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HRRS-Nummer: HRRS 2004 Nr. 229

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 473/03, Beschluss v. 03.12.2003, HRRS 2004 Nr. 229


BGH 5 StR 473/03 - Beschluss vom 3. Dezember 2003 (LG Frankfurt)

Strafzumessung bei minder schwerem Fall des Totschlages (eingeschränkte Berücksichtigung von Strafschärfungsgründen bei verminderter Schuldfähigkeit; Nachtatverhalten: Vernichten von Tatspuren; Verteidigungsverhalten).

§ 46 StGB; § 213 StGB; § 21 StGB; § 49 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Handlungsmodalitäten, die weniger Ausdruck einer sich frei entfaltenden verbrecherischen Energie, sondern - wie hier - eher Anzeichen für die Stärke einer seelischen Beeinträchtigung sind, dürfen einem vermindert Schuldfähigen grundsätzlich nicht uneingeschränkt angelastet werden (vgl. BGHR StGB § 21 Strafzumessung 7, 11, 12, 14 - brutales Vorgehen des Angeklagten).

2. Das Vernichten von Tatspuren ist für die Bemessung der Schuld regelmäßig ebensowenig von Bedeutung wie die pauschale Angabe, andere hätten die dem Täter vorgeworfene Tat begangen (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Nachtatverhalten 17, 18 und Verteidigungsverhalten 10).

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 30. April 2003 nach § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen tateinheitlich begangenen zweifachen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt (§ 212, § 213 Alt. 1 StGB). Die hiergegen gerichtete, wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Revision des Angeklagten hat, wie vom Generalbundesanwalt beantragt, Erfolg.

Nach den Feststellungen der Strafkammer tötete der Angeklagte seine Lebensgefährtin und deren Bruder mit zahlreichen Messerstichen. Der Tat war eine höchst problematische Beziehung vorausgegangen, in deren Verlauf der Angeklagte sich seiner Lebensgefährtin völlig untergeordnet hatte, während sie ihn vielfach demütigte, massiv belog und hinterging. Zwei oder drei Tage vor der Tat eröffnete sie ihm, daß sie ihn nur ausgenutzt und ihr Ziel erreicht habe, ihn komplett an die Wand zu spielen. Sie und ihr ebenfalls anwesender Bruder bezeichneten den Angeklagten wiederholt als "Looser".

Als der Angeklagte am Tattag in die gemeinsame Wohnung kam, fand er seine Lebensgefährtin und deren Bruder - beide nur leicht bekleidet und Alkohol trinkend - im "Ehebett" liegend vor. Schon zuvor hatte der Angeklagte den Eindruck gehabt, daß die "Geschwister etwas miteinander hätten". Im Zuge des sich dann entwickelnden heftigen Streits, in dem die spätere Geschädigte den Angeklagten weiter demütigte, geriet der Angeklagte in hochgradig affektive Erregung und tötete sodann seine Lebensgefährtin mit 40 und deren Bruder mit 17 Messerstichen.

Insbesondere angesichts der fortlaufenden Kränkungen hat die Strafkammer rechtsfehlerfrei die Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB bejaht. Diesen Strafrahmen hat das Landgericht weiter gemäß § 21 i.V.m. § 49 StGB gemildert, da die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit aufgrund einer hochgradig affektiven Erregung in Form eines protahierten Affekts erheblich vermindert gewesen sei (UA S. 55, 64).

Bei dieser Sachlage ist es rechtsfehlerhaft, bei der konkreten Strafzumessung dem Angeklagten die "intensive und brutale Vorgehensweise" - namentlich die Vielzahl von Messerstichen gegen beide Opfer (UA S. 65) - uneingeschränkt zur Last zu legen. Die Ausführungen der Strafkammer lassen besorgen, daß sie dieser Tatmodalität ein zu großes Gewicht zu Lasten des Angeklagten zuerkannt hat. Handlungsmodalitäten, die weniger Ausdruck einer sich frei entfaltenden verbrecherischen Energie, sondern - wie hier - eher Anzeichen für die Stärke einer seelischen Beeinträchtigung sind, dürfen einem vermindert Schuldfähigen grundsätzlich nicht uneingeschränkt angelastet werden (vgl. BGHR StGB § 21 Strafzumessung 7, 11, 12, 14). Das brutale Vorgehen des Angeklagten ist nach den Feststellungen eher als Folge eines sinnlosen, zeitweise blindwütigen Ausbruchs zu begreifen und nicht als Indiz für besondere verbrecherische Energie.

Ferner hätte dem Angeklagten nicht angelastet werden dürfen, daß er "durch das Wegwerfen des Tatmessers Spuren vernichtete und durch die zunächst berichtete Legende von zwei ausländischen Tätern seine Täterschaft verdecken wollte" (UA S. 65). Das Vernichten von Tatspuren ist für die Bemessung der Schuld regelmäßig ebensowenig von Bedeutung wie die pauschale Angabe, andere hätten die dem Täter vorgeworfene Tat begangen (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Nachtatverhalten 17, 18 und Verteidigungsverhalten 10).

Das Revisionsgericht kann nicht mit letzter Sicherheit ausschließen, daß der Tatrichter ohne die fehlerhaften Erwägungen zu einer noch milderen Strafe gelangt wäre. Angesichts der bloßen Wertungsfehler bedarf es der Aufhebung von Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) nicht. Der neue Tatrichter wird die Strafzumessung auf der Grundlage der bislang rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen vorzunehmen haben, die er allenfalls durch weitere Feststellungen ergänzen darf, die den bisherigen nicht widersprechen.

Vorsorglich weist der Senat darauf hin, daß eine strafschärfende Berücksichtigung generalpräventiver Gesichtspunkte nur möglich ist, wenn eine gemeinschaftsgefährliche Zunahme solcher oder ähnlicher Straftaten, wie sie zur Aburteilung stehen, festgestellt worden ist (vgl. BGH wistra 2002, 260 m. w. N.).

HRRS-Nummer: HRRS 2004 Nr. 229

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2004, 105

Bearbeiter: Karsten Gaede