HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

April 2024
25. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Zum Anwendungsbereich von § 315b Abs. 1 Nr. 3 und § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB in Bezug auf das Tatmittel Pkw

Anmerkung zu BGH HRRS 2023 Nr. 983

Von RA Dr. Dominik Birner, Amberg[*]

A. Einleitung

Das im Titel genannte Urteil behandelt zahlreiche Problemkreise aus dem materiellen und prozessualen Strafrecht. Der Schwerpunkt dieses Aufsatzes liegt aber auf Straftaten im Zusammenhang mit dem vom Täter geführten Pkw, genauer den §§ 315b und 244 Abs. 1 Nr. 1

Var. 2[1]. In Bezug auf § 315b werden die Problempunkte verkehrsexterner Gefahrenerfolg und Inneneingriff behandelt. In Bezug auf § 244 Abs. 1 Nr. 1 wird diskutiert, inwiefern ein Pkw ein vom Täter bei sich geführtes gefährliches Werkzeug darstellen kann.

B. Sachverhalt

In der Kurzfassung liegt dem Urteil der folgende Sachverhalt zugrunde:

Zunächst stielt der Täter R einen fremden Pkw. Anschließend fährt R mit dem Pkw in einer Innenstadt gegen die Panzerglasscheibe eines Juwelierladens, um die dortigen Wertgegenstände zu stehlen. Die Scheibe wird eingedrückt, zerbricht aber nicht. Daraufhin flüchtet R mit dem Pkw und fährt entgegen der Fahrtrichtung in eine Einbahnstraße. Dort streift R den entgegen kommenden Pkw der W.[2]

C. § 315b – gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr

I. Hinsichtlich des Rammens der Panzerglasscheibe

Der BGH diskutiert § 315b zunächst im Hinblick auf das Zufahren auf die Schaufensterscheibe. Warum in der ersten Instanz nur ein Versuch von § 315b in Betracht gezogen worden ist, bleibt offen. Die Panzerglasscheibe wurde eingedrückt, was auf eine konkrete[3] Sachschadengefahr schließen lässt. Die Versuchsprüfung in der ersten Instanz kann nur damit erklärt werden, dass ein bedeutsamer Sachschaden ausschließlich durch das von R beabsichtigte Zersplittern der Panzerglasscheibe gedroht hätte; die Grenze liegt bei diesem ungeschriebenen Merkmal bei 750 €.[4] (In Bezug auf den räumlichen Anwendungsbereich – siehe sogleich – fallen Realität und Vorstellung nicht auseinander.)

Der BGH unterstellt in dem vorliegenden Fall – ohne eine genauere sachverhaltsbezogene Begründung – die Straflosigkeit in Bezug auf den Versuch von § 315b Abs. 1 Nr. 3:

"Ein versuchter gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr[…]durch das Zufahren auf die Schaufensterscheibe scheitert daran, dass nach der Vorstellung der Angeklagten im öffentlichen Verkehrsraum noch keine zumindest abstrakte Gefahr für eines der Rechtsgüter begründet worden ist (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2011 – 4 StR 401/11, NStZ-RR 2021, 185[…]."[5]

Worauf der BGH hinaus will, verrät die am Ende des obigen Zitats genannte Entscheidung. Dieser lag der Sachverhalt zugrunde, dass der Täter auf einem Parkplatz auf 2 Personen zufuhr, die auf einer Betonstufe außerhalb des Parkplatzes saßen. Der BGH lehnte das für § 315b erforderliche Merkmal "öffentlicher Straßenverkehr" ab.[6]

1. Meinungsstand

Es handelt sich vorliegend also um die Problematik des verkehrsexternen Gefahrenerfolgs. Diese stellt sich immer dann, wenn sich das Gefährdungsobjekt zum Zeitpunkt des Eintritts der konkreten Gefahr außerhalb des Straßenverkehrsraumes befindet. Der BGH nimmt die Strafbarkeit in solchen Fällen nur an, wenn sich das Gefährdungsobjekt zunächst innerhalb des Straßenverkehrsraums befunden hat und schon dort eine abstrakte Gefahr für das Gefährdungsobjekt eingetreten ist.[7] Vom BGH werden also Gefährdungsobjekte, die sich schon vor dem Eintritt der abstrakten Gefahr außerhalb des Straßenverkehrsraums befunden haben, von vornherein aus dem Schutzbereich von § 315b ausgeklammert. Ein Teil der Literatur stimmt zu.[8]

Wenngleich nicht ausdrücklich, so differenziert der BGH zwischen 2 Flächen: der Fußgängerzone und dem Juwelierladen. Der Fußgängerverkehr ist ein Teil des Straßenverkehrs.[9] Damit handelt es sich auch bei der Fußgängerzone um einen öffentlichen Straßenverkehrsraum.[10] Hierfür sprechen bereits die Wertungen in den straßenverkehrsspezifischen Normen (vgl. § 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 StVO, § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 15 StVG).[11]

Das Gefährdungsobjekt, die Panzerglasscheibe, befand sich vorliegend außerhalb des Straßenverkehrsraums.

Die Rspr. hat anerkannt, dass auch Flächen mit bloßen Fußgängerverkehr (siehe oben) und Flächen in Gebäuden[12] zum öffentlichen Straßenverkehrsraum gerechnet werden können. Der Begriff "Verkehr" erfordert allerdings,

dass die fragliche Fläche der Ortsveränderung dient.[13] Dies ist hinsichtlich des Juwelierladens, anders als bei der Fußgängerzone, nicht gegeben.

Die h.L. widerspricht der obigen Ansicht der BGH: Auch Gefährdungsobjekte im Außenbereich sollen durch § 315b vor Gefahren aus dem Straßenverkehrsraum geschützt werden.[14]

2. Stellungnahme

Der Meinungsstreit ist zu entscheiden. Der Wortlaut in § 315b Abs. 1 schreibt jedenfalls vor, dass sich nicht der gesamte Tatablauf im Außenbereich abspielen darf.[15] Dem Wortlaut, insbesondere dem dritten Satzteil in § 315b Abs. 1 ("und dadurch[…]"), kann jedoch nicht entnommen werden, dass sich das Schutzobjekt zunächst im Straßenverkehrsraum befunden haben muss.[16] Die Formulierung "und dadurch" steht nicht für einen örtlichen, sondern für einen kausalen Zusammenhang zwischen der Sicherheitsbeeinträchtigung des Straßenverkehrs und dem Eintritt der konkreten Gefahr.[17] Auch aus der Normüberschrift lässt sich ein Ausschluss externer Gefährdungsobjekte nicht ableiten.[18] Die Normüberschrift bezieht sich auf den Eingriff, nicht auf den Gefahrenerfolg. Ein Eingriff "in" den Straßenverkehr liegt aber bereits dann vor, wenn eine Tatmodalität nach § 315b Abs. 1 Nrn. 1–3 verwirklicht wird. Im Fall von Nr. 3 muss die "Pervertierung", das heißt die Bildung eines Schädigungsvorsatzes, noch im Straßenverkehrsraum erfolgen.[19] Der Gefahrenerfolg aber kann auch ein außenstehendes Gefährdungsobjekt betreffen,[20] also aus dem Verkehr heraus wirken.[21] Außerdem ist die Überschrift zum 28. StGB-Abschnitt zu berücksichtigen. Bei § 315b handelt es sich demnach um ein "gemeingefährliches Delikt". Dies spricht dafür, die Strafbarkeit an dem Wirkungsbereich der aus dem Verkehrsraum stammenden Gefahr für die Allgemeinheit festzumachen, nicht am Straßenverkehrsraum selbst.[22]

Auffallend ist, dass in § 315c das Merkmal Sicherheitsbeeinträchtigung des Straßenverkehrs fehlt. Tatsächlich hat der Gesetzgeber dieses Merkmal aus § 315c gestrichen, um klarzustellen, dass § 315c auch Tatobjekte im Außenbereich schützt; stattdessen wurde der Wortlaut "im Straßenverkehr" eingefügt.[23] Im Umkehrschluss könnte man in Bezug auf § 315b annehmen, dass der Gesetzgeber externe Gefährdungsobjekte nicht dessen Schutzumfang unterstellen wollte. Diese Schlussfolgerung überzeugt jedoch nicht. Es handelte sich hinsichtlich § 315c eben nur um eine Klarstellung der zu diesem Zeitpunkt bereits bestehenden Rechtslage; die Änderung des Wortlauts selbst sollte keine Erweiterung der Strafbarkeit bewirken.[24] § 315b ist per se auf Außeneingriffe ausgelegt. Es war dem Gesetzgeber dort von vornherein nicht möglich, die Formulierung "im Straßenverkehr" zu wählen.[25]

In Bezug auf außenstehende Gefährdungsobjekte hat der BGH kriminalpolitischen Argumenten in einer weiteren früheren Entscheidung keine Bedeutung zugewiesen.[26] Der Gesetzgeber hat jedoch – wenngleich bei § 315c (siehe soeben) – ein "praktisches Bedürfnis" anerkannt, externe Gefährdungsobjekte in den Schutzbereich einzubeziehen.[27] Dieses Bedürfnis besteht auch in Bezug auf § 315b, was sich wie folgt begründen lässt:

- Die tatsächliche Gefährdung bleibt gleich, egal ob sich ein Gefährdungsobjekt nun außerhalb oder innerhalb des Straßenverkehrsraums befindet.[28] Speziell in Bezug auf den vorliegenden Fall lässt sich zudem anführen, dass die Scheibe ja genau die Grenze zwischen dem Straßenverkehrsraum und dem Außenbereich bildet. Hinsichtlich der Scheibe ist eine unmittelbare Gefährdungslage wie bei einem im Straßenverkehrsraum befindlichen Gefährdungsobjekt gegeben. Auf diese Besonderheit geht der BGH nicht ein.

- Der besonders hartnäckige Täter, der ein bewegliches Schutzobjekt auch über den Straßenverkehrsraum hinaus verfolgt, würde privilegiert.[29]

- Die Ansicht des BGH macht die Strafbarkeit von äußerlichen Zufälligkeiten abhängig.[30] Es kann keinen Unterschied machen, ob ein Tatobjekt wenige Meter oder sogar Zentimeter versetzt steht.[31] Es kann nicht angehen, dass dem Täter auf diese Weise ein strafbefreiender Zufall zugutekommt. Dies gilt erst recht in Bezug auf ein Delikt, bei dem zufälligerweise ausgebliebene Schäden ("Beinahe-Unfall") zu Lasten des Täters gehen.[32] Vorliegend kommt noch hinzu, dass im Straßenverkehrsraum nicht nur eine abstrakte (siehe das obige Zitat), sondern sogar eine konkrete Gefahr für Scheibe/Vitrinen entsteht und "grenzüberschreitend" einwirkt.

- Es käme zu wertungswidersprüchlichen Ergebnissen: Der Täter, der (eigentlich) die schwerwiegendere Straftat verwirklicht, würde durch den BGH am Ende bessergestellt. Zwar sind die Strafdrohungen von § 315b Abs. 1 und § 315c Abs. 1 identisch, doch nur § 315b Abs. 3 enthält eine Verweisung auf die Verbrechens-Qualifikationen in § 315 Abs. 3. Dies zeigt sich auch im gegenständlichen Fall: § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a und Buchst. b Var. 1[33] wären dem Sachverhalt nach erfüllt. Der Grundtatbestand § 315b Abs. 1 scheidet nach der Ansicht des BGH jedoch aus, so dass R demnach straflos bliebe. Wäre R hingegen ohne Schädigungsvorsatz aber infolge alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit gegen die Scheibe gefahren, so hätte er sich ohne Weiteres sich nach der leichteren Straftat § 315c Abs. 1 Nr. 1a Var. 1 strafbar gemacht.

II. Hinsichtlich der Fluchtfahrt

Der BGH weist zutreffend darauf hin, dass Verstöße im Verkehr grundsätzlich keinen Eingriff nach § 315b verwirklichen können; dies gilt auch bei groben Verkehrsverstößen wie dem vorliegenden.[34] Verkehrsteilnehmer können sich grundsätzlich nur nach der Nachbarnorm § 315c[35] (und ferner nach § 315d)[36] strafbar machen. In Bezug auf das Fahren in die Einbahnstraße in entgegengesetzter Richtung ist dieser Straftatbestand aber nicht einschlägig: dessen Abs. 1 Nr. 2f gilt nicht für Fußgängerzonen.

Eine Ausnahme von diesem Grundsatz macht der BGH aber dann, wenn der Täter seinen Verkehrsvorgang zu einem Eingriff "pervertiert". Dies wiederum setzt voraus, dass der Täter mit einem Schädigungsvorsatz handelt.[37]

Weshalb der BGH in dem vorliegenden Fall einen Inneneingriff verneint, ist nicht nachvollziehbar. In der Entscheidung selbst wird ausdrücklich angeführt, dass R Sachschäden im Rahmen seines Fahrmanövers billigend in Kauf nahm.[38] Zudem erkannte R, dass er zwischen der Fahrertür und der Hauswand nicht genügen Platz für eine Durchfahrt haben würde;[39] dies deutet sogar in die Richtung eines direkten Schädigungsvorsatzes.

Der BGH führt aus, R habe das Fahrzeug in erster Linie als Fluchtmittel verwenden wollen. Dies stünde einer "Pervertierung" seines Verkehrsvorganges zu einem Eingriff in den Straßenverkehr entgegen.[40] Dem Anschein nach verneint der BGH also die "Pervertierung" unter Verweis auf das Primärziel "Flucht" – obwohl, wie soeben ausgeführt, ein Schädigungsvorsatz zumindest in dem Zeitpunkt vorlag, in welchem R in die Einbahnstraße eingefahren ist. Möglicherweise fordert der BGH, dass der Schädigungsvorsatz ein oder das Hauptmotiv des Täters sein muss (wobei sich allerdings auch nicht ganz ausschließen lässt, dass dem BGH schlichtweg ein Fehler bei der Subsumtion unterlaufen ist.)

Richtig ist, dass in Bezug auf die Fluchtabsicht selbst keine "Pervertierung" angenommen werden kann.[41] Es kann jedoch nicht angehen, eine ",Flucht um jeden Preis‘" unter § 315b straflos zu stellen.[42] Dies gilt auch dann, wenn die Flucht das primäre Ziel des Täters ist.[43] Es muss genügen, wenn der Schädigungsvorsatz lediglich als ein Zwischenziel gebildet wird, um die Flucht zu ermöglichen oder zu erleichtern. Seitens der Literatur wird – nicht zu Unrecht – bereits das Kriterium "Schädigungsvorsatz" als zu restriktiv eingestuft.[44] Bei einer noch weitergehenden Einschränkung dieses Kriteriums würde eine Aushöhlung des Straftatbestands drohen. Die in der Praxis häufigen "Polizeifluchtfälle"[45] (der Täter fährt mit Schädigungsvorsatz

auf Polizisten zu, um zu entkommen) würden aus dem Anwendungsbereich von § 315b herausfallen.[46] Außerdem kann auf §§ 315b Abs. 3, 315 Abs. 3 Nr. 1b Var. 2 verwiesen werden. Aus der Existenz dieser Qualifikation wird deutlich: Eine Verdeckungsabsicht – wie sie bei einer Fluchtfahrt in der Regel vorliegen wird – kann einer Verwirklichung des Grundtatbestands § 315b Abs. 1 nicht entgegenstehen.

Die sonstigen Voraussetzungen von § 315b wären in Bezug auf die Fluchtfahrt erfüllt. Das von W geführte fremde Fahrzeug stellt nach der zutreffenden h.M. zwar kein taugliches Schutzobjekt dar.[47] Ein taugliches Schutzobjekt wäre aber jedenfalls in Bezug auf den Pkw der W gegeben. Der in der Entscheidung erwähnte § 142[48] würde spiegelbildlich zu § 315b ausscheiden, wenn ein Schädigungsvorsatz angenommen wird. Es wäre dann kein "Unfall im Straßenverkehr" gegeben.[49]

D. § 244 Abs. 1 Nr. 1a – Beisich-führen eines gefährlichen Werkzeugs

Der BGH nimmt in Bezug auf das Fahren gegen die Panzerglasscheibe einen versuchten Diebstahl an. Sodann prüft der BGH, ob die Qualifikation in § 244 Abs. 1 Nr. 1a verwirklicht wurde. Je nach Ansicht[50] ließe sich diese Qualifikation auch auf die Beendigungsphase, d.h. die Fluchtfahrt, anwenden.

In Bezug auf Pkws hat der BGH eine Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 bejaht, für den Fall, dass der Täter einen Pkw zum direkten Anfahren von Personen verwendet.[51] Soweit ersichtlich zum ersten Mal sieht sich der BGH vorliegend aber mit der Frage konfrontiert, ob ein vom Täter geführter Pkw ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 244 Abs. 1 Nr. 1a darstellen kann. Bei dieser Vorschrift kommt es nicht wie bei § 224 Abs. 1 Nr. 2 auf eine Verwendung des Werkzeugs an; der Täter muss dieses lediglich bei sich führen.[52]

Dementsprechend schwierig und umstritten ist die Definition des bei sich geführten gefährlichen Werkzeugs.

Der BGH stellt vorliegend überzeugend darauf ab, dass die Definition nicht an dem subjektiven Verwendungswillen des Täters ausgerichtet werden kann.[53] Dies ergibt sich im Rahmen einer Kontrastierung mit der Nachbarvorschrift § 244 Abs. 1 Nr. 1b, wo die subjektive Zwecksetzung eine Tatbestandsvoraussetzung ist.[54] Damit stellt der BGH auch indirekt klar, dass auch das Merkmal Schädigungsvorsatz im Sinne von § 315b nicht auf § 244 Abs. 1 Nr. 1a Var. 2 übertragen werden kann.

Der BGH formuliert sodann – scheinbar folgerichtig – eine Anforderung, die auf das Gegenteil einer subjektiven Pervertierung abzielt: Es sei die "objektive Bestimmung und die Beschaffenheit des jeweiligen Gegenstands in den Blick zu nehmen." Demnach scheide ein Pkw als gefährliches Werkzeug aus:

"Denn ein Pkw ist trotz der von ihm ausgehenden erheblichen Bewegungsenergie bei objektiver Betrachtung kein Gegenstand, der dazu bestimmt ist, eine Kraft gegen ein anderes Objekt zu entfalten oder zu verstärken. Er unterscheidet sich dadurch von alltäglichen Werkzeugen wie etwa einem Hammer oder einem Schraubendreher, die schon bei bestimmungsgemäßer Verwendung diesen Zweck haben und sich ohne weitreichende Veränderung der vorgesehenen Einsatzform (Schlagen, auf einen Punkt konzentrierte Druckausübung etc.) verbotenen Waffen ähnlich gegen Menschen einsetzen lassen."[55]

Der BGH hat an anderer Stelle, bei § 113 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, das bei sich geführte gefährliche Werkzeug in Bezug auf einen Pkw tendenziell bejaht.[56] Allerdings fand in diesem Fall ein direktes Zufahren auf Polizisten statt. Einen Verwendungstatbestand enthält § 113 nicht, so dass die Subsumtion nur unter das Beisichführen erfolgen konnte.

Soweit ersichtlich wird der obige Ansatz in der vorliegenden Entscheidung zu ersten Mal (oder jedenfalls in dieser Deutlichkeit) formuliert.[57] Einiges spricht für diesen Ansatz: In seiner Bestimmtheit übertrifft er die meisten sonst in der Rspr. und Literatur vorbrachten Kriterien. Bei Alltagsgegenständen ist in der Regel erkennbar, ob diese einer Kraftentfaltung oder -verstärkung gegenüber anderen Objekten dienen. Die obige Definition des BGH steht außerdem in Einklang mit der Definition der ebenfalls in der Vorschrift genannten "Waffe"; diesbezüglich ist nach der h.M. die Bestimmung des Gegenstands erforderlich, Menschen zu verletzten.[58]

Und trotzdem wird man dem Ansatz nicht folgen können. Er führt zu wertungswidersprüchlichen Ergebnissen. Um

bei den Fahrzeugen zu bleiben: Nach der obigen Definition das BGH würde ein kleines Boxauto (auch bekannt als "Autoscooter") auf dem Jahrmarkt die Kriterien für ein gefährliches Werkzeug erfüllen, ist es doch zum Rammen Anderer gedacht ­– nicht hingegen ein mit weitaus größerer Bewegungsenergie ausgestatteter Lkw. Solche Widersprüche lassen sich auch in Bezug auf andere Gegenstände finden. Ein Zahnstocher etwa dient der konzentrierten Druckausübung,[59] eine spitz zulaufende Zaunlatte hingegen nicht. Freilich könnte man mit letztgenannter ungleich schwerere Verletzungen zufügen.

Besser vertretbar ist das an früherer Stelle in der Entscheidung erwähnte übergeordnete Kriterium, dass der Gegenstand eine objektive Waffenähnlichkeit aufweisen muss. Von dem Gegenstand muss demnach eine abstrakte Gefahr ausgehen, die der abstrakten Gefahr einer Waffe im technischen Sinne gleichkommt.[60] Vom BGH wird dieses Kriterium in der gegenständlichen Entscheidung nicht weiterverfolgt.[61] In Bezug auf Pkws ist es meines Erachtens jedoch erfüllt: Im Waffengesetz wird die Gefährlichkeit von Schusswaffen im Hinblick darauf festgelegt, welche Bewegungsenergie deren Projektilen zukommt (vgl. z.B. § 12 Abs. 4 Nr. 1a, § 24 Abs. 2, Anlage 1 Nr. 1.2.3. WaffG). Der BGH selbst erkennt in dem obigen Zitat an, dass ein Pkw über eine erhebliche Bewegungsenergie verfügt. Soweit ich dies abschätzen kann, sind von den Gegenständen, die nicht unter die technischen Waffen fallen, Pkws diejenigen mit der größtmöglichen Bewegungsenergie überhaupt.

Allerdings ist im Hinblick auf die hohe Strafdrohung des § 244[62] eine weitere Einschränkung des Merkmals "gefährliches Werkzeug" erforderlich. Am ehesten überzeugt insoweit der in der Literatur vertretene situationsbezogene Ansatz. Ein gefährliches Werkzeug liegt demnach vor, wenn die äußere Tatsituation keinen anderen Schluss zulässt, als dass der Gegenstand als Waffenersatz dienen soll.[63] Sozial- und deliktstypische Gegenstände scheiden hierbei in der Regel aus.[64]

Dem Pkw kommen vorliegend zwei erkennbare Funktionen zu. Zum einen dient der Pkw dazu, den Gewahrsamsbruch zu ermöglichen. Hierbei handelt es sich um eine für den Diebstahl/Raub deliktstypische Funktion.[65] Insofern macht das Mitführen eines Pkw vorliegend bei objektiver Betrachtung auch "Sinn" – immerhin muss eine widerstandsfähige Panzerglasscheibe durchbrochen werden. Zum anderen dient der Pkw erkennbar der Flucht. Auch dieser Zweck ist als deliktstypisch anzusehen. Ein Einsatz des Pkw gegen Personen drängt sich vorliegend nicht auf.

Ein anderes Ergebnis wäre sicherlich ebenso vertretbar – nicht zuletzt, weil auch die abstrakt-konkrete Sicherweise keine Trennschärfe besitzt.[66]


* Der Verfasser hat an der Universität am Lehrstuhl für Strafrecht und Kriminologie von Prof. Dr. Henning Ernst Müller zum Straftatbestand § 315b promoviert. Seitdem ist der Verfasser als Rechtsanwalt angestellt bei Dr. Wilfurth Rechtsanwälte in Amberg.

[1] §§ ohne Gesetzesbezeichnung sind solche des StGB.

[2] BGH Urt. v. 22.6.2023 – 4 StR 481/22, HRRS 2023 Nr. 983, Rn. 3–7.

[3] Allg. anerkannte Voraussetzung: BGH Beschl. v. 4.9.1995 – 4 StR 471/95, NZV 1996, 37 (37); Geppert Jura 1996, 639 (641); König in LK, 13. Aufl. 2020, § 315b Rn. 63.

[4] BGH Beschl. v. 29.4.2008 – 4 StR 617/07, HRRS 2008 Nr. 610 m.w.N.

[5] BGH Urt. v. 22.6.2023 – 4 StR 481/22, HRRS 2023 Nr. 983, Rn. 28.

[6] BGH, Beschl. v. 5.10.2011 – 4 StR 401/11, NStZ-RR 2021, 185.

[7] BGH, Beschl. v. 8.6.2004 – 4 StR 160/04, HRRS 2004 Nr. 670, Rn. 7; BGH Beschl. v. 5.10.2014 – 4 StR 401/11, HRRS 2012 Nr. 75, Rn. 5; zusammenfassend zu diesen Entscheidungen Tauber Konkrete Gefährdungen außerhalb des Straßenverkehrs (2017), S. 225–227.

[8] Pegel in MüKo StGB, 4. Aufl. 2022, § 315b Rn. 12, der den vorliegenden Sachverhalt schon im Jahr 2014 "prophezeit" hat (2. Aufl. 2014, Rn. 12); Fischer StGB, 70. Aufl. 2023, § 315b Rn. 3.

[9] König in LK, 13. Aufl. 2020, § 315b Rn. 5.

[10] BayObLG Beschl. v. 9.10.1985 – 3 Ob OWi 71/85, VRS 70, 53 (54); Geppert Jura 1996, 639 (640); König in LK, 13. Aufl. 2020, § 315b Rn. 5; Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023 , § 2 StVO Rn. 30.

[11] Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023 , § 2 StVO Rn. 30.

[12] Bezüglich Parkhaus: OLG Stuttgart, 27.4.1979 – 3 Ss (8) 184/79, NJW 1980, 68; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.05.1982 – 5 Ss 206/82 – 162/81 I, ZfS 1982, 316; Hörtz Die Gefährdung von Tatbeteiligten im Anwendungsbereich der §§ 315b, 315c StGB (2016), S. 12; König in LK, 13. Aufl. 2020, 315b Rn. 7.

[13] Fabricius GA 1994, 164 (170); Landsberg NStZ 1983, 223; Obermann Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr (2005), S. 195.

[14] Hörtz Die Gefährdung von Tatbeteiligten im Anwendungsbereich der §§ 315b, 315c StGB (2016), S. 14f.; Barnikel in MüKo StGB, 1. Aufl. 2006, § 315b Rn. 12; König in LK, 13. Aufl. 2020, 315b Rn. 61; Obermann Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr (2005), S. 185f.; Wolters in SK-StGB, 10. Aufl. 2023, § 315b Rn. 22; Geppert DAR 2012, 372 (374f.); Tauber Konkrete Gefährdungen außerhalb des Straßenverkehrs (2017), S. 232f.; tendenziell auch Zieschang in NK-StGB, 6. Aufl. 2023, § 315b Rn. 28 a.E.

[15] Obermann Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr (2005), S. 186f.; König in LK, 13. Aufl. 2020, § 315b Rn. 9; Horn/Hoyer JZ 1987, 965 (967); Tauber Konkrete Gefährdungen außerhalb des Straßenverkehrs (2017) , S. 139.

[16] Tauber Konkrete Gefährdungen außerhalb des Straßenverkehrs (2017), S. 210, 213 a.E., 214.

[17] Tauber Konkrete Gefährdungen außerhalb des Straßenverkehrs (2017) , S. 214.

[18] So aber Pegel in MüKo StGB, 4. Aufl. 2022, § 315b Rn. 12; Joecks/Jäger StGB, 13. Aufl. 2021, § 315b Rn. 17.

[19] Tauber Konkrete Gefährdungen außerhalb des Straßenverkehrs (2017), Fn. 832.

[20] Anschaulich Tauber Konkrete Gefährdungen außerhalb des Straßenverkehrs (2017) , Fn. 823 und S. 222.

[21] Tauber Konkrete Gefährdungen außerhalb des Straßenverkehrs (2017) , S. 214, 219; a.A. Joecks/Jäger StGB, 13. Aufl. 2021, § 315b Rn. 17; Pegel in MüKo StGB, 4. Aufl. 2022 , § 315b Rn. 12.

[22] Tauber Konkrete Gefährdungen außerhalb des Straßenverkehrs (2017), S. 255.

[23] BT-Drs. IV/651, S. 28 re.Sp.; Obermann Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr (2005), S. 185.

[24] BT-Drs. IV/651, S. 28 re.Sp.; Obermann Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr (2005), S. 185; Tauber Konkrete Gefährdungen außerhalb des Straßenverkehrs (2017), S. 232f.

[25] Tauber Konkrete Gefährdungen außerhalb des Straßenverkehrs (2017), S. 232 a.E., 233; König in LK, 13. Aufl. 2020, § 315b Rn. 61.

[26] BGH, Beschl. v. 08.06.2004 – 4 StR 160/04, HRRS 2004 Nr. 670, Rn. 7.

[27] BT-Drs. IV/651, S. 28 re.Sp.

[28] Obermann Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr (2005), S. 184; Tauber Konkrete Gefährdungen außerhalb des Straßenverkehrs (2017), S. 244.

[29] Landsberg NStZ 1983, 223; Tauber Konkrete Gefährdungen außerhalb des Straßenverkehrs (2017), S. 246.

[30] Hörtz Die Gefährdung von Tatbeteiligten im Anwendungsbereich der §§ 315b, 315c StGB (2016), S. 15; König in LK, 13. Aufl. 2020, § 315b Rn. 61; Landsberg NStZ 1983, 223; Tauber Konkrete Gefährdungen außerhalb des Straßenverkehrs (2017) , S. 231.

[31] Hörtz Die Gefährdung von Tatbeteiligten im Anwendungsbereich der §§ 315b, 315c StGB (2016), S. 15; König in LK, 13. Aufl. 2020, § 315b Rn. 61; Obermann Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr (2005), S. 184 a.E., 185.

[32] Zur Def. der konkreten Gefahr siehe nur Fischer StGB, 70. Aufl. 2023, § 315b Rn. 18 mit Verw. auf § 315 Rn. 15 m.w.N.

[33] Diese Qualifikation taucht sonst allenfalls bei gestellten Unfällen zur Vorbereitung eines Versicherungsbetrugs auf (König in LK, 13. Aufl. 2020, § 315b Rn. 90).

[34] Vgl. BGH Urt. v. 22.6.2023 – 4 StR 481/22, HRRS 2023 Nr. 983, Rn. 28.

[35] Allg. Meinung, siehe nur Fischer StGB, 70. Aufl. 2023, § 315b Rn. 9; König in LK, 13. Aufl. 2020, § 315b Rn. 11.

[36] Birner Die "verkehrsspezifische Gefahr" nach § 315b (2023), S. 23f.

[37] Grundlegend BGH Beschl. v. 20.02.2003 – 4 StR 228/02, BGHSt 48, 233 (237) m.w.N.

[38] BGH Urt. v. 22.06.2023 – 4 StR 481/22, HRRS 2023 Nr. 983, Rn. 7.

[39] BGH Urt. v. 22.06.2023 – 4 StR 481/22, HRRS 2023 Nr. 983, Rn. 7.

[40] BGH Urt. v. 22.06.2023 – 4 StR 481/22, HRRS 2023 Nr. 983, Rn. 32.

[41] Hecker in Schönke/Schröder, 30. Aufl. 2019, § 315b Rn. 10; König in LK, 13. Aufl. 2020, § 315b Rn. 47.

[42] Tauber Konkrete Gefährdungen außerhalb des Straßenverkehrs (2017) , S. 167.

[43] Tauber Konkrete Gefährdungen außerhalb des Straßenverkehrs (2017), S. 164, 167.

[44] Hecker in Schönke/Schröder, 30. Aufl. 2019, § 315b Rn. 45; König in LK, 13. Aufl. 2020, § 315b Rn. 12a.

[45] Dazu Tauber Konkrete Gefährdungen außerhalb des Straßenverkehrs (2017), S. 164 ; Dencker in FS-Nehm (2006), S. 385.

[46] Tauber Konkrete Gefährdungen außerhalb des Straßenverkehrs (2017), S. 164.

[47] Siehe z.B. BGH Urt. v. 16.01.1992 – 4 StR 509/91, NStZ 1992, 233 (233f.); Fischer StGB, 70. Aufl. 2023, § 315b Rn. 16a a.E. mit Verw. auf § 315 Rn. 17; Ranft Jura 1987, 608 (615f.).

[48] BGH Urt. v. 22.06.2023 – 4 StR 481/22, HRRS 2023 Nr. 983, Rn. 29.

[49] Ausführlich Müller/Kraus NZV 2003, 559.

[50] Dafür z.B.: BGH Urt. v. 6.4.1965 – 1 StR 73/65, NJW 1965, 1235; Bosch in Schönke/Schröder, 30. Aufl. 2019, § 244 Rn. 7. Dagegen z.B.: Schmitz in MüKo StGB, 4. Aufl. 2021, § 244 Rn. 26.

[51] Zuletzt BGH Beschl. v. 21.11.2017 – 4 StR 488/17, HRRS 2018, Nr. 63; BGH Beschl. v. 14.7.2020 – 4 StR 194/20, HRRS, Nr. 999.

[52] BGH Urt. vom 22.06.2023 – 4 StR 481/22, HRRS 2023 Nr. 983, Rn. 19.

[53] BGH Urt. vom 22.06.2023 – 4 StR 481/22, HRRS 2023 Nr. 983, Rn. 19 m.w.N.

[54] BGH Urt. vom 22.6.2023 – 4 StR 481/22, HRRS 2023 Nr. 983, Rn. 19.

[55] BGH Urt. v. 22.6.2023 – 4 StR 481/22, HRRS 2023 Nr. 983, Rn. 20.

[56] BGH Beschl. v. 30.6.2015 – 4 StR 188/15, HRRS 2015 Nr. 806, Rn. 13 (zu § 113 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1).

[57] Weniger deutlich BGH Beschl. v. 3.6.2008 – 3 StR 246/07, HRRS 2008 Nr. 648, Rn. 38.

[58] Siehe nur Bosch in Schönke/Schröder, 30. Aufl. 2019, § 244 Rn. 3.

[59] Siehe das obige Zitat.

[60] BGH Urt. v. 22.6.2023 – 4 StR 481/22, HRRS 2023 Nr. 983, Rn. 19; so auch ein Großteil in der Literatur, z.B. Wittig in BeckOK StGB, 58. Ed. 1.8.2023, § 244 Rn. 8; Schmitz in MüKo StGB, 4. Aufl. 2021, § 244 Rn. 14; Wittig in BeckOK StGB, 58. Ed. 1.8.2023, § 244 Rn. 6–8.2.

[61] Vgl. BGH Urt. v. 22.6.2023 – 4 StR 481/22, HRRS 2023 Nr. 983, Rn. 19.

[62] Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren.

[63] Schmitz in MüKo StGB, 4. Aufl. 2021, § 244 Rn. 17; Bosch in Schönke/Schröder, 30. Aufl. 2019, § 244 Rn. 5a; Schlothauer/Sättele StV 1998, 505 (508).

[64] Jäger JuS 2000, 651 (654); Schmitz in M üKo StGB, 4. Aufl. 2021, § 244 Rn. 19.

[65] Bosch in Schönke/Schröder, 30. Aufl. 2019, § 244 Rn. 5a; a.A. offensichtlich der BGH in der vorliegenden Entscheidung, a.a.O. Rn. 19.

[66] So auch Wittig in BeckOK StGB, 58. Ed. 1.8.2023, § 244 Rn. 8; Wessels/Hillenkamp/Schuhr StGB BT 2, 46. Aufl. 2023, Rn. 285f.