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HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 866

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 109/16, Beschluss v. 09.08.2016, HRRS 2016 Nr. 866


BGH 3 StR 109/16 - Beschluss vom 9. August 2016 (LG Osnabrück)

BGHR; Amtsanmaßung (ausdrücklicher oder konkludenter Hinweis auf allgemein gehaltene Kennzeichnung als Funktionsträger; kein Erfordernis des Zugehörigkeitshinweises zu einer bestimmten Dienststelle); Betrug durch Erschleichen der PIN bei gleichzeitiger Offenlegung des Besitzes der Bankkarte (Abgrenzung zum Computerbetrug).

§ 132 StGB; § 263 StGB; § 263a StGB

Leitsätze

1. Als Inhaber eines öffentlichen Amtes (§ 132 StGB) gibt sich aus, wer auf seine Funktion als Amtsinhaber ausdrücklich oder konkludent, sei es auch nur durch eine allgemein gehaltene Kennzeichnung als Funktionsträger, hinweist; des Zugehörigkeitshinweises zu einer bestimmten Dienststelle bedarf es nicht. (BGHR)

2. Wer gegenüber dem berechtigten Karteninhaber erklärt, im Besitz der Bankkarte zu sein und gleichzeitig darüber täuscht, wie er deren Besitz erlangt hat, verwirklicht regelmäßig den Tatbestand des Betrugs, wenn er sich die Nennung der PIN erschleicht und dadurch die faktische Verfügungsmöglichkeit erlangt, die es ihm ermöglicht, unter Missbrauch des ihm entgegengebrachten Vertrauens anschließend Geldabhebungen an Geldautomaten zu tätigen. Es verhält sich insofern nicht anders als bei einer auf die gleichzeitige Erlangung des Besitzes an einer EC-oder Kreditkarte und der PIN gerichteten Täuschung oder der betrügerischen Erlangung nur des Kartenbesitzes in Fällen, in denen dem Täter die PIN bereits - wie der Geschädigte weiß - bekannt ist. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 27. November 2015 wird

der Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Diebstahls in 34 Fällen, des Betrugs in neun Fällen, davon in sechs Fällen in Tateinheit mit Amtsanmaßung, des Computerbetrugs in elf Fällen, wobei es in vier Fällen beim Versuch blieb, sowie der Amtsanmaßung in zehn Fällen schuldig ist;

der Angeklagte im Übrigen freigesprochen. Insoweit fallen die ausscheidbaren Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;

der Angeklagte im Fall II. 32 der Urteilsgründe zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls in 34 Fällen, Computerbetrugs in 17 Fällen, wobei es in vier Fällen beim Versuch blieb, wegen Amtsanmaßung in 16 Fällen sowie wegen Betruges in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch Folgendes ergeben:

1. Die Verurteilung wegen Diebstahls in 34 Fällen, Betrugs in drei Fällen (Fälle II. 42-44 der Urteilsgründe) und Computerbetrugs bzw. versuchten Computerbetrugs in den Fällen, in denen der Angeklagte die gestohlenen EC- und Kreditkarten einsetzte, ohne zuvor die PIN von den Geschädigten zu erfragen (Fälle II. 14-17, 51-54, 60 und 65-66 der Urteilsgründe), erweist sich aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen als rechtsfehlerfrei.

2. Gleiches gilt für die jeweilige Verurteilung wegen Amtsanmaßung in den Fällen II. 6, 8, 12, 33, 35, 37, 46, 49, 57 und 59 der Urteilsgründe.

