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HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 748

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 168/14, Beschluss v. 04.06.2014, HRRS 2014 Nr. 748


BGH 4 StR 168/14 - Beschluss vom 4. Juni 2014 (LG Ulm)

Rücktritt vom Versuch (Fehlschlag des Versuchs).

§ 24 Abs. 1 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Ein strafbefreiender Rücktritt nach § 24 StGB scheidet aus, wenn der Versuch fehlgeschlagen ist (st. Rspr). Ob ein fehlgeschlagener Versuch vorliegt, ist für jedes im Versuchsstadium stecken gebliebene Delikt ungeachtet der konkurrenzrechtlichen Bewertung gesondert zu prüfen (vgl. BGH NStZ 2012, 562).

2. Von einem fehlgeschlagenen Versuch ist auszugehen, wenn die Tat nach dem Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt. Gleiches gilt, wenn eine Tatvollendung objektiv zwar noch möglich ist, der Täter diese aber subjektiv nicht mehr für möglich hält. Maßgeblich dafür ist nicht der ursprüngliche Tatplan, dem je nach Fallgestaltung allenfalls Indizwirkung für den Erkenntnishorizont des Täters zukommen kann (vgl. BGH NStZ 2008, 393), sondern dessen Vorstellung nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung (st. Rspr). Lässt sich den Urteilsfeststellungen das zur revisionsrechtlichen Prüfung unerlässliche Vorstellungsbild des Angeklagten nicht hinreichend entnehmen, hält das Urteil sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand (vgl. BGH NStZ-RR 2013, 273, 274).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ulm vom 17. Januar 2014 aufgehoben, jedoch bleiben die Feststellungen zu Ziffer II. der Urteilsgründe aufrecht erhalten.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung in vier tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Ferner hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von drei Jahren keine Fahrerlaubnis zu erteilen. Seine hiergegen eingelegte Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg.

I.

Die Verurteilung wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Nebenklägers H. Y. und dessen Sohn B. A., sowie der Zeugin D. E. hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Das Landgericht hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:

a) Am 17. März 2013 wartete der Angeklagte mit seinem Pkw Ford Galaxy vor einer Rotlicht zeigenden Ampel an einer Kreuzung im Stadtgebiet von . Als er auf dem Gehweg der kreuzenden Straße den Nebenkläger M. E. in Begleitung seiner schwangeren Ehefrau D. E. und den Nebenkläger H. Y. mit seinem 7-jährigen Sohn B. A. erblickte, fasste er aus Verärgerung über die Nebenkläger, die in der Vergangenheit seine von ihm getrennt lebende Ehefrau unterstützt hatten, spontan den Entschluss in diese Personengruppe hineinzufahren und diese zu verletzen. Nachdem die Lichtzeichenanlage auf Grün geschaltet hatte, beschleunigte der Angeklagte auf die größtmögliche Geschwindigkeit, bog in die querende Straße ein und lenkte sein Fahrzeug nach einer weiteren Kurvenfahrt mit einer Geschwindigkeit von noch mindestens 16,6 km/h mittig auf die Personengruppe zu, die sich zu diesem Zeitpunkt in Höhe einer Tankstelleneinfahrt befand. Ihm war dabei bewusst, dass es bei einem Zusammenprall der Personen mit seinem Pkw zu erheblichen Verletzungen kommen würde. Solche Verletzungen wollte er bei den Nebenklägern, weil er sie für das Scheitern seiner Ehe verantwortlich hielt; bezüglich D. E. und B. A. nahm er sie zumindest billigend in Kauf. Die Nebenkläger konnten im letzten Augenblick zur Seite springen und ihre jeweiligen Begleiter wegziehen. Dabei flüchtete M. E. mit seiner Ehefrau nach vorne, während H. Y. seinen Sohn nach hinten wegzog. Allein aufgrund dieser schnellen Reaktion blieben alle vier Personen unverletzt.

Der Angeklagte bremste seinen Wagen ab und setzte kurz in Richtung des Nebenklägers Y. und dessen Sohn B. A. zurück. Dann fuhr er stark beschleunigend in Richtung des Nebenklägers M. E., der auf den Tankstellenshop zugerannt war. Als M. E. hinter einem stehenden Auto an einer Zapfsäule Zuflucht gefunden hatte, stoppte der Angeklagte seinen Wagen. Sein Vorhaben, die Nebenkläger M. E. und H. Y. zu überfahren und dadurch zu verletzen, ließ sich nun nicht mehr umsetzen, weil sich beide in Sicherheit gebracht hatten.

b) Das Landgericht hält einen Rücktritt vom Versuch gemäß § 24 Abs. 1 StGB für nicht gegeben, weil der Angeklagte an der weiteren Tatausführung gehindert gewesen sei. Ein "weiteres Zufahren auf die Geschädigten nach vorne" sei ihm nicht mehr möglich gewesen, weil der Weg durch die Zapfsäule der Tankstelle versperrt gewesen sei. Da sich die Geschädigten mittlerweile aus dem Einfahrtsbereich entfernt hätten, habe auch durch ein Zurücksetzen oder ein sonstiges Fahrmanöver eine weitere Tatbegehung keinen Erfolg mehr versprochen (UA 33).

2. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei von dem Versuch der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil des Nebenklägers H. Y. und der Geschädigten B. A. und D. E. nicht zurückgetreten, wird von den Feststellungen nicht getragen.

a) Ein strafbefreiender Rücktritt nach § 24 StGB scheidet aus, wenn der Versuch fehlgeschlagen ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 30. November 1995 - 5 StR 465/95, BGHSt 41, 368, 369; Urteil vom 10. April 1986 - 4 StR 89/86, BGHSt 34, 53, 56). Ob ein fehlgeschlagener Versuch vorliegt, ist für jedes im Versuchsstadium stecken gebliebene Delikt ungeachtet der konkurrenzrechtlichen Bewertung gesondert zu prüfen (BGH, Beschluss vom 27. Februar 2014 - 1 StR 367/13, Rn. 13; Urteil vom 23. Mai 2012 - 5 StR 54/12, NStZ 2012, 562). Von einem fehlgeschlagenen Versuch ist auszugehen, wenn die Tat nach dem Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt. Gleiches gilt, wenn eine Tatvollendung objektiv zwar noch möglich ist, der Täter diese aber subjektiv nicht mehr für möglich hält. Maßgeblich dafür ist nicht der ursprüngliche Tatplan, dem je nach Fallgestaltung allenfalls Indizwirkung für den Erkenntnishorizont des Täters zukommen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 2. November 2007 - 2 StR 336/07, NStZ 2008, 393), sondern dessen Vorstellung nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 25. Oktober 2012 - 4 StR 346/12, NStZ 2013, 156, 157; Beschluss vom 22. März 2012 - 4 StR 541/11, NStZ-RR 2012, 239, 240 mwN). Lässt sich den Urteilsfeststellungen das zur revisionsrechtlichen Prüfung unerlässliche Vorstellungsbild des Angeklagten nicht hinreichend entnehmen, hält das Urteil sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand (BGH, Beschluss vom 7. Mai 2014 - 4 StR 82/14, Rn. 5; Urteil vom 19. März 2013 - 1 StR 647/12, NStZ-RR 2013, 273, 274).

b) Bei der Prüfung, ob ein fehlgeschlagener Versuch einer gefährlichen Körperverletzung vorlag, hat das Landgericht ausschließlich auf den Zeitpunkt abgestellt, als M. E. sich vor dem stark beschleunigend auf ihn zufahrenden Pkw hinter einem Fahrzeug in Sicherheit bringen konnte. Damit ist das Landgericht zwar rechtsfehlerfrei von einem Scheitern der Tatvollendung in Bezug auf M. E. ausgegangen. Es hat aber außer Acht gelassen, dass es für die Prüfung, ob auch in Bezug auf die weiteren Tatopfer ein fehlgeschlagener Versuch vorlag, nicht auf diesen Zeitpunkt, sondern auf die Vorstellungen und Möglichkeiten des Angeklagten nach der letzten gegen sie gerichteten Ausführungshandlung ankam. Dazu wurden keine ausreichenden Feststellungen getroffen.

In Bezug auf die nach hinten ausgewichenen H. Y. und B. A. bleibt bereits offen, welches Fahrmanöver als letzte gegen diese Personen gerichtete Ausführungshandlung anzusehen war. Die Feststellungen lassen nicht erkennen, ob es sich bei dem Zurücksetzen des Fahrzeugs in deren Richtung noch um eine Fortsetzung des mit dem Hineinfahren in die Personengruppe begonnenen Versuchs einer gefährlichen Körperverletzung handelte. In diesem Fall wäre für die Bewertung des Rücktrittshorizonts nicht auf den Erkenntnisstand des Angeklagten nach dem Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs (Hineinfahren in die Personengruppe), sondern auf sein - gleichfalls nicht festgestelltes - Vorstellungsbild nach dem Abbruch dieses Fahrvorgangs abzustellen (vgl. BGH, Urteil vom 8. Februar 2007 - 3 StR 470/06, NStZ 2007, 399, Rn. 3; Urteil vom 10. April 1986 - 4 StR 89/86, BGHSt 34, 53, 58).

Auch hinsichtlich der Möglichkeiten und Vorstellungen des Angeklagten in Bezug auf die Herbeiführung einer Tatvollendung zum Nachteil von D. E. sind auf der Grundlage der Feststellungen des Landgerichts verlässliche Rückschlüsse auf einen Fehlschlag des Versuchs nicht möglich. Die Urteilsgründe teilen schon nicht mit, wo sich D. E. nach dem Hineinfahren in die Personengruppe aufhielt und ob sie sich vor weiteren Angriffen in Sicherheit gebracht hatte.

II.

Der aufgezeigte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Urteils insgesamt, obgleich die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§ 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB) und wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB) zum Nachteil des Nebenklägers M. E. an sich rechtsfehlerfrei erfolgt ist (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1997 - 4 StR 642/96, BGHR StPO § 353 Aufhebung 1). Da das Urteil nur Lücken zum Rücktrittshorizont des Angeklagten in Bezug auf die gefährliche Körperverletzung zum Nachteil der drei weiteren Tatopfer aufweist, können die im Übrigen rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum Vortatgeschehen (II.1. der Urteilsgründe), zum Tagesablauf bis zum Tatgeschehen (II.2.a der Urteilsgründe) und zum unmittelbaren Tatgeschehen (II.2.b der Urteilsgründe) bestehen bleiben. Der neue Tatrichter wird daher lediglich ergänzende, zu den aufrecht erhaltenen Feststellungen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen zu den Möglichkeiten und den Vorstellungen des Angeklagten in Bezug auf eine Tatvollendung zum Nachteil des Nebenklägers Y., des B. A. und der D. E. nach der jeweils letzten Ausführungshandlung zu treffen haben.

HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 748

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel