hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 468

Bearbeiter: Stephan Schlegel

Zitiervorschlag: BGH, 3 BGs 31/06, Beschluss v. 21.02.2006, HRRS 2007 Nr. 468


BGH 3 BGs 31/06, 3 BJs 32/05 - 4 - (12) - 3 BGs 31/06 - Beschluss vom 21. Februar 2006 (-)

Zulässigkeit der verdeckte Durchsuchung eines Computersystems ("Online-Durchsuchung"; Spionageprogramm); Begriff der Durchsuchung (elektronisch gespeicherte Daten; keine notwendige Offenheit); informationelle Selbstbestimmung; kein Eingriff in das Fernmeldegeheimnis und das Wohnungsgrundrecht; Verhältnismäßigkeit; Rechtsschutz; Verjährungsunterbrechung; redaktioneller Hinweis.

Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 19 Abs. 4 GG; Art. 13 GG; Art. 10 Abs. 1 GG; Art. 8 EMRK; § 102 StPO; § 105 Abs. 1 StPO; § 169 Abs. 1 Satz 2 StPO; § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die "Durchsuchung" im Sinne der §§ 102ff. StPO umfasst auch das Suchen nach elektronisch gespeicherten Daten. Nicht die Art des Mediums, sondern sein Inhalt, namentlich die Eignung der dargestellten Daten (im weitesten Sinne) als Beweismittel für ein bestimmtes Ermittlungsverfahren ist das entscheidende Kriterium für die Beantwortung der Frage, ob das Suchen eines staatlichen Organs in einer Wohnung, einem anderen Raum oder einer Sache als Durchsuchung i.S.d. §§ 102 ff StPO zu qualifizieren ist.

2. Dass Ermittlungsbeamte körperlich am Durchsuchungsort anwesend sind, ist nicht notwendiger Inhalt des Begriffes der Durchsuchung.

3. Die Durchsuchung ist keine Maßnahme, die nach ihrer Rechtsnatur, nach ihrer Zweckbestimmung oder wegen der Intensität des Eingriffs in Grundrechtspositionen des Betroffenen stets und ausnahmslos offen durchgeführt werden müsste.

4. Im Hinblick auf den technischen Fortschritt in modernen Informationsgesellschaften dürfen keine überhöhten Anforderungen an die Bestimmtheit von strafprozessualen Befugnisnormen gestellt werden. Gesetzliche Formulierungen sind grundsätzlich offen für die Einbeziehung kriminaltechnischer Neuerungen, die der historische Gesetzgeber in ihren Möglichkeiten noch nicht abschätzen konnte. Entsprechend auslegungsfähig sind auch die §§ 102ff. StPO gestaltet.

5. Weder den materiellen noch den formellen Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Durchsuchungsanordnung (§§ 102, 103, 104, 105 Abs. 1 StPO) sind Einschränkungen dahingehend zu entnehmen, dass diese Maßnahme stets nur offen möglich sein soll.

6. Die verdeckte, elektronische Durchsuchung eines Computers greift nicht in das Grundrecht aus Art. 13 GG ein. Sie tangiert auch nicht das das Fernmeldegeheimnis, denn es werden ausschließlich Daten gesichert, die im Herrschaftsbereich des Betroffenen gespeichert sind.

7. Zwar ist auf Grund der den §§ 102 ff. StPO zu Grunde liegenden Schutzgedanken nur einen einmaligen Eingriff in die Sphäre des Betroffenen erlaubt. Die verdeckte Online-Durchsuchung ist aber erst beendet, wenn der komplette, auf dem PC des Beschuldigten vorhandene Datenbestand gesichert ist. Dazu können auch aus zwingenden technischen Gründen mehrere Teil-Abrufvorgänge erfolgen.

Entscheidungstenor

1. gemäß §§ 102, 105 Abs. 1, 169 Abs. 1 Satz 2 StPO die Durchsuchung des von dem Beschuldigten [...] benutzten Personalcomputers/Laptops, insbesondere der auf der Festplatte und im Arbeitsspeicher abgelegten Dateien, angeordnet.

2. Zur verdeckten Ausführung dieser Maßnahme wird den Ermittlungsbehörden gestattet, ein hierfür konzipiertes Computerprogramm von außen auf dem Computer des Beschuldigten zu installieren, um die auf den Speichermedien des Computers abgelegten Daten zu kopieren und zum Zwecke der Durchsicht an die Ermittlungsbehörden zu übertragen.

3. Daten, die erkennbar nicht verfahrensrelevant sind, sind unverzüglich nach der Durchsicht zu löschen. Verfahrensrelevante Daten im Sinne dieser Anordnung sind Dateien, die [...]

Gründe

I.

1) [...]

2) [...]

II.

1) Die Durchsuchung des PC-Datenbestandes des Beschuldigten ohne sein Wissen ist durch die Befugnisnorm des § 102 StPO gedeckt. Der Umstand, dass sich der zu durchsuchende Computer möglicherweise in den Geschäftsräumen eines Dritten, nämlich der Arbeitgeberin [...] befindet, steht der Anwendbarkeit des § 102 StPO nicht entgegen und bedeutet insbesondere nicht, dass die Vorschrift des § 103 StPO heranzuziehen wäre. Allerdings wird dieser Gesichtspunkt bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sein.

2) Die Frage, ob die sog. "Online-Durchsuchung" eines Computers zulässig ist, ist im Schrifttum umstritten und höchstrichterlich bislang nicht geklärt. Die Frage ist zu bejahen.

a) Einigkeit besteht jedenfalls darin, dass der Begriff der "Durchsuchung" im Sinne der §§ 102ff. StPO auch das Suchen nach elektronisch gespeicherten Daten umfasst. Er wird definiert als das ziel- und zweckgerichtete Suchen staatlicher Organe nach etwas Verborgenem in einem bestimmten abgrenzbaren Bereich oder Objekt (BVerfGE 76, 83, 89; LR-Schäfer, StPO, 2. Band, 25. Auflage 2004, § 102 Rdnr. 1). Dabei spielt es keine Rolle, ob die als Beweismittel gesuchten Daten in herkömmlicher Form - als schriftlicher Text, Zeichnung, graphische Darstellung o.ä. auf Papier - oder auf einem elektronischen Datenträger festgehalten sind. Nicht die Art des Mediums, sondern sein Inhalt, namentlich die Eignung der dargestellten Daten (im weitesten Sinne) als Beweismittel für ein bestimmtes Ermittlungsverfahren ist das entscheidende Kriterium für die Beantwortung der Frage, ob das Suchen eines staatlichen Organs in einer Wohnung, einem anderen Raum oder einer Sache als Durchsuchung i.S.d. §§ 102 ff StPO zu qualifizieren ist (vgl. dazu bereits BGH [Ermittlungsrichter], Beschluss vom 31. Juli 1995 - 3 BGs 625/95, NJW 1997, 1934 unter 2 b). Dass die im Gewahrsam des Beschuldigten stehenden elektronischen Datenträger und EDV-Anlagen "ihm gehörende Sachen" im Sinne von § 102 StPO sind, steht außer Frage (KK-Nack, StPO, 5. Auflage 2003, § 102 Rdnr. 11; LR-Schäfer, StPO, 2. Band, § 102 Rdnr. 35; Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 102 Rdnr. 10a).

