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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, StB 84/95, Beschluss v. 24.11.1995, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH StB 84/95 - Beschluss vom 24. November 1995 (Ermittlungsrichter des BGH)

BGHSt 41, 363; Beschlagnahme eines Bekennerschreibens einer terroristischen Vereinigung in den Räumen eines Presseunternehmens.

§ 94 StPO; § 97 Abs. 2 S. 3 StPO; § 97 Abs. 5 StPO; Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG; § 129a Abs. 1 Nr. 3 StGB

Leitsatz des BGH

Zur Beschlagnahme einer schriftlichen Erklärung ("Bekennerschreiben") einer terroristischen Vereinigung in den Räumen des Presseunternehmens, dem sie zum Zwecke der Veröffentlichung übersandt worden ist. (BGHSt)

Entscheidungstenor

Die Beschwerden der Betroffenen gegen den Beschluß des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 20. September 1995 - 1 BGs 968/95 - werden verworfen.

Die Beschwerdeführerinnen haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe

Die Beschuldigten K., H. und W. sind dringend verdächtig, als Mitglieder der links-terroristischen Vereinigung "Das K.O.M.I.T.E.E." einen Sprengstoffanschlag auf die leerstehende Justizvollzugsanstalt Grünau in Berlin, die damals für den Vollzug der sogenannten Abschiebehaft umgebaut wurde, verabredet und bis zu ihrer Entdeckung kurz vor der Tatausführung vorbereitet zu haben (strafbar gemäß § 129 a Abs. 1 Nr. 3, § 311 b Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 311 Abs. 1, § 30 Abs. 2 i.V.m. § 311 Abs. 1 StGB). Von Angehörigen des "K.O.M.I.T.E.E." war bereits zuvor in der Nacht zum 27. Oktober 1994 ein Sprengstoffanschlag auf eine Bundeswehrkaserne in Bad Freienwalde mit einem Sachschaden in Höhe von ca. 200.000 DM verübt worden. Die Beschuldigten sind untergetaucht; gegen sie besteht Haftbefehl.

Mit dem angefochtenen Beschluß hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs die Durchsuchung der Geschäftsräume der Redaktion der Tageszeitung zwecks Sicherstellung des Originals einer in der Ausgabe vom 18. September 1995 veröffentlichten Erklärung der terroristischen Vereinigung "Das K.O.M.I.T.E.E." sowie die Beschlagnahme dieses Schreibens angeordnet. Bei der am 29. September 1995 durchgeführten Durchsuchung wurde das Original der schriftlichen Erklärung im Schreibtisch eines Redakteurs gefunden.

Die Beschwerden, die die Herausgeberin und die Verlegerin als Betroffene dagegen eingelegt haben, dringen nicht durch.

Die Voraussetzungen für die Beschlagnahme (§ 94 StPO), aber auch für die Durchsuchung (§ 103 Abs. 1 Satz 1 StPO) sind gegeben. Insbesondere liegt die potentielle Beweisbedeutung der beschlagnahmten Schrift auf der Hand. Zutreffend hat der Ermittlungsrichter darauf verwiesen, daß auf Grund verfeinerter kriminaltechnischer Untersuchungsmethoden die Aussicht besteht, die schwerwiegenden Straftaten, die Gegenstand des Ermittlungsverfahrens sind, durch die Sicherung und Auswertung von Spuren am Originalschreiben weiter aufzuklären.

Der Beschlagnahme - und auch der Durchsuchung - steht das Beschlagnahmeverbot nach § 97 Abs. 5 Satz 1 StPO nicht entgegen. Der Ermittlungsrichter hat zu Recht einen der in § 97 Abs. 2 Satz 3 in Verbindung mit Abs. 5 Satz 2 StPO vorgesehenen Ausnahmefälle von der grundsätzlichen Beschlagnahmefreiheit des (zugesandten) Informationsmaterials im Gewahrsam von Journalisten und Redaktionen bejaht. Bei dem Original der Erklärung, die "Das K.O.M.I.T.E.E." zur Veröffentlichung übersandt hatte, handelt es sich im Sinne der im Ermittlungsverfahren maßgeblichen Verdachtsbeurteilung um einen der Beschlagnahme unterliegenden Gegenstand, der durch eine vom Ermittlungsverfahren miterfaßte Straftat "hervorgebracht" ist.

In seiner Erklärung bekennt sich "Das K.O.M.I.T.E.E." nicht nur unter Darlegung seiner mit Mitteln des "militanten Kampfes" verfolgten Ziele zu dem Sprengstoffanschlag auf die Bundeswehrkaserne und zu dem kurz vor der Tatausführung gescheiterten Anschlag auf die Justizvollzugsanstalt Grünau. Es räumt auch "Fehler" bei der Anschlagsvorbereitung ein, die dazu geführt hätten, daß Unbeteiligte in Verdacht geraten seien. Als "Fazit" wird die Selbstauflösung des "K.O.M.I.T.E.E." mitgeteilt.

Indes ist die Selbstauflösung des "K.O.M.I.T.E.E." nicht glaubhaft. Am Schluß der Erklärung heißt es:

"Unsere Entscheidung ist kein Abgesang auf militante Politikformen im Allgemeinen, sondern unsere persönliche Konsequenz aus dem Debakel. Wir finden es nach wie vor wichtig und richtig, auch mit militanten Mitteln, in die politischen und militärischen Pläne der Herrschenden einzugreifen und ihre Projekte, wo auch immer möglich, zu benennen, anzugreifen und zu verhindern. Wir freuen uns sehr über die Initiative des K:O:L:L:E:K:T:I:V's, die unser Thema aufgegriffen haben und konsequent weitertragen."

Daß allein Fehler bei der Anschlagsvorbereitung zur Selbstauflösung (und nicht nur zur Fortführung unter anderem Namen) geführt haben sollen, ist im Hinblick auf diese unveränderte Propagierung des "militanten Kampfes" unwahrscheinlich. Nach dem Gesamtzusammenhang der Äußerungen besteht vielmehr angesichts des Gewichts der die Beschuldigten belastenden Beweise und Indizien der begründete Verdacht, daß es sich bei der Abfassung der Erklärung und deren Weitergabe an die Presse um eine unter Beteiligung der Beschuldigten durchgeführte Aktion zur Täuschung der Strafverfolgungsbehörde mit dem Ziel handelt, den Tatverdacht von den Beschuldigten abzulenken. Dafür spricht auch die sachlich nicht veranlaßte, scheinbar beiläufige, in Wahrheit aber gezielte Bezeichnung des "K.O.M.I.T.E.E." als "Männercombo"; damit wird erkennbar bezweckt, die weitere in Verdacht geratene Beschuldigte Kr. zu schützen. Diese Aktion zum Schutz der Beschuldigten vor Strafverfolgung bedeutet zugleich die Betätigung der mitgliedschaftlichen Beteiligung an der terroristischen Vereinigung "Das K.O.M.I.T.E.E.". Denn sie dient letztlich der Festigung des organisatorischen Zusammenhalts der Vereinigung. Dieses nach § 129 a Abs. 1 StGB strafbare Verhalten hat sich gegenständlich in der Originalerklärung niedergeschlagen und hat sie im Sinne von § 97 Abs. 2 Satz 3 StPO "hervorgebracht". Dabei kann der Senat offenlassen, ob sogenannte terroristische Bekennerschreiben generell als Deliktsgegenstände im Sinne von § 97 Abs. 2 Satz 3 in Verbindung mit Abs. 5 Satz 2 StPO anzusehen und deswegen von der journalistischen Beschlagnahmefreiheit ausgenommen sind (so Rebmann in Festschrift für Pfeiffer, 1988, S. 225, 235 ff.; zustimmend Rudolphi in SK-StPO § 97 Rdn. 36; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 42. Aufl. § 97 Rdn. 23; Großpietsch, Das Zeugnisverweigerungsrecht von Journalisten aus Anlaß von Straftaten im Zusammenhang mit Demonstrationen, 1990, S. 71 f.; wohl zweifelnd Amelung in AK-StPO § 97 Rdn. 43; vgl. auch BVerfG NStZ 1982, 253, 254; Löffler, Presserecht 3. Aufl. § 53 StPO - § 23 LPG Rdn. 106, 107). Denn die Erklärung des "K.O.M.I.T.E.E." ist nicht wie regelmäßig bei terroristischen Bekennerschreiben darauf beschränkt, sich zu einer bestimmten Tat zu bekennen und sie gegenüber der Öffentlichkeit zu rechtfertigen, sondern sie geht nach ihrem Inhalt und nach ihrem zum Schutz der Beschuldigten angestrebten Zweck, die Strafverfolgungsbehörde zu täuschen, wesentlich darüber hinaus.

Die Anwendung der Ausnahmeregelung nach § 97 Abs. 2 Satz 3 in Verbindung mit Abs. 5 Satz 2 StPO im vorliegenden Fall steht nicht im Widerspruch zu dem aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG folgenden Sinn und Zweck des journalistischen Zeugnisverweigerungsrechts (§ 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO) und der daraus abgeleiteten Beschlagnahmefreiheit (§ 97 Abs. 5 Satz 1 StPO). Das Zeugnisverweigerungsrecht von Presseangehörigen und die entsprechende Freistellung von Beschlagnahmen sind verfassungsrechtlich nicht umfassend, sondern nur insoweit verbürgt, als dies im Interesse der Institution der Presse unumgänglich ist (BVerfG NStZ 1982, 253; vgl. auch BGHSt 28, 240, 254). Die Pressefreiheit findet ihre Grenze dort, wo sie auf andere wichtige Interessen des freiheitlich, demokratisch und rechtsstaatlich verfaßten Gemeinwesens, wie insbesondere das Interesse an der möglichst vollständigen Aufklärung und der gerechten Ahndung schwerer Straftaten, trifft (BVerfG aaO; vgl. ferner BVerfGE 32, 373, 381; 33, 367, 383; 36, 174, 186; 44, 353, 374) und die Erfüllung der publizistischen Aufgaben der Presse nicht den Vorrang gebietet (BVerfG NStZ 1982, 253). Die abwägende Beurteilung ergibt hier, daß der verfassungsrechtlich geschützte Bereich nicht berührt ist. Dabei ist neben dem Gewicht der im vorliegenden Ermittlungsverfahren aufzuklärenden Straftaten und der Beweisbedeutung des beschlagnahmten Schreibens wesentlich, daß die Verfasser der Erklärung deren Veröffentlichung gerade anstrebten. Mehr noch als bei sonst üblichen Bekennerschreiben waren sie zur Erreichung des im Sinne begründeten Verdachts anzunehmenden Ziels, die Strafverfolgungsbehörde zum Schutz der Beschuldigten zu täuschen, darauf angewiesen, daß die Erklärung der Öffentlichkeit, vor allem aber der Strafverfolgungsbehörde bekannt wurde. Unter diesen besonderen Umständen war ein im Interesse eines ungehinderten Informationsflusses durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zu schützendes Vertrauensverhältnis zwischen Presse und Informant insoweit von vornherein nicht gegeben (offen gelassen von BVerfG NStZ 1982, 253, 254 für die sonst üblichen "Bekenneranrufe" und "Bekennerschreiben"). Jedenfalls wegen der Besonderheiten des Falles ist auch die geltend gemachte Befürchtung unbegründet, daß als Folge von Durchsuchung und Beschlagnahme Informationen an die Presse aus dem terroristischen Bereich in künftigen Fällen ausbleiben werden (vgl. BVerfG NStZ 1982, 253, 254).

Aus dem Gesagten folgt zugleich, daß die richterlich angeordneten Maßnahmen nicht unverhältnismäßig sind.

Soweit sich die Beschwerdeführerinnen gegen die Sicherstellung weiterer handschriftlicher Notizen und zweier Tonbänder wenden, fehlte es im maßgeblichen Zeitpunkt der Rechtsmitteleinlegung an einer mit der Beschwerde angreifbaren richterlichen Beschlagnahmeentscheidung (vgl. BGHSt 25, 187, 189; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 42. Aufl. vor § 296 Rdn. 4).

Externe Fundstellen: BGHSt 41, 363

Bearbeiter: Rocco Beck