) kein ausgebildeter Psychologe ist, als manipuliert interpretiert worden, da sie in Widerspruch zu den Bekundungen zahlreicher gehörter Zeugen dazu standen, wie sie den Angeklagten M wahrgenommen hatten. Ein "permanent funktionierendes Auseinanderfallen zwischen innerem Erleben und äußerer Fassade" hat das Urteil ausgeschlossen, und zwar unter Hinweise auf die Einschätzung des Sachverständigen mit "hochgradig unwahrscheinlich" (Urteil S. 104). Schon in dem Gutachten hieß es, "nach Aktenlage offenbar als weitgehend unauffällig wahrgenommene Verhalten der beiden Angeklagten in der Vortatphase"(S. 105), und sodann, es sei nur schwer vorstellbar, dass jemand über Jahre hinweg "nach außen" völlig anders wahrgenommen werde als es sich "innerlich" verhält (S. 108), und dazu wurde angeboten, dass der Beschuldigte "schauspielerische Ziele verfolgen könnte" (S. 107). Eine nähere Erörterung allgemein-psychologisch geläufiger Erkenntnisse über äußerlich sicheres oder auch gewinnendes Auftreten bei intrapsychischer Unsicherheit lässt sich in dem Gutachten ebenso wie in dem Urteil indes nicht finden, und gänzlich fehlt es an eine Erörterung des Kenntnisstandes der forensischen Aussagepsychologie zur Geeignetheit von Zeugenaussagen.[25] Zumindest hätte es einer Differenzierung zwischen den verschiedenen verwandten Testverfahren und deren ggfs. vorhandenen Kontrollele-

menten (z. B. Offenheitsskala) bedurft.[26] Wegen dieser Besonderheiten wird es schwerlich als mit der Wahrung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes[27] und der Aufklärungspflicht vereinbar erachtet werden können, dass das Tatgericht von einer Anhörung der testpsychologischen Zusatzgutachterin absah.

Die Anwendung oder auch nur die Interpretation testpsychologischer Verfahren ohne profunde Kenntnis der zu Grunde liegenden Konzepte stellt einen Ermittlungsfehler dar, zumal nicht selten vermeintlich widersprüchliche Testbefunde auf inhaltlichen bzw. theoretischen Unterschieden der angewandten Testverfahren beruhen. So sind eine Voraussetzung schon für die Auswahl geeigneter Tests – und ohnehin für eine tragfähige Bewertung von Testbefunden – Kenntnisse des Untersuchenden über die mess-, test- und skalentheoretischen Grundlagen des jeweiligen Verfahrens, über dessen theoretische Einbettung sowie über Einflussfaktoren auf die Testergebnisse. Eine fachgerechte Anwendung testpsychologischer Untersuchungsmethoden und Interpretation der Ergebnisse ohne entsprechende Ausbildung ist daher nicht möglich, d. h. es besteht hier ggfs. ein Risiko für Fehlinterpretationen und Fehldiagnosen.

2. Anhaltspunkte für etwaige Widersprüche im Urteil

Zur Begründung der Anwendung von Erwachsenenstrafrecht und zur Bejahung von "Habgier" als mordqualifizierendes Merkmal hat die Jugendkammer dem Angeklagten M u. a. zugeschrieben "Eigensucht", die er, "anders als bei Jugendlichen üblich", "kontrolliert zurückgehalten und verborgen" (S. 118) habe, zudem Manipulationsbereitschaft als "gefestigter Charakterzug". Die Kammer hat sogar Zweifel an dem "nicht mehr einem Jugendlichen Gleichstehen" ausgeschlossen.[28] – Die Frage einer Manipulations- oder Täuschungsbereitschaft des Mitbeschuldigten M bezüglich seiner Persönlichkeitsentwicklung wie auch hinsichtlich der Tötungsmotivation wurde bereits im Gutachten insofern erörtert, als eine Möglichkeit genannt wird, dass dieser "postdeliktisch in Richtung ´psychisch auffällig` manipulieren bzw. aggravieren könnte" (S. 112) bzw. dass die beiden Beschuldigten während der Tatvorbereitung "hinreichend Zeit" hatten, sich im Hinblick auf die Tötungsdelikte eine Legende "auszudenken" (S. 117).

Mit diesen Zuschreibungen der Jugendkammer lässt sich indes nicht oder kaum überzeugend vereinbaren, dass der Angeklagte "in der Realschule Schulsprecher war" (S. 119) und dass er nach Aussage des langjährigen Klassenlehrers "sich sehr positiv entwickelt" habe, dass er "mehr als einmal seinen Unterricht und den der Kollegen gerettet" habe (Gutachten S. 79 f.). Nichts anderes gilt für die Würdigung, dass der Angeklagte M in seinem sozialen Umfeld "nicht durch Lügengebäude oder Prahlerei einen vergleichsweise hohen sozialen Status herausarbeitete" (Urteil S. 119). Schwerlich vereinbar sind die genannten Zuschreibungen auch insofern, als der Angeklagte M "von den deutlich älteren anderen Vorstandsmitgliedern des DLRG schon früh als verantwortungsbewusster junger Mann erkannt worden" war, dem Aufgaben übertragen wurden, die er "stets vorbildlich" bzw. "verlässlich" (Urteil S. 118) erfüllte. Insbesondere heben sich die Zuschreibungen insofern gegenseitig auf, als dem Angeklagten im Urteil einerseits von ihm selbst in der Hauptverhandlung gemachte "eigensüchtige" Äußerungen angelastet werden (S. 126), andererseits aber ihm zugeschrieben wird, er sei persönlichkeitsstrukturell auf Manipulation festgelegt (S. 125) – wäre dieses der Fall, hätte er sich – bei seinem IQ von 116[29] – schwerlich dergestalt selbstschädigend verhalten.

a) Soweit im Urteil im Einzelnen zur Begründung der Anwendung von Erwachsenenstrafrecht einzelne Merkmalsumschreibungen einer Auflistung herausgegriffen werden, die zur Abgrenzung von Bejahung oder Verneinung der Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG zusammengestellt wurden,[30] geschieht dies selektiv und ohne Erörterung der Einwände. So besteht die generelle Schwierigkeit der funktionellen Mehrdeutigkeit, weshalb kaum zuverlässig zu erkennen ist, ob Merkmalsausprägungen als pubertäts- oder adoleszenzbedingt (oder z.B. gar als "neurotische Fixation"[31] ) zu werten sind. Hinsichtlich des Bemühens um Operationalisierung der im Urteil angeführten Auflistung kam es nicht zu einer Validierung.[32] Aber auch unabhängig davon ist gemäß den bereits angeführten Anhaltspunkten (vgl. oben 1.) zumindest zweifelhaft, ob die Heranziehung etwa der Merkmalsumschreibung "Eigenständigkeit gegenüber den Eltern" im Gegensatz zu "starker Anlehnungsbedürftigkeit und Hilflosigkeit" (Urteil S. 119/120) mit der Begründung, der Angeklagte habe sich "aufgrund der Mordplanungen innerlich aus der Familie vollständig entfernt", strafprozessual-beweisrechtlich tragfähig ist.

Hinsichtlich der "eigenen Sexualität" (S. 120) ist im Urteil zur Begründung von Erwachsenen-Reife, jedoch ohne nähere Belege – und zwar trotz eines an verschiedenen Stellen des Urteils zugeschriebenen Manipula-

tionsvermögens und einer Fähigkeit zur "Schauspielerei" (S. 88, 108) sowie ohne Erörterung der Situation im Haftvollzug – als feststehend ausgeführt, der Angeklagte habe bereits zahlreiche Erfahrungen gesammelt: "So berichtete er von mehr als 10 Sexualpartnerinnen" (S. 120; vgl. zu "früheren Intimpartnerinnen" als Zeuginnen Urteil S. 104). Auch hierin könnte ein Widerspruch liegen, denn wenn der Angeklagte M persönlichkeitsstrukturell auf Manipulation und Täuschung angelegt ist, durfte eine Bezugnahme auf dessen Angaben nicht zureichen, um eine Feststellung zu treffen. Im Übrigen wird schwerlich davon ausgegangen werden können, dass ein häufiger Wechsel von Sexualpartnerinnen ohne nähere zwischenmenschliche Beziehung zur Verneinung von "noch einem Jugendlichen Gleichstehen" geeignet ist.

b) Hinsichtlich des mordqualifizierenden Merkmals "Habgier" (§ 211 Abs. 2 StGB) ging das Urteil davon aus, im Vordergrund habe, "durch übersteigerten Eigennutz geleitet" (S. 117), das Bestreben gestanden, das Vermögen der Familie zu erlangen (S. 87-93), zumal die Eltern wohlhabend waren (S. 87). Soweit sich das LG hierbei u. a. auf Aufzeichnungen des Angeklagten M über Pläne für die Zeit nach der Tatbegehung (Urteil S. 89 f.) stützte, ist dies deshalb allenfalls eingeschränkt tragfähig, da auch bei einem anderen Tatmotiv derartige Erwägungen nahe liegend wären. Anders könnte es sein, wenn der Angeklagte konkrete existentielle Pläne (z. B. unter Verlassen des bisherigen Wohnorts) gehabt hätte, die er mit dem ererbten Vermögen hätte verwirklichen wollen, aber daran fehlte es. Ohnehin könnten auch die hinterlassenen Notizen darauf schließen lassen, dass der Beschuldigte M in seinem Verhalten von Ausweglosigkeit beeinflusst war, denn aufgrund seiner Intelligenz hätte er ansonsten eine solche Spur – "Notizblock in seinem Zimmer" (Urteil S. 89) – vermieden, wie ohnehin davon auszugehen ist, dass er die Entdeckung einkalkulierte.

Die Begründung im Urteil damit, dass andernfalls nicht zu erklären sei, warum auch die Mutter[33] und die beiden Schwestern getötet wurden, ist schon deshalb verkürzt, weil das Urteil sich zu in Betracht kommenden alternativen Erklärungen mit einem etwaigen den Taten tiefer zugrunde liegenden familiendynamischen Tatmotiv nicht näher verhalten hat. Bereits der Sachverständige hatte geäußert, es sei offen geblieben, warum auch die Mutter und die Schwestern getötet wurden (Gutachten S. 118). Zudem hätte eine etwaige Erwägung des Beschuldigten M des Inhalts nicht fern gelegen, dass nach Tötung (nur) des Vater ein positives Verhältnis zu der Mutter und den Schwestern ohnehin nicht mehr möglich gewesen, vielmehr deren Existenz eine permanente Anklage gewesen wäre, denn es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Mutter wie Schwestern die Tötung des Vaters gebilligt hätten. Insofern erweist das Bemerken im Urteil (S. 92), dass zumindest hinsichtlich der Mutter "außerhalb der Habgier kein Tötungsmotiv im Entferntesten sichtbar oder behauptet" sei, eine verengte Perspektive. – Gänzlich unerörtert bleibt im Urteil, dass der Angeklagte M nach dem Bericht des Sachverständigen diesem gegenüber geäußert habe, er sei nicht nur oder vorrangig deshalb zu Hause wohnen geblieben, weil er, wie im Urteil ausgeführt, einen gewissen Lebensstandard nicht aufgeben wollte, sondern auch, weil er sonst "Schuldgefühle gegenüber der Mutter" gehabt hätte, die dann "alleine mit dem Vater zurückgeblieben wäre", und außerdem aus der Sorge heraus, "vom Vater dann vollends verstoßen zu werden" (Gutachten S. 115).

Soweit im Urteil "Habgier" unter Hinweis darauf bejaht wird, der Angeklagte M täusche über dieses Tatmotiv, denn er sei in der Hauptverhandlung auf Fragen des Gerichts nach konkreten Beeinträchtigungen durch den Vater eher ausgewichen und habe "nur mit Mühe überhaupt zu einer Beantwortung veranlasst" werden können (S. 48 f.), wobei die Antworten dann aber "blass und unspezifisch" (S. 107) geblieben seien, hätte hier eine Interpretation i. S. des zugrunde liegenden, post mortem anhaltenden Konflikts mit dem Vater und der Herkunftsfamilie insgesamt nahe gelegen. Nach allgemeiner Erfahrung sind gerade bei besonderen Aggressionstaten auf dem Hintergrund eines Vater-Sohn-Konflikts (etwa im Rahmen besonders starker Bindungen[34] ) verborgen bleibende Umstände schwerlich auszuschließen. – Als eher einseitig könnte auch die – möglicherweise das Rechts auf effektive Verteidigung tangierende – Anlastung einer (weder im Wortlaut noch hinsichtlich des Zusammenhangs, in dem sie gefallen sei, wiedergegebenen) Aussage[35] des Angeklagten in der Hauptverhandlung erscheinen,[36] soweit diese Anzeichen eines gefestigten Charakterzuges, nicht aber sittlicher Unreife im Sinne des § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG sei.

Gänzlich ausgelassen hat die Jugendkammer (auch) hier, dass der zuvor niemals in Freiheitsentziehung gewesene Angeklagte während der 19 Hauptverhandlungstermine möglicherweise unter bestimmten psychischen Einwirkungen der mehrmonatigen U-Haft stand, mit hoher Wahrscheinlichkeit aber unter Einwirkungen der Last des Bemühens um Tatverarbeitung und Verarbeitung der Beziehung zum Vater. Dieses Defizit im Urteil ist umso gravierender, als Tötungsdelikte, begangen von Jugendlichen oder Heranwachsenden an einem Elternteil, regelmäßig psychisch kaum zu verarbeiten sind, worüber hinweg täuschen könnte, dass es nach außen gewendet nicht selten zu als teilnahmslos wirkenden Rechtfertigungsversuchen kommt, die indes (vor allem) dem Schutz vor psychischer Überwältigung durch Schuldgefühle und schwere depressive Affekte dienen. Sobald der Täter erkennt, dass der Grundkonflikt mit dem getöteten

Elternteil durch dessen Tötung nicht gelöst und auch nicht (auf)lösbar ist, die Tat also sinnlos gewesen und – im vorliegenden Fall, nachdem die Nebenrealität weggefallen ist – ohnehin durch nichts zu rechtfertigen ist, bleibt zunächst sozusagen zur psychischen Selbstbewahrung nur der Ausweg einer Verfestigung. – Auch im Übrigen enthält das Urteil keine Erwägungen zu Entstehungszusammenhängen von Aussagen während der Hauptverhandlung im Jugendstrafverfahren, obgleich schon für das allgemeine Strafverfahren der Gerichtssaal als "der ungeeignetste Ort gilt, in das geistig-seelische Leben eines Menschen einzudringen"[37]. Im Jugendstrafverfahren sind die erforderlichen Voraussetzungen einer Kommunikation im Hinblick auf alters- und sozialstrukturell unterschiedliche Gegebenheiten zwischen Jugendgericht und Angeklagtem in der überwiegenden Zahl der Fälle nur eingeschränkt zu erwarten, vielmehr wird aus richterlicher Sicht von "Ritualen" und "Verunsicherung des Angeklagten" berichtet,[38] dessen Ausdrucksweise und -verhalten häufig Anlass zu Fehlinterpretationen ist. Eine (zusätzliche) Verunsicherung könnte im vorliegenden Fall dadurch verursacht worden sein, dass dem Angeklagten M bekannt war, wie der Sachverständige seine Angaben gewürdigt und wie er den gesamten Geschehensablauf dargestellt hat (vgl. dazu oben 1.).

c) Die Ablehnung der Möglichkeit, gemäß § 106 Abs. 1 JGG statt einer verwirkten lebenslangen Freiheitsstrafe eine zeitige Freiheitsstrafe zu verhängen,[39] steht im Gegensatz zu der allg emeinen Auffassung in der Fachliteratur, dass die Vorschrift i n der Regel genutzt werden soll, um die Möglichkeit der (Wieder‑)Eingliederung in Freiheit offen zu halten.[40] Dem entsprechend darf die Norm nur dann nicht angewandt werden, wenn – was rechtstatsächlich kaum einmal begründbar ist,[41] und dementsprechend lauten die Zahlen der einschlägigen Bundesstatistik über Jahrzehnte hinweg meist "Null" – eine zukünftige Legalbewährung als nahezu ausgeschlossen erscheint.[42] Dabei sollen die etwa noch vorhandene Entwicklungsfähigkeit des Angeklagten und seine mögliche (Wieder‑)Eingliederung in die Gesellschaft gegen Sicherungs- und Vergeltungsbelange der Allgemeinheit abgewogen werden. Allerdings erfordert es der Zweck der Vorschrift auch gemäß dem Erziehungsauftrag (§ 2 Abs. 1 JGG), die Belange der (Wieder‑)Eingliederung in den Vordergrund zu rücken.[43] – Die Kammer stützt sich bei ihrem Absehen von der gesetzlichen Möglichkeit vor allem auf den Eindruck während der 19-tägigen Hauptverhandlung, wonach der Angeklagte "in hohem Maße manipulative Fähigkeiten hat, diese Fähigkeiten häufig und tief eingeschliffen einsetzt", und eine Beeinflussbarkeit durch Therapie insoweit unwahrscheinlich sei, als davon auszugehen sei, dass er diese Fähigkeit auch im Rahmen von therapeutischen Bemühungen einsetze (S. 122). Die Möglichkeit einer späteren Wiedereingliederung in die Gesellschaft stelle sich als "bloße Vermutung" (S. 123) dar. Demgegenüber ist schon zweifelhaft, ob das Verhalten des Angeklagten, soweit es die Verteidigung betraf, zu seinen Lasten gewertet werden durfte. Nicht minder einwandbehaftet ist, dass das LG ohne tragfähige sachverständige Beratung diese schwerwiegende, rechtstatsächlich eine gleichsam totale Ausnahme darstellende Entscheidung getroffen hat. Denn eine derart langfristige Negativprognose aufgrund von bloßen Eindrücken ist beweisrechtlich nicht vertretbar. Endlich wird gerade in diesem Zusammenhang die Fragwürdigkeit des Zustandekommens (vgl. näher oben 2.) und der Validität dieser Eindrücke deutlich.

Auf ca. 1 1/4 Seiten (S. 125 f.) begründet das Urteil die Anordnung vorbehaltener Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 3 S. 1 StGB, § 106 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 JGG, wozu es einer Vorverurteilung oder einer erheblichen Vortat nicht bedarf.[44] Das hohe Maß an Empathielosigkeit (näher dazu Urteil S. 62 ff.), verbunden mit der Fähigkeit zu Manipulation, und die aus der Tatvorbereitung und den Taten sprechende Kaltblütigkeit stellten einen "eingeschliffenen inneren Zustand" (S. 125) dar, der die Begehung weiterer schwerer Straftaten wahrscheinlich mache. Wie die Kammer nach dem psychiatrischen Gutachten "weiß", besteht diese Gefahr wegen einer nur "vagen Hoffnung" therapeutischer Beeinflussbarkeit "bei unveränderter Persönlichkeitsstruktur" fort, wozu wiederholt der Begriff "Persönlichkeitsstruktur" und die Wertung "eigensüchtig" eingestellt sind (S 126). Wie bereits dargelegt (vgl. oben II. 1. b) und c), 2. b), bestehen gegenüber diesen Zuschreibungen grundlegende methodische und beweisrechtliche Einwände, denen zufolge es eher nahe liegend ist, dass mit der Überwindung des existentiellen Bestandteils des Konflikts des Angeklagten M mit Vater und Familienangehörigen die Gefahr einer "Rückfälligkeit" nicht zu erkennen ist. Zumindest aber hätte die Kammer, unbeschadet ihrer Überzeugung von der Richtigkeit dieser Zuschreibungen, einen mit Abläufen therapeutischer Beeinflussbarkeit i. S. zukünftiger Legalbewährung vertrauten Sachverständigen hinzuziehen müssen (vgl. oben I. 1. b), da insoweit prognostische

Beurteilungen im Hinblick auf die Wirksamkeit von Maßnahmen während des (Jugend‑)Strafvollzugs erforderlich sind und es sich nicht um die Beurteilung pathologischer Zusammenhänge handelt.[45]

III. Angreifbarkeit der (jugend‑)straf­justitiellen Entscheidungen

1. Auswahl eines nicht geeigneten Sachverständigen

a) Wegen der Tragweite der für die Pflicht zur Wahrheitsermittlung ausweislich der Fülle an Ungeklärtheiten eher als dysfunktional zu beurteilenden Auswahl des Sachverständigen im konkreten Verfahren stellt sich die Frage nach der Angreifbarkeit der Auswahl wegen Nicht-Geeignetheit. Der konkreten Auswahl des Sachverständigen kommt weithin eine wesentliche, mitunter gar substantiell "vorentscheidende" Bedeutung zu. Dies beruht vor allem auf unterschiedlichen Perspektiven von Sachverständigen bei der Interpretation von Befunden, nicht minder aber schon bei der – ggfs. das Ergebnis beeinflussenden oder gar bestimmenden – Auswahl aus der Vielzahl von (nicht von vornherein ungeeigneten) Erhebungsmethoden. Im Übrigen sind Eigeninteressen des Sachverständigen dann anzunehmen, wenn angestrebt wird, das Gutachten durch methodische Unkorrektheit bzw. Einseitigkeit mit bestimmten Erwartungen etwa hinsichtlich der Bestätigung einer bereits bestehenden Meinung, oder Sichtweisen solcher Personen in Einklang zu bringen, die über die auch zukünftige Heranziehung als Sachverständiger zu befinden haben oder die bei der Frage nach der weiteren beruflichen Entwicklung des Sachverständigen nicht ohne Einfluss sind.

b) Nach hier vertretener Auffassung empfiehlt es sich, ggfs. mittelbar auch zwecks Förderung des Meinungsaustauschs vor Heranziehung, einheitlich eine Überprüfung durch Beschwerde einzuräumen,[46] soweit das Gesetz dem nicht entgegen steht bzw. Beweismittelverlust droht. Demgegenüber deckt der schmale Bereich von Ablehnungen wegen Befangenheit die Überprüfungsbedürftigkeit, die sich auch auf Anhaltspunkte für erhebliche Mängel in bisherigen Gutachten zu erstrecken hat,[47] nicht ab.

Hiernach ist gegen die zulässige (anders in Fällen gemäß § 81 f Abs. 1 S. 2 StPO) Auswahl eines Sachverständigen (oder die Bestimmung der Anzahl von Sachverständigen) durch die StA (bzw. die Polizei) entgegen der hM[48] Beschwerde zulässig; dies gilt ohnehin bei Ablehnung wegen Befangenheit.

Auch gegen die Auswahl eines Sachverständigen (oder die Bestimmung der Anzahl von Sachverständigen) durch das Gericht ist entgegen der (derzeit) hM[49] die Beschwerde zulässig.[50] Jedoch gilt dies nicht für die Anordnung nach § 202 S 1 StPO[51] und auch nicht für die Entscheidung nach § 305 S 1 StPO.[52]

2. Revision

Wegen mangelnder Eignung des Sachverständigen kann durch die Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) mit der Revision dann vorgegangen werden, wenn das Urteil einschlägige Mängel erkennen lässt (vgl. ebenso SK-Rogall Rn. 63 zu § 73). Entsprechendes gilt für die Sachrüge, wenn auf Eignungsmängeln des Sachverständigen solche Ausführungen beruhen, die gegen Denkgesetze oder (z. B. auch wissenschaftliche) Erfahrungssätze verstoßen[53] bzw. wenn ein Antrag gemäß § 244 Abs. 4 StPO fehlerhaft abgelehnt wurde.[54]

3. Wiederaufnahme des Verfahrens

a) Der Begriff Tatsachen im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO wird nach allgemeiner Auffassung im Einklang mit dem materiellen Strafrecht definiert als dem Beweis zugängliche vergangene oder gegenwärtige Vorgänge oder Zu-

stände. Im vorliegenden Verfahren kommen insoweit zwei Tatsachen in Betracht. Die eine dieser Tatsachen ist die Beschaffenheit des damaligen Verhältnisses zwischen den beiden Verurteilten als Grundlage der Tatdynamik. Die andere besteht darin, dass die vom Tatgericht angelasteten Äußerungen des Verurteilten in der Hauptverhandlung über sein Wertsystem als scheinbare Verfestigung dem Schutz vor psychischer Überwältigung durch Schuldgefühle und schwere depressive Affekte geschuldet waren, nachdem er erkannt hat, dass der Konflikt mit dem Vater durch die Tötungen nicht gelöst worden ist.

Eine Tatsache ist neu, wenn sie von dem Tatgericht nicht oder nur in geringerem Gewicht, als es dem Wiederaufnahmevorbringen entspricht, berücksichtigt wurde.[55] Diese Voraussetzung wäre im vorliegenden Verfahren hinsichtlich beider vorgenannter Tatsachen wohl erfüllt, da sie weder in der Hauptverhandlung noch im Urteil auch nur annähernd in der genannten Bedeutung erörtert wurden.[56] Insbesondere fehlt es an der Neuheit der Tatsache nicht deshalb, weil sie das unmittelbare Gegenteil von ausdrücklich in sachlich geeigneter Weise festgestellten – und also vom Tatgericht berücksichtigten – Tatsachen wäre,[57] denn die Jugendkammer hat sich mit Tragweite und Bedeutung der in Rede stehenden Tatsachen nicht sachkundig befasst.

Beweismittel sind vorrangig die förmlichen der StPO, also auch ein Sachverständiger, wozu im vorliegenden Verfahren ein speziell für die Altersgruppe Jugendlicher und Heranwachsender ausgebildeter Vertreter der Psychiatrie oder der (Entwicklungs‑)Psychologie, ggfs. auch der Sozialpsychologie oder der Kriminologie, in Betracht kommt. Wie das vorläufige schriftliche Gutachten des Sachverständigen und verschiedene im Urteil dargestellte Äußerungen dessen ergeben (vgl. dazu oben I. und II.), war die Sachkunde dieses Sachverständigen unzureichend. Es handelt sich daher nicht lediglich darum, dass ein neuer Sachverständiger auf Grund der gleichen Anknüpfungstatsachen zu einer anderen Schlussfolgerung gelangt, vielmehr vermögen die vorgenannten neuen Tatsachen dem Gutachten die Beurteilungsgrundlage zu entziehen, so dass unschädlich ist, wenn auch andere Schlussfolgerungen aus den bereits im Erkenntnisverfahren bekannten Tatsachen gezogen werden.[58] Diejenige Judikatur, derzufolge ein Sachverständiger eines anderen Fachgebietes in Fällen des Sich-Überschneidens der Kompetenzen für die Beweisfrage nicht als anderer Sachverständiger i. S. d. § 2 Abs. 2 JGG, § 244 Abs. 4 S. 2 Hs. 1 StPO gilt, sondern als "weiterer",[59] steht nicht entgegen, denn sie hat zur Voraussetzung, dass das Gericht "bei der Auswahl frei"[60] ist, was gemäß § 43 Abs. 2 S. 2 JGG nicht der Fall ist.[61] – In diesem Zusammenhang wird bezogen auf den vorliegenden Fall auch zu berücksichtigen sein, dass der Sachverständige die Beantwortung zentraler Fragen offen hielt, den Entwicklungsstand im Sinne des § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG tatbezogen erörterte und mögliche Fehlerquellen nicht (oder allenfalls in methodisch nicht geeigneter Weise) ausgeschlossen hat (vgl. dazu oben I, II.).

b) Zum anderen müssen die Beweismittel bezogen auf den Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 5 StPO geeignet sein, welche Voraussetzung zunächst in abstrakter Art (sogen. Erheblichkeitsprüfung) und sodann konkret geprüft wird.

Unterstellt die neuen Tatsachen sind wahr bzw. das neue Beweismittel führt zum angestrebten Beweiserfolg, so wäre im vorliegenden Fall, zumindest im Sinne des Systems unmittelbarer und mittelbarer Erheblichkeit bzw. von Haupttatsachen und Hilfstatsachen[62] und unter Berücksichtigung des inneren Zusammenhangs, in dem die einzelnen Tatsachen zueinander stehen, Erheblichkeit zu bejahen. Die gilt für die Anwendung materiellen Jugendstrafrechts (§ 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG) ebenso wie für das mordqualifizierende Merkmal "Heimtücke" bzw. für die Bejahung von Schwere der Schuld, das Absehen von der Möglichkeit gemäߧ 106 Abs. 1 JGG und den Vorbehalt der Anordnung von Sicherungsverwahrung (§ 106 Abs. 5 JGG).

Die Prüfung der Geeignetheit bestimmt sich zunächst nach dem Inhalt des § 244 Abs. 3-5 StPO, da diese Vorschriften (in gleicher Weise wie für das vorausgegangene Verfahren) auch für das angestrebte Erkenntnisverfahren verbindlich sind.[63] Betreffend § 244 Abs. 4 StPO wird Geeignetheit zu bejahen sein bei Vorbringen in der Zwischenzeit erweiterter wissenschaftlicher Erkenntnisse,[64] wozu im vorliegenden Fall etwa die Darlegungen von

Lempp[65] und auch anschließend erlangte Erkenntnisse zu der in Rede stehenden Erscheinungsform in Betracht kommen. Desgleichen wird Geeignetheit bei ausschließlich in der besonderen Ausbildung und dem entsprechenden Erfahrungswissen begründeter spezieller Sachkunde eines anderen Sachverständigen zu bejahen sein.[66]


[1] LG Ulm, Urteil vom 31. März 2010 (6 KLs 41 Js 6865/09).

[2] 12. 10., 15. 10., 4. 11., 11. 11., 25. 11., 2. 12., 8. 12., 9. 12., 16. 12., 2. 12. 2009, 20. 1., 27. 1., 3. 2., 23. 2., 2. 3., 12. 3., 22. 3., 23. 3 und 25. 3 2010 (Urteil LG Ulm aaO S. 2).

[3] Zu restriktiver Praxis der Staatsanwaltschaft betreffend den Sachbeweis vgl. etwa Bericht StV 1992, 346.

[4] Vgl. statt vieler KK-Griesbaum, 26. Aufl. (2008) Rn. 10, Meyer-Goßner/Schmitt, 55. Aufl. (2012) Rn. 12, beide zu § 161a StPO.

[5] Auskunft des Verteidigers vom 23. 8. 2012.

[6] Entsprechendes ist z. B. für Entscheidungen zur Bestellung eines Verteidigers gemäß § 463 Abs. 4 S. 5 StPO anerkannt (vgl. zum "Mitsprache- und Vorschlagsrecht" OLG Zweibrücken NStZ-RR 2006, 355; zur "zu gebenden Möglichkeit der Einflussnahme" OLG Braunschweig StV 2008, 590.

[7] Vgl. auch LR-Erb, 26. Aufl. Rn. 26 zu § 161a StPO, demzufolge die Staatsanwaltschaft bei grundsätzlicher Meinungsverschiedenheit über die auszuwählende Person notfalls die Bestellung gemäß § 162 StPO bei dem Ermittlungsrichter anregen wird. -Vgl. im Übrigen etwa Dierlamm, FS-E. Müller (2008) S. 121 ff., der bei Versagung der Beteiligung ein Verwertungsverbot befürwortet.

[8] Vgl. vorläufiges schriftliches Gutachten vom 12. 10. 2009.

[9] Gutachten aaO S. 2.

[10] Ebenso bereits Potrykus RdJ 1958, 344; ders RdJ 1960, 346; Waldeck RdJ 1954, 123.

[11] Das Gleiche gilt betreffend die von dem RegE v 6. 6. 2012 (BT-Dr 17/9874) vorgesehenen vollzugsbegleitenden Entscheidungen.