b) Ob der zu durchsuchende Computer im (Eigentum und) Mitgewahrsam der Arbeitgeberin des Beschuldigten steht, ist - wie der Generalbundesanwalt auf Nachfrage erklärt hat - durch die bisherigen Ermittlungen noch nicht geklärt worden. Näherer Feststellungen hierzu bedarf es jedoch nicht. Für die Anwendbarkeit des § 102 StPO reicht es aus, dass der Verdächtige Mitgewahrsam an der Wohnung, dem Raum oder der Sache hat, die durchsucht werden soll; auf das Eigentum kommt es nicht an (BGH, Beschluss vom 8. April 1998 - StB 5/98, BGHR StPO § 102, Geschäftsräume 1 m.w.N.; KK/Nack aaO, Rdnr. 8, 11). Der Umstand, dass die Arbeitgeberin des Beschuldigten möglicherweise Eigentümerin und Mitgewahrsamsinhaberin des Computers ist, nötigt deshalb nicht zur Prüfung der einschränkenden Voraussetzungen des § 103 StPO . Im Übrigen ist durch die eingesetzte Software sichergestellt, dass sich die angeordnete Durchsuchung von vornherein auf den PC des Beschuldigten beschränkt, andere Computer oder Speichermedien des Netzwerkes (Intranet) der Arbeitgeberin des Beschuldigten oder Räumlichkeiten als solche von der Maßnahme also nicht betroffen sind.

Dass Ermittlungsbeamte körperlich am Durchsuchungsort anwesend sind, ist nicht notwendiger Inhalt dieser Begriffsbestimmung.

3) Der Anwendbarkeit des § 102 StPO steht - jedenfalls bei einer Fallgestaltung wie der vorliegenden - des Weiteren nicht entgegen, dass die Ermittlungsmaßnahme ohne Wissen des Betroffenen, also heimlich durchgeführt werden soll. Die Durchsuchung ist keine Maßnahme, die nach ihrer Rechtsnatur, nach ihrer Zweckbestimmung oder wegen der Intensität des Eingriffs in Grundrechtspositionen des Betroffenen stets und ausnahmslos offen durchgeführt werden müsste (Hofmann, NStZ 2005, 121, 123; a.A. KK/Nack aaO Rdnr 1). Es trifft insbesondere nicht zu, dass eine heimliche Durchsuchung beim Verdächtigen ein unzulässiges, durch die §§ 102 ff StPO nicht gedecktes "Ausforschen" darstellt (so aber LR/Schäfer aaO Rdnr 1). Ob dies auch für die Durchsuchung einer Wohnung gilt, die den besonderen Schutz des Art. 13 GG genießt, kann dahinstehen; denn die angeordnete Online-Durchsuchung betrifft lediglich eine dem Beschuldigten "gehörende" Sache, sie greift jedoch nicht in den Schutzbereich des Art. 13 GG ein. Allerdings wird eine heimliche Durchsuchung auf Ausnahmefälle zu begrenzen sein, wobei dem Verfassungsgebot der Verhältnismäßigkeit ausschlaggebende Bedeutung zukommt.

a) Den das Ermittlungsverfahren regelnden Vorschriften der Strafprozessordnung lässt sich ein zwingender Grundsatz der Offenheit staatlichen Handelns nicht entnehmen. Vielmehr sind prinzipiell auch heimliche Ermittlungsmaßnahmen zulässig, die auf die Feststellung von Handlungen abzielen, durch die sich der Tatverdächtige selbst belastet. Die Überwachung der Telekommunikation (§ 100 a StPO), die in § 100 c StPO genannten Maßnahmen (soweit sie nicht auf Grund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004, NJW 2004, 999 als unzulässig anzusehen sind) und der Einsatz Verdeckter Ermittler (§§ 110a ff StPO) sind Beispiele, die die prinzipielle Zulässigkeit von heimlichen, auf die Selbstbelastung des Verdächtigen zielenden Ermittlungsmaßnahme belegen (vgl. BGHSt 40, 211 unter B I 3 a; BGHSt [GSSt] 42, 139, 150 f, 153 ff). Allein in der Verheimlichung des Ermittlungsinteresses liegt folglich keine nach § 136a StPO verbotene Täuschung (BGHSt 42, 139, 150 f). Noch mehr gilt dies dann, wenn - wie bei der heimlichen Online-Durchsuchung - der Verdächtige nicht in irgendeiner Weise zur Selbstbelastung veranlaßt wird, sondern ein von ihm geschaffener Zustand lediglich überprüft und, soweit für die Ermittlungen von Bedeutung, dokumentiert und sichergestellt wird.

