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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 157/94, Beschluss v. 10.11.1994, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 1 StR 157/94 - Beschluss vom 10. November 1994 (BayObLG)

BGHSt 40, 331; Computerbetrug (unbefugtes Einwirken auf den Ablauf eines Datenverarbeitungsvorgangs; "Leerspielen" von Geldspielautomaten unter Einsatz von rechtswidrig erlangten Computerprogrammen; Schutzgut); Geheimnishehlerei.

§ 263a Abs. 1 StGB; § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG

Leitsatz

Wer unter Einsatz des rechtswidrig erlangten Computerprogramms an einem Geldspielautomaten "spielt", wirkt unbefugt auf den Ablauf eines Datenverarbeitungsvorgangs ein (§ 263a Abs. 1 StGB). (BGHSt)

Entscheidungstenor

Wer unter Einsatz des rechtswidrig erlangten Computerprogramms an einem Geldspielautomaten "spielt", wirkt unbefugt auf den Ablauf eines Datenverarbeitungsvorgangs ein (§ 263 a Abs. 1 StGB).

Gründe

Bei dieser Vorlage des Bayerischen Obersten Landesgerichts geht es um die Frage, ob das "Leerspielen" eines Geldspielautomaten unter Einsatz des rechtswidrig erlangten Programms als Computerbetrug gemäß § 263a StGB, eingefügt durch das 2. WiKG vom 15. Mai 1986 (BGBl. I S. 721), strafbar ist.

I.

1. Der Angeklagte erwarb in Stuttgart von einer Person, die er nicht nennen will, illegal ein bestimmtes Computerprogramm, das für den Spielverlauf bei dem Geldspielautomaten Triomint-Jacky-Jackpot der Firma NSM Aktiengesellschaft in Bingen am Rhein maßgebend war. Mit diesem auf einer Diskette gespeicherten Programm und einem tragbaren Personalcomputer fuhr er sodann mit seinem Pkw nach Donauwörth. Dort begab er sich in eine Gaststätte, in der ein Geldspielgerät der erwähnten Marke aufgestellt war, spielte mehrfach, um Daten aus dem laufenden Programm in seinen Computer eingeben zu können, und benutzte das so gewonnene Programm, um den Geldspielautomaten weiter zu bedienen. Auf diese Weise erlangte er 105 DM aus dem Gerät.

Der Angeklagte berechnete den Programmverlauf derart, daß er imstande war, durch Drücken der sog. Risikotaste in einem bestimmten Augenblick ein bestimmtes Gewinnbild herbeizuführen. Die Start-Taste blieb unbeeinflußt. Der Angeklagte war sich bewußt, daß er damit das Programm des Automatenherstellers ermittelte und die durch den Kauf des entsprechenden Programms erlangten Daten einsetzte, um sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Er wußte auch, daß er dieses Programm - ein Betriebsgeheimnis - entgegen dem Willen des Geräteherstellers verwendete.

Durch Druck auf die Risikotaste hat der Spieler - je nach Stand des Programmablaufs - die Möglichkeit, entweder den Gewinn zu vervielfachen oder den bereits erspielten Gewinn zu verlieren (zum computerunterstützten "Leerspielen" von Geldspielautomaten vgl. Achenbach Jura 1991, 225 sowie Bühler, Die strafrechtliche Erfassung des Mißbrauchs von Geldspielautomaten, Diss. Tübingen 1993 S. 53 bis 67).

2. In dieser Sache hat das Amtsgericht Nördlingen - Zweigstelle Donauwörth - durch Urteil vom 15. Dezember 1992 den Angeklagten "wegen Verrats von Geschäftsgeheimnissen" nach § 17 Abs. 2 UWG - ebenfalls idF durch das 2. WiKG vom 15. Mai 1986 (BGBl. I S. 721) - zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 35 DM verurteilt.

Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Sprungrevision der Staatsanwaltschaft, die eine Verurteilung des Angeklagten wegen tateinheitlich begangenen Computerbetrugs nach § 263a Abs. 1 StGB erstrebt. Das Bayerische Oberste Landesgericht möchte das angefochtene Urteil im Schuldspruch dahin ändern, daß der Angeklagte des unbefugten Verwertens eines Betriebsgeheimnisses - sowohl des Herstellers als auch des Aufstellers des Geldspielgeräts - in Tateinheit mit Computerbetrug schuldig ist, und dieses Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufheben. An der beabsichtigten Entscheidung sieht es sich jedoch gehindert durch das Urteil des Oberlandesgerichts Celle vom 11. April 1989 (NStZ 1989, 367, 368). Dieses Gericht hat die Ansicht vertreten, in einem Fall der vorliegenden Art sei der Tatbestand des Computerbetrugs nicht erfüllt. Diese Meinung teilen das Oberlandesgericht Hamm im Beschluß vom 21. Dezember 1990 (RDV 1991, 268, 269) und das Oberlandesgericht Karlsruhe im Urteil vom 17. Oktober 1991 (LS in RPfleger 1992, 268).

Das Bayerische Oberste Landesgericht hat die Sache daher mit Beschluß vom 10. Februar 1994 (JR 1994, 289 ff.) gemäß § 121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt:

"Erfüllt den Tatbestand des Computerbetrugs nach § 263a StGB, wer in Kenntnis des aktuellen Programmstandes eines computergesteuerten Geldspielgeräts, die er sich durch dem Willen des Geräteherstellers widersprechenden Erwerb eines Manipulationsprogramms für das Geldspielgerät und Eingabe mehrerer Spielergebnisse in einen mit dem Manipulationsprogramm versehenen Computer verschafft hat, die Risikotaste des Geldspielgeräts nur betätigt, wenn der Programmstand Gewinn erwarten läßt, um sich unter programmwidriger Ausschaltung des mit der Risikotaste verbundenen Verlustrisikos durch 'Leerspielen' des Geldspielgeräts zum Nachteil des Automatenaufstellers zu bereichern?"

Zur Begründung stützt sich das Bayerische Oberste Landesgericht im wesentlichen auf die Rechtsausführungen in seinem - früheren - Urteil vom 28. August 1990 (NStZ 1990, 595, 596 ff.).

3. Der Generalbundesanwalt beantragt zu beschließen:

"Wer die Kenntnis des Spielprogramms eines computergesteuerten Geldspielautomaten dazu ausnutzt, diesen durch gezielten Einsatz der Risikotaste leerzuspielen, verwendet nicht unbefugt Daten und wirkt auch nicht sonst unbefugt auf den Ablauf eines Datenverarbeitungsvorgangs ein. Ein Computerbetrug gemäß § 263 a StGB liegt daher nicht vor."

In gleichem Sinne hat die Verteidigerin des Angeklagten Stellung genommen.

II.

Die Vorlegung ist zulässig: Das Bayerische Oberste Landesgericht kann nicht wie beabsichtigt entscheiden, ohne von der Rechtsansicht der genannten Oberlandesgerichte abzuweichen.

III.

Es handelt sich um eine Frage, die wie in der Rechtsprechung auch in der Literatur umstritten ist (vgl. die angeführte Dissertation von Bühler sowie Achenbach JR 1994, 293 ff. und Mitsch JZ 1994, 877, 882 ff. je m. zahlr. Nachw.). Unter den festgestellten Umständen folgt der Senat im Ergebnis der Auffassung des vorlegenden Gerichts. Es gilt:

Wer unter Einsatz des rechtswidrig erlangten Computerprogramms an einem Geldspielautomaten "spielt", wirkt unbefugt auf den Ablauf eines Datenverarbeitungsvorgangs ein (§ 263a Abs. 1 StGB).

1. Es kann unerörtert bleiben, ob in Fällen der vorliegenden Art eine "Verwendung von Daten" i. S. des § 263a StGB gegeben ist, sei es durch Auswerten des mitgebrachten Computerprogramms, sei es durch Benutzen des in dem Spielautomaten selbst enthaltenen Programms (zu diesem Merkmal vgl. Schlüchter bei Ulsamer, Lexikon des Rechts, Strafrecht/ Strafverfahrensrecht S. 192, 194, 195; vgl. auch Neumann CR 1989, 717, 719, der meint, es fehle in diesem Fall an der Eingabe von Daten in den Verarbeitungsvorgang). Jedenfalls erfüllt der Täter hier die - einen Auffangtatbestand bildende - vierte Alternative dieser Vorschrift: Das Drücken der Risikotaste hat zur Folge, daß zu diesem Zeitpunkt das "normale" Spiel übergeht in ein besonders programmiertes Spiel. Es ändert sich der Programmablauf insoweit, als nun ein Spiel einsetzt, das im allgemeinen erhöhte Gewinnchancen, aber auch ein erhöhtes Verlustrisiko bietet. Durch eine "Einwirkung auf den Ablauf", die dieses Verlustrisiko ausschaltet, beeinflußt der "Spieler" die Gewinnausschüttung und damit "das Ergebnis eines Datenverarbeitungsvorgangs" (ebenso OLG Celle aaO; OLG Karlsruhe, Urt. vom 17. Oktober 1991 - 3 Ss 145/90 - LS aaO; Westpfahl CR 1987, 515, 520; Lampe JR 1990, 347, 349; Bühler aaO S. 115).

Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, daß der "Spieler" bei dem geschilderten Vorgehen das Spielgerät an sich ordnungsgemäß bedient. Der Begriff der Einwirkung auf den Ablauf eines Datenverarbeitungsvorgangs beschränkt sich gerade nicht auf Eingriffe, die der Täter mittels eines Werkzeugs vornimmt.

2. Unter den gegebenen Umständen handelt der Täter auch "unbefugt" i. S. des § 263a StGB. Dabei bedarf nicht der Entscheidung, ob es sich um ein Tatbestandsmerkmal handelt oder um ein allgemeines Deliktsmerkmal, das die Rechtswidrigkeit eines bestimmten Verhaltens kennzeichnet.

Geschütztes Rechtsgut ist - in gleicher Weise wie beim Betrugstatbestand - das Individualvermögen (Ranft NJW 1994, 2574; vgl. BT-Drucks. 10/5058 S. 30). Hieraus folgt, daß dem Willen des Automatenbetreibers - des Inhabers dieses Rechtsguts - maßgebliche Bedeutung zukommt (Mitsch aaO S. 883). Daher kann sein Erwartungshorizont, soweit dieser sich an vernünftigen Gründen orientiert und erkennbar in Erscheinung tritt, nicht außer Betracht bleiben (vgl. Bühler MDR 1991, 14, 16 sowie NStZ 1991, 343, 344). Gewinnbringendes Spielen an einem Geldspielgerät ist mithin nicht unbefugt, wenn der Aufsteller dieses Spielen ausdrücklich oder stillschweigend gestattet hat oder wenn es seinem mutmaßlichen Willen entspricht. Ob es sich so verhält, richtet sich - unter Berücksichtigung der Interessenlage - nach den Umständen des Falles.

Bedeutung gewinnt die Art der Erlangung der Kenntnisse, die der Spieler einsetzt (Dreher/Tröndle, StGB 46. Aufl. § 263a Rdn. 8 b). Nach Auffassung des Senats liegt jedenfalls dann eine unbefugte Einwirkung vor, wenn der Spieler - wie hier - ein Computerprogramm auswertet, das er rechtswidrig erlangt hat. In einem solchen Fall liegt auf der Hand, daß das "Spielen" nicht mehr vereinbar ist mit dem Willen des Automatenbetreibers.

Nach allgemeiner Meinung stellt das Programm eines Geldspielautomaten ein Betriebsgeheimnis dar, dessen unbefugtes Verwerten nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG strafbar ist (sog. Geheimnishehlerei). Hat der Spieler - wie es nach den tatrichterlichen Feststellungen der Angeklagte getan hat - sich dieses Programm unbefugt verschafft, kann nicht davon ausgegangen werden, der Automatenbetreiber sei mit dem Spielen einverstanden. Das gilt insbesondere für das sog. Risikospiel. Indem er zum "Leerspielen" die illegal erworbenen Kenntnisse einsetzt, bedient sich der Täter bewußt eines "Schlüssels" zu einem Spielverlauf, den der Hersteller des Spielautomaten aus gutem Grund "verschlüsselt" hat. Daß bei unerlaubtem Einsatz eines solchen Hilfsmittels der Aufsteller das Benutzen des Spielgeräts nicht gestattet, tritt so deutlich zutage, daß - entgegen der Ansicht von Schlüchter NStZ 1988, 53, 59 - nicht davon gesprochen werden kann, es handle sich um einen Vorbehalt, der sich im Motivationsbereich erschöpft. Vielmehr fehlt es hier an einer grundlegenden Voraussetzung für befugtes Spielen (Lackner, StGB 20. Aufl. § 263a Rdn. 13, 14 a; vgl. auch Weber in Festschrift für Krause, 1990 S. 427, 434 f.). Ein solches "Spielen" liegt - anders als in Fällen, in denen der Spieler rein geistige Fähigkeiten oder eine besondere Geschicklichkeit nutzt - nicht mehr im Risikobereich des Automatenbetreibers.

Dieses Ergebnis wird der Zielrichtung des Gesetzgebers gerecht, einen möglichst umfassenden Schutz vor vermögensrelevanten Computermanipulationen zu gewähren (vgl. dazu BT-Drucks. 10/318 S. 17, 18 sowie P. Granderath DB 1986, Beilage 18 S. 1, 4). Es trägt auch der erheblichen kriminellen Energie Rechnung, die der Täter in einem Fall der vorliegenden Art aufwendet (Bühler, Diss. S. 153 f.).

Externe Fundstellen: BGHSt 40, 331; NJW 1995, 669; NStZ 1995, 135; NStZ 1995, 345; StV 1995, 470; StV 1996, 375

Bearbeiter: Karsten Gaede