[12] Vgl. auch Feltes StV 2000, 281 ff; Kinzig NStZ 2004, 659. Anders BVerfG NJW 2011, 1931 Rn. 99 = HRRS 2011 Nr. 488: ärztliche. – Um die Verlaufsentwicklung untersuchen zu können, muss auch hier gemäß § 43 Abs. 2.S. 2 JGG zugleich eine Qualifikation für die Altersgruppe Jugendlicher bzw. Heranwachsender bestehen (verfehlt BVerfG, 2. Kammer des 2. Senats, vom 4. 12. 2008[2 BvR 2333/08] mit Bspr. Verf. DRiZ 2009, 221, das sich an Gutachten orientierte, die u. a. die strafrechtliche Unauffälligkeit vor und nach der[einmaligen]Tat unerörtert ließen).

[13] Vgl. schon Hauber Die Funktionsverteilung zwischen Richter und Sachverständigem im deutschen Jugendgerichtsverfahren, Diss. Freiburg (1967), S. 156, 160.

[14] Vgl. etwa die Auswertung von 211 vor österreichischen Gerichten seitens selbstständiger psychiatrischer und psychologischer Sachverständiger erstatteten Gutachten, wonach die Gutachten der als erfahren geltenden, besonders häufig beauftragten Sachverständigen tendenziell mehr Qualitätsmängel aufwiesen als die Gutachten der eher selten beauftragten (Kunzl/Pfäfflin R&P 2011, 152 ff[157]).

[15] Vgl. Statistisches Bundesamt, Strafverfolgungsstatistik, Tab. 2.1, 5. 6, 5. 7.

[16] Vgl. schon Stratenwerth, Die Zukunft des strafrechtlichen Schuldprinzips (1977), S. 45: "intrasystematisch, allein vom Schuldprinzip her ...nicht mehr zu erklären".

[17] Vgl. nur BGH NStZ 2004, 438 = HRRS 2004 Nr. 415; BGH NStZ-RR 2004, 70 bzw. 329 = HRRS 2004 Nr. 35. – Vgl. speziell zum Verhältnis der Bejahung einer seelischen Störung als "schwer" zu der "Erheblichkeit" Fischer, StGB, 59. Aufl. (2012), § 21 Rn. 8, 10 einerseits und die Auflistung (auch) seitens mehrerer Sachverständiger z. B. bei Boetticher u. a. NStZ 2005, 58 andererseits.

[18] Vgl. dazu Schäfer, G., G. M. Sander, G. van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 4. Aufl. (2008), S. 339: "Leerformel".

[19] Vgl. dazu schon Suttinger in: Handbuch der Forensischen Psychologie (1967, Bd. 11 des Handbuchs der Psychologie, hrsg. von Undeutsch), S. 297.

[20] Beispiele des Anscheins von Taktieren seitens Gutachtern finden sich immer wieder. So hat in dem Verfahren vor dem LG Regensburg (NSV 121 Js 17270/1998 jug) der vom Gericht beauftragte Sachverständige in einem Aktengutachten (vom 12. 12. 2011 S. 85) seinerseits ohne tatsächliche Anhaltspunkte – und im Übrigen unter bewusster Ausklammerung alternativer Erklärungsmöglichkeiten – formuliert, der Verurteilte habe anlässlich der Tat "ein Triumphgefühl" gehabt, woraufhin der Vorsitzende in der mündlichen Entscheidungsbegründung (vom 3. 8. 2012) äußerte, der Verurteilte habe anlässlich der Tat "ein persönliches Glücksgefühl" empfunden (vgl. AZ Nürnberg online). Von diesem Sachverständigen stammt auch folgende zur Begründung des Ausschlusses der Öffentlichkeit getätigte Äußerung: "der rechtswidrig benutzte Penis eines Strafmündigen gehört nicht mehr zum geschützten Intimbereich" (Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie 2008, 208).

[21] Vgl. dazu Lempp, Nebenrealitäten, Frankfurt a. M. (2009), S. 126.

[22] Vgl. auch Lempp (Fn. 21), S. 60.

[23] Vgl. Lempp (Fn. 21), S. 119. – Im Gutachten findet sich dieser Aspekt ohne systematischen Zusammenhang mit der Tatdynamik, soweit gleichsam isoliert eine "narzisstische Aufwertung des eigenen Selbstwertgefühls durch das Pendeln zwischen der normalen Alltagsrealität und der heimlichen kriminellen ´Parallelwelt`" (S. 120, ähnlich S. 122) angeboten wird.

[24] Umstritten ist, ob auch danach zu differenzieren ist, ob eine partielle Unreife vorliegt, also z. B. in Fällen (nahezu) zeitgleicher Begehung bei dem einen Delikt materielles Jugendstrafrecht, bei dem anderen aber allgemeines Strafrecht anzuwenden ist (bej. aufgrund richterlicher Erfahrung schon Blau MDR 1959, 717; ders. RdJ 1962, 310; Schaffstein/Beulke, JStR, 14. Aufl., (2002), § 8 II. 1. e; vern. wegen Gründen einheitlicher Rechtsanwendung Dallinger/Lackner, JGG, 2. Aufl. (1965) Rn. 30, Brunner/Dölling, JGG, 12. Aufl. (2011) Rn. 11, jeweils zu § 105). Bejahendenfalls würde eine solche Differenzierung auch bezüglich mordqualifizierender Merkmale (§ 211 Abs. 2 StGB) vertretbar sein, wobei indes eine Problemverlagerung in der Rechtsanwendung stattfände (Schwerpunktbildung gemäß § 32 JGG entsprechend), wenn etwa zwei oder gar mehrere Merkmale gleichzeitig (oder gar gleichrangig) zu bejahen wären. Im vorliegenden Verfahren hat der Sachverständige sich allerdings in Abhängigkeit von der Entscheidung des Gerichts hinsichtlich der Tatmotivation begeben.

[25] Vgl. zusf. mit Nachw. etwa Verf., Beweisrecht der StPO, 8. Aufl. (2013), Rn. 1362-1488.

[26] So gehört das FPI zu den psychometrischen Persönlichkeitstests (speziell zu den Persönlichkeits-Struktur-Tests), deren Anwendung und Auswertung vollständig standardisiert und insofern objektiv ist. – Hiervon zu unterscheiden sind sogenannte Persönlichkeitsentfaltungs-Verfahren, d. h. solche Tests, bei denen der zu untersuchenden Person mehrdeutiges Stimulusmaterial – nach der Art des verwendeten Stimulusmaterials werden unterschieden Formdeutungsverfahren, verbal-thematische Verfahren und zeichnerische bzw gestalterische Verfahren. Dem Konzept nach werden – wegen der Unbestimmtheit des Materials – die Reaktionen des Untersuchten in hohem Maße durch Personenvariablen bestimmt (z. B. betreffend Emotionen, Erfahrungen, persönliche Motive, etc.), er "projiziert" diese Anteile gewissermaßen in das unstrukturierte Material (vgl. rechtstatsächlich Endres, Praxis der Rechtspsychologie (2009), S. 9 f.).

[27] Vgl. allerdings BGHSt 22, 268. 273.

[28] Hätte es solche gehabt, hätte es materielles Jugendstrafrecht anwenden müssen (BGH NJW 2002, 71[75]; BGH NStZ-RR 2003, 186 f.).

[29] Gemäß HAWIE – Verbalteil 117, Handlungsteil 111 – (psychologisches Zusatzgutachten aaO S. 3 f.).

[30] Esser ua Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 1991, 356, 367, und zur Nachuntersuchung Esser DVJJ-J 1999, 37 ff.

[31] Vgl. dazu etwa schon Suttinger (Fn. 19), S. 303.

[32] Vgl. auch Hinrichs/Schütze DVJJ-J 1999, 29.

[33] Sie hatte auch dem inzwischen volljährigen Angeklagten erst im Februar 2009 – wie zuvor den beiden Schwestern – Vollmacht über "ihr Schweizer Konto" (S. 87) erteilt, allerdings als nur gemeinsam mit den Schwestern Zeichnungsberechtigter (Urteil S. 25).

[34] Vgl. auch BGH ZJJ 2007, 416 = HRRS 2007 Nr. 1013.

[35] Vgl. Urteil S. 21: "Tierischem, aber auch menschlichem Leben kommt nach seiner auch in der Hauptverhandlung geäußerten Weltsicht nur ein Wert zu, solange es den eigenen persönlichen Interessen dienlich ist", sowie S. 92: an oberster Stufe stehe "allein er selbst", danach komme "lange gar nichts". Interpretierend heißt es dann im Urteil (S. 22): "Dieses Weltbild, in dem nur Bestand hat, was einem persönlich von Nutzen ist, in dem nur das eigene Ich zählt, dem alles andere unterzuordnen sei", und "außerhalb einer solchen Wertschätzung sei emotionale Zuneigung falsch".

[36] In Betracht käme ggfs. eine Reflektion über eine Erklärung z. B. im Sinne des Sozialdarwinismus, wie er bei adoleszierenden Gymnasiasten nicht selten erörtert wird.

[37] Peters Strafprozess, 4. Aufl. (1985), S. 405.

[38] Vgl. Herz Recht persönlich (2006), S. 13, 17 f.

[39] V gl . BGH St 52, 316 = NJW 20 08, 3297 = HRRS 2008 Nr. 837 (mit Anm . Verf. s owie Bspr. ders . ZJJ 20 08, 383) betr . zur Tatzeit 19-jährigen Inhaftierten, indes in Einschränkung des Sinngehalts der Vorschrift – insoweit zutr effend in demselben Verfahren LG Bonn v om 8. 5. 20 09 (22 KLs 38/08) Rn . 147 ff ., 158, iuris.

[40] V gl . nur Brunner/Dölling (Fn. 24), Rn. 1 zu § 106: "sollte sehr großzügig Gebrauch gemacht werden"; Diemer/Schatz/Sonnen-Sonnen, JGG, 5. Aufl. (2011), Rn . 3 zu § 106: "fast schon als Muss"; Ostendorf-Goerdeler, JGG, 8. Aufl. (2009) Rn . 1 zu § 106: "tendenziell i m Sinne einer Anwendung"; einschr änkend MRTW-Rössner JGG (2011), Rn . 5 zu § 106; anders MüKo-StGB/Altenhain, Bd . 4, Rn . 6–8 zu § 106, wonach z. B. besondere Schwere der Schuld (§ 57 a Abs. 1 Nr. 2 StGB) entgegenstehe.

[41] Vgl . Böhm/Feuerhelm, JStR. 6. Aufl. (2004), § 7, 5. b: "lebenslange Freiheitsstrafe darf … eigentlich nicht verhängt werden".

[42] V erfehlt wäre es demg egenüber, darauf abzustellen, ob "die Reifeentwicklung zur Tatzeit" als "bereits abgeschlossen" beurteilt wird (so auch BGH StraFo 20 09, 124 = HRRS 2009 Nr. 204 – ohne indes aufzuheben; von BVerfG, 2. Kammer des 2. Senats, ZJJ 20 09, 260 sodann nicht zur Entscheidung angenommen).

[43] V gl . BGH St 31, 189 mit zust . Anm . Brunner NStZ 19 83, 218 sowie zust . Anm . Verf. JZ 19 83, 507 (509); vgl. auch BGHR JGG § 106 Abs . 1, Strafmilderung 1=StV 1989, 306, wonach bei einem bisher nicht in Strafhaft gewesenen Angeklagten die "Chancen einer Besserung auf Grund des Strafvollzuges" zu prüfen sind.

[44] V gl . auch BGH NStZ 2008, 696 f. = HRRS 2008 Nr. 837 .

[45] Es geht hier um Erkenntnisse der Psychologie, der Kriminologie und ggfs. auch der Kriminalsoziologie (vgl. dazu AG Winsen NStE Nr 1 zu § 43e) zu Reifungs- und Entwicklungsabläufen bei (Jugendlichen bzw.) Heranwachsenden und zusätzlich zu Verläufen von Delinquenz, und zwar jeweils in Zusammenhang mit bestimmten Interventionen (vgl. auch schon Schmitz RdJ 1974, 163, 166).

[46] Die im Übrigen bestehende Möglichkeit von Gegenvorstellungen erlaubt in der Regel keinen hinreichenden Schutz.

[47] Vgl. exemplarisch dazu BGH NStZ-RR 2008, 104 = HRRS 2008 Nr. 129; RuP 2008, 53; OLG Karlsruhe vom 29. 7. 2010 (3 Ws 225/10) betr. LG Mannheim vom 1. 7. 2010 (5 KLs 404 Js 3608/10), mit Bspr. Verf. JZ 2011, 676 f., 680 f.; ders. betr. Auswahl durch die StA bei dem LG Frankfurt/O NStZ 2004, 240 ff., durch die StA bei dem LG Wuppertal JR 2004, 358 ff., durch die StA bei dem LG Frankfurt/M StV 2005, 345, durch die StA bei dem LG Berlin (nach BGH NStZ 2007, 522 = HRRS 2007 Nr. 453) NStZ 2008, 94 und durch die StA bei dem LG Bonn JZ 2010, 474 ff. sowie Anm. Hoffmann/Wendler NJW 2010, 1216.