b) Das Bundesverfassungsgericht sieht es als Ausprägung des rechtsstaatlichen Grundsatzes des Gesetzesvorbehalts (Art. 20 Abs. 3 GG) an, dass alle Maßnahmen mit Grundrechtsrelevanz einer formell-gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedürfen (Wesentlichkeitsprinzip; BVerfGE 47, 46, 78f.; 80, 137, 161; 98, 218, 251f.; 101, 1, 33f.; Mangoldt/Klein/Starck, GG, 5. Auflage 2005, Art. 20 Rdnr. 275ff.). Danach unterliegen grundsätzlich alle für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Fragen dem Gesetzesvorbehalt. Der parlamentarische Gesetzgeber muss die wesentlichen Voraussetzungen für Grundrechtseingriffe sowie ihre Reichweite selbst festlegen. Dem ist im vorliegenden Fall durch die Eingriffsregelung in §§ 102ff. StPO Genüge getan. Die angeordnete Maßnahme bedeutet kein Aliud zur klassischen Durchsuchung.

aa) Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung erkennt an, dass vor dem Hintergrund des technischen Fortschritts in modernen Informationsgesellschaften keine überhöhten Anforderungen an die Bestimmtheit von strafprozessualen Befugnisnormen gestellt werden dürfen. Gesetzliche Formulierungen sind grundsätzlich offen für die Einbeziehung kriminaltechnischer Neuerungen, die der historische Gesetzgeber in ihren Möglichkeiten noch nicht abschätzen konnte (BVerfG, NJW 2005, 1338, 1340).

Entsprechend auslegungsfähig sind die §§ 102ff. StPO gestaltet. Weder den materiellen noch den formellen Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Durchsuchungsanordnung (§§ 102, 103, 104, 105 Abs. 1 StPO) sind Einschränkungen dahingehend zu entnehmen, dass diese Maßnahme stets nur offen möglich sein soll. Zwar gehen die Vorschriften über den Vollzug der Durchsuchung (§§ 105 Abs. 2, 106, 107 StPO) davon aus, dass diese unter Einbeziehung des Betroffenen und/oder dritter Personen erfolgt. Diese Normen betreffen indes lediglich das "Wie", nicht das "Ob" der Durchsuchung. Darüber hinaus handelt es sich nach überwiegender Auffassung bei den §§ 106, 107 StPO um bloße Ordnungsvorschriften, aus deren Verletzung keine Rechtsfolgen hergeleitet werden können (BGH, NStZ 1983, 375 ; Hofmann, NStZ 2005, 121, 124; Meyer-Goßner, StPO, § 106 Rdnr. 1 und § 107 Rdnr. 1; KK/Nack, StPO, § 106 Rdnr. 1 und § 107 Rdnr. 5). Dies folgt für eine Durchsuchung beim Beschuldigten (§ 102 StPO) schon aus den nachgiebigen Gesetzesformulierungen "darf" (§ 106 Abs. 1 Satz 1 StPO), "wenn möglich" (§ 106 Abs. 1 Satz 2 StPO) und "auf Verlangen" (§ 107 Satz 1 und Satz 2 StPO). Daneben muss es aus ermittlungstaktischen Gründen möglich sein, den Durchsuchungszeitpunkt unabhängig von der Anwesenheit des Betroffenen zu bestimmen. Hält sich etwa ein Beschuldigter bekanntermaßen für längere Zeit im Ausland auf, kann dies nicht die Unzulässigkeit der Durchsuchung seiner im Inland befindlichen Wohnräume oder Sachen nach sich ziehen.

