HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 168
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 415/19, Beschluss v. 12.11.2019, HRRS 2020 Nr. 168
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 14. Mai 2019 aufgehoben
a) im Einzelstrafausspruch, soweit der Angeklagte wegen versuchten Mordes in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit schwerer Brandstiftung und mit versuchter besonders schwerer Brandstiftung schuldig ist, sowie
b) im Gesamtstrafenausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern insoweit entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit schwerer Brandstiftung und mit versuchter besonders schwerer Brandstiftung sowie wegen Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und einem Monat verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die nicht ausgeführte Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Nach den Feststellungen des Landgerichts wohnte der Angeklagte, ein aktiver Feuerwehrmann, seit Januar 2018 zusammen mit der Nebenklägerin und deren zwei und vier Jahre alten Kindern in einem im Jahr 1900 erbauten, renovierten Haus, an das unmittelbar eine alte Scheune angrenzte. Im April 2018 trennte sich die Nebenklägerin von dem extrem eifersüchtigen, zum Kontrollwahn neigenden Angeklagten und wies diesen aus ihrem Haus. Darüber wütend und verärgert begab sich der Angeklagte am 4. Mai 2018 gegen 1.15 Uhr zu dem bäuerlichen Anwesen und zerstach die Reifen des vor dem Haus abgestellten PKWs der Nebenklägerin.
In seiner Wut noch nicht besänftigt, betrat er die an das Wohnhaus angrenzende Scheune, in der sich zahlreiche Strohballen befanden. Um der Nebenklägerin weiter zu schaden, steckte er diese in Brand, wohlwissend, dass sich im angrenzenden Wohnhaus die schlafenden kleinen Kinder und die Nebenklägerin befanden; deren möglichen Tod nahm er billigend in Kauf. Wie vom Angeklagten vorhergesehen, brannten die Scheune und das Wohnhaus vollständig nieder; der Sachschaden betrug ca. 847.000 Euro.
Die noch wach im Bett liegende Nebenklägerin hatte den Brand rechtzeitig bemerkt, weshalb es ihr gelungen war, das Wohnhaus mit den beiden Kindern unversehrt zu verlassen.
1. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch. Insbesondere begegnet die Verurteilung wegen versuchten Mordes in drei tateinheitlichen Fällen aufgrund der Annahme von Heimtücke keinen rechtlichen Bedenken.
2. Hinsichtlich der gegen den Angeklagten wegen der Tat im Zusammenhang mit der Inbrandsetzung des Anwesens verhängten Einzelfreiheitsstrafe von zehn Jahren ist jedoch nicht auszuschließen, dass die Strafkammer einen zu großen Schuldumfang zugrunde gelegt hat. Die Annahme einer versuchten Tötung mit einem gemeingefährlichen Mittel wird von den Urteilsgründen mit Blick auf die hierfür erforderliche Gefährdung einer unbestimmten Mehrzahl von Menschen nicht getragen.
a) Das Mordmerkmal der Tötung mit einem gemeingefährlichen Mittel ist erfüllt, wenn der Täter ein Tötungsmittel einsetzt, das in der konkreten Tatsituation eine unbestimmte Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährden kann, weil er die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat (vgl. BGH, Urteile vom 16. August 2005 ? 4 StR 168/05, NStZ 2006, 167, 168; vom 1. September 1992 ? 1 StR 487/92, BGHSt 38, 353, 354; vom 4. Februar 1986 ? 5 StR 776/85, BGHSt 34, 13, 14). Dabei ist nicht allein auf die abstrakte Gefährlichkeit eines Mittels abzustellen, sondern auf seine Eignung und Wirkung in der konkreten Situation unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und Absichten des Täters (vgl. BGH, Urteile vom 16. August 2005 ? 4 StR 168/05; vom 1. September 1992 ? 1 StR 487/92, jeweils aaO). Von dem Mordmerkmal tatbestandlich nicht erfasst wird eine „schlichte“ Mehrfachtötung; eine solche liegt jedenfalls dann vor, wenn sich der Täter mit Tötungsabsicht gegen eine bestimmte Anzahl von ihm individualisierter Opfer richtet (vgl. BGH, Urteile vom 16. August 2005 ? 4 StR 168/05, NStZ 2006, 167, 168; vom 16. März 2006 ? 4 StR 594/05, NStZ 2006, 503, 504; vom 14. Januar 2010 ? 4 StR 450/09, NStZ-RR 2010, 373, 374; Beschluss vom 18. Juli 2018 ? 4 StR 170/18, juris Rn. 21; Eser/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 211 Rn. 29; SK-StGB/Sinn, 9. Aufl., § 211 Rn. 61; Rengier, Strafrecht ? Besonderer Teil II, 20. Aufl., § 4 Rn. 47c; Zieschang, FS Puppe, 2011, S. 1301, 1318 ff.).
b) Nach den Feststellungen nahm der Angeklagte den Tod seiner ehemaligen Lebensgefährtin und deren beider Kinder und damit eine versuchte („schlichte“) Mehrfachtötung billigend in Kauf. Die Urteilsgründe bieten jedoch keinen Anhalt dafür, dass der Angeklagte darüber hinaus damit rechnete und billigte, dass sich neben den drei Bewohnern zur Tatzeit weitere Menschen in dem Haus aufhielten oder dass das Feuer auf Nachbargebäude übergreifen könnte, was die Annahme des Mordmerkmals ? wegen der Gefährdung einer unbestimmten Mehrzahl von Personen ? hätte rechtfertigen können.
3. Die Aufhebung des Einzelstrafausspruchs zieht die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe nach sich.
4. Der Aufhebung von Feststellungen bedurfte es nicht. Das neue Tatgericht ist nicht gehindert, ergänzende Feststellungen, z.B. zur Gefährdung weiteren benachbarter Wohnhäuser durch den Brand, zu treffen.
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 168
Externe Fundstellen: NStZ 2020, 284
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner