HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1325
Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, AK 56/23, Beschluss v. 05.10.2023, HRRS 2023 Nr. 1325
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Grundsätzen zuständigen Gericht übertragen.
Der Beschuldigte befindet sich seit dem 21. März 2023 ununterbrochen in Untersuchungshaft aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 13. März 2023 (2 BGs 324/23).
Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe sich zwischen dem 20. Mai 2015 und Juni 2015 in Al-Sawana (Syrien) durch vier selbständige Handlungen an der ausländischen terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS) beteiligt (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 StGB), davon in jeweils einem Fall in Tateinheit mit - Mord (§ 211 StGB) und einem Kriegsverbrechen gegen Personen durch Tötung sowie durch Vollstreckung einer Todesstrafe (§ 8 Abs. 1 Nr. 1, 7 VStGB), Mord, versuchtem Mord (§§ 211, 22, 23 StGB), einem Kriegsverbrechen gegen Personen durch Tötung sowie einem versuchten Kriegsverbrechen gegen Personen durch Tötung (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB, §§ 22, 23 StGB), - einem Kriegsverbrechen gegen Personen durch Geiselnahme (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 VStGB) und mit Geiselnahme (§ 239b Abs. 1 StGB).
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
1. Der Beschuldigte ist der ihm mit dem Haftbefehl zur Last gelegten Taten dringend verdächtig (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO).
a) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines solchen Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:
aa) Die Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS) ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region „ash-Sham“ - die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden „Gottesstaat“ unter Geltung der Scharia zu errichten und dazu das Regime des syrischen Präsidenten Assad und die schiitisch dominierte Regierung im Irak zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als „Feind des Islam“ begreift; die Tötung solcher „Feinde“ oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht der IS als legitimes Mittel des Kampfes an.
Die Führung der Vereinigung, die sich mit der Ausrufung des „Kalifats“ am 29. Juni 2014 aus „Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien“ (ISIG) in „Islamischer Staat“ (IS) umbenannte, wodurch sie von der territorialen Selbstbeschränkung Abstand nahm, hatte ab 2010 Abu Bakr al-Baghdadi inne. Bei der Ausrufung des Kalifats erklärte der Sprecher des IS ihn zum „Kalifen“, dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Seit dem Tod al-Baghdadis im Oktober 2019 benannte die Organisation mehrere Nachfolger.
Dem Anführer des IS unterstanden ein Stellvertreter sowie „Minister“ als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein „Kriegsminister“ und ein „Propagandaminister“. Zur Führungsebene gehörten außerdem beratende „Shura-Räte“. Veröffentlichungen wurden von eigenen Medienstellen produziert und verbreitet. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem „Prophetensiegel“ (einem weißen Oval mit der Inschrift „Allah - Rasul - Muhammad“) auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Die zeitweilig über mehrere Tausend Kämpfer waren dem „Kriegsminister“ unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.
Die Vereinigung teilte von ihr besetzte Gebiete in Gouvernements ein und richtete einen Geheimdienstapparat ein; diese Maßnahmen zielten auf die Schaffung totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der irakischen und syrischen Armee, aber auch von in Gegnerschaft zum IS stehenden Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsbereich des IS in Frage stellten, sahen sich der Verhaftung, Folter und der Hinrichtung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen wurden mehrfach vom IS zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlicht. Darüber hinaus beging er immer wieder Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung und außerhalb seines Machtbereichs Terroranschläge. So übernahm er für Anschläge in Europa, etwa in Paris, Brüssel und Berlin, die Verantwortung.
Im Jahr 2014 gelang es dem IS, große Teile der Staatsterritorien von Syrien und dem Irak zu besetzen. Er kontrollierte die aneinander angrenzenden Gebiete Ostsyriens und des Nordwestiraks. Ab dem Jahr 2015 geriet die Vereinigung militärisch zunehmend unter Druck und musste schrittweise massive territoriale Verluste hinnehmen. Im August 2017 wurde sie aus ihrer letzten nordirakischen Hochburg in Tal Afar verdrängt. Im März 2019 galt der IS - nach der Einnahme des von seinen Kämpfern gehaltenen ostsyrischen Baghouz - sowohl im Irak als auch in Syrien als militärisch besiegt, ohne dass aber die Vereinigung als solche zerschlagen wäre.
bb) Der Beschuldigte ist in Syrien geboren und aufgewachsen. Er lebte bereits mehrere Jahrzehnte in der für ein großes Phosphatbergwerk bekannten Stadt Al-Sawana, als diese im Zuge des syrischen Bürgerkriegs am 20. Mai 2015 vom IS eingenommen wurde. Noch am selben Tag schloss er sich der Vereinigung an und gliederte sich im Folgenden in ihre Strukturen ein. Er bewegte sich von nun an gemeinsam mit anderen IS-Angehörigen in der Stadt, darunter zwei gesondert Verfolgten. Dabei befolgte der Beschuldigte die Kleidungsvorschriften der Organisation, trug offen eine Waffe und trat den Stadtbewohnern gegenüber im Namen des IS auf. Unter anderem beteiligte er sich an - nicht näher konkretisierten - Plünderungen, Diebstählen und Verhaftungen von Zivilisten, wobei er den zumeist ausländischen IS-Kämpfern als ortskundiger Informant diente und ihnen gegenüber verschiedene seiner Mitbürger eines vermeintlichen Fehlverhaltens bezichtigte (Fall 1).
Ende Mai 2015 stürmte der bewaffnete Beschuldigte gemeinsam mit weiteren IS-Angehörigen das Haus des Sicherheitsverantwortlichen der Phosphatmine. Wie der Beschuldigte wusste, gehörte jener einem Bataillon der regierenden Baath-Partei von Machthaber Baschar al-Assad an. Zusammen mit den anderen bedrohte der Beschuldigte die Familie des flüchtigen Mannes und bemächtigte sich dessen beider Söhne. Dem älteren Sohn schlug er den Kolben seines Gewehrs ins Gesicht und sperrte ihn in ein Fahrzeug ein. Den jüngeren ließ er frei, damit er dem Vater ausrichtet, dass sein älterer Bruder vom IS getötet werde, sollte er, der Vater, sich nicht stellen. Eineinhalb Stunden später ergab sich der Vater daraufhin den IS-Kämpfern. Bis dahin hielt der Beschuldigte den älteren Sohn, der Todesangst erlitt, in dem Auto gefangen (Fall 2).
Anfang Juni 2015 forderten IS-Angehörige die männlichen Einwohner der Stadt dazu auf, sich auf einem zentral gelegenen Platz zu versammeln. Dort wollte die Vereinigung zwei Soldaten der Freien Syrischen Armee (FSA) öffentlich hinrichten, um die Zivilbevölkerung zu verängstigen und Macht zu demonstrieren. Der Beschuldigte, der diese Motivation teilte, verbrachte die beiden Opfer mit seinem Fahrzeug zu dem Platz. Beim Aussteigen rief er aus: „Hier sind die Verbrecher!“ Sodann beteiligte er sich daran, die Männer zum Ort der Hinrichtung zu zerren, wo sie niederknien mussten. Die zivilen „Zuschauer“ stellten sich auf Geheiß des bewaffneten Beschuldigten kreisförmig auf. Einzelne Anwesende dirigierte er auf bestimmte Plätze. Sich selbst positionierte er in unmittelbarer Nähe zur Hinrichtungsstelle, bewachte das Geschehen und sorgte so für einen reibungslosen Ablauf. Nachdem den beiden FSA-Soldaten erfolglos der Übertritt zum IS angeboten und ein „Todesurteil“ verlesen worden war, schoss ihnen ein IS-Kämpfer jeweils mit einer Pistole in den Kopf. Der eine Mann verstarb sofort, der andere lebte zunächst noch. In dieser Situation hinderte der Beschuldigte den Schützen an einer erneuten Schussabgabe mit der Begründung, man solle das Opfer nicht erlösen, sondern leiden lassen. Das zweite Tatopfer wurde 15 Minuten später mit einem weiteren Schuss getötet (Fall 3).