Insoweit belegen die Urteilsgründe nach ihrem Gesamtzusammenhang, dass der Angeklagte nicht nur in den drei Fällen, in denen die Strafkammer die Telefonate mit den Geschädigten wörtlich wiedergegeben hat, so aufgetreten ist, wie aus den Verschriftungen ersichtlich, sondern auch in den übrigen Fällen. Er befasste sich daher mit der Ausübung eines öffentlichen Amtes im Sinne von § 132 Alternative 1 StGB, indem er - ausdrücklich - auf seine angebliche Funktion als Amtsinhaber hinwies und sich so verhielt, als nehme er Aufgaben und Befugnisse der ihm verliehenen Amtsstellung - der eines Polizisten - wahr. Entgegen der Auffassung der Revision war auch schon eine allgemein gehaltene Kennzeichnung als Funktionsträger von Polizeigewalt ausreichend. Im Gegensatz zu § 132a Abs. 1 Nr. 1 StGB, der die Verwendung einer dem Täter nicht zukommenden förmlichen Amtsbezeichnung erfasst, wird § 132 StGB maßgeblich durch die missbräuchliche Ausübung einer sachlich angemaßten Amtsbefugnis bestimmt, ohne dass es dabei auf die förmliche Bezeichnung oder überhaupt auf eine ausdrückliche Hervorhebung von Namen und Art des öffentlichen Amts ankommt; insbesondere bedarf es keines Zugehörigkeitshinweises zu einer bestimmten Dienststelle (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 3. April 2002 - 1 Ss 13/01, NStZ-RR 2002, 301, 302; LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 132 Rn. 15; S/S/Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 132 Rn. 4; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 132 Rn. 6; aA OLG Koblenz, Beschluss vom 9. März 1989 - 1 Ss 81/89, NStZ 1989, 268 mit ablehnender Besprechung Krüger, NStZ 1989, 477).

Der Angeklagte hat sich amtlich betätigt. Insoweit genügt es, dass sein Handeln nach außen als Ausübung hoheitlicher Tätigkeit erscheint, wobei auf den Empfängerhorizont eines unbefangenen Dritten abzustellen ist (OLG Karlsruhe aaO; LK/Krauß aaO, Rn. 22 mwN). Abzugrenzen ist solches Handeln von einem rein privaten Auftreten oder erwerbswirtschaftlich-fiskalischer Tätigkeit; im Übrigen braucht es sich nicht um eine für den jeweiligen angeblichen Hoheitsträger zulässige Amtsausübung zu handeln (LK/Krauß aaO, Rn. 20 mwN). So verhielt es sich hier: Der Angeklagte behauptete in den Gesprächen, die Polizei habe die aufgefundenen Zahlungskarten - routinemäßig - sperren lassen, was sowohl im Rahmen der Fundsachenbearbeitung als auch zur Verhinderung von Straftaten in den Zuständigkeitsbereich der Polizeibehörden fallen kann. Durch das Angebot in Wahrnehmung hoheitlicher Befugnisse diese Sperrung wieder rückgängig zu machen, spiegelte der Angeklagte nicht nur vor, eine „soziale Gefälligkeit“ erbringen zu wollen, sondern vermittelte den Geschädigten, dass er - wenn auch in ihrem Interesse - sich amtlich betätigte.

Dass das Landgericht in diesen Fällen nicht auch eine Strafbarkeit wegen tateinheitlich begangenen versuchten Betrugs geprüft hat, beschwert den Angeklagten nicht.

3. Entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts bedarf der Schuldspruch im Übrigen aber der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Änderung. In der Antragsschrift heißt es:

„In den Fällen, in denen der Angeklagte durch Täuschung der Geschädigten die PIN für die zuvor entwendeten EC-Karten in Erfahrung brachte (Fälle II. 2, 19, 23, 28, 62 und 68), ist er indes nicht - wie das Landgericht mit der Begründung, nur die PIN, nicht aber die Bankkarten seien betrügerisch erlangt worden, angenommen hat - des Computerbetrugs sondern des Betrugs schuldig. Maßgebend ist insoweit, dass der Angeklagte den Geschädigten gegenüber einräumte, bereits im Besitz der Bankkarten zu sein und sie gleichzeitig darüber täuschte, wie er deren Besitz erlangt hatte. Indem diese ihm die PIN nannten, räumten sie ihm nicht anders als bei einer auf die gleichzeitige Erlangung des Besitzes an einer EC-oder Kreditkarte und der PIN gerichteten Täuschung (vgl. dazu BGHR § 263 Abs. 1 Konkurrenzen 6; BGHR § 263a StGB Anwendungsbereich 1; BGH NStZ-RR 2015, 337 ff.) oder der betrügerischen Erlangung nur des Kartenbesitzes in Fällen, in denen dem Täter die PIN bereits - wie der Geschädigte weiß - bekannt ist (vgl. OLG Jena wistra 2007, 236 f.), irrtumsbedingt die faktische Verfügungsmöglichkeit ein, die es dem Angeklagten ermöglichte, unter Missbrauch des ihm entgegengebrachten Vertrauens anschließend die Geldabhebungen an den Geldautomaten zu tätigen. Dass der Angeklagte vortäuschte, die Bankkarten seien gesperrt, ändert daran schon deshalb nichts, weil er gerade vorgab, diese Sperrung alsbald selbst beseitigen und so die Verfügungsmöglichkeit wieder herstellen zu können.

Der Angeklagte hat sich daher in den Fällen II. 2, 19, 23, 28, 62 und 68 nicht nur wegen Amtsanmaßung - insoweit gilt nichts anderes als in den Fällen II. 6, 8, 12, 33, 35, 37, 46, 49, 57 und 59 - sondern tateinheitlich wegen Betrugs strafbar gemacht.“

Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an und stellt den Schuldspruch entsprechend um. Dem steht § 265 StPO nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können. Soweit die Strafkammer ihn in den Fällen II. 3, 20, 24, 29, 63 und 69 der Urteilsgründe (Fälle 3, 17, 21, 26, 60 und 65 der Anklageschrift) wegen Computerbetrugs verurteilt hat, war er hingegen zur erschöpfenden Erledigung der Anklage, die von tatmehrheitlicher Begehung ausgegangen war, freizusprechen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 260 Rn. 13).

II. Zum Strafausspruch gilt das Folgende:

1. Die mannigfachen Einwendungen der Revision gegen die Strafzumessung dringen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen nicht durch; sie stellen vielmehr ganz überwiegend den im Revisionsverfahren unbehelflichen Versuch dar, eine eigene Bewertung der maßgeblichen Strafzumessungstatsachen an die Stelle derjenigen des dazu berufenen Tatgerichts zu setzen.

2. Der Teilfreispruch führt zum Wegfall der in den Fällen II. 3, 20, 24, 29, 63 und 69 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen von zweimal acht Monaten, dreimal zehn Monaten und einmal einem Jahr.

3. Im Übrigen bedarf die im Fall II. 32 der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe von sieben Monaten der Änderung. Der Generalbundesanwalt hat hierzu ausgeführt:

„Die im Fall II. 32 verhängte Einzelstrafe beruht auf einem offensichtlichen Fassungsversehen. Nach den Feststellungen ist durch die Tat ein Gesamtschaden in Höhe von lediglich 20 Euro entstanden. Das Landgericht hat die in den Diebstahlsfällen verhängten Einzelstrafen maßgeblich an der Schadenshöhe ausgerichtet und bei Schäden bis zu 100 Euro jeweils auf eine Freiheitsstrafe von vier Monaten erkannt. Umstände, die im Fall II. 32 ausnahmsweise eine höhere Strafe rechtfertigen könnten, sind weder im Zusammenhang mit der Strafzumessung dargetan noch sonst ersichtlich. Insbesondere rechtfertigt der (erfolglos gebliebene) Versuch, von der Geschädigten im Anschluss an den Diebstahl die PIN zu erfahren (Fall II. 33), keine höhere Einzelstrafe, denn in den jeweils nur mit einer Freiheitsstrafe von vier Monaten geahndeten Fällen II. 1, 11, 26, 27, 34, 36 und 38 bemühte sich der Angeklagte anschließend ebenfalls um telefonischen Kontakt zu der jeweils Geschädigten, konnte diesen auch teilweise herstellen und sie in den Fällen II. 1 und 27 sogar zur Preisgabe der PIN bewegen. Der Senat kann das Fassungsversehen dergestalt korrigieren, dass er auf eine Freiheitsstrafe von vier Monaten erkennt.“

Dem schließt sich der Senat ebenfalls an.

4. Der Wegfall bzw. die Herabsetzung der genannten Einzelstrafen lässt den Gesamtstrafenausspruch unberührt. Der Senat kann angesichts der verbleibenden 64 Einzelstrafen, die in der Summe annähernd 16 Jahre betragen, ausschließen, dass das Landgericht bei Vermeidung der aufgezeigten Rechtsfehler auf eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte, zumal sich der Unrechtsgehalt insgesamt nicht wesentlich geändert hat: In den Fällen II. 2, 19, 23, 28, 62 und 68 der Urteilsgründe ist zu der Verurteilung wegen Amtsanmaßung tateinheitlich der Schuldspruch wegen Betruges hinzugekommen, dessen Unrechtsgehalt mit demjenigen der Fälle II. 3, 20, 24, 29, 63 und 69 der Urteilsgründe im Wesentlichen übereinstimmt.

HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 866

Externe Fundstellen: NJW 2016, 3111; NStZ 2016, 721; StV 2018, 163

Bearbeiter: Christian Becker