[48] Vgl. nur OLG Schleswig StV 2000, 543 mit abl. Anm Wagner.

[49] Vgl. OLG Hamm MDR 1994, 83; KMR-Neubeck (Aktualisierung) Rn. 18, KK-Senge, 6. Aufl., Rn. 9, AK-Lemke, 4. Aufl., Rn. 12, LR-Krause, 26. Aufl., Rn. 36, alle zu § 73.

[50] Ebenso Radtke/Hohmann-Beukelmann Kommentar zur StPO (2011), Rn. 18 zu § 73 sowie noch LR-Dahs, 24. Aufl., Rn. 27, Kleinknecht/Meyer, 37. Aufl., Rn. 18, beide zu § 73.

[51] Vgl. OLG Düsseldorf MDR 1991, 788; OLG Hamm MDR 1994, 83.

[52] Vgl. OLG Düsseldorf MDR 1986, 256; OLG Hamm MDR 1970, 863.

[53] LR-Krause, 26. Aufl., Rn. 37, KK-Senge, 6. Aufl., Rn. 9, jeweils zu § 73; einschränkend aber BGH vom 12. 3. 1998 (-4 StR 633/97-).

[54] Der Beschluss bestätigt die bereits von Dallinger/Lackner (Fn. 24) § 33 Rn. 5) geäußerten Bedenken dazu, dass das Revisionsgericht, da es sich um kein Jugendgericht handelt, das JGG als vorrangiges Spezialgesetz weniger anwendet (vgl. exemplarisch etwa auch Beschluss vom 20. 9. 2011[1 StR 326/11], iuris[betr. Urteil LG München vom 6. 9. 2010 – J KLs 122 Js 11947/09 – ]= HRRS 2011 Nr. 1137 mit abl. Bspr.[unter Einbeziehung des tatgerichtlichen Urteils]Verf. ZKJ 2012, 54 ff. einerseits, BGH vom 19. 10. 2011[1 StR 273/11], iuris = HRRS 2011 Nr. 1166 [betr. Urteil LG Tübingen vom 16. 12. 2010 – 3 KLs 46 Js 3954/10 Jug – ), mit abl. Bspr. Verf. HRRS 2012, 23 ff. sowie ders. JA 2013 H 1 (jeweils unter Einbeziehung des tatgerichtlichen Urteils) andererseits. – Vgl. zu Fragen "offensichtlicher Ungesetzlichkeit" der Revisionsverwerfung gemäß § 349 Abs. 2 StPO etwa Rosenau ZIS 2012, 195 ff.

[55] BVerfG StV 2003, 225.

[56] Wenngleich sich die Berücksichtigung in der Regel aus schriftlichen Unterlagen ergeben wird, kann im Einzelfall, auch ohne dass es dergestalt ersichtlich wäre, eine Berücksichtigung stattgefunden haben – ein etwaiger Verstoß gegen § 261 StPO sei insoweit ohne Bedeutung (vgl. OLG Hamm GA 1957, 90; LR-Gössel, 26. Aufl., Rn. 94 zu § 359) – bzw. sich, ohne ausdrücklich erwähnt zu sein, aus dem Zusammenhang der Entscheidungsgründe ergeben.

[57] BGH NStZ 2000, 218; OLG Karlsruhe NJW 1958, 1247; a. A. OLG Frankfurt NJW 1978, 841. Anders verhält es sich bei einer solchen Tatsache, die erst gemäß einer aus ihr hergeleiteten Schlussfolgerung zum Gegenteil der festgestellten Tatsache wird (vgl. zu Beisp. Peters Fehlerquellen im Strafprozess, Bd. 3, 1974 S. 79; LR-Gössel, 26. Aufl., Rn. 101 f zu § 359).

[58] OLG Frankfurt StraFo 2006, 114 mit Anm. Wolf.

[59] Vgl. BGHSt 34, 355 mit insoweit zust. Anm. K. Meyer NStZ 1988, 85=JZ 1987, 164, wonach es solchenfalls auf die spezielle Ausbildung nicht ankomme; ebenso betr. Blutspuren BGHSt 39, 53=JR 1993, 335 mit Anm. Graul sowie Anm. Herzog StV 1993, 343; eher anders schon RG JW 1931, 949 mit Anm. Beling; LR-Becker, 26. Aufl., Rn. 325 nebst Fn. 1644 zu § 244). Nach hier vertretener Auffassung hingegen liegt im Verhältnis von Jugend- und Heranwachsendenpsychiatrie aus inhaltlichen Gründen keine Überschneidung vor, weil z. B. Fragen nach der Entwicklungsreife (§105 Abs. 1 Nr. 1 JGG) nicht der Kompetenz der allgemeinen Psychiatrie unterliegen.

[60] BGHSt 34, 355 Rn. 4.

[61] Verkürzt BGH StPO § 244 Abs. 4 S. 2, Zweitgutachter 4, Rn. 5, das diese Soll-Vorschrift unerwähnt lässt.

[62] Vgl. Peters (Fn. 57), S. 57; LR-Gössel, 26. Aufl., Rn. 166 zu § 359; Marxen/Tiemann Die Wiederaufnahme in Strafsachen, 2. Aufl. (2006), 202.

[63] Ob deren Zugrundelegung zudem von der Stellung eines Beweisantrags abhängig ist, ist umstritten (bej. Peters [Fn. 57], S. 136; AK-StPO/Loos Rn. 23 ff. zu § 368; vern. SK-StPO/Frister/Deiters Rn. 60 zu § 359).

[64] Vgl. OLG Hamm StraFo 2002, 168.

[65] Vgl. Fußn. 21.

[66] Auf die Streitfrage, ob schon größere Sachkunde zureicht (bej. Peters[Fn. 37], S. 675; Marxen/Tiemann [Fn.62], S. 236; vern. OLG Hamburg JR 2000, 380 Rn. 37 mit Anm. Gössel; insoweit auch Meyer-Goßner 55. Aufl.[2012]Rn. 35, KK-Schmidt, 6. Aufl. Rn. 26, beide zu § 359), käme es daher nicht an.