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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 104

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 1368/23, Beschluss v. 18.12.2023, HRRS 2024 Nr. 104


BVerfG 2 BvR 1368/23 (1. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 18. Dezember 2023 (OLG Celle)

Auslieferung an die Türkei zum Zwecke der Strafverfolgung (Beteiligung des inhaftierten Angeklagten an der erstinstanzlichen Hauptverhandlung per Bild- und Tonübertragung; Recht auf effektiven Rechtsschutz; unzureichende gerichtliche Sachaufklärung; unabdingbare verfassungsrechtliche Grundsätze; verbindlicher völkerrechtlicher Mindeststandard; Schutz vor Auslieferung bei drohender politischer Verfolgung; Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens; Erschütterung des Vertrauens bei systemischen Defiziten im Zielstaat; völkerrechtlich verbindliche Zusicherungen; Zweifel an der Belastbarkeit; eigene gerichtliche Gefahrprognose; Berücksichtigung der Gewährleistungen der EMRK; Recht des Angeklagten auf persönliche Anwesenheit; Zulässigkeit von Verfahren in Abwesenheit des Angeklagten; Wirksamkeit eines Verzichts; Differenzierung zwischen Rechtsmittelverhandlung und erstinstanzlichem Verfahren; Einzelfallbetrachtung; legitimes Ziel einer Nutzung von Videokonferenztechnik).

Art. 19 Abs. 4 GG; Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 25 GG; Art. 79 Abs. 3 GG; Art. 6 Abs. 1 EMRK

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine auslieferungsrechtliche Zulässigkeitsentscheidung verletzt den Verfolgten in seinem Recht auf effektiven Rechtsschutz, wenn das Oberlandesgericht nicht ausreichend aufgeklärt hat, ob der Angeklagte nach seiner Auslieferung in die Türkei zum Zwecke der Strafverfolgung in einer Weise an der erstinstanzlichen Hauptverhandlung beteiligt sein wird, die dem Grundsatz des fairen Verfahrens genügt. Zu klären ist hierbei insbesondere, wie das Anwesenheitsrecht im Strafverfahren nach türkischem Recht konkret ausgestaltet ist und unter welchen Bedingungen - etwa nach einer Verzichtserklärung seitens des Angeklagten - Einschränkungen zugelassen sind.

2. Mit der Feststellung, die Teilnahme eines inhaftierten Angeklagten an einer außerhalb der Justizvollzugsanstalt durchgeführten Gerichtsverhandlung per Bild- und Tonübertragung sei nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unter bestimmten Bedingungen mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens vereinbar, übergeht das Oberlandesgericht insbesondere die Notwendigkeit einer Differenzierung zwischen erstinstanzlichen Strafgerichtsverhandlungen und Rechtsmittelverfahren und lässt außer Betracht, welches legitime Ziel mit der Nutzung der Videokonferenztechnik im konkreten Fall verfolgt wird.

3. Bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer Auslieferung haben die deutschen Gerichte zu prüfen, ob die Auslieferung und die ihr zugrundeliegenden Akte die unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätze und das unabdingbare Maß an Grundrechtsschutz sowie - insbesondere im Auslieferungsverkehr mit Staaten, die nicht Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind - den nach Art. 25 GG in der Bundesrepublik verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard wahren.

4. Dem ersuchenden Staat ist im Auslieferungsverkehr grundsätzlich Vertrauen entgegenzubringen. Dies gilt nicht nur gegenüber den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, sondern auch im allgemeinen völkerrechtlichen Auslieferungsverkehr. Das Vertrauen kann jedoch durch entgegenstehende Tatsachen - wie etwa systemische Defizite im Zielstaat - erschüttert werden, angesichts derer gerade im konkreten Fall eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass die Mindeststandards nicht beachtet werden.

5. Völkerrechtlich verbindliche Zusicherungen des ersuchenden Staates sind zwar grundsätzlich geeignet, etwaige Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit einer Auslieferung auszuräumen, sofern nicht im Einzelfall zu erwarten ist, dass die Zusicherung nicht eingehalten wird. Eine Zusicherung entbindet die Gerichte jedoch nicht von der Pflicht, zunächst eine eigene Gefahrenprognose anzustellen, um die Situation im Zielstaat und so die Belastbarkeit einer Zusicherung einschätzen zu können.

6. Zur Bindung der Gerichte an Recht und Gesetz gehört die Berücksichtigung der Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention. Sind für die Beurteilung eines Sachverhalts Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte einschlägig, so sind die von diesem berücksichtigten Aspekte auch in die verfassungsrechtliche Würdigung einzubeziehen und es hat eine Auseinandersetzung mit den vom Gerichtshof gefundenen Abwägungsergebnissen stattzufinden.

7. Für ein faires Strafverfahren ist es von zentraler Bedeutung, dass der Angeklagte persönlich am Verfahren teilnimmt. Auch wenn das Recht auf persönliche Anwesenheit im Verfahren nicht ausdrücklich in Art. 6 Abs. 1 EMRK benannt wird, so folgt doch aus Sinn und Zweck dieser Gewährleistung, dass eine Person, die einer Straftat angeklagt ist, das Recht hat, an der Verhandlung teilzunehmen.

8. Verfahren in Abwesenheit des Angeklagten können mit der Konvention vereinbar sein, wenn der Angeklagte auf sein Anwesenheits- und Verteidigungsrecht verzichtet hat oder ein Gericht die ihm zur Last gelegten Vorwürfe erneut in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht prüft, nachdem es den Angeklagten gehört hat. Ein Verzicht auf das Recht auf Anwesenheit ist nur wirksam, wenn er in eindeutiger Weise erklärt wird und durch ein Mindestmaß an Verfahrensgarantien abgesichert ist.

9. In einer Rechtsmittelverhandlung kommt der persönlichen Anwesenheit des Angeklagten nicht dieselbe Bedeutung zu wie im erstinstanzlichen Verfahren. War der Angeklagte in erster Instanz anwesend, so kann ein Rechtsmittelverfahren, in dem lediglich über Rechtsfragen und nicht über Tatsachen entschieden wird, in konventionsrechtlich zulässiger Weise ohne persönliche Anwesenheit des Angeklagten geführt werden. Nach der Rechtsprechung des EGMR ist insoweit eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen, bei welcher der Prüfungsumfang und die Entscheidungsbefugnis des Rechtsmittelgerichts, der Gegenstand des Verfahrens und seine Bedeutung für den Angeklagten sowie die Art und Weise zu berücksichtigen sind, in der die Interessen des Angeklagten vor Gericht geschützt werden.

10. Auch einer Teilnahme des abwesenden Angeklagten an der Rechtsmittelverhandlung (lediglich) mittels Videokonferenztechnik steht Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht prinzipiell entgegen, wenn diese Möglichkeit im nationalen Recht vorgesehen ist und der Einsatz dieser Technik im Einzelfall ein legitimes Ziel verfolgt. Insoweit können namentlich Belange des Zeugenschutzes und des Erfordernisses einer angemessenen Verfahrensdauer sowie der Umstand von Bedeutung sein, dass der Angeklagte das Recht hatte, sich während der Verhandlung vertraulich mit seinem Verteidiger zu beraten.

Entscheidungstenor

1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 4. September 2023 - 2 AR (Ausl) 108/22 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Grundgesetz, soweit dessen Auslieferung an die türkischen Justizbehörden für zulässig erklärt wurde; er wird in diesem Umfang aufgehoben.

2. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 15. September 2023 - 2 AR (Ausl) 108/22 - wird insoweit gegenstandslos.

3. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung an das Oberlandesgericht Celle zurückverwiesen. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

4. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

5. Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer für das Verfassungsbeschwerdeverfahren seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

6. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 15.000 (in Worten: fünfzehntausend) Euro festgesetzt.

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Auslieferung eines türkischen Staatsangehörigen zum Zwecke der Strafverfolgung an die Republik Türkei.

I.

1. Dem Auslieferungsverfahren liegt ein Haftbefehl des 8. Schwurgerichts von Izmir vom 14. Juli 2021 zugrunde. Darin wird dem Beschwerdeführer vorgeworfen, gemeinsam mit drei Mitangeklagten und weiteren Personen an der bandenmäßigen Einfuhr von Betäubungsmitteln aus dem europäischen Ausland beteiligt gewesen zu sein. Er habe von Deutschland aus den Erwerb von circa neun Kilogramm kokainhaltiger Substanzen sowie deren Einfuhr aus den Niederlanden in die Türkei organisiert und mit den Mitangeklagten abgesprochen, die am 22. Januar 2020 aus den Niederlanden kommend den Grenzübergang in Richtung Türkei passiert hätten. Mit Verbalnote vom 18. Februar 2022 ersuchte die Botschaft der Republik Türkei die deutschen Behörden um Auslieferung des Beschwerdeführers.

2. Mit Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 29. April 2022 wurde der Beschwerdeführer in anderer Sache zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt, und es wurde die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Seit dem 26. Juli 2022 befindet sich der Beschwerdeführer im Maßregelvollzug; das Strafende ist auf den 13. November 2025 notiert.

3. Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft ordnete das Oberlandesgericht am 12. Dezember 2022 gegen den Beschwerdeführer die förmliche Auslieferungshaft an.

4. Das Auswärtige Amt ersuchte mit Verbalnote vom 16. Dezember 2022 die Botschaft der Republik Türkei um Übermittlung ausdrücklicher, völkerrechtlich verbindlicher und auf den Einzelfall bezogener Zusicherungen, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Auslieferung für die Dauer seiner Inhaftierung in einem Gefängnis inhaftiert werde, das den Anforderungen nach Art. 3 EMRK und den in den europäischen Strafvollzugsgrundsätzen des Ministerkomitees des Europarates festgelegten Mindeststandards entspreche, und er keiner Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK unterworfen werde. Die türkischen Behörden würden um Übermittlung einer ausdrücklichen und auf den Einzelfall bezogenen Zusicherung gebeten, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Auslieferung für die Dauer seiner Inhaftierung in der Justizvollzugsanstalt Yalvaç inhaftiert werde.

5. Der Beschwerdeführer beantragte mit Schriftsätzen vom 13. Januar 2023 und 2. Februar 2023, den Haftbefehl wegen Unzulässigkeit der Vollstreckung der Auslieferungshaft aufzuheben. Er machte insbesondere geltend, eine den Voraussetzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention entsprechende Unterbringung müsse in der Türkei zu jedem Zeitpunkt der Inhaftierung gewährleistet sein. In der Verbalnote des Auswärtigen Amtes vom 16. Dezember 2022 werde erstmals konkret die Haftanstalt in Yalvaç genannt. Diese liege über 400 Kilometer entfernt von der Stadt Izmir, in welcher sich das erkennende Gericht befinde. Es sei somit davon auszugehen, dass er zur Wahrnehmung gerichtlicher Termine nach Izmir und dort in eine andere Haftanstalt als diejenige in Yalvaç verbracht werde. Die Generalstaatsanwaltschaft trat diesen Einwendungen entgegen und beantragte, den Haftbefehl des Oberlandesgerichts vom 12. Dezember 2022 aufrechtzuerhalten.

6. Mit Verbalnote vom 22. Februar 2023 teilte die Botschaft der Republik Türkei mit, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Auslieferung in der Justizvollzugsanstalt Yalvaç untergebracht werde. Das Justizministerium der Republik Türkei sichere ausdrücklich zu, dass der Beschwerdeführer nach seiner Auslieferung für die Dauer seiner Inhaftierung in einer Justizvollzugsanstalt inhaftiert werde, die den Anforderungen nach Art. 3 EMRK und den in den europäischen Strafvollzugsgrundsätzen des Ministerkomitees des Europarates festgelegten Mindeststandards entspreche, und er keiner Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK unterworfen werde. Der für den Ort der Inhaftierung zuständigen deutschen Auslandsvertretung werde die Möglichkeit eingeräumt, den Beschwerdeführer zu besuchen und sich vor Ort über die bestehenden Verhältnisse zu informieren. Der Beschwerdeführer machte mit Schriftsatz vom 20. März 2023 geltend, die Angaben in der Verbalnote vom 22. Februar 2023 seien unzureichend, da sich diese ausschließlich auf die Haftanstalt in Yalvaç bezögen. Es komme aber nicht nur auf die Zielhaftanstalt an, sondern es müssten auch Anstalten, in denen er nur kurzzeitig untergebracht werde, den Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention entsprechen.

7. Das Oberlandesgericht teilte mit Verfügung vom 22. März 2023 mit, es sei aus früheren anhängigen Verfahren bekannt, dass in der Justizvollzugsanstalt Yalvaç inhaftierte Personen in einem laufenden Strafverfahren in der Anstalt verblieben und mittels Videokonferenztechnik zu der gegen sie geführten Hauptverhandlung zugeschaltet würden. Der Verfügung beigefügt waren Vermerke des Auswärtigen Amtes zu den Haftbedingungen in der Türkei, insbesondere in der Justizvollzugsanstalt Yalvaç, aus den Jahren 2019 und 2022.

8. Mit Beschluss vom 6. April 2023 wies das Oberlandesgericht die Einwendungen des Beschwerdeführers gegen den Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 12. Dezember 2022 zurück. Die türkischen Justizbehörden hätten zugesichert, dass der Beschwerdeführer in der Haftanstalt Yalvaç den europäischen Mindeststandards entsprechende Haftbedingungen vorfinden und keiner Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK unterworfen sein werde. Derartige Zusicherungen hätten die türkischen Behörden bereits in früheren bei dem Senat anhängig gewesenen Auslieferungsverfahren erteilt, ohne dass sich nachfolgend Anhaltspunkte für ihre fehlende Belastbarkeit ergeben hätten. Andere valide Informationen dazu, dass entweder Verfolgte nach ihrer Auslieferung entgegen vorausgegangenen Zusicherungen nicht in der Justizvollzugsanstalt Yalvaç untergebracht worden seien oder in dieser Haftanstalt menschenrechtswidrige Haftbedingungen herrschten, lägen nicht vor.

Soweit der Beschwerdeführer auf die erhebliche Entfernung zwischen der Haftanstalt in Yalvaç und der Stadt Izmir als dem Ort, an dem vermutlich die Hauptverhandlung stattfinden werde, anspiele, hätten die türkischen Behörden zugesichert, dass er nach seiner Auslieferung in der Haftanstalt Yalvaç untergebracht sein werde. Dem Senat sei aus anderen Auslieferungsverfahren mit der Türkei bekannt, dass in dieser Haftanstalt inhaftierte Verfolgte während der Dauer einer Hauptverhandlung dort verblieben seien und mittels Bild- und Tonübertragung an der Hauptverhandlung teilgenommen hätten. Daher halte der Senat die Einholung einer diesbezüglichen Zusicherung der türkischen Justizbehörden für entbehrlich.

9. Der Beschwerdeführer teilte mit Schriftsätzen vom 3. Mai und 26. Mai 2023 mit, wenn er in der Haftanstalt in Yalvaç inhaftiert werde, aber in Izmir vor Gericht gestellt werden solle, könne angesichts einer Fahrzeit von mindestens rund acht Stunden nicht gewährleistet werden, dass der Hin- und Rücktransport an einem Tag erfolgen könne. Vor diesem Hintergrund sei zu erwarten, dass sich ein Strafgefangener zur Aufgabe seines Anwesenheitsrechts in der Hauptverhandlung gezwungen sehe oder zumindest seine Zustimmung zu einer Videoübertragung protokolliert werde. Aus keiner der bisherigen Verbalnoten gehe hervor, wer in der Türkei überhaupt über das Anwesenheitsrecht eines Angeklagten in der Hauptverhandlung bestimme. Es sei anzunehmen, dass das Gericht und nicht der Angeklagte dies entscheide. Nach Art. 199 der türkischen Strafprozessordnung könne das Gericht jederzeit verlangen, dass der Angeklagte bei der Verhandlung persönlich anwesend sei, und „wenn dies nicht für notwendig erachtet wird“, könnten die Verhandlungen im Wege der Bild- und Tonübertragung durchgeführt werden. Art. 6 EMRK gebe dem Angeklagten das Recht, persönlich bei der Hauptverhandlung anwesend zu sein. Das Recht auf persönliche Teilnahme sei zwar in Art. 6 EMRK nicht ausdrücklich genannt, aber als ein wesentliches, nicht abwägbares Element eines fairen Verfahrens anerkannt (unter Verweis auf EGMR <GK>, Hermi v. Italy, Urteil vom 18. Oktober 2006, Nr. 18114/02). Abgesehen davon, dass die Bild- und Tonübertragung die Anwesenheit des Betroffenen bei der Gerichtsverhandlung nicht ersetzen könne, werde aus der Türkei berichtet, dass sie zwar manchmal als Alibi praktiziert werde, aber wegen Stromausfällen nicht funktioniere (unter Verweis auf Yerdelen, KriPoZ 2018, S. 231). Die dann zum Behelf eingesetzte Anwesenheit eines vom Staat verpflichteten Verteidigers oder Rechtsbeistands befriedige das Recht des Angeklagten auf persönliche Teilnahme nach Art. 6 EMRK nicht. Sein Recht auf ein Gespräch mit seinem Verteidiger ohne Überwachung durch Dritte werde ebenfalls ausgehebelt. Es sei nicht gewährleistet, dass der Angeklagte seinen vom Gericht bestellten Verteidiger überhaupt persönlich kennenlerne. Die Praxis, dass in der Justizvollzugsanstalt Yalvaç inhaftierte Personen in einem laufenden Strafverfahren in der Anstalt verblieben und mittels Videokonferenztechnik zu der gegen sie geführten Hauptverhandlung zugeschaltet werden könnten, verstoße gegen Art. 6 EMRK, zumal in dem Raum, in dem die Videokonferenz stattfinde, kein Wahl- oder Pflichtverteidiger zur Verfügung stehe, sodass der Gefangene keine audiovisuellen Kommunikationsmöglichkeiten mit seinem Verteidiger ohne Überwachung durch Dritte habe. Die Generalstaatsanwaltschaft trat der Argumentation des Beschwerdeführers mit Schriftsätzen vom 16. Mai und 1. Juni 2023 entgegen.

10. Das Oberlandesgericht stellte die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung des Beschwerdeführers wegen der im Auslieferungsersuchen vom 18. Februar 2022 bezeichneten Straftat mit Beschluss vom 5. Juni 2023 zurück. Den türkischen Justizbehörden werde Gelegenheit gegeben, ergänzende Informationen zur Art und Weise der Teilnahme des Beschwerdeführers an der im Falle seiner Auslieferung anstehenden Hauptverhandlung wegen der ihm in dem Auslieferungsersuchen vorgeworfenen Tat zu übermitteln. Der Auslieferungshaftbefehl wurde aufrechterhalten.

Die Teilnahme eines inhaftierten Angeklagten an einer außerhalb der Justizvollzugsanstalt durchgeführten Gerichtsverhandlung per Bild- und Tonübertragung verstoße nicht generell gegen die aus Art. 6 EMRK folgenden strafprozessualen Mindestgarantien, insbesondere nicht gegen den aus Art. 6 Abs. 3 Buchstabe c EMRK folgenden Grundsatz des fairen Verfahrens. Vielmehr habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in mehreren Verfahren diese Art der Teilnahme an einer Hauptverhandlung mit dem aus Art. 6 Abs. 3 Buchstabe c EMRK und dem Grundsatz des fairen Verfahrens abgeleiteten Recht des Angeklagten auf Anwesenheit und effektive Teilnahme in der Hauptverhandlung für vereinbar erklärt, sofern bestimmte Bedingungen eingehalten würden (unter Verweis auf EGMR <GK>, Hermi v. Italy, Urteil vom 18. Oktober 2006, Nr. 18114/02; Golubev v. Russia, Entscheidung vom 9. November 2006, Nr. 26260/02; Marcello Viola v. Italy, Urteil vom 5. Januar 2007, Nr. 45106/04; Esser, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, Art. 6 EMRK Rn. 659, 663; Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 7. Aufl. 2021, § 24 Rn. 120 ff.). Voraussetzung hierfür sei, dass mit der Nutzung der Videotechnik ein legitimes Ziel verfolgt werde und der Angeklagte bei ihrem Einsatz nicht durch technische Komplikationen daran gehindert sei, die Hauptverhandlung ununterbrochen zu verfolgen und an ihr mitzuwirken. Darüber hinaus müsse auch bei dieser Form der Teilnahme an der Hauptverhandlung die Vertraulichkeit des Gesprächs zwischen dem Angeklagten und seinem Verteidiger sichergestellt sein.

Der Senat sehe sich im vorliegenden Fall angesichts des von dem Beschwerdeführer in Bezug genommenen Aufsatzes des Hochschullehrers Dr. Yerdelen (in KriPoZ 2018, S. 231) gleichwohl zu näherer Aufklärung veranlasst, unter welchen rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen seine Teilnahme an der Hauptverhandlung vor dem Strafgericht in Izmir sowie an einer etwaigen Berufungsverhandlung mit einer erneuten Beweisaufnahme mittels Videokonferenztechnik stattfinden werde. So sei unter anderem zu erfragen, ob angesichts der Entfernung zwischen dem Strafgericht in Izmir und der Justizvollzugsanstalt Yalvaç davon auszugehen sei, dass das Anwesenheitsrecht des Angeklagten in der Hauptverhandlung durch den Einsatz von Videokonferenztechnik gewahrt werde, und falls ja, wie sichergestellt werde, dass der Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung bei der Vernehmung von Zeugen oder der Anhörung von Sachverständigen die Mimik und Gestik der betreffenden Personen ausreichend wahrnehmen könne und umgekehrt; ob der Beschwerdeführer während der Verhandlung die Möglichkeit habe, selbst gegenüber dem Gericht Erklärungen abzugeben oder Fragen an geladene Zeugen oder hinzugezogene Sachverständige zu stellen, und auf welche Weise es ihm ermöglicht werde, die im Rahmen der Beweisaufnahme durchgeführte Inaugenscheinnahme von Beweismitteln mitzuverfolgen; wie mit technischen Störungen während der Verhandlung umgegangen werde; ob an den Verhandlungsterminen die Möglichkeit bestehe, dass ein Verteidiger in dem Raum anwesend sei, in dem sich der Beschwerdeführer in der Justizvollzugsanstalt