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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 376/96, Urteil v. 05.12.1996, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 1 StR 376/96 - Urteil vom 5. Dezember 1996 (LG Bamberg)

BGHSt 42, 343; Anforderungen an den subjektiven Tatbestand der Rechtsbeugung; Rechtsbeugung durch einen Verstoß gegen Verfahrensrecht (Zuständigkeitsbestimmungen; Rechtsbruch); mögliche Anstiftung zur Rechtsbeugung durch einen Rechtsanwalt; Kompetenz des nächsten Richters.

§ 336 StGB; § 339 StGB; § 26 StGB; § 115 a StPO

Leitsätze

1. Rechtsbeugung kommt bei einem Verstoß gegen Verfahrensrecht dann in Betracht, wenn der Richter durch sein Verhalten nicht lediglich die abstrakte Gefahr einer falschen Endentscheidung, sondern die konkrete Gefahr eines unrechtmäßigen Vor- oder Nachteils für eine Partei schafft. (BGHSt)

2. Eine solche konkrete Gefahr kann bestehen, wenn der Richter gegen Bestimmungen über die Zuständigkeit oder die Anhörung Verfahrensbeteiligter verstößt, um den zuständigen Richter von der Entscheidung oder die Staatsanwaltschaft von der Mitwirkung auszuschließen und auf diesem Wege zu einem seinen Intentionen entsprechenden Ergebnis zu kommen, das bei Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften nicht oder voraussichtlich nicht zu erreichen gewesen wäre. (BGHSt)

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten Sch. wird das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 18. Januar 1996, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben. Jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Geschehensablauf aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts H. zurückverwiesen.

2. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen. Die Staatskasse trägt die Kosten dieses Rechtsmittels, ferner die den beiden Angeklagten durch dieses Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten Sch., früher Direktor des Amtsgerichts in B., wegen Rechtsbeugung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten bei Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt und den Angeklagten G., einen in B. tätigen Rechtsanwalt, von dem Vorwurf freigesprochen, zu dieser Rechtsbeugung angestiftet zu haben.

Das Rechtsmittel des Angeklagten Sch. hat mit der Sachrüge weitgehend Erfolg, so daß es auf die von ihm erhobenen Verfahrensrügen nicht ankommt. Die Staatsanwaltschaft hat ihre auf die Sachrüge gestützte Revision zu Ungunsten dieses Angeklagten auf den Strafausspruch beschränkt und wendet sich im übrigen gegen den Freispruch des Angeklagten G. Mit beiden Angriffen bleibt das Rechtsmittel erfolglos.

Nach den Feststellungen war der wegen Betrugs und uneidlicher Falschaussage verfolgte R. am 31. März 1994 (Gründonnerstag) aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts S. in B. festgenommen und dem dortigen Amtsgericht zugeführt worden. Nachdem es nicht gelungen war, den zuständigen Haftrichter in S. zu erreichen, hatte der für Maßnahmen nach § 115 a StPO zuständige Richter des Amtsgerichts Bamberg es abgelehnt, über eine Haftverschonung des Ergriffenen, der in der Folgezeit von dem Angeklagten G. vertreten wurde, zu entscheiden und stattdessen seine Verschiebung nach S. angeordnet. Wegen der Osterfeiertage verblieb R. zunächst am Festnahmeort in Haft.

Weil es ihm möglicherweise nicht gelang, während der Ostertage in B. einen zuständigen Haftrichter zu erreichen, wandte sich der Angeklagte G. mit einem umfangreichen Haftverschonungsantrag an den mit ihm befreundeten Angeklagten Sch.. Obwohl nicht zum Eildienst über die Ostertage eingeteilt, entschloß dieser sich nach anfänglichem Zögern am Ostersonntag, dem 3. April 1994, dazu, den Gefangenen ohne Anhörung weiterer Verfahrensbeteiligter gegen Kaution in Höhe von 10.000 DM von der Untersuchungshaft zu verschonen. Damit wollte er auch dem Angeklagten G. einen persönlichen Gefallen erweisen. Einen feststellbar nachteiligen Einfluß auf das weitere Ermittlungsverfahren gegen R. hatte dessen Freilassung nicht. Vielmehr blieb er auf freiem Fuß. Das Amtsgericht in S. hat die Kaution später auf 100.000 DM erhöht.

I. Die Revision des Angeklagten Sch.

Die Revision des Angeklagten hat deshalb weitgehend Erfolg, weil das Landgericht den Verfahrensverstößen des Angeklagten Sch. mehr Gewicht beilegt als diesen zukommt. Damit hat es sich den Blick auf eine zutreffende Bewertung der inneren Tatseite versperrt.

1. Der angeklagte Richter hat hier bei Entscheidung einer Rechtssache (dazu Spendel in LK 10. Aufl. § 336 Rdn. 35) mehrere Bestimmungen des Verfahrensrechts verletzt. Rechtsbeugung kann zwar auch durch den Verstoß gegen Verfahrensvorschriften begangen werden (RGSt 57, 31, 34; BGHSt 32, 357 ff.; 38, 381, 383; BGH NStZ 1988, 218; OLG Schleswig SchlHA 1983, 86; Spendel aaO Rdn. 49). Allerdings ist nicht jeder Rechtsverstoß als "Beugung" des Rechts anzusehen, vielmehr enthält dieses Tatbestandsmerkmal ein normatives Element und soll nur elementare Verstöße gegen die Rechtspflege erfassen, bei denen sich der Täter bewußt und in schwerer Weise von Recht und Gesetz entfernt (BGHSt 32, 357, 364; 34, 146, 149; 38, 381, 383; 40, 272, 283; aA Seebode JR 1994, 1, 3 f.; Spendel JR 1994, 221, 223; Rudolphi in SK StGB 4. Aufl. § 336 Rdn. 11).

2. Die dem Angeklagten angelasteten Rechtsfehler wiegen bei rein objektiver, von seinen Motiven losgelöster Betrachtung nicht so schwer, daß allein darin schon elementare Rechtsverstöße gesehen werden könnten.

a) Allerdings hat der Angeklagte nicht ausreichend geprüft, ob er der nach dem Geschäftsverteilungsplan seines Gerichts zuständige Richter war, als er den auswärtigen Haftbefehl außer Vollzug setzte. Nach Sachlage war dies eher unwahrscheinlich.

Zwar war am Osterwochenende 1994 Verwirrung über die Person des zuständigen Haftrichters eingetreten, nachdem zwei Richter einen Eildiensttausch vereinbart hatten, ohne diesen der zuständigen Geschäftsstelle in der vom Geschäftsverteilungsplan vorgeschriebenen Form rechtzeitig und schriftlich anzuzeigen. Doch begründete dies keine persönliche Zuständigkeit des Angeklagten. Dabei kann dahinstehen, ob der Tausch wirksam war. In seiner Folge war jedenfalls der ursprünglich zuständige Richter über die Ostertage verreist und damit unerreichbar. Deshalb hätte ein Vertretungsfall vorgelegen, wenn der Tausch nicht wirksam gewesen wäre. In der Vertretungskette der Geschäftsverteilung gingen dem Angeklagten, der erst als letzter erreichbarer Richter hätte zuständig werden können, jedoch fünf weitere Richter vor. Bemühungen, einen von ihnen zu erreichen, hat der Angeklagte nicht entfaltet. Er hat deshalb eine eigene Zuständigkeit als letzter Richter bejaht, ohne zuvor die tatsächlichen Voraussetzungen der Zuständigkeitsbegründung ausreichend überprüft zu haben.

Für sich genommen stellt dieses Verhalten aber noch keinen elementaren Rechtsverstoß im Sinne des § 336 StGB dar. Wenngleich die Gewährleistung des gesetzlichen Richters als Eckpfeiler rechtsstaatlichen Prozessierens sowohl in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG als auch in § 16 GVG verankert ist, bleibt die Gefahr, die dadurch entsteht, daß ein nach dem Geschäftsverteilungsplan unzuständiger Richter sich einer Sache annimmt, für das Entscheidungsergebnis zunächst abstrakt. Das liegt daran, daß jeder Richter nach Annahme seiner Zuständigkeit für das weitere Verfahren denselben Rechtsregeln unterworfen ist. Allein aus einer fehlerhaften Zuständigkeitsbegründung erwachsen den Prozeßparteien im Regelfall noch keine greifbaren Vor- oder Nachteile. Nicht zuletzt deshalb ist die Zuständigkeitsverletzung in § 338 Nr. 1 StPO als absoluter Revisionsgrund ausgebildet, denn ein konkreter Beruhensnachweis wird sich hinsichtlich der die Vorinstanz abschließenden Entscheidung meist nicht führen lassen. Das gilt selbst in Fällen, in denen sich fehlerhafte Zuständigkeitsbegründungen als "objektiv willkürlich" darstellen. Denn auch wenn eine fehlerhafte Begründung der Zuständigkeit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar oder nachvollziehbar erscheint, mag das zwar den Schluß nahelegen, sie beruhe auf sachfremden Erwägungen, der im Strafprozeß erforderliche Nachweis einer bewußten Manipulation des Entscheidungsergebnisses ist damit aber noch nicht erbracht.

b) Das gleiche gilt, soweit dem Angeklagten ein Verstoß gegen § 115 a StPO angelastet wird.

Nach herrschender Meinung ist die Kompetenz des "nächsten Richters" nicht über den Wortlaut der Vorschrift hinaus auszudehnen. Er darf den Ergriffenen nur dann auf freien Fuß setzen, wenn dieser nicht die im Haftbefehl genannte Person ist oder der Haftbefehl nicht mehr besteht. In anderen Fällen von Bedenken gegen den Haftbefehl muß er diese auf schnellstem Wege dem nach den §§ 115, 126 StPO zuständigen Haftrichter mitteilen, darf aber ohne dessen Entscheidung weder den Haftbefehl aufheben noch ihn außer Vollzug setzen (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 42. Aufl. § 115 a Rdn. 5; Boujong in KK 3. Aufl. § 115 a Rdn. 4 jeweils m.w.Nachw.).

Daran gemessen ist die Entscheidung des Angeklagten Sch. schon deshalb fehlerhaft, weil eine solche Entscheidung des zuständigen Haftrichters nicht vorlag und die sonstigen Voraussetzungen des § 115 a StPO ersichtlich nicht gegeben waren.

Demgegenüber war es ihm - seine Zuständigkeit nach dem Geschäftsverteilungsplan einmal unterstellt - durch § 115 a StPO nicht verwehrt, als "nächster Richter" das Verfahren neu aufzugreifen, obwohl es am Zuführtag zunächst vorläufig abgeschlossen worden war. Dem Landgericht und dem Generalbundesanwalt, die entscheidend auf die gegenteilige Rechtsauffassung abstellen, ist entgegenzuhalten, daß die rechtliche Verantwortung des Amtsgerichts B. in den Grenzen des § 115 a StPO fortbestand, solange der Untersuchungsgefangene im dortigen Zuständigkeitsbereich einsaß. Insofern hatte die ursprüngliche Entscheidung, ihn nach S. zu überstellen, keine rechtskraftähnliche Sperrwirkung. Vielmehr wäre es an den nachfolgenden Tagen nicht nur rechtlich möglich, sondern im Hinblick auf den gestellten Antrag auch geboten gewesen, im Benehmen mit dem zuständigen Haftrichter die zunächst getroffene Entscheidung zu überprüfen. Es erscheint rechtlich bedenklich, wenn der ursprünglich zuständige Zuführrichter es in Kenntnis der durch die Osterfeiertage verzögerten Verschiebung damit bewenden ließ, lediglich am Zuführtag einen einzigen ergebnislosen Versuch zu unternehmen, um den zuständigen Haftrichter zu erreichen. Im Hinblick auf die mit der Inhaftierung verbundenen schwerwiegenden Beschränkungen der Freiheit des Beschuldigten war es durchaus sachgerecht, sich der Sache nochmals anzunehmen. Ein solches Verständnis des § 115 a StPO entspricht auch der Regelung des Art. 9 Abs. 4 des Internationalen Paktes vom 19. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR), dem die Bundesrepublik Deutschland beigetreten ist (BGBl. II 1973 S. 1533). Danach hat jeder, dem seine Freiheit durch Festnahme oder Haft entzogen ist, das Recht, unverzüglich einem Gericht gegenübergestellt zu werden, das über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung entscheiden und seine Entlassung anordnen kann, falls die Freiheitsentziehung nicht rechtmäßig ist. Diese Verpflichtung ist nur dann erfüllt, wenn über die Rechtmäßigkeit des Haftbefehls ohne jede schuldhafte Verzögerung entschieden wird (Gollwitzer in LR 24. Aufl. Art. 5 MRK/Art. 9, 11 IPBPR Rdn. 128). Auch wenn das Amtsgericht B. mit der Zuführung am Gründonnerstag die Frist des Art. 104 Abs. 2 GG schon deshalb gewahrt hatte, weil die Festnahme auf richterliche Anordnung hin geschehen und das Verfahren nach § 115 a StPO eingehalten war, blieb das Verfahren als Haftsache daher eilbedürftig, weil eine inhaltliche Überprüfung des Haftbefehls auf die Anhörung des Beschuldigten hin noch nicht stattgefunden hatte.

Bei dieser Sachlage hat der Angeklagte Sch. zwar verkannt, daß es nicht geboten war, in jedem Fall (und notfalls ohne Rücksprache mit dem zuständigen Haftrichter) bereits am Ostersonntag über die beantragte Haftverschonung zu entscheiden, er hat damit - objektiv betrachtet - aber nicht in elementarer und völlig unvertretbarer Weise gegen § 115 a StPO verstoßen. Bei dieser Wertung ist zu bedenken, daß seinem Verhalten möglicherweise die Erwartung zugrundelag, er werde über die Ostertage in S. jedenfalls keinen mit der Sache oder den Verfahrensakten vertrauten Richter ansprechen können. Im übrigen sind in der Literatur mit unterschiedlichen Begründungen mehrfach Einwände gegen eine zu enge Begrenzung der Kompetenzen des "nächsten Richters" erhoben worden (Enzian NJW 1956, 1786; ders. NJW 1973, 838; Dreves DRiZ 1965, 110, 113; Seetzen NJW 1972, 1889; Schröder NJW 1981, 1425 ff.; Maier NStZ 1989, 59 ff.; Heinrich StV 1995, 660 ff.). Wenngleich diese Autoren (mit Ausnahme von Enzian aaO) es als selbstverständlich voraussetzen, daß die Kompetenzen des "nächsten Richters" nur dort zu erweitern seien, wo der zuständige Haftrichter unerreichbar bleibe, und daß auch dann nur die Korrektur evidenter Mängel des Haftbefehls erlaubt sei (weitergehend insoweit nur Seetzen aaO), erscheint die Entscheidung des Angeklagten im Licht dieser Rechtsmeinungen und angesichts der eingeschränkten Verständigungsmöglichkeiten der Gerichte während der Ostertage nicht schlechthin unvertretbar (zu diesem Erfordernis des Rechtsbeugungstatbestandes vgl. Spendel in LK aaO Rdn. 41; KG NStZ 1988, 557 m.w.Nachw.).

Das gilt selbst dann, wenn man mit dem Landgericht davon ausgeht, daß der Haftbefehl in Wahrheit nicht an evidenten Mängeln im Sinne der oben genannten Rechtsauffassungen litt. Zwar wird man auch dann, wenn man dem "nächsten Richter" eine über den Wortlaut des § 115 a StPO hinausgehende Prüfungskompetenz zubilligt, das Kontrollrecht auf solche Mängel beschränken müssen, die ohne Kenntnis der Sachakten offensichtlich zur Freilassung des Ergriffenen drängen. Solche Mängel lagen - wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat - hier nicht vor. Andererseits war der hier in Rede stehende Haftbefehl aber nicht frei von Mängeln. Seine Aufzählung der den Tatverdacht begründenden Tatsachen genügte nicht den gesetzlichen Anforderungen (§ 114 Abs. 2 Ziff. 4 StPO). Fluchtgefahr war mit einem nur formelhaften Hinweis auf die mögliche Straferwartung begründet, während es zugleich Anzeichen dafür gab, daß sich der im Haftbefehl als Verdunkelungshandlung bewertete Vorgang nicht wiederholen könne. Der Entscheidung des Angeklagten Sch. lag deshalb möglicherweise lediglich eine unzutreffende Auffassung darüber zugrunde, was als "evidenter Mangel" des Haftbefehls im Sinne der Mindermeinungen zu § 115 a StPO aufzufassen sei.

Als elementarer, das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts erschütternder Rechtsverstoß erscheint diese Entscheidung auch deshalb nicht, weil der weitere Gang des Verfahrens gegen den damaligen Beschuldigten die Prognose, jener werde sich dem Verfahren bei geeigneten Haftverschonungsauflagen stellen und auch von Verdunkelungshandlungen Abstand nehmen, bestätigt hat. Daß der zuständige Haftrichter dafür eine deutlich höhere Sicherheitsleistung für geboten hielt, reicht allein nicht aus, um den Rechtsfehler des Angeklagten als besonders schwerwiegend zu gewichten.

c) Der Angeklagte hat vor der Haftentlassung weder die Staatsanwaltschaft in B. noch die Staatsanwaltschaft in S. nach § 33 Abs. 2 StPO angehört. Auch dies stellt angesichts der Eilbedürftigkeit der Haftentscheidung sowie des Umstandes, daß wenig Aussicht bestand, einen mit der Sache vertrauten Staatsanwalt zu erreichen, für sich genommen keinen Rechtsverstoß dar, der allein den Verbrechensvorwurf der Rechtsbeugung begründen könnte. Wie mittelbar auch der Vorschrift des § 33 a StPO entnommen werden kann, kommt es in der Praxis nicht selten vor, daß die Anhörung eines Verfahrensbeteiligten aus den unterschiedlichsten Gründen zunächst unterbleibt und später nachgeholt werden muß.

d) Für den Rechtsbeugungsvorwurf unbedeutend war schließlich, daß der Angeklagte am Ostersonntag lediglich einen Verrechnungsscheck als Sicherheitsleistung annahm, obwohl § 116 a StPO einen abschließenden Katalog geeigneter Sicherheiten aufzählt, zu denen Verrechnungsschecks nicht zählen. Dennoch war der Normzweck, den staatlichen Zugriff auf angebotene Sicherheiten zu gewährleisten, hier zu keinem Zeitpunkt ernsthaft gefährdet.

3. Freilich wären die - bisher nur anhand ihres objektiven Erscheinungsbildes bewerteten - Rechtsverletzungen des Angeklagten Sch. ungleich schwerer zu gewichten und könnten eine Rechtsbeugung darstellen, wenn er sämtliche Rechtsverstöße in der vorgefaßten Absicht begangen hätte, den Untersuchungsgefangenen ohne Rücksicht auf entgegenstehende rechtliche Beschränkungen in jedem Fall freizulassen, um aus sachfremden Erwägungen heraus dem befreundeten Mitangeklagten G. einen persönlichen Gefallen zu erweisen.

Das Landgericht hat dazu ausgeführt, der Angeklagte Sch. habe nur deshalb davon abgesehen, in B. weiter nach einem (vor ihm) zuständigen Eildienstrichter zu suchen, weil er anhand des Bereitschaftsdienstplans erkannt habe, daß möglicherweise derselbe Richter zuständig werden würde, der bereits am Gründonnerstag die Haftverschonung abgelehnt hatte und von dem deshalb auch später eine Haftentlassung "am allerwenigsten" zu erwarten gewesen wäre. Mithin habe der Angeklagte in der gezielten Absicht gehandelt, durch eigene Zuständigkeitsanmaßung eine mißliebige Entscheidung eines zuständigen Richters zu verhindern. Auch die Staatsanwaltschaft, so führt das Urteil aus, habe der Angeklagte deshalb nicht angehört, weil er befürchtet habe, deren Stellungnahme werde sich gegen die beabsichtigte Entscheidung wenden und ihn so in seinem Vorhaben behindern. Das alles sei geschehen, weil der Angeklagte dem ihm befreundeten mitangeklagten Rechtsanwalt einen Gefallen habe erweisen wollen. Neben diesem Motiv könne als weiterer, überhaupt die Bereitschaft zum Tätigwerden auslösender Beweggrund hinzugekommen sein, daß sich der angeklagte Richter als Amtsgerichtsdirektor für sein vom Mitangeklagten wegen der Unerreichbarkeit eines Haftrichters scharf kritisiertes Gericht verantwortlich gefühlt habe.

a) Verstöße gegen das Verfahrensrecht in der hier geschehenen Art sind, wie bereits dargelegt, für sich nicht geeignet, konkret faßbare Vorteile oder Nachteile für einen Verfahrensbeteiligten auszulösen. Dennoch kommt Rechtsbeugung dann in Betracht, wenn der Richter dabei nicht lediglich die abstrakte Gefahr einer falschen Endentscheidung schafft, sondern durch sein Verhalten einen Vor- oder Nachteil im Sinne von § 336 StGB dadurch herbeiführt, daß er die konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung begründet. Eine solche Gefahr muß dem eingetretenen Vorteil oder Nachteil gleichgestellt werden, weil § 336 StGB auch die fehlerhafte Leitung einer Rechtssache unter Strafe stellt und damit deutlich macht, daß ein endgültiger Vorteil oder Nachteil nicht eintreten muß.

b) Eine solche konkrete Gefahr falscher Rechtsanwendung besteht jedenfalls dann, wenn ein Richter in rechtlich fehlerhafter Weise eine Zuständigkeit an sich zieht, weil er einer Prozeßpartei mit seiner Entscheidung sachfremd einen Gefallen tun will oder er sonstige außerhalb des Verfahrens liegende Motive verfolgt.

Das gleiche gilt, wenn er aus solchen Motiven die Anhörung der Gegenpartei unterläßt.

Hätte der Angeklagte die ihm angelasteten Verfahrensverstöße daher begangen, um einen zur Entscheidung berufenen anderen Richter und die Staatsanwaltschaft auszuschließen, um auf diesem Wege zu einem seinen Intentionen entsprechenden Ergebnis zu kommen, das bei Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften nicht oder voraussichtlich nicht zu erreichen gewesen wäre, hätte er nicht mehr nur abstrakte Gefahren für die richtige Rechtsanwendung geschaffen. Vielmehr bestand dann die konkrete Gefahr, daß seine im Rahmen eines Beurteilungsspielraums zu treffende Entscheidung von sachfremden Erwägungen maßgeblich beeinflußt würde. Darin würde ein Vorteil für den Untersuchungsgefangenen, ein Nachteil für die Staatsanwaltschaft liegen, ohne daß es noch darauf ankäme, ob die schließlich getroffene Entscheidung in der Sache rechtlich vertretbar war, so wichtig dieser Gesichtspunkt bei der Würdigung der Beweise - insbesondere zur subjektiven Tatseite - auch ist.

4. Die zur inneren Tatseite getroffenen Feststellungen des Landgerichts begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Der Angeklagte hatte sich dahin eingelassen, er sei davon ausgegangen, in B., wo die Haftsache weiterhin anhängig gewesen sei, als letzter zuständiger Richter im Sinne des Geschäftsverteilungsplans tätig werden zu können. Auch habe er sich mit Blick auf die oben genannten Literaturstimmen für befugt gehalten, den Haftbefehl außer Vollzug zu setzen, weil der Ergriffene unschuldig und die Haftgründe rechtswidrig konstruiert gewesen seien.

b) Das Landgericht hat diese Einlassung im wesentlichen deshalb für widerlegt erachtet, weil es - abweichend von der oben vorgenommenen Bewertung der einzelnen Verfahrensverstöße - insbesondere in der Verletzung des Geschäftsverteilungsplans und des § 115 a StPO besonders schwerwiegende Rechtsverstöße gesehen hat. Es hat daraus den Schluß gezogen, der rechtskundige Angeklagte könne diese Rechtsverstöße nicht anders als in der verwerflichen Absicht begangen haben, andere zur Entscheidung berufene Richter und die Staatsanwaltschaft gezielt auszuschalten, um die von ihm angestrebte Entscheidung erlassen zu können.

Dabei hat insbesondere auch die irrige Rechtsmeinung eine Rolle gespielt, der Angeklagte habe schon deshalb nicht mehr tätig werden dürfen, weil das Verfahren in B. mit der Anordnung der Verschiebung unwiderruflich abgeschlossen gewesen sei. Unzutreffend geht das Landgericht in seiner Beweiswürdigung davon aus, mit der Entscheidung vom Gründonnerstag sei jeder verfahrensrechtliche Grund, überhaupt tätig zu werden, entfallen, und es stelle eine besondere Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter dar, daß der Angeklagte die zunächst getroffene Entscheidung seines Kollegen korrigiert habe. Der Senat kann nicht ausschließen, daß insbesondere diese fehlerhafte Rechtsauffassung des Landgerichts dazu beigetragen hat, die Einlassung des Angeklagten als bloße Schutzbehauptung anzusehen.

Daneben hat das Landgericht dem Umstand, daß der Angeklagte am Ostersonntag einen Verrechnungsscheck als Sicherheit angenommen hat, eine diesem geringfügigen Rechtsverstoß nicht zukommende Indizwirkung beigemessen und dabei unerörtert gelassen, ob Sicherheiten im Sinne von § 116 a StPO am Ostersonntag überhaupt erreichbar waren. Es erscheint nämlich auch möglich, daß der Angeklagte die von ihm aus Rechtsgründen für erforderlich erachtete Haftentlassung lediglich nicht an der Ordnungsvorschrift des § 116 a StPO scheitern lassen wollte.

Weiter wird die Überzeugung des Tatrichters, es sei dem Angeklagten nicht um die Entlassung eines Unschuldigen aus der Haft gegangen, darauf gestützt, daß sich der umstrittene Haftverschonungsbeschluß in keinem Wort mit Fragen des dringenden Tatverdachts auseinandersetze. Zu einer dahingehenden Äußerung bestand indes für den Angeklagten kein Anlaß, wenn er im Wege einer Eilentscheidung lediglich Haftverschonung gewähren, den Haftbefehl selbst aber unangetastet lassen wollte.

Schließlich bleibt im angefochtenen Urteil unerörtert, daß das vom Angeklagten gefundene Ergebnis sich als weitgehend sachgerecht herausgestellt hat, wenngleich die Kaution später heraufgesetzt worden ist. Ebenso wie der vom Landgericht nicht näher erörterte Umstand, daß der Angeklagte am Dienstag nach Ostern die zuständigen Stellen umgehend von seiner Entscheidung unterrichtet hat, konnte dies dafür sprechen, daß er bei der Haftentlassung nicht bewußt davon ausgegangen war, in schwerer Weise gegen geltendes Prozeßrecht zu verstoßen.

c) Soweit das Landgericht dem Angeklagten anlastet, Motiv seiner Tat sei es gewesen, dem mit ihm befreundeten Mitangeklagten G. einen persönlichen Gefallen zu erweisen, begegnet auch dies rechtlichen Bedenken. Darauf, daß ein Richter aus eigenem Antrieb einem Rechtsanwalt einen Gefallen erweisen will, indem er - obgleich unzuständig - eine Entscheidung erläßt, kommt es nicht an, sofern er damit keine weitergehenden Intentionen verfolgt. Dagegen hält das Landgericht es nicht für sicher nachweisbar, daß Richter und Rechtsanwalt hier kollusiv, d.h. aufgrund eines gemeinsam abgesprochenen, auf eine rechtswidrige Gefangenenbefreiung gerichteten Tatplans, gehandelt hätten. Die danach verbleibende Möglichkeit, der Angeklagte Sch. habe dem Mitangeklagten ohne Absprache und aus eigenem Antrieb zu Gefallen sein wollen, folgert das Landgericht allein aus dem Umstand, daß er jedenfalls den Gefangenen selbst gar nicht gekannt habe, und schränkt zugleich ein, daß eine letztendliche Klärung in diesem Punkt (zur Gefälligkeit für den Mitangeklagten) nicht möglich gewesen sei. Dies läßt besorgen, daß die Feststellungen des Tatrichters insoweit auf einer bloßen Vermutung beruhen.

5. Die aufgezeigten Fehler führen zur Aufhebung der Verurteilung. Ein von dem Angeklagten beantragter Freispruch durch den Senat kam nicht in Betracht, denn die innere Tatseite bedarf neuer tatrichterlicher Klärung. Demgegenüber konnten die Feststellungen zum äußeren Geschehensablauf, die weitgehend der Einlassung beider Angeklagten folgen, aufrechterhalten bleiben. Ergänzende Feststellungen bleiben insoweit zulässig.

Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO Gebrauch und verweist die Sache an das Landgericht H. zurück.

II. Die Revision der Staatsanwaltschaft

1. Soweit die Verurteilung des Angeklagten Sch. angegriffen wird, ist das Rechtsmittel wirksam auf die Überprüfung des Strafausspruchs beschränkt und erschöpft sich in dem unzulässigen Versuch, die Strafzumessung des Tatrichters durch eigene Erwägungen zu ersetzen. Rechtsfehler deckt es damit nicht auf.

2. Der Freispruch des Angeklagten G. hat Bestand, weil das Landgericht mit rechtsfehlerfreien Erwägungen angenommen hat, es lasse sich nicht nachweisen, daß dieser Angeklagte die Haftverschonung seines Mandanten mit dem Vorsatz betrieben habe, beim Angeklagten Sch. den Tatentschluß zu einer Rechtsbeugung zu wecken.

Allein durch die Stellung eines prozessual jederzeit zulässigen Antrags auf Haftverschonung konnte sich der angeklagte Rechtsanwalt ohne Hinzutreten besonderer Umstände hier nicht strafbar gemacht haben. Geht man aber davon aus, ergeben sich aus den objektiven Abläufen keine Anhaltspunkte dafür, daß Rechtsanwalt G. den angeklagten Richter zu einer Rechtsbeugung anstiften wollte. Für den Richter bestand, indem er eine Entscheidung des Amtsgerichts S. herbeiführte, die Möglichkeit einer Bescheidung des gestellten Haftverschonungsantrags in rechtlich zulässiger Weise. Die Prüfung, ob der Angeklagte Sch. nach dem Geschäftsverteilungsplan des Amtsgerichts letztlich zuständig war, konnte der Rechtsanwalt diesem überlassen, zumal er vorher vergeblich den ihm als zuständig benannten Richter zu erreichen versucht hatte.

Die Revision wendet sich aber auch vergeblich dagegen, daß sich das Landgericht außerstande gesehen hat festzustellen, der angeklagte Rechtsanwalt habe wissentlich eine rechtswidrige Haftverschonung begehrt. Selbst das würde für eine Anstiftung zur Rechtsbeugung nicht ausreichen. Ein Rechtsanwalt kann auch in einem solchen Fall nicht wegen Anstiftung zur Rechtsbeugung belangt werden, solange er lediglich hofft, das Gericht werde (als gutgläubiges Werkzeug) die gewünschte Entscheidung in Verkennung der Rechtslage fällen. Als Rechtsanwalt konnte der Angeklagte nicht mittelbarer Täter dieses Amtsdelikts sein. Strafbar hätte er sich erst dann gemacht, wenn sein Anstiftervorsatz auch darauf gerichtet gewesen wäre, der angerufene Richter werde seinerseits die Fehlerhaftigkeit der beantragten Entscheidung erkennen und sich dennoch vorsätzlich und aus sachfremden Motiven darüber hinwegsetzen.

Insoweit deckt die Revision keine durchgreifenden Darlegungsmängel auf. Das Landgericht hat zu Recht geprüft, ob es Anhaltspunkte für ein kollusives Zusammenwirken beider Angeklagten gebe. Ausgehend von der Feststellung, vorrangig habe der angeklagte Richter dem angeklagten Rechtsanwalt einen persönlichen Gefallen erweisen wollen, hat es aufgrund der festgestellten Gespräche und Verhaltensweisen nicht den Nachweis dafür erbringen können, daß ein kollusives Zusammenwirken vorgelegen oder der Angeklagte G. eine Straftat Sch. s auch nur in Betracht gezogen hätte. Vielmehr gibt es Anhaltspunkte dafür, daß G. den Angeklagten Sch. unter erheblichen Entscheidungsdruck gesetzt und ihn möglicherweise auch über seine Versuche, den zuständigen Haftrichter zu finden, getäuscht hat. Beides wäre unnötig gewesen, hätte G. damit gerechnet, Sch. werde ihm zuliebe ohnehin in schwerwiegender Weise vorsätzlich gegen geltendes Recht verstoßen.

Auch der von der Revision hervorgehobene Umstand, daß der Angeklagte Sch. noch am Ostersonntagvormittag den Angeklagten G. darauf verwiesen hatte, weiter nach einem zuständigen Richter zu suchen, führt zu keinem anderen Ergebnis. Der Vorfall belegt vielmehr, daß Sch. jedenfalls zu diesem Zeitpunkt noch keine Anzeichen dafür gesetzt hatte, er sei zum vorsätzlichen Rechtsbruch bereit. Wenn die Staatsanwaltschaft insoweit formuliert, zwischen beiden Angeklagten habe in diesem Gespräch Klarheit darüber geherrscht, daß Sch. unzuständig sei, so wird eine Unrechtsvereinbarung angedeutet, die das Landgericht so nicht festgestellt hat.

Externe Fundstellen: BGHSt 42, 343; NJW 1997, 1452; NStZ 1997, 439; NStZ 1998, 409; StV 1997, 418

Bearbeiter: Rocco Beck