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HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 934

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 243/09, Beschluss v. 22.07.2009, HRRS 2009 Nr. 934


BGH 5 StR 243/09 - Beschluss vom 22. Juli 2009 (LG Dresden)

Nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe (Zäsurwirkung; Gesamtstrafübel; besondere Umstände; Erörterungspflicht); Strafzumessung bei Mittätern (Diskrepanzen; Geständnis; Sanktionsschere).

§ 46 StGB; § 55 StGB; § 267 Abs. 3 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Nötigt die Zäsurwirkung einer einzubeziehenden Verurteilung zur Bildung mehrerer Gesamtstrafen, so muss das Gericht einen sich daraus möglicherweise für den Angeklagten ergebenden Nachteil infolge eines zu hohen Gesamtstrafübels ausgleichen.

2. Kommt eine Zäsur, die zur Bildung von zwei nachträglichen Gesamtstrafen nötigt, durch einen im Verantwortungsbereich der Justiz liegenden Umstand (etwa die ganz ungewöhnliche Dauer eines Berufungsverfahrens) zustande, während bei gewöhnlichem Lauf der Dinge keine Zäsurwirkung anzunehmen gewesen wäre, so bedarf dieser Umstand der Erörterung und Berücksichtigung bei der Bemessung der Gesamtstrafen.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 19. Dezember 2008 im Ausspruch über die beiden Gesamtstrafen gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben.

Die weitergehende Revision wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls in dreizehn Fällen und versuchten Diebstahls (Fälle II.1 bis II.14) unter Auflösung einer durch Urteil des Landgerichts Dresden vom 13. Juni 2006 gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe und Einbeziehung der dort gebildeten Einzelfreiheitsstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt, ferner wegen neun weiterer Diebstähle und eines versuchten Diebstahls (Fälle II.15 bis II.24) zu einer zweiten Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist es unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der Schuldspruch und die 24 Einzelstrafaussprüche (zwischen zehn Monaten und einem Jahr und zwei Monaten Freiheitsstrafe) begegnen - wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat - keinen sachlichrechtlichen Bedenken. Auch die erhobenen Verfahrensrügen haben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg. Lediglich ergänzend bemerkt der Senat:

a) Die gegen eine nur selektive Auswahl von Daten aus dem eingesetzten Global Positioning System (GPS) gerichtete Verfahrensrüge scheitert nach den Grundsätzen von BGHSt 49, 317, 327 f.; BVerfGE 63, 45, 69 ff. an § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO (vgl. indes zur Sache BGH, Urteil vom 18. Juni 2009 - 3 StR 89/09).

b) Soweit die Revision die fehlerhafte Behandlung zweier Beweisanträge als tatsächlich bedeutungslos beanstandet (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO), sind diese Rügen mangels Vortrags der rügebegründenden Tatsachen aus dem sachlich zugehörigen Akteninhalt, ohne dessen Kenntnis die Beanstandungen weitgehend unverständlich bleiben, unzulässig.

2. Die Gesamtstrafenaussprüche haben hingegen keinen Bestand. Es ist zu besorgen, dass das Landgericht das hohe Gesamtstrafübel nicht zureichend bedacht hat.

Die Strafkammer hat zu Recht dem Urteil des Landgerichts Dresden vom 13. Juni 2006 Zäsurwirkung zuerkannt und so zwei Gesamtfreiheitsstrafen gebildet. Nötigt aber die Zäsurwirkung einer einzubeziehenden Verurteilung zur Bildung mehrerer Gesamtstrafen, muss das Gericht einen sich daraus möglicherweise für den Angeklagten ergebenden Nachteil infolge eines zu hohen Gesamtstrafübels ausgleichen (vgl. BGHSt 41, 310, 311; 43, 216, 217; BGH NStZ-RR 2008, 234).

Diesem rechtlichen Maßstab werden die Strafzumessungserwägungen im angefochtenen Urteil nicht vollständig gerecht. Zwar hat das Landgericht die nachteilige Wirkung des Gesamtstrafübels in den Blick genommen. Von einem Ausgleich dessen hat es indes abgesehen, weil die einbezogenen Einzelfreiheitsstrafen (vier, fünf und acht Monate) "keineswegs geringfügig" waren und der Angeklagte seine Diebstahlshandlungen in den Fällen II.15 bis II.24 nur wenige Wochen nach der zäsurbedingenden Verurteilung fortgesetzt habe (UA S. 42).

Diese - im Ansatz zutreffenden - Erörterungen greifen hier zu kurz. Insbesondere auch mit Rücksicht auf einen drohenden Widerruf der Aussetzung einer beträchtlichen Reststrafe war die vom Landgericht vorgenommene Gesamtstrafenbildung noch näher zu erörtern. Die Strafkammer hat nicht erkennen lassen, dass sie sich des danach drohenden, insgesamt fast neun Jahre dauernden Freiheitsentzugs als hier bestimmenden Umstands bewusst gewesen ist. Zudem hat sie eine beträchtliche Erhöhung der jeweiligen Einsatzstrafen (jeweils ein Jahr und zwei Monate Freiheitsstrafe) bei vergleichsweise eher geringen Einzel- und Gesamtschäden (insgesamt kaum mehr als 20.000 Euro) vorgenommen. Zwei Besonderheiten kommen hinzu:

Die zur Bildung von zwei Gesamtstrafen nötigende Zäsur ist durch eine ganz ungewöhnliche Dauer eines Berufungsverfahrens vor dem Landgericht Dresden von etwa zweieinhalb Jahren zwischen der amtsgerichtlichen Verurteilung vom 24. Januar 2005 und dem Berufungsurteil hervorgerufen worden. Bei gewöhnlicher Verfahrensdauer hätte das Berufungsverfahren vor dem hier abgeurteilten ersten Einbruch (Fall II.1, 30. Dezember 2006) abgeschlossen sein müssen. Diese Besonderheit bedurfte der Erörterung und Berücksichtigung bei der Bemessung der Gesamtstrafen.

Nichts anderes gilt für den markanten Unterschied zwischen der massiven Bestrafung des Angeklagten und der überaus milden Sanktion gegen seinen an sämtlichen Taten beteiligten Mittäter, auf dessen Geständnis die Strafkammer die Überführung des Angeklagten gestützt und den es zu zwei Jahren Gesamtfreiheitsstrafe mit Bewährung verurteilt hat. Eine derart signifikante Diskrepanz der Sanktionen ist jedenfalls erörterungsbedürftig.

3. Da der Strafausspruch allein aufgrund von Begründungs- und Wertungsfehlern keinen Bestand hat, bedurfte es der Aufhebung der zugrunde liegenden Feststellungen nicht. Das neue Tatgericht ist nicht gehindert, weitergehende Feststellungen zu treffen, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.

HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 934

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2009, 367

Bearbeiter: Karsten Gaede