bb) Etwas anderes ergibt sich im vorliegenden Fall auch nicht auf der Grundlage derjenigen Auffassung, die §§ 106, 107 StPO für zwingendes Recht hält (LR/Schäfer aaO, § 106 Rdnr. 1 und 15 und § 107 Rdnr. 1). Sie stützt sich auf Art. 13 Abs. 2 GG, wonach eine Wohnungsdurchsuchung nur in der gesetzlich vorgeschriebenen Form erfolgen darf. Dem Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung solle hierdurch ein besonderer Schutz zu Teil werden. Für Durchsuchungen, die - wie hier - in den Schutzbereich des Art. 13 GG nicht eingreifen, muss es dagegen auch nach dieser Meinung beim Charakter der §§ 106, 107 StPO als Ordnungsvorschriften bleiben. In das Wohnungsgrundrecht des Beschuldigten oder seiner Arbeitgeberin, deren Geschäftsräume nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ebenfalls dem Schutz des Art. 13 GG unterliegen (z.B. BVerfGE 32, 54, 69ff; 76, 83, 88), wird durch die angeordnete Ermittlungsmaßnahme nicht eingegriffen, und zwar unabhängig davon, wo sich der zu durchsuchende PC befindet. Der Zugriff auf PC-Daten, die von außen "online" abgerufen werden, beeinträchtigt die geschützte Sphäre einer Wohnung als privater Rückzugsraum nicht (ebenso Umbach/Clemens/Cassardt, Grundgesetz, Art. 13 Rdnr. 43; Hofmann aaO). Die Durchsuchung in dem oben dargelegten Sinn beschränkt sich rechtlich und tatsächlich ausschließlich auf eine dem Beschuldigten "gehörende" Sache. Der Raum, in welchem sich der Computer befindet, bleibt unangetastet; er wird weder betreten noch besichtigt oder akustisch überwacht, noch weniger wird in ihm nach weiteren Beweismitteln gesucht. Mittelbar berührt ist das Grundrecht des Art. 13 GG lediglich insofern, als sich die zu durchsuchende Sache in einer Räumlichkeit befindet, die unter den - engeren oder weiteren - Begriff der Wohnung i.S.d. Art. 13 GG fällt. Dementsprechend wird mit dem vorliegenden Beschluss nicht die Durchsuchung der Wohnung oder eines Arbeitsraumes des Beschuldigten, sondern einzig diejenige seines Computers mittels eines - von außerhalb des betreffenden Gebäudes erfolgenden - elektronischen Zugriffs angeordnet.

cc) Im Übrigen kann den Vorschriften zur Art und Weise der Durchsuchung auch beim heimlichen Zugriff auf PC-Daten des Beschuldigten entsprochen werden. Die Wendung "wenn möglich" im Zusammenhang des § 106 Abs. 1 StPO zeigt, dass die Zuziehung des Inhabers des zu durchsuchenden Gegenstandes oder einer ihm nahe stehenden Person nicht zwingend erforderlich ist. Eine schriftliche Mitteilung über den Grund der Durchsuchung "nach deren Beendigung" kann dem Beschuldigten "auf Verlangen" auch noch nach dem Übergang der Ermittlungen in die offene Phase gemacht werden, ohne seine Rechtsschutzmöglichkeiten im Ergebnis zu verkürzen (§ 107 Satz 1 StPO). Gleiches gilt für die Übergabe eines Verzeichnisses der beschlagnahmten Gegenstände (§ 107 Satz 2 StPO).

dd) Die Heimlichkeit der Ermittlungsmaßnahme führt nicht dazu, dass weitere Grundrechtspositionen des Beschuldigten berührt werden und eine spezielle gesetzliche Ermächtigungsgrundlage erforderlich wird.

Im vorliegenden Fall bleibt es beim Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG ; vgl. dazu insbesondere BVerfGE 65, 1 [Volkszählungsurteil] und BVerfG, NJW 2005, 1917 = StV 2005, 363 = EuGRZ 2005, 413), unabhängig davon ob die PC-Durchsuchung offen oder verdeckt vonstatten geht. Ein aktueller Datenbestand könnte grundsätzlich auch mit einer offenen Durchsuchung durchgesehen und gesichert werden. Ein Mehr an Erkenntnissen oder eine ungewollte Selbstbelastung des Beschuldigten ist weder das Ziel noch die Folge der angeordneten Maßnahme. Es ist zwar nicht zu leugnen, dass die Heimlichkeit eine größere Eingriffsintensität bewirkt und der Betroffene auch an der umgehenden Wahrnehmung seiner Rechtsschutzgarantien (Art. 19 Abs. 4 GG) gehindert ist. Diese Nachteile werden jedoch durch konkrete richterliche Anordnungen zum Schutz nicht verfahrensrelevanter Daten, durch erhöhte Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme sowie durch die Gewährung nachträglichen Rechtsschutzes aufgewogen.

ee) Nicht betroffen ist hingegen der Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 Abs. 1 GG). Vielmehr werden "statische" Daten gesichert, die im Herrschaftsbereich des Betroffenen gespeichert sind. Der durch Art. 10 Abs. 1 GG geschützte Vorgang persönlicher - privater, beruflicher oder geschäftlicher - Kommunikation wird durch die angeordnete Maßnahme in keiner Weise berührt. Insofern unterscheidet sich die vorliegende Fallgestaltung wesentlich von dem Zugriff auf die in einer "Mailbox" vorübergehend und als Teil des noch nicht beendeten Kommunikationsprozesses gespeicherten Daten, wie sie der Entscheidung des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes vom 31. Juli 1995 (3 BGs 625/95, NStZ 1997, 247 = NJW 1997, 1934 = StV 1997, 398) zu Grunde lag. Dort kam als Eingriffsnorm lediglich § 100a StPO in Betracht, und der sachlichen Nähe zur Durchsuchung war durch die Beschränkung der Maßnahme auf einen nur einmaligen Zugriff Rechnung zu tragen. Diesen Gesichtspunkt hat der Generalbundesanwalt für den vorliegenden Fall dadurch berücksichtigt, dass er bereits in der Begründung seines Durchsuchungsantrages zur Klarstellung darauf hingewiesen hat, er beabsichtige nur den einmaligen Online-Zugriff auf den Computer des Beschuldigten.

Die Übertragung der elektronisch gespeicherten Daten an die Ermittlungsbehörden über einen Online-Zugriff auf den PC des Beschuldigten, wenn dieser gerade das Internet nutzt, stellt nach dem vorstehend Ausgeführten ebenfalls keinen durch Art. 10 Abs. 1 GG geschützten Telekommunikationsvorgang dar. Allerdings meint der Generalbundesanwalt, der Online-Zugriff auf den PC des Beschuldigten weise eine Ähnlichkeit zur Telekommunikationsüberwachung nach § 100a StPO auf. Er ist deshalb der Auffassung, dass der Schutzgedanke des Art. 10 Abs. 1 GG bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung Berücksichtigung finden muss. Ob dieses Verständnis des Begriffs der Telekommunikation zutrifft, bedarf keiner Entscheidung; denn jedenfalls wird die angeordnete Maßnahme auch bei Berücksichtigung des Rechtsgutes des Art. 10 GG dem Verhältnismäßigkeitsgebot gerecht.

ee) Derart gesteigerten Anforderungen an heimliche Ermittlungsmaßnahmen, die auch der Bundesgerichtshof in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat (BGHSt (GSSt) 42, 139, 157), wird im vorliegenden Fall Rechnung getragen.

(1) Die Anordnung ist zur Erforschung des Sachverhalts geeignet und erforderlich. Der Einsatz anderer Ermittlungsmethoden wäre erheblich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich erschwert (Subsidiaritätsprinzip) [...]

(2) Die Ermittlungsmaßnahme ist verhältnismäßig im engeren Sinn.

Bei den verfahrensgegenständlichen Delikten nach §§ 93, 98, 99 StGB handelt es sich schon abstrakt um Straftaten von erheblicher Bedeutung, wie ihre Aufnahme in die Kataloge nach §§ 98a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 100a Satz 1 Nr. 1a, 100c Abs. 2 Nr. 1a, 110a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO zeigt. Aber auch konkret wird dem Beschuldigten ein schwerwiegender Tatvorwurf gemacht. [...] Das Gewicht der zu ermittelnden Straftaten und damit verbunden das staatliche Aufklärungsinteresse überwiegen die Interessen des Beschuldigten an der Geheimhaltung seiner elektronischen Daten bei weitem. Unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens ist überdies zu bedenken, dass die Offenlegung der Ermittlungen zum jetzigen Zeitpunkt eine erhebliche Belastung für den Beschuldigten bedeuten würde. Sein Arbeitgeber und seine Kollegen würden unweigerlich von dem gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren Kenntnis erlangen. Die Berücksichtigung des Schutzgedankens von Art. 10 Abs. 1 GG führt in der Abwägung zu keinem anderen Ergebnis. Unter den gegebenen Umständen wäre eine ähnliche Anordnung auch nach § 100a StPO zulässig.

Effektiver Rechtsschutz für den betroffenen Beschuldigten ist gewährleistet (Art. 19 Abs. 4 GG). Der Eingriff unterliegt dem Richtervorbehalt (§ 105 Abs. 1 Satz 1 StPO) unter einer verschärften Verhältnismäßigkeitsprüfung. Dem Gebot der Verhältnismäßigkeit wird auf der Eingriffseite dadurch Rechnung getragen, dass die Beeinträchtigung grundgesetzlicher und einfachrechtlicher Rechtspositionen des Beschuldigten auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt wird. Dies wird zum einen bereits im Entscheidungssatz sichergestellt durch die ausdrückliche Anordnung, dass nicht verfahrensrechtliche Daten, deren Kopieren aus technischen und zeitlichen Gründen zunächst unvermeidbar ist, nach der Durchsicht unverzüglich zu löschen sind; was hierunter fällt, ergibt sich im Umkehrschluss aus der in Ziffer 3 des Entscheidungssatzes enthaltenen Definition des Begriffs der verfahrensrelevanten Daten. Insoweit wirkt sich die angeordnete Online-Durchsuchung nicht stärker aus als eine vergleichbare offene Maßnahme, bei der Schriftstücke, sonstige Gegenstände oder elektronisch gespeicherte Daten durch eine überschlägige Durchsicht auf ihre Bedeutung als potentielle Beweismittel überprüft werden müssen. Zum anderen wird der notwendige und unvermeidbare Eingriff in das Grundrecht des Beschuldigten auf informationelle Selbstbestimmung dadurch minimiert, dass - worauf an dieser Stelle ausdrücklich hinzuweisen ist - die erforderliche Dokumentation der Löschung nicht verfahrensrelevanter Daten in einer Weise vorzunehmen ist, die keinerlei Rückschlüsse auf Art, Herkunft und Inhalt der gelöschten Dateien einschließlich etwaiger Programme zulässt.

Der Beschuldigte hat außerdem nach Abschluss und Offenlegung der Durchsuchung die Möglichkeit, gegen deren Anordnung Beschwerde gemäß § 304 Abs. 1 und Abs. 5 StPO einzulegen (vgl. hierzu BVerfGE 96, 27 ff.; BGHSt 44, 265, 267 f) und/oder gegen die Art und Weise ihres Vollzugs Antrag auf richterliche Entscheidung analog § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO zu stellen (BGHSt 44, 265, 268 ff; BGHSt 45, 183 ff). Der Rechtsschutz für den Betroffenen, dessen Sicherung die §§ 105 Abs. 2, 106 und 107 StPO dienen, besteht mithin auch bei verdeckter Durchführung der beantragten Maßnahme. Für die Möglichkeit der effektiven Wahrnehmung dieser Rechte sorgt die Benachrichtigungspflicht, die für andere verdeckte Ermittlungsmethoden in § 101 Abs. 1 StPO n.F. normiert ist und sich bei der vorliegenden Fallgestaltung aus einer entsprechenden Auslegung der Mitteilungsvorschriften in §§ 106 f StPO ergibt. Der Betroffene ist demnach über die Maßnahme zu informieren, sobald eine Gefährdung des Untersuchungszwecks nicht mehr zu besorgen ist. Damit wird der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Genüge getan, die den Benachrichtigungsvorschriften einen hohen Stellenwert einräumt (BVerfG, NJW 2004, S. 1015 ff.; BVerfG, NJW 2005, S. 1340).

Die Maßnahme entfaltet zwar wegen ihres Durchsuchungscharakters verjährungsunterbrechende Wirkung nach § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB. Dadurch wird die Rechtsposition des Beschuldigten aber nicht verkürzt. Dass die Unterbrechungswirkung auch ohne Kenntnis des Beschuldigten eintreten kann, ist den Fallvarianten des § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2, 5, 10 und 12 StGB zu entnehmen. Der Katalog von verjährungsunterbrechenden Maßnahmen in § 78c Abs. 1 StGB stellt auf solche Ermittlungshandlungen ab, denen nach Einschätzung des Gesetzgebers der Zweck der Verfahrensförderung zugrunde liegt. Dies allein war in § 68 StGB a.F., der Vorgängervorschrift des § 78c StGB, der Grund, bestimmten Maßnahmen der Ermittlungsbehörden verjährungsunterbrechende Wirkung zukommen zu lassen. Entscheidend ist, dass die Maßnahme in der Absicht der Verfolgung des Täters zur Aufklärung einer Straftat und zur Förderung der Strafverfolgung getroffen wird (BGHSt 26, 80, 82; LK/Jähnke, StGB, 10. Auflage 1985, § 78c Rdnr. 1). Die angeordnete Durchsuchungsmaßnahme ist bestimmt und geeignet, den Fortgang des Verfahrens zu fördern.

d) Dem den §§ 102 ff. StPO zu Grunde liegenden Schutzgedanken und insbesondere dem Zweck des Richtervorbehalts in § 105 Abs. 1 StPO (vgl. dazu BGH [Ermittlungsrichter], Beschluss vom 31. Juli 1995 - 3 BGs 625/95, aaO unter 2 b a.E.) entspricht es, dass die Anordnung nur einen einmaligen Eingriff in die Sphäre des Betroffenen erlaubt. Die Maßnahme ist beendet, sobald der komplette, auf dem PC des Beschuldigten vorhandene Datenbestand gesichert ist. Die nicht auszuschließende Möglichkeit, dass sich der Zugriff aus zwingenden technischen Gründen, auf die die Ermittlungsbehörde keinen Einfluss hat, nicht auf einen einzigen Vorgang beschränken lässt, steht deshalb der Zulässigkeit einer Fortsetzung der Maßnahme bei einer zweiten oder dritten Gelegenheit nicht entgegen. Da die Durchführung der Online-Durchsuchung von der Aufnahme und Dauer des Online-Betriebes des Computers des Beschuldigten abhängt, ist damit zu rechnen, dass unter Umständen die gespeicherten Daten nicht bereits beim ersten Zugriff vollständig kopiert werden können. Der erneute Zugriff bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit stellt sich daher - wie bei einer umfangreichen Durchsuchung herkömmlicher Art beispielsweise in den Räumen eines Unternehmens - lediglich als rechtlich unselbständige, von der richterlichen Anordnung gedeckte Fortsetzung einer begonnenen, einheitlichen Durchsuchungsaktion dar.

4) Von einer vorherigen Anhörung des Betroffenen war abzusehen, um den Zweck der Anordnung nicht zu gefährden (§ 33 Abs. 4 Satz 1 StPO).

[Anmerkung der Redaktion: Vergleiche den abweichenden Beschluss des 3. Strafsenats, StB 18/06 vom 31. Januar 2007 = BGH HRRS 2007 Nr. 197.]

HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 468

Externe Fundstellen: StV 2007, 60

Bearbeiter: Stephan Schlegel