Einige Tage darauf wollten IS-Angehörige abermals zwei FSA-Soldaten auf demselben Platz hinrichten. Der Beschuldigte fuhr die Opfer erneut mit einem Pickup dorthin. An der Hinrichtungsstelle angekommen, tötete ein IS-Mitglied den einen Mann durch einen Kopfschuss. Der Beschuldigte nahm dies zum Anlass, arabischen Gesang anzustimmen. Als der zweite Mann lautstark um sein Leben flehte, beschlossen der Beschuldigte und seine Gruppe, ihn nicht unmittelbar an Ort und Stelle zu töten. Stattdessen banden sie ihn an einem Seil am Pickup fest und schleiften ihn fahrend mit einer Geschwindigkeit von 40 km/h und mehr durch die Straßen. Der Beschuldigte saß währenddessen im Fahrzeug und rief „Allahu Akbar“. Das Schicksal des zweiten Opfers ist unbekannt (Fall 4).
b) Der dringende Tatverdacht hinsichtlich der außereuropäischen Vereinigung IS beruht unter anderem auf islamwissenschaftlichen Gutachten, verschiedenen Behördenerklärungen von Nachrichtendiensten und polizeilichen Auswerteberichten.
Die beschriebenen Handlungen des Beschuldigten folgen aus mehreren Zeugenaussagen. Insbesondere der Verantwortliche der Phosphatmine und dessen älterer Sohn, der Entführte, haben umfangreich im Sinne des geschilderten Geschehens bekundet, außerdem zwei aus Sicherheitsgründen anonymisierte Zeugen. Soweit der Beschuldigte die Tatvorwürfe bestritten und sich über seinen Verteidiger dahin eingelassen hat, er sei im Tatzeitraum nicht in Al-Sawana gewesen, sondern auf der Flucht, stehen diese Angaben im Widerspruch zu den Aussagen der genannten und vieler weiterer Zeugen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Darlegungen im Haftbefehl sowie in der Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 14. September 2023 verwiesen.
Zwar hat ein Zeuge bekundet, der Beschuldigte habe mit den Tatvorwürfen nichts zu tun. Auf Videos, die der Verteidiger zur Akte gereicht hat, sind ebenfalls fünf sich im Ausland aufhaltende Personen zu sehen, die sich jeweils kurz im Sinne des Beschuldigten zum Sachverhalt äußern. Dadurch wird der durch die übrigen Beweismittel begründete dringende Verdacht indes nicht erschüttert. Eine ins Einzelne gehende Glaubhaftigkeitsanalyse der unterschiedlichen Zeugenaussagen ist in diesem Stadium des Verfahrens weder rechtlich geboten noch tatsächlich möglich und bleibt einer etwaigen Hauptverhandlung vorbehalten (vgl. BGH, Beschluss vom 22. August 2019 - StB 21/19, juris Rn. 17 mwN).
c) In rechtlicher Hinsicht ergibt sich danach Folgendes:
aa) Der Beschuldigte hat sich mit hoher Wahrscheinlichkeit zunächst in allen vier Fällen wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 StGB strafbar gemacht. Eine Verfolgungsermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz im Sinne des § 129b Abs. 1 Satz 3 bis 5 StGB liegt vor.
bb) Der als Fall 2 geschilderte Sachverhalt ist mit hoher Wahrscheinlichkeit als Kriegsverbrechen gegen Personen durch Geiselnahme zu werten (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 VStGB). In Syrien bestand im Tatzeitraum ein nichtinternationaler bewaffneter Konflikt (s. BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2021 - AK 44/21, juris Rn. 24; Urteil vom 27. Juli 2017 - 3 StR 57/17, BGHSt 62, 272 Rn. 11 mwN). Den Begriff der Geiselnahme, der im Völkerstrafgesetzbuch und in Art. 8 Abs. 2 Buchstabe a Nr. viii und Abs. 2 Buchstabe c Nr. iii IStGH-Statut nicht näher definiert ist, hat der Gesetzgeber dahin verstanden, dass der Täter eine zu schützende Person im Sinne des § 239b StGB entführt oder sich ihrer in anderer Weise bemächtigt, um die gegnerische Partei im bewaffneten Konflikt zu einer bestimmten Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen (BT-Drucks. 14/8524, S. 26; vgl. auch MüKoStGB/Geiß/Zimmermann, 4. Aufl., § 8 VStGB Rn. 132). Jedenfalls ein solches Verhalten unterfällt mithin dem Tatbestand.
Diese Voraussetzungen sind nach dem gegenwärtig anzunehmenden Sachverhalt erfüllt. Der Beschuldigte bemächtigte sich einer nach dem humanitären Völkerrecht zu schützenden Person, nämlich des Sohnes des flüchtigen Minenmitarbeiters. Jener war im Sinne des § 8 Abs. 6 Nr. 2 VStGB kein Teilnehmer der Feindseligkeiten; er war ein Zivilist, der sich in der Gewalt des IS und damit der ihm gegnerischen Partei befand (vgl. BGH, Beschluss vom 4. April 2019 - AK 12/19, NStZ-RR 2019, 229, 231). Die Gefangennahme hatte den Zweck, den Vater dahin zu bewegen, sich dem IS zu stellen. Der derart Genötigte war als Leiter der Sicherheitsabteilung der bis dahin staatlich betriebenen Phosphatmine und Mitglied eines Baath-Bataillons ein Angehöriger der Streitkräfte der Assad-Regierung und damit Teil einer dem IS gegnerischen Partei im bewaffneten Konflikt. Schließlich beging der Beschuldigte die Tat im Zusammenhang mit diesem (vgl. etwa BGH, Urteil vom 27. Juli 2017 - 3 StR 57/17, BGHSt 62, 272 Rn. 55 f. mwN; Beschluss vom 17. November 2016 - AK 54/16, juris Rn. 29).
Für die Frage der Haftfortdauer bedarf gegenwärtig keiner Entscheidung, ob entsprechend der rechtlichen Würdigung im Haftbefehl zugleich der dringende Tatverdacht einer tateinheitlichen Geiselnahme im Sinne des § 239b Abs. 1 StGB besteht oder dieser Tatbestand im Wege der Gesetzeseinheit zurücktritt (vgl. allgemein zu den Konkurrenzregeln BT-Drucks. 14/8524, S. 13; BGH, Urteil vom 28. Januar 2021 - 3 StR 564/19, BGHSt 65, 286 Rn. 82 mwN; Beschluss vom 30. November 2022 - 3 StR 230/22, NJW 2023, 1138 Rn. 56 f.).
Das Organisationsdelikt der Vereinigungsmitgliedschaft wird von dem Kriegsverbrechen zumindest nicht erfasst (s. BGH, Beschlüsse vom 18. Dezember 2018 - StB 52/18, BGHSt 64, 1 Rn. 18 mwN; vom 10. August 2022 - 3 StR 187/22, NStZ-RR 2022, 319, 320). Die danach jedenfalls zwei hochwahrscheinlich verwirklichten Delikte nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 VStGB und § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 StGB stehen untereinander im Verhältnis der Tateinheit (§ 52 StGB).
cc) Im oben als Fall 3 geschilderten Sachverhalt hat der Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit den Tatbestand eines Kriegsverbrechens gegen Personen durch Tötung (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB) erfüllt. Außerdem sind angesichts der Motivlage die Voraussetzungen eines Mordes nach § 211 StGB jedenfalls in der Variante der niedrigen Beweggründe gegeben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. September 2020 - StB 28/20, juris Rn. 37 mwN; vom 3. Februar 2021 - AK 1/21 u.a., NStZ-RR 2021, 118). Das spezifische Tatunrecht von Mord wird durch das Kriegsverbrechen gegen Personen durch Tötung nicht abgedeckt (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschluss vom 10. August 2022 - 3 StR 187/22, NStZ-RR 2022, 319).
Die Tötungen sind dem Beschuldigten aufgrund des bislang anzunehmenden Sachverhalts als Mittäter nach § 25 Abs. 2 StGB, § 2 VStGB zuzurechnen. Das Verbringen der Soldaten zur Hinrichtungsstätte und die Bewachung des Geschehens in unmittelbarer Nähe stellten wesentliche Tatbeiträge dar (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. Februar 2018 - AK 4/18 u.a., juris Rn. 33; vom 20. Februar 2019 - AK 4/19, juris Rn. 22 ff.; vom 3. Februar 2021 - AK 1/21 u.a., NStZ-RR 2021, 118 mwN).
Keiner Vertiefung bedarf, ob entsprechend der rechtlichen Würdigung im Haftbefehl der Tatbestand des § 8 Abs. 1 Nr. 7 VStGB Anwendung findet und die Norm Konstellationen erfasst, in denen sich eine nichtstaatliche Terrororganisation eine wie auch immer geartete Rechtsprechungsgewalt anmaßt. Sofern der Tatbestand gegeben ist, stellt er in solchen Fällen zumindest keine lex specialis gegenüber § 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB dar. Zum einen könnte ansonsten die im Vergleich zu § 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB geringere Strafandrohung des § 8 Abs. 1 Nr. 7 VStGB denjenigen Täter privilegieren, dessen Opfer zuvor ein vermeintliches (Schein-)„Gerichtsverfahren“ durchlaufen hat; zum anderen dienen die Tatbestände unterschiedlichen Schutzzwecken (vgl. insoweit BGH, Beschluss vom 13. September 2017 - AK 38/17 u.a., juris Rn. 28; noch offenlassend BGH, Beschluss vom 6. April 2017 - AK 14/17, juris Rn. 22).
Schließlich kann offen bleiben, wie sich die insgesamt drei Schüsse konkurrenzrechtlich zueinander verhalten (vgl. insoweit BGH, Beschlüsse vom 20. Februar 2019 - AK 4/19, BGHR VStGB § 8 Abs. 1 Konkurrenzen 1 Rn. 25; vom 10. August 2021 - 3 StR 394/20, juris Rn. 4 ff.).
dd) Das im Haftbefehl als Fall 4 dargestellte Hinrichtungs- und Folgegeschehen erfüllt danach gleichfalls tateinheitlich zumindest die Tatbestände des Kriegsverbrechens gegen Personen durch Tötung nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB, des Mordes, des versuchten Kriegsverbrechens gegen Personen durch Tötung, des versuchten Mordes sowie der Beteiligung als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung im Ausland.
ee) Es bleibt - unbeschadet der vorangegangenen Ausführungen - mithin bei einer hochwahrscheinlichen Strafbarkeit in wenigstens den im Haftbefehl genannten vier Fällen gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 und 2 VStGB, §§ 211, 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1, §§ 22, 23 Abs. 1, § 25 Abs. 2, §§ 52, 53 StGB (zum Konkurrenzverhältnis im Hinblick auf das Vereinigungsdelikt vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Juli 2015 - 3 StR 537/14, BGHSt 60, 308 Rn. 23 ff.; vom 20. April 2021 - AK 30/21, StV 2021, 575 Rn. 50 ff.).
ff) Deutsches Strafrecht ist anwendbar. Für die Kriegsverbrechen gilt das infolge des in § 1 Satz 1 VStGB normierten Weltrechtsprinzips, für die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung aufgrund von § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB, für den Tatbestand des Mordes infolge beider Vorschriften (s. BGH, Beschlüsse vom 3. Februar 2021 - AK 1/21 u.a., NStZ-RR 2021, 118; vom 3. Februar 2021 - AK 20/20, StV 2021, 596 Rn. 51; vom 22. Februar 2022 - AK 3/22, juris Rn. 20).
2. Die Strafgerichtsbarkeit des Bundes und damit die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs für den Erlass des Haftbefehls ergeben sich aus § 169 Abs. 1 StPO, § 120 Abs. 1 Nr. 6 und 8, § 142 Abs. 1 Nr. 1, § 142a Abs. 1 Satz 1 GVG.
3. Es bestehen weiterhin aus den im Haftbefehl dargelegten Erwägungen die Haftgründe der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO sowie - auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO (s. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2019 - AK 57/18, juris Rn. 30 f.) - der Schwerkriminalität. Dem Beschuldigten droht im Fall seiner Verurteilung eine lebenslange Gesamtfreiheitsstrafe. Dem sich daraus ergebenden erheblichen Fluchtanreiz stehen keine wesentlichen fluchthindernden Gesichtspunkte entgegen.
Der Zweck der Untersuchungshaft kann unter den gegebenen Umständen nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 Abs. 1 StPO erreicht werden.
4. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Haftfortdauer. Seit der Verhaftung sind 30 Zeugen vernommen und sonstige gebotene Ermittlungen, unter anderem etwa Rechtshilfeersuchen, durchgeführt worden. Insgesamt ist das Verfahren dadurch geprägt, dass sich der mutmaßliche Tatort in einem ausländischen Staat befindet, mit dem kein Rechtshilfeverkehr besteht, dass der Tatzeitraum inzwischen länger zurückliegt und es sich um ein komplexes Geschehen handelt. Die gesondert verfolgten hochwahrscheinlichen Mittäter des Beschuldigten halten sich ebenso im Ausland auf wie eine Vielzahl der Zeugen. Vor diesem Hintergrund ist das Verfahren bislang mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Zuschrift des Generalbundesanwalts verwiesen. Er hat angekündigt, binnen der kommenden drei Monate Anklage zu erheben.
5. Schließlich steht die Untersuchungshaft nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1325
Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede