HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

März 2024
25. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

248. BGH 1 StR 447/23 – Beschluss vom 11. Januar 2024 (LG Aachen)

Vorenthalten und Veruntreuen von Sozialversicherungsbeiträgen (Beiträge zur Berufsgenossenschaft als Arbeitsgeberbeiträge zur Sozialversicherung).

§ 266a Abs. 2 StGB, § 150 Abs. 1 Satz 1 SGB VII

Werden Beiträge zur Berufsgenossenschaft nicht ordnungsgemäß abgeführt, erfüllt das nicht der Tatbestand des Betruges, sondern der des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt (§ 266a Abs. 2 StGB). Insoweit handelt es um von dem Arbeitgeber nach dem Gesetz (§ 150 Abs. 1 Satz 1 SGB VII) geschuldete Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung und damit um Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung.


Entscheidung

308. BGH 3 StR 424/23 – Beschluss vom 19. Dezember 2023 (LG Krefeld)

Einheitsjugendstrafe (Gefahr der Doppelbestrafung durch Einbeziehung früherer, bereits in ein anderes Urteil eingeflossener Entscheidungen); Nebenfolgen (unzulässiger Vorbehalt in Urteilsformel); nachträgliche Gesamtstrafenbildung.

§ 31 JGG; § 66 JGG; § 55 StGB

1. Ebenso wie im Erwachsenenstrafrecht Strafen nicht mehr in eine Gesamtstrafe einbezogen werden dürfen, wenn sie bereits zur Bildung einer anderen noch nicht rechtskräftigen Gesamtstrafe gedient haben, ist im Jugendstrafrecht die Einbeziehung früherer, bereits in ein anderes, noch nicht rechtskräftiges Urteil eingeflossener Entscheidungen ausgeschlossen. Eine nachträgliche Entscheidung nach § 66 JGG ist nicht geeignet, der Gefahr einer Doppelbestrafung sicher zu begegnen.

2. Die Prüfung, ob eine Erledigung eingetreten ist, ist Sache des Tatgerichts und kann nicht dem Vollstreckungsorgan überlassen werden. Eine in der Urteilsformel angeordnete Aufrechterhaltung der Sperrfrist und Einziehungsentscheidung unter dem Vorbehalt, dass sie nicht erledigt sind, ist unzulässig.


Entscheidung

258. BGH 2 StR 323/23 – Beschluss vom 21. November 2023 (LG Marburg)

Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (bandenmäßige Begehung: Bande, Mitglied einer Bande, Bandenabrede, selbstständige Geschäftspartner, andauernde Geschäftsbeziehung, Geschäfte „auf Kommission“, Einbindung in die Absatzorganisation, Verkauf auf eigenes Risiko, Beweiswürdigung).

§ 30a BtMG; § 261 StPO

1. Die bandenmäßige Begehung des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 30a Abs. 1 BtMG setzt den Zusammenschluss von mindestens drei Personen voraus, die sich mit dem Willen verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbstständige, im Einzelnen noch ungewisse Betäubungsmitteldelikte zu begehen. Ob ein am Betäubungsmittelhandel Beteiligter Mitglied einer Bande ist, bestimmt sich allein nach der deliktischen Vereinbarung in Form einer Bandenabrede. Kein Bandenhandel liegt vor, wenn sich die Beteiligten eines Betäubungsmittelgeschäftes auf der Verkäufer- und der Erwerberseite als selbstständige Geschäftspartner gegenüberstehen. Das gilt auch dann, wenn es sich um eine andauernde Geschäftsbeziehung und ein eingespieltes Bezugs- und Absatzsystem handelt.

2. Die vorstehenden Maßstäbe sollen grundsätzlich auch bei Geschäften „auf Kommission“ Anwendung finden. Kauft ein am Betäubungsmittelhandel Beteiligter allerdings Betäubungsmittel „auf Kommission“, bedarf die Annahme einer mit diesem getroffenen Bandenabrede insoweit regelmäßig näherer Feststellungen. Dass Betäubungsmittel „auf Kommission“ bezogen werden, wird nämlich isoliert betrachtet häufig auf die Stellung eines selbstständigen, eigene Interessen verfolgenden Geschäftspartners hindeuten. Darin kann aber auch lediglich die verdeckende Umschreibung dafür zu sehen sein, dass der „auf Kommission“ erwerbende Beteiligte in unselbstständiger Weise als verlängerter Arm seines Lieferanten anzusehen ist.

3. Ob eine Person, die regelmäßig von einem bestimmten Verkäufer Betäubungsmittel „auf Kommission“ zum Zwecke des gewinnbringenden Weiterverkaufs bezieht, in die Absatzorganisation des Verkäufers eingebunden ist oder ob sie diesem stattdessen als selbstständiger Geschäftspartner gegenüber steht, beurteilt sich wesentlich nach der getroffenen Risikoverteilung. Von einer Einbindung in die Absatzorganisation als verlängerter Arm des Verkäufers ist in der Regel auszugehen, wenn die Verkäuferseite dem Abnehmer die Höhe des Verkaufspreises vorgibt, Zeitpunkt und Umfang der Lieferungen der Betäubungsmittel bestimmt sowie am Gewinn und Risiko des Weiterverkaufs beteiligt ist.

4. Der Abnehmer in einem eingespielten Bezugs- und Absatzsystem, der die Betäubungsmittel zum vereinbarten Preis erwirbt und diese anschließend ausschließlich auf eigenes Risiko verkauft, ist demgegenüber regelmäßig als selbstständiger Käufer anzusehen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn er die Verkaufspreise selbst festsetzt und über die erzielten Gewinne allein disponieren kann. Für ein selbstständiges Agieren spricht auch, wenn der Abnehmer für ausbleibende Zahlungen haftbar gemacht wird.


Entscheidung

238. BGH 1 StR 263/23 – Urteil vom 14. Dezember 2023 (LG Stuttgart)


Unerlaubtes bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (minderschwerer Fall bei geringer Gefährlichkeit des mitgeführten Gegenstands; Verhältnis zum Normalfall des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge: Spezialität, Bestimmung des Strafrahmens).

§ 30a Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 BtMG; § 29a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BtMG

1. Zwar darf im Rahmen der für die Annahme eines minder schweren Falls nach § 30a Abs. 3 BtMG geforderten Gesamtwürdigung auch der minderen Gefährlichkeit der Waffe oder des sonstigen Gegenstandes Rechnung getragen werden, wobei bei der Bestimmung des Gefährlichkeitsgrads auch ein Vergleich der mitgeführten Waffe mit den ebenfalls in § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG genannten Schusswaffen anzustellen ist. Bei Schlagwaffen bedarf es dazu jedoch näheren Feststellungen zu Gewicht, Qualität und Alter sowie zu Kraft, Geschicklichkeit und Übung des Benutzers.

2. Bejaht das Gericht einen minder schweren Fall gemäß § 30a Abs. 3 BtMG mit einer Strafrahmenuntergrenze von sechs Monaten Freiheitsstrafe, so hat es zu prüfen, ob zugleich ein minder schwerer Fall des verdrängten § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG nach dessen Absatz 2 mit einer Strafrahmenuntergrenze von drei Monaten Freiheitsstrafe vorliegt. Ist dies zu verneinen, ist zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen die Strafrahmenuntergrenze des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG von einem Jahr Freiheitsstrafe maßgeblich, sodass sich in Verbindung mit der Strafrahmenobergrenze des § 30a Abs. 3 BtMG ein Strafrahmen von einem Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe ergibt.


Entscheidung

333. BGH 5 StR 339/23 – Urteil vom 17. Januar 2024 (LG Berlin)

Strafzumessung bei der Verurteilung wegen eines Betäubungsmitteldelikts (Überwachung als Strafmilderungsgrund).

§ 29 BtMG; § 46 StGB

Staatliche Überwachung von Betäubungsmittelhandel kommt regelmäßig nur dann als Strafmilderungsgrund in Betracht, wenn hierdurch eine tatsächliche Gefährdung des Rechtsguts Volksgesundheit ausgeschlossen war; Voraussetzung ist in aller Regel die Sicherstellung des Rauschgifts, während Straftäter keinen Anspruch darauf haben, dass Verfolgungsbehörden frühzeitig gegen sie einschreiten.


Entscheidung

345. BGH 5 StR 495/23 – Beschluss vom 16. Januar 2024 (LG Bremen)

Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Erforderlichkeit von Feststellungen zum Wirkstoffgehalt; Strafzumessung; In-den-Verkehr-Gelangen kein Strafschärfungsgrund).

§ 29 BtMG; § 46 StGB

1. Bei der Verurteilung wegen einer Betäubungsmittelstraftat sind regelmäßig Feststellungen zum Wirkstoffgehalt erforderlich. Auf diesen kommt es neben Art und Menge der gehandelten Betäubungsmittel nicht nur für die Bestimmung einer nicht geringen Menge, sondern auch für die Strafrahmenwahl und die Strafzumessung im engeren Sinne an, weil dadurch der Schuldumfang der Tat und die Schuld des Täters maßgeblich bestimmt werden.

2. Stehen Betäubungsmittel für eine Untersuchung nicht zur Verfügung, muss das Tatgericht die Wirkstoffmenge oder den Wirkstoffgehalt unter Berücksichtigung der anderen hinreichend sicher festgestellten Tatumstände (wie Herkunft, Preis, Aussehen, Verpackung, Beurteilung durch Tatbeteiligte, Handelsstufe), gegebenenfalls unter Berücksichtigung des Zweifelssatzes, zahlenmäßig schätzen. Eine Umschreibung in allgemeiner Form, etwa als „durchschnittliche Qualität“, reicht nicht aus.

3. Es gehört zum Normalfall des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, dass sie in den Verkehr gelangen. Diese Tatsache ist deshalb kein Strafschärfungsgrund. Im Gegenteil stellt die Sicherstellung zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmter Betäubungsmittel einen Strafmilderungsgrund dar.