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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 62/94, Urteil v. 03.11.1994, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 3 StR 62/94 - Urteil vom 3. November 1994 (LG Dresden)

BGHSt 40, 307; Strafbarkeit der Wahlfälschung im Auftrag der SED-Parteiführung; Kettenanstiftung; psychische Beihilfe; mittelbare Täterschaft (Organisationsherrschaft).

§ 25 StGB; § 59 StGB; § 107a StGB; § 22 StGB-DDR; § 211 StGB-DDR; Art. 315 Abs. 1 EG-StGB; § 26 StGB; § 27 StGB

Leitsatz des BGH

Zur Verantwortung von SED-Bezirksfunktionären bei Wahlfälschungen im Auftrag der Parteiführung und zur Strafzumessung (hier: Verwarnung mit Strafvorbehalt) in diesen Fällen (im Anschluss an BGH, 3. November 1994, 3 StR 62/94, BGHSt 39, 54).

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 27. Mai 1993

a) mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte Dr. M. von dem Vorwurf freigesprochen worden ist, sich an den Wahlfälschungen B's. und des Angeklagten W. sowie an den von diesen begangenen Anstiftungen zu Wahlfälschungen beteiligt zu haben;

b) in den Schuldsprüchen im übrigen wie folgt geändert: es sind schuldig

aa) der Angeklagte Dr. M. der Anstiftung zur Wahlfälschung in vier tateinheitlich zusammentreffenden Fällen,

bb) der Angeklagte W. der Wahlfälschung, der Anstiftung zur Wahlfälschung in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen und einer weiteren Anstiftung zur Wahlfälschung,

cc) der Angeklagte N. der Anstiftung zur Wahlfälschung in zwei Fällen; c) in allen Strafaussprüchen mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht Dresden hat den Angeklagten Dr. M. wegen Anstiftung zur Wahlfälschung in drei tateinheitlichen Fällen unter Freispruch im übrigen, den Angeklagten W. wegen Wahlfälschung in Tateinheit mit Anstiftung zur Wahlfälschung in drei tateinheitlichen Fällen, den Angeklagten S. wegen Anstiftung zur Wahlfälschung unter Freispruch im übrigen sowie den Angeklagten N. wegen Anstiftung zur Wahlfälschung in zwei tateinheitlichen Fällen verwarnt (NJ 1993, 493). Die Verurteilung zu Geldstrafen hat es vorbehalten, und zwar des Angeklagten Dr. M. zu 80 Tagessätzen, des Angeklagten W. zu 70 Tagessätzen sowie der Angeklagten S. und N. zu je 50 Tagessätzen.

Die Verurteilungen betreffen Wahlfälschungen, die in einzelnen Wahlkommissionen aus Anlaß der am 7. Mai 1989 in der ehemaligen DDR abgehaltenen Wahlen zu den örtlichen Volksvertretungen im Bezirk Dresden begangen worden sind. Es handelt sich um Fälschungen bei der Ermittlung sowohl der Ergebnisse aus den Sonderwahllokalen, die für am Wahltag verhinderte Bürger bestimmt waren und am 6. Mai 1989 um 12 Uhr schlossen (UA S. 42), als auch der endgültigen Wahlergebnisse der Kreise am 7. Mai 1989 und des Bezirks am 8. Mai 1989. In den amtlichen Wahlunterlagen wurden willkürlich zu hohe Wahlbeteiligungen und willkürlich zu niedrige Gegenstimmen gegen die Einheitsliste der Nationalen Front eingetragen und zur Zentrale nach Berlin gemeldet. Damit sollte am 40. Jahrestag des Bestehens der DDR ein besonders hoher Grad der Zustimmung der Bevölkerung zum damaligen Regime vorgetäuscht werden. Die Feststellung des genauen tatsächlichen Wahlergebnisses war nicht mehr möglich, weil sämtliche Wahlunterlagen entsprechend der von der Wahlkommission der Republik unter dem 13. April 1989 an die Bezirkswahlkommissionen übermittelten Weisung Nr. 3/89 Mitte Juni 1989 vernichtet worden waren (UA S. 85).

Die Staatsanwaltschaft hat gegen das Urteil zum Nachteil aller Angeklagten Revision eingelegt und sie mit der Sachrüge begründet. Sie beanstandet, daß Dr. M., damals 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Dresden, nur wegen Anstiftung zu der Verfälschung der Wahlergebnisse in den Kreisen Pirna, Görlitz, Zittau und Meißen, nicht aber wegen Beteiligung an den Verfälschungen der Wahlergebnisse in der Stadt Dresden durch deren Oberbürgermeister B. und im Bezirk Dresden durch den Vorsitzenden des Rates des Bezirks, den Angeklagten W., verurteilt worden ist. Im übrigen greift sie die Strafzumessung gegenüber allen Angeklagten an. Sie meint, eine Verwarnung mit Strafvorbehalt werde dem Unrechtsgehalt der Taten nicht gerecht.

Die Staatsanwaltschaft hat dadurch, daß sie in ihrer Revisionsbegründung die Schuldsprüche gegen die Angeklagten W., S. und N. nicht mit Einzelausführungen beanstandet und insoweit keine ausdrücklichen Revisionsanträge stellt, die zum Nachteil aller Angeklagten "unbeschränkt" eingelegte Revision vom 27. Mai 1994 insoweit nicht zurückgenommen. Denn auf diesen Schriftsatz nimmt sie eingangs der Revisionsbegründung ausdrücklich Bezug und begründet ihr Rechtsmittel allgemein mit der Verletzung sachlichen Rechts. Auch etwaige Zweifel hinsichtlich des Umfangs der Anfechtung würden im Hinblick auf das mit der Revision verfolgte Ziel zur Annahme einer uneingeschränkten Anfechtung führen (vgl. KK, StPO 3. Aufl. § 318 Rdn. 2).

Das Rechtsmittel hat in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Soweit durch die Revision der Schuldspruch bezüglich des Angeklagten S. angefochten worden ist, ist das Rechtsmittel unbegründet. Die Nachprüfung dieses Schuldspruchs aufgrund der allgemeinen Sachrüge hat keinen Rechtsfehler ergeben.

I.

1. Der Schuldspruch gegen den Angeklagten Dr. M. wegen Anstiftungen zu Wahlfälschungen weist keinen Rechtsfehler auf. Jedoch bedarf das Konkurrenzverhältnis der abgeurteilten Anstiftungen der Korrektur.

a) Die Strafkammer hat bezüglich des Angeklagten Dr. M. im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

aa) Er bekleidete als 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung die wichtigste Funktion innerhalb der Dresdner Bezirksparteiorganisation (UA S. 7). Da der SED in allen wesentlichen das Gemeinwesen betreffenden Fragen die Entscheidungskompetenz zustand, während die staatlichen Räte und Verwaltungen letztendlich nur Vollzugsaufgaben wahrnahmen, hatte Dr. M. als 1. Sekretär der Bezirksleitung auch für die Erfüllung der staatlichen Aufgaben die maßgebliche Position inne. Diese war gefährdet, weil das Politbüro der SED die Arbeit des SED-Bezirks Dresden im Anschluß an die Beanstandungen des Anfang 1989 erstatteten sog. "Mittag-Berichts" zum Teil heftig kritisiert und den personellen Fortbestand des Sekretariats der Dresdner Bezirksleitung unabdingbar mit dem Erreichen eines guten Ergebnisses bei den Kommunalwahlen im Mai 1989 verknüpft hatte (UA S. 26 f.). Das Zentralkomitee der SED verlangte etwa gleiche Ergebnisse wie bei den Wahlen in den Jahren 1984 und 1986. Der Angeklagte Dr. M., der die kritische Stimmung in der Bevölkerung kannte, wußte, daß dies nicht zu erreichen war. Nachdem seine Versuche gescheitert waren, von der SED-Zentrale in Berlin die Zustimmung zu einem "realen" Wahlergebnis zu erhalten, war er entschlossen, Wahlfälschungen zugunsten der SED in seinem Bezirk durchzusetzen. Schon bei der von ihm geleiteten Sitzung des Sekretariats der SED-Bezirksleitung am 2. Mai 1989, an der auch B. und der 1. Sekretär der SED-Stadtleitung Mo. teilnahmen, hatte er auf das von dem ZK Sekretär D. "erwartete" Wahlergebnis verwiesen und betont, daß für die politische Vorbereitung der Wahlen allein die Partei verantwortlich sei und daß von den staatlichen Wahlkommissionen keine Zahlen herausgegeben werden dürften, die nicht zuvor über den Tisch des jeweiligen 1. Sekretärs der SED gelaufen seien (UA S. 51).

Nach der Sitzung vom 2. Mai 1989 kam B. zu der Einsicht, daß er sich dem von Mo. ausgeübten Druck, an einer zentral orientierten Wahlmanipulation mitzuwirken, nicht mehr entziehen könne (UA S. 54). Am 6. Mai 1989 fand im Dienstzimmer des Angeklagten W. eine weitere Besprechung statt, an der wiederum auch der Angeklagte Dr. M. sowie B. und Mo. teilnahmen. Die aus den Sonderwahllokalen eingegangenen Teilergebnisse einzelner Stadtbezirke der Stadt Dresden ließen erkennen, daß für den Gesamtbereich der Stadt Dresden mit einem Gegenstimmenanteil von etwa 15 % zu rechnen war. Damit war den Beteiligten klar, daß die Erfüllung des von der SED-Parteizentrale erteilten Auftrags, Wahlergebnisse wie in den früheren Jahren zu erzielen, nicht mehr möglich war und daher die geforderten Wahlmanipulationen unumgänglich wurden. Dessenungeachtet brachte B. gegenüber dem Angeklagten Dr. M. als "ranghöchstem und einflußreichstem Funktionär im Bezirk Dresden noch einmal lautstark und drastisch seine Verbitterung über die Uneinsichtigkeit der Berliner Parteiführung zum Ausdruck" (UA S. 61). Als der vereinbarte letzte Versuch von Dr. M., eine Sinnesänderung bei der SED-Zentrale in Berlin zu erreichen, gescheitert war, gab B. die Weisung, beim Bezirkswahlbüro anzurufen und dort eine Korrektur der zuvor richtig übermittelten Ergebnisse aus den Sonderwahllokalen der Stadt Dresden anzumelden. Auch der Angeklagte W. veranlaßte die Fälschung der Ergebnisse aus den Sonderwahllokalen anderer Wahlkreise erst, nachdem er von der Erfolglosigkeit der Intervention Dr. M's. in Berlin Kenntnis erhalten hatte.

bb) Am 7. Mai 1989, dem eigentlichen Wahltag, analysierte Dr. M. die Höhe der bisherigen Wahlbeteiligung. Er erkannte, daß jedenfalls in einzelnen "Problemkreisen" ohne entsprechende Manipulation die Durchschnittswerte für seinen Bezirk, die er vor der Zentrale in Berlin für vertretbar hielt, nicht einmal annähernd erreicht werden konnten. Als im äußersten Fall präsentabel erschien ihm ein Bezirksgesamtergebnis mit einer Wahlbeteiligung von ca. 98 % und einem Gegenstimmenanteil von ca. 2 %. Er entschloß sich daher, einzelne Angehörige der SED-Bezirksleitung zu den Kreiswahlkommissionen zu senden, um durch sie zu sichern, daß die von ihm für erforderlich gehaltenen Fälschungen auch tatsächlich vorgenommen werden würden. Es sollten von dort aus etwa gleiche Ergebnisse wie in den Wahlvorjahren 1986 (Wahlbeteiligung 99,84 %) und 1984 (Wahlbeteiligung 99,09 %) gemeldet werden. Er schickte seinen Vertreter in der Bezirksleitung, den Angeklagten S., nach Pirna, den Sekretär für Landwirtschaft in der Bezirksleitung, den Angeklagten N., nach Görlitz und Zittau sowie die für den Kulturbereich zuständige Sekretärin Dr. F. nach Meißen. Entsprechende Weisungen gingen auch an andere Beauftragte.

Nachdem der Angeklagte N. gegen 16 Uhr in Görlitz eingetroffen war, teilte ihm der 1. Sekretär der SED-Kreisleitung Mü. mit, daß die Wahlbeteiligung zwischen 90 % und 92 % liege. N. antwortete, daß dies keinesfalls ausreiche, um das für den Gesamtbezirk angestrebte Wahlergebnis zu erzielen. Als Mü. darauf hinwies, daß in Anbetracht der bekannten kritischen Stimmung in der Bevölkerung und der fortgeschrittenen Zeit kaum noch Möglichkeiten beständen, das Ergebnis entscheidend zu verbessern, nahm N. mit Dr. M. in Dresden Rücksprache. Dr. M. bekräftigte den N. erteilten Auftrag und appellierte an dessen Parteidisziplin. Daraufhin überwand N. seine Verunsicherung und machte Mü. in unmißverständlichem Ton deutlich, daß auch im Wahlkreis Görlitz kein schlechteres Ergebnis als in den vergangenen Jahren erzielt werden dürfe. Mü. gab jetzt nach und hielt die zuständigen Amtsträger zur Fälschung an. Obwohl die Wahlbeteiligung etwa 87 % bis 90 % und der Gegenstimmenanteil etwa 10 % betrug, wurden für Görlitz-Land eine Wahlbeteiligung von 98,14 %, für die Stadt Görlitz eine solche von 97,08 % sowie für Görlitz-Land ein Gegenstimmenanteil von 1,6 % und für die Stadt Görlitz ein solcher von 2,98 % gemeldet.

Gegen 17.30 Uhr traf der Angeklagte N. in Zittau ein. Er wies den Leiter der dortigen Kreiswahlkommission K. an, für eine Wahlbeteiligung von etwa 99 % und einen Gegenstimmenanteil entsprechend dem schon zuvor manipulierten Anteil aus den Sonderwahllokalen Sorge zu tragen. Da K. befürchtete, das Amt des Ratsvorsitzenden bei einem schlechten Wahlergebnis aufgeben zu müssen, veranlaßte er, daß statt der etwa 5 % Gegenstimmen 2,47 % Gegenstimmen und statt der Wahlbeteiligung von 94 % bis 95 % eine solche von 98,15 % dem Bezirkswahlbüro gemeldet wurden.

Der Angeklagte S. traf entsprechend dem Auftrag des Angeklagten Dr. M. zwischen 14 und 15 Uhr in Pirna ein. Der 1. Sekretär der SED-Kreisleitung J. und der dortige Ratsvorsitzende H. erläuterten ihm die zu erwartenden Wahlergebnisse. S. bezeichnete daraufhin die beiden in aggressivem Ton als unfähig und unvorbereitet und machte in harschen Worten deutlich, daß er auf einem bedingungslosen Engagement für den restlichen Wahltag bestehe. Er übergab ihnen ein Exemplar der Sächsischen Zeitung mit den früheren Wahlergebnissen des Kreises Pirna, an denen sie sich orientieren sollten. In Anbetracht des energischen Auftretens des Angeklagten S. bestand für J. und H. kein Zweifel, daß sie ihre Funktionen verlieren würden, wenn sie das in Pirna tatsächlich erreichte Wahlergebnis (Wahlbeteiligung von etwa 92 % und Gegenstimmen von knapp über 10 %) weiter melden würden. Sie fälschten daher die Wahlbeteiligung auf 98,22 % und den Gegenstimmenanteil auf 1,43 %.

In Meißen übergab Frau Dr. F. dem 1. Sekretär der SED-Kreisleitung Sa. einen Zettel, auf dem sie die ihr von Dr. M. genannten Zahlen der Vorwahljahre notiert hatte, nach denen er sich richten sollte. Sa. war bereits vorher entschlossen gewesen, das Wahlergebnis durch den Vorsitzenden der Wahlkommission Kr. und den Leiter des Kreiswahlbüros O. fälschen zu lassen. Bei dem Erscheinen von Frau Dr. F. stand nur noch zur Debatte, in welchem Umfang gefälscht werden sollte. Wegen des von Sa. erneut und diesmal von Frau Dr. F. initiierten Drucks gingen Kr. und O. davon aus, daß sie im Falle einer Weigerung ihre Ämter verlieren würden und fingierten anstelle einer Wahlbeteiligung von allenfalls 90 % eine solche von 98,2 % und anstelle eines Gegenstimmenanteils von etwa 8 % - 10 % einen solchen von weniger als 2 %.

b) Die Strafkammer wertet das vorstehend unter bb) geschilderte Geschehen bezüglich des Angeklagten Dr. M. dahin, daß er sich der Anstiftung zur Wahlfälschung in drei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen schuldig gemacht habe, indem er am Nachmittag des 7. Mai 1989 die Angeklagten N. und S. sowie Frau Dr. F. beauftragte, in den Wahlkreisen Pirna, Görlitz, Zittau und Meißen die von ihm für notwendig gehaltenen Wahlfälschungen durchzusetzen, und sie den Auftrag ausführten (UA S. 110). Diese Wertung trifft im Grundsatz zu; jedoch ist der Angeklagte Dr. M. der Anstiftung nicht in drei, sondern in vier rechtlich zusammentreffenden Fällen schuldig.

aa) Der Senat hat die Rechtsfragen zur fortdauernden Strafbarkeit der Fälschung sozialistischer Kommunalwahlen in der ehemaligen DDR bereits in BGHSt 39, 54 geklärt. Der dort entschiedene Fall betraf ebenfalls die Wahlen am 7. Mai 1989. Das Bezirksgericht Dresden hatte B. und Mo. wegen Wahlfälschung und Anstiftung zur Wahlfälschung in mehreren Fällen zu Freiheitsstrafen von je einem Jahr verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die Revisionen beider Angeklagten hat der Senat verworfen. Das Bundesverfassungsgericht hat die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg versprach (Kammer-Beschluß vom 31. März 1993 - 2 BvR 292/93, NJW 1993, 2524). Der Senat hat entschieden, daß Wahlfälschungen aus Anlaß der am 7. Mai 1989 in der DDR abgehaltenen Wahlen auch noch nach der Wiedervereinigung strafbar sind, soweit die Verfälschungen die Gegenstimmen gegen die Einheitsliste der Nationalen Front und den Umfang der Wahlbeteiligung betreffen.

Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht, von dieser Rechtslage ausgehend, auch unter Zugrundelegung des DDR-Strafrechts (StrafR Allg. Tl., Lehrbuch 2. Aufl. Staatsverlag der DDR 1978, "DDR-Lehrb.", S. 392/393) eine sog. Kettenanstiftung durch den Angeklagten Dr. M. angenommen, indem er seine Beauftragten dazu bestimmte, über die 1. SED-Kreissekretäre auf die Leitung der Wahlkommissionen in seinem Sinn einzuwirken (vgl. zur Kettenanstiftung zu den Tötungen an der innerdeutschen Grenze: KG NJW 1991, 2653, 2654 und BGH, Urteil vom 26. Juli 1994 - 5 StR 98/94, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt, NStZ 1994, 537).

Im Ergebnis zu Recht hat die Strafkammer angenommen (UA S. 112, 96/97), daß Dr. M. hinsichtlich des Frau Dr. F. erteilten Auftrags keine versuchte, sondern eine vollendete Anstiftung begangen hat. Zwar war der 1. Sekretär der SED-Kreisleitung Meißen, Sa., bei Ankunft von Frau Dr. F. schon entschlossen, die Wahlkommission zur Fälschung zu bestimmen, ohne daß festgestellt werden konnte, daß er hierzu von den Angeklagten Dr. M. oder S. veranlaßt worden wäre (UA S. 82). Er ist aber erst durch das Erscheinen von Frau Dr. F. und durch die von ihr übermittelten Zahlen dazu bestimmt worden, das Wahlergebnis in dem von Dr. M. gewünschten Umfang fälschen zu lassen. Für den Tatentschluß der als Täter anzusehenden Mitglieder der Wahlkreiskommission war der im Auftrag Dr. M's. von Frau Dr. F. "initiierte Druck" maßgebend (UA S. 83).

bb) Rechtlich fehlerhaft hat die Strafkammer dagegen das Konkurrenzverhältnis der von dem Angeklagten Dr. M. begangenen Anstiftungen beurteilt (UA S. 110). Sie nimmt an, er habe sich der Anstiftung zur Wahlfälschung in drei tateinheitlichen Fällen schuldig gemacht. Für die Anzahl der ihm zuzurechnenden Anstiftungen stellt sie ersichtlich auf die Anzahl der von ihm beauftragten Personen (N., S. und Dr. F.) ab. Maßgebend ist jedoch die Anzahl der von ihm veranlaßten Taten. Anstiftung ist die - ggf. über Mittelsleute vorgenommene - Bestimmung des Täters zu dessen vorsätzlicher Tat. Die vom Angeklagten Dr. M. durch Anstiftungen veranlaßten täterschaftlichen Wahlfälschungen waren die vorsätzlich falschen Eintragungen, die die Mitglieder der einzelnen Wahlkommissionen über die Wahlen zu den örtlichen Volksvertretungen ihrer jeweiligen Wahlkreise in den vorgeschriebenen Wahlunterlagen gemacht haben (vgl. Komm. z. StGB-DDR, 5. Aufl. 1987, § 211 Bem. 2 und 3). Jede Verfälschung eines von einer Kreis- oder Bezirkswahlkommission festzustellenden Ergebnisses ist im Hinblick auf die besonderen gesetzlichen Aufgaben der Wahlkommission (§§ 10 ff., 40 DDR-Wahlgesetz vom 24.6.1976, GBl. I S. 301) eine materiellrechtlich selbständige Straftat. Nach den Feststellungen der Strafkammer (oben unter I 1 a bb) hat Dr. M. Fälschungen in den Wahlkreisen Pirna, Meißen, Görlitz und Zittau veranlaßt. Es handelt sich also um Anstiftungen zu vier Wahlfälschungen. Diese vier Anstiftungen treffen in gleichartiger Tateinheit zusammen (vgl. Dreher/Tröndle, StGB 46. Aufl. vor § 52 Rdn. 6, Doppelbuchst. cc), weil die in engem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang vorgenommenen Anstiftungshandlungen gegenüber N., S. und Dr. F. (vgl. UA S. 114 unten, 74) bei natürlicher Betrachtungsweise als eine Tat im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB und des § 63 Abs. 2 StGB-DDR angesehen werden können, sofern nicht ohnehin ein und dieselbe Handlung, nämlich eine an die Beauftragten gleichzeitig gerichtete Aufforderung, vorlag. Der Schuldspruch war daher zum Nachteil des Angeklagten auf Anstiftung zur Wahlfälschung in vier tateinheitlich zusammentreffenden Fällen zu erweitern.

2. Die Strafkammer hat den Angeklagten Dr. M. freigesprochen, soweit ihm in der Anklageschrift Anstiftung zu Wahlfälschungen während der Sitzungen des Sekretariats der SED-Bezirksleitung am 28. April und 2. Mai 1989 zur Last gelegt worden sind (UA S. 93, 116). Dagegen wendet sich die Revision nicht. Sie meint aber, daß er sich am 6. Mai 1989 schon aufgrund der von der Strafkammer getroffenen Feststellungen der Beihilfe zu den von B. und W. begangenen Fälschungen der Sonderwahlergebnisse und der endgültigen Ergebnisse der Stadt Dresden schuldig gemacht hat.

Eine solche - tatrichterliche - Entscheidung kann der Senat als Revisionsgericht nicht treffen. Unabhängig von diesen Beanstandungen muß das Landgericht die Prüfung, ob der Angeklagte Dr. M. Anstiftung oder Beihilfe zu den von B. und dem Mitangeklagten W. entweder selbst begangenen oder von ihnen durch Anstiftungen veranlaßten Wahlfälschungen geleistet hat und ob eine etwaige Einflußnahme bei der Feststellung des Gesamtergebnisses fortgewirkt hat, in der neuen Hauptverhandlung wiederholen. Denn die zum Freispruch führenden Erwägungen des angefochtenen Urteils gehen von einem falschen rechtlichen Maßstab aus. Die Strafkammer hält Anstiftung für ausgeschlossen, weil B. und W. ohne Rücksicht auf das Verhalten Dr. M's. zur Fälschung entschlossen gewesen seien. Auch Beihilfe verneint sie aus folgendem Grund: "Da das Gericht ... für den 6.5.1989 nicht von einer Beeinflussung von B., Mo. und W. durch den Angeklagten Dr. M., sondern lediglich von einer einhelligen Lageeinschätzung zwischen Gleichgesinnten und Gleichverantwortlichen auszugehen hatte, die letztendlich für ihr Tun alleine geradezustehen hatten, kam auch mangels entsprechender tatsächlicher Anhaltspunkte die Annahme einer versuchten Beeinflussung der Zeugen B. und Mo. sowie des Angeklagten W. oder einer bloßen (nur psychischen) Unterstützungshandlung durch den Angeklagten Dr. M. nicht in Betracht." Diese Wertung ist in mehrfacher Hinsicht zu beanstanden.

a) Die Strafkammer beachtet nicht, daß Gleichgesinnte, die durch dieselben Ereignisse zu einem ihrer gemeinsamen Überzeugung widersprechenden Verhalten veranlaßt werden, regelmäßig durch das Mitmachen des anderen in ihrem eigenen Tun bestärkt werden, indem ihnen dadurch das Gefühl der alleinigen Verantwortung genommen wird und die der Tat entgegenstehenden Hemmungen unterdrückt werden (vgl. Dallinger MDR 1957, 395/396; BGH, Urt. v. 30. April 1953 - 3 StR 295/52; zur psychischen Beihilfe gegenüber einem bereits zur Tat Entschlossenen: BGH NJW 1951, 451). Eine psychische Beihilfe war auch zur Tatzeit nach dem StGB-DDR strafbar (Komm. z. StGB-DDR aaO § 22 Bem. 6 und DDR-Lehrb. aaO S. 389: "intellektuelle Beihilfe"). Daß ein solcher die Fälschungen mindestens begünstigender, wenn nicht gar sie bestimmender Einfluß Dr. M's. vorlag, legen die von der Strafkammer getroffenen Feststellungen nahe. B. hat sich bei seinem energischen Widerspruch in der der Fälschung unmittelbar vorausgehenden Sitzung vom 6. Mai 1989 gerade an den Angeklagten Dr. M. gewandt, einerseits weil dieser der ranghöchste und einflußreichste Funktionär im Bezirk Dresden war, andererseits "als Mitstreiter, mit dem er sich in seiner Haltung einig war und den er zu einem nochmaligen Einsatz für die gemeinsam vertretene Sache bewegen wollte" (UA S. 61). Erst als B. und W. über den erfolglosen Vorstoß Dr. M's. in Berlin informiert worden waren, gaben sie Weisung zur Wahlfälschung. Die Haltung Dr. M's. und dessen Akzeptanz der Parteidisziplin waren daher schon nach den bisherigen Feststellungen nicht ohne Bedeutung für die weitere Unterordnung B's. und W's. unter den Willen der SED und die Aufrechterhaltung ihres Fälschungsentschlusses. Hierbei kann schon das Verhalten Dr. M's. vor dem 6. Mai 1989 eine Rolle gespielt haben.

b) Eine Beteiligung Dr. M's. durch Anstiftung oder Beihilfe an den Wahlfälschungen B's. und W's. ist auch noch unter einem weiteren rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen. Nach dem StGB der Bundesrepublik ist eine mittelbare Täterschaft auch bei uneingeschränkt verantwortlichen Tatmittlern möglich. Das kommt für einen Hintermann in Betracht, wenn der als unmittelbarer Täter handelnde Tatmittler in bestimmte Organisationsstrukturen oder Befehlshierarchien fest eingebunden ist und der Hintermann die dadurch geschaffenen Rahmenbedingungen und die unbedingte Bereitschaft des Täters zum Gehorsam zur Tatbegehung ausnutzt (vgl. BGH aaO NStZ 1994, 537 für Tötungen von Flüchtlingen durch Grenzsoldaten der DDR; Roxin in LK, 11. Aufl. § 25 Rdn. 128 ff.). Eine solche "Organisationsherrschaft" könnte bei Dr. M. vorliegen, weil die Mitglieder der Wahlkommissionen die Fälschungen nur mit Rücksicht auf die von ihnen geforderte Parteidisziplin begangen haben. Dr. M. hatte schon in seiner Rede am 2. Mai 1989 betont, daß die staatlichen Wahlkommissionen keine Wahlergebnisse herausgeben dürften, "die nicht zuvor über den Tisch des jeweiligen 1. Sekretärs der SED gelaufen seien". Er trug als ranghöchster Vertreter der SED im Bezirk die unmittelbare politische Verantwortung für den Ausgang der Wahlen in seinem Bezirk. Er akzeptierte schließlich die von der Parteiführung verlangten Manipulationen und setzte sie, wo dies erforderlich war, durch Beauftragte nachhaltig durch, wie sich aus dem insoweit rechtskräftigen Schuldspruch wegen Anstiftung in vier Fällen ergibt. Zwar saßen die eigentlichen Hintermänner in Berlin. Nachdem sie jedoch seine Bitte, ein "reales" Ergebnis vorlegen zu dürfen, abgelehnt hatten, ließ er sich, für die Beteiligten in seinem Bezirk erkennbar, voll in die Befehlshierarchie einbinden, so daß er in der Weisungskette von Berlin zu den einzelnen Wahlkreiskommissionen als dem Politbüro nachgeordneter Befehlsgeber für den Bezirk angesehen werden könnte. Der Senat braucht hier jedoch nicht zu entscheiden, ob die vom 5. Strafsenat in dem genannten Urteil (NStZ 1994, 537) für Tötungsdelikte entwickelten Grundsätze über mittelbare Täterschaft trotz uneingeschränkt verantwortlichem Tatmittler auf Wahlfälschungsdelikte nach den §§ 107 a ff. StGB übertragen werden können. Selbst wenn dies zu bejahen wäre, könnte die "Organisationsherrschaft" Dr. M. dennoch nur zu einer Verurteilung als Beteiligter, nicht aber als (mittelbarer) Täter einer in der ehemaligen DDR begangenen Wahlfälschung führen. Denn Dr. M. fehlte die täterschaftsbegründende Pflichtenstellung nach § 211 StGB-DDR als Mitglied einer Wahlkommission oder deren Beauftragter. Für diesen Sonderbereich ist im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG eine Ausnahme von dem Grundsatz strikter Alternativität bei dem Vergleich unterschiedlicher Normen zur Zeit der Tat in der DDR und der Aburteilung nach der Wiedervereinigung anzuerkennen (vgl. dazu BGHSt 37, 320, 322). Das Landgericht wird daher zu prüfen haben, ob die von Dr. M. als höchstem SED-Funktionär im Bezirk in Anspruch genommene "Organisationsherrschaft" als Anstiftung oder Hilfeleistung gewertet werden kann.

II.

1. Den Schuldspruch gegen den Angeklagten W. wegen Anstiftung zur Wahlfälschung in drei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Wahlfälschung hat die Strafkammer im wesentlichen auf folgende Feststellungen gestützt (UA S. 110, 63 ff., 83 ff.)):

a) Am 6. Mai 1989 beauftragte er den Sekretär der Bezirkswahlkommission Be., bei dem Vorsitzenden der Wahlkommission des Kreises Meißen Kr. eine Korrektur der aus den Sonderwahllokalen gemeldeten Zahlen zu bewirken, weil man sich mit einem solchen Ergebnis in Berlin nicht sehen lassen könne. Als Kr. sich weigerte, herrschte Be. ihn an, daß er wohl M. nicht richtig verstanden habe. Dennoch weigerte sich Kr., der Fälschungsaufforderung nachzukommen, und drohte, auf der Stelle von seinem Amt als Ratsvorsitzender zurückzutreten. Be. besprach mit W. die dadurch entstandene Lage. W. bestand auf der Korrektur der Wahlergebnisse. Daraufhin erklärte Be. gegenüber Kr., daß eine Verletzung der Parteidisziplin auf keinen Fall geduldet werden könne. Kr. gab nun seinen Widerstand auf und wies den Leiter des Kreiswahlbüros O. an, an Stelle des für den Kreis Meißen ermittelten Gegenstimmenanteils von 8 % bis 10 % einen solchen von knapp unter 2 % an das Bezirkswahlbüro zu melden (UA S. 64 ff.).

b) Am 6. Mai 1989 beauftragte der Angeklagte W. auch den stellvertretenden Leiter des Bezirkswahlbüros Kl., bei dem Vorsitzenden der Kreiswahlkommission Zittau, K., eine Absenkung des gemeldeten Gegenstimmenanteils aus den Sonderwahllokalen von etwa 5 % auf etwa 2,5 % zu bewirken. K. kam der Fälschungsaufforderung nach (UA S. 66 f.).

c) Die von den Kreiswahlkommissionen Meißen und Zittau gemeldeten Korrekturen der Ergebnisse aus den Sonderwahllokalen wurden ebenso wie die für die Stadt Dresden gemeldete Korrektur im Bezirkswahlbüro in die dafür bestimmten Formulare eingetragen, vom Angeklagten W. als Vorsitzendem der Bezirkswahlkommission abgezeichnet und sodann telefonisch nach Berlin weiter gemeldet. Bei der Berechnung des endgültigen Wahlergebnisses wurden die Gegenstimmen aus den Sonderwahllokalen in der nach Berlin gemeldeten reduzierten Höhe berücksichtigt (UA S. 67 f.).

d) Am Abend des 7. Mai 1989 wies der Angeklagte W. als Vorsitzender der Bezirkswahlkommission den sich zunächst weigernden Vorsitzenden der Wahlkommission für den Kreis Dresden-Land T. an, den ermittelten Gegenstimmenanteil von etwa 8 % auf unter 2 % zu senken. Da T. den Verlust seiner Stellung als Vorsitzender des Rats des Kreises befürchtete, kam er der Weisung nach (UA S. 83 ff.).

e) Am Vormittag des 8. Mai 1989 unterzeichnete der Angeklagte W. in seiner Funktion als Vorsitzender der Bezirkswahlkommission das nunmehr endgültig festgestellte Wahlergebnis für den Bezirk Dresden, dessen Unrichtigkeit ihm bekannt war (UA S. 85).

2. Die Strafkammer hat die Tathandlungen des Angeklagten W. wie folgt rechtlich bewertet: Die beiden Anstiftungen am 6. Mai 1989 (vorstehend unter a und b) bildeten eine Tat im natürlichen Sinne (UA S. 115), die aufgrund eines Gesamtvorsatzes mit der Anstiftung vom 7. Mai 1989 (vorstehend unter d) zu einer fortgesetzten Tat verbunden werde, welche ihrerseits "in Anbetracht des anzunehmenden Gesamtvorsatzes" zu der täterschaftlichen Wahlfälschung am 8. Mai 1989 (vorstehend unter e) in Tateinheit stehe. Diese Bewertung des Konkurrenzverhältnisses trifft jedenfalls nach der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen vom 3. Mai 1994 (BGHSt 40, 138; vgl. auch BGH, Beschluß vom 20. Juni 1994 - 5 StR 595/93, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt) zur Aufgabe des Begriffs der fortgesetzten Handlung nicht (mehr) zu. Die dort entwickelten Grundsätze gelten auch für den Bereich der Wahlfälschungen. Die Anstiftung zur Verfälschung der Ergebnisse aus den Sonderwahllokalen für die Kreise Zittau und Meißen (eine Tat im natürlichen Sinn in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen, vgl. UA S. 115 oben) sowie die Anstiftung zur Verfälschung des Gesamtergebnisses für den Kreis Dresden-Land und die täterschaftliche Verfälschung des Gesamtergebnisses für den Bezirk Dresden sind jeweils an verschiedenen Tagen begangen worden, nämlich am 6., 7. und 8. Mai 1989, und beziehen sich auf verschiedene örtliche Volksvertretungen und Wahlkommissionen. Sie sind daher drei materiellrechtlich selbständige Taten. Die vom Angeklagten W. am 6. Mai 1989 als Täter begangene Verfälschung des Bezirkswahlergebnisses aus den Sonderwahllokalen (vorstehend unter c), zu deren rechtlichen Bewertung sich die Strafkammer nicht äußert, erscheint gegenüber der am 8. Mai 1989 als Täter begangenen Verfälschung des (endgültigen) Gesamtwahlergebnisses für den Bezirk Dresden (vorstehend unter e) subsidiär. Der Angeklagte W. ist daher wegen einer Wahlfälschung, einer Anstiftung zur Wahlfälschung in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen sowie einer weiteren Anstiftung zur Wahlfälschung zu verurteilen. Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert.

III.

Der Angeklagte N. hat, wie sich aus den Ausführungen unter I 1 a bb ergibt, am 7. Mai 1989 in Görlitz den Vorsitzenden der dortigen Wahlkreiskommission und in Zittau den Vorsitzenden der dortigen Wahlkreiskommission zur Wahlfälschung angestiftet. Da die Anstiftungshandlungen an verschiedenen Orten begangen wurden und sich auf verschiedene Wahlkreise bezogen, können sie nicht zu einer Handlung im natürlichen Sinn zusammengefaßt werden. Der vom Landgericht angenommene Fortsetzungszusammenhang (UA S. 115) scheidet aus rechtlichen Gründen aus (vorstehend unter II 2). Der Senat hat den Schuldspruch daher auf zwei tatmehrheitlich begangene Anstiftungen umgestellt.

IV.

1. Die Strafaussprüche gegen die Angeklagten Dr. M., W. und N. können schon deshalb keinen Bestand haben, weil die Schuldsprüche zu ihrem Nachteil geändert worden und für die von ihnen begangenen mehrfachen Straftaten nunmehr Einzelstrafen festzusetzen sind, aus denen Gesamtstrafen gebildet werden müssen. Dabei geht der Senat davon aus, daß auch die neu entscheidende Strafkammer die Strafvorschrift des § 107 a StGB anwenden wird, weil diese unter den gegebenen Umständen gemäß Art. 315 Abs. 1 EGStGB, § 2 Abs. 3 StGB eine den Tätern günstigere Beurteilung zuläßt als die Tatzeitnorm des § 211 StGB-DDR, welche nur eine nicht zur Bewährung auszusetzende Freiheitsstrafe androhte, deren Höchstmaß allerdings zwei Jahre unter dem des § 107 a StGB liegt. Die Voraussetzungen für ein Absehen von Strafe nach Art. 315 Abs. 1 Satz 1 EGStGB liegen nicht vor.

2. Unabhängig von der durch die Änderung der Schuldsprüche bedingten Aufhebung der Strafaussprüche sind diese auch auf der Grundlage der bisherigen Schuldsprüche in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft. Deshalb muß das angefochtene Urteil auch im Strafausspruch gegen den - von einer Schuldspruchänderung nicht betroffenen - Angeklagten S. aufgehoben werden.

Das Landgericht hat gegen sämtliche Angeklagte Verwarnungen ausgesprochen. Verwarnungen mit Strafvorbehalt setzen nach § 59 Abs. 1 Nr. 2 StGB u.a. voraus, daß eine Gesamtwürdigung der Tat und der Persönlichkeit des Täters besondere Umstände ergibt, nach denen es angezeigt ist, ihn von der Verurteilung zu Strafe zu verschonen.

a) Solche besonderen Umstände sieht die Strafkammer neben gewichtigen strafmildernden Gesichtspunkten "in der tiefgreifenden epochalen Veränderung der Verhältnisse der ehemaligen DDR seit der Kommunalwahl 1989"; zudem seien Tatwiederholungen nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen (UA S. 130). Diese Wertung begegnet rechtlichen Bedenken. Die Strafkammer beachtet nicht, daß der Gesetzgeber der durch den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik eingetretenen "tiefgreifenden epochalen Veränderung der Verhältnisse" dadurch Rechnung getragen hat, daß nach dem Einigungsvertrag Verstöße gegen das Strafrecht der DDR nur dann weiter verfolgt werden dürfen, wenn und soweit sie zur Zeit der Aburteilung auch nach dem StGB der Bundesrepublik geschützte Rechtsgüter betreffen (vgl. BGHSt 39, 54, 68). Der Untergang der DDR und die Beseitigung des SED-Unrechtsregimes (Art. 17 EinigungsV) können daher grundsätzlich kein wesentlicher Grund dafür sein, Täter, deren Straftaten nach dem Willen der Parteien des Einigungsvertrags auch noch nach der Wiedervereinigung geahndet werden sollen, von der Verurteilung zu Strafe zu verschonen.

b) Auch im übrigen ist die Strafzumessung nicht frei von Rechtsfehlern zum Vorteil der Angeklagten, so daß es an einer rechtlich tragfähigen Gesamtwürdigung im Sinne des § 59 Abs. 1 Nr. 2 StGB fehlt.

aa) Die Strafkammer hat schuldmindernd berücksichtigt, "daß durch die von den Angeklagten maßgeblich mit veranlaßten Wahlmanipulationen hinsichtlich der Zusammensetzung der einzelnen Volksvertretungen nicht einmal eine geringfügige Veränderung des im tatsächlichen Wahlergebnis zum Ausdruck gekommenen Wählerwillens bewirkt wurde" (UA S. 120). Zur Begründung führt die Strafkammer aus: Der wegen der Vernichtung der Stimmzettel nur annähernd feststellbare tatsächliche Gegenstimmenanteil habe sich auf allenfalls 15 % der abgegebenen Stimmen belaufen. Die tatsächliche Wahlbeteiligung habe zwischen 85 % und 90 % gelegen. Wären diese Zahlen seinerzeit nach Übermittlung aus den einzelnen Wahllokalen von den zuständigen Wahlkommissionen korrekt an das Bezirkswahlbüro weitergeleitet worden, hätte sich nicht eine einzige Abweichung von der aufgrund des manipulierten Wahlergebnisses errechneten Zusammensetzung der Kreistage, Stadtverordnetenversammlungen und Gemeindevertretungen ergeben. Der Unrechtsgehalt der von den Angeklagten begangenen Taten liege somit deutlich unter demjenigen einer Wahlmanipulation, bei der der Wählerwille nicht nur an der Oberfläche, sondern auch in seinem Ergebnis verändert werde (UA S. 120/121).

Diese Wertung wird dem tatsächlichen Unrechtsgehalt der Wahlfälschungen nicht gerecht. Weder den Angeklagten noch der SED ging es um eine gesetzwidrige Veränderung der personellen Zusammensetzung der zu wählenden Volksvertretungen. Wie der Senat in BGHSt 39, 54, 70 ausgeführt hat und auch die Feststellungen des angefochtenen Urteils belegen, war es das Ziel der Manipulationen, die wirkliche Anzahl der Gegenstimmen zu verschweigen und eine höhere Wahlbeteiligung vorzutäuschen, um damit das Ausmaß des ablehnenden Wählerverhaltens zu unterdrücken, das sich gegen die Einheitsliste der Nationalen Front insgesamt und die durch sie repräsentierte Zwangsherrschaft der SED richtete. Gerade durch die Wahlenthaltung und die relativ große Zahl von Gegenstimmen, die nicht gegen einzelne Kandidaten, sondern gegen die Einheitsliste als solche abgegeben wurden, machten die Wähler im Mai 1989 von den ihnen verbliebenen rudimentären Elementen freier parlamentarisch-demokratischer Wahlen Gebrauch. Nur deswegen hat der Senat trotz der Unterschiedlichkeit des durch § 107 a StGB geschützten Rechtsguts (Schutz von freien Wahlen in einer parlamentarischen Demokratie) und des durch § 211 StGB-DDR geschützten Rechtsguts (Schutz von sozialistischen Wahlen zum Zwecke der Aufrechterhaltung der sozialistischen Gewaltherrschaft durch scheinbare plebiszitäre Bestätigung der bisherigen Machthaber) über die Wiedervereinigung hinaus eine Kontinuität des Unrechtstyps der aufgehobenen Tatzeitnorm (§ 211 StGB-DDR) und des neuen Strafgesetzes (§ 107 a StGB) bejaht. Dies verkennt das Landgericht, wenn es die nach der Wiedervereinigung noch ahndbare Tatschuld nach der von den Angeklagten geschaffenen Gefahr für eine Auswechslung einzelner Kandidaten der Nationalen Front bemißt und die Tatschuld deswegen als gemindert ansieht, weil eine solche Kandidatenverschiebung nicht eingetreten ist. Im übrigen wäre eine darauf bezogene Wahlfälschung nach der Wiedervereinigung ohnehin strafrechtlich unerheblich (vgl. BGHSt 39, 54, 69/70).

bb) In gleicher Weise sachfremd ist es, zugunsten der Angeklagten zu berücksichtigen, daß sie "an derjenigen Stelle, an der die Bürger im Wahlsystem der DDR noch am ehesten die (eingeschränkte) Möglichkeit hatten, auf die Zusammensetzung der örtlichen Volksvertretungen Einfluß zu nehmen, nämlich beim Auswahlverfahren vor der offiziellen Aufstellung der Kandidaten, auf die Entscheidung der Wähler keinen Einfluß nahmen" (UA S. 121). Aus dieser Unterlassung kann keine Minderung der Tatschuld abgeleitet werden, die darin bestand, daß die Angeklagten die durch die Wahl geäußerte Ablehnung des DDR-Unrechtsregimes unterdrückt haben. Im übrigen wäre eine Einflußnahme von SED-Mandatsträgern auf das Auswahlverfahren für Kandidaten der Nationalen Front kein (zu unterlassendes) Unrecht, sondern systemkonform gewesen.

cc) Der Strafkammer ist es auch sonst nicht gelungen, die strafrechtlich erhebliche Schuld in widerspruchsfreier und nachvollziehbarer Weise zu bestimmen.

So berücksichtigt sie zugunsten der Angeklagten, daß sie "im Interesse der Zentrale und nicht im Eigeninteresse oder gar aus eigensüchtigen Motiven" gehandelt haben (UA S. 124). Das trifft nach den getroffenen Feststellungen so nicht zu. Insbesondere Dr. M. hat die Rechtswidrigkeit seiner Beteiligung an den Wahlfälschungen, die er auch aus politischen Gründen zu verhindern suchte, klar erkannt. Auch ein ihn als Parteimitglied bindender Beschluß der zuständigen SED-Gremien zur Vornahme der Fälschungen lag nicht vor. Er hat sich den Weisungen von ZK-Sekretären aus Berlin mit deswegen gebeugt, weil er befürchtete, sonst seine "langjährig eingenommene berufliche Position und wirtschaftliche Sicherheit" zu verlieren und nicht weiter an herausgehobener Stelle tätig sein zu dürfen (vgl. UA S. 125). Ähnliches gilt für die anderen Angeklagten. Sie haben daher entgegen der Wertung der Strafkammer jedenfalls auch im eigenen beruflichen Interesse und teilweise auch aus eigensüchtigen Motiven gehandelt.

Die Strafkammer bezeichnet demgegenüber "die zur Beteiligung an der Wahlfälschung führenden Motive" der Angeklagten als "auch aus heutiger Sicht nicht unehrenhaft" (UA S. 131). Diese Beurteilung kann der Senat nicht nachvollziehen. Die Angeklagten haben nicht nur nach heutigem demokratischen Verständnis, sondern ebenso nach den zur Tatzeit geltenden sozialistischen Normen eine strafbare Wahlfälschung begangen. Auch unter SED-Parteifunktionären wurde eine Wahlfälschung nicht allgemein als eine "normwidrige Faktizität" akzeptiert. Das verdeutlichen schon die Feststellungen des Landgerichts über den zum Teil heftigen Widerstand, den Mitglieder von Wahlkreiskommissionen und Vorsitzende von SED-Kreisleitungen dem Fälschungsansinnen entgegensetzten; er konnte vielfach nur durch den von den Angeklagten veranlaßten oder selbst ausgeübten massiven Druck überwunden werden. Auch wenn die Angeklagten bei Ungehorsam gegenüber der Parteiführung den Verlust ihrer Ämter befürchteten, war die von ihnen zu verantwortende Durchsetzung des Rechtsbruchs durch konkludente Drohung mit dem Verlust der beruflichen Stellung der von ihnen abhängigen Weisungsempfänger verwerflich. Die Drohung mit einem solch empfindlichen Übel stellt vielmehr einen Strafschärfungsgrund dar, der in die Strafzumessungserwägungen der Strafkammer keinen Eingang gefunden hat und bei der nach § 59 Abs. 1 StGB gebotenen Gesamtabwägung außer Betracht geblieben ist. Das Tatunrecht wird nur unwesentlich dadurch gemindert, daß einige der Angeklagten gehofft haben mögen, später einmal an einer Reform der sozialistischen Einheitspartei mitwirken zu können, wenn sie sich zur Tatzeit der Parteidisziplin unterwarfen.

Externe Fundstellen: BGHSt 40, 307; NJW 1995, 1564; NStZ 1995, 126; StV 1995, 70

Bearbeiter: Karsten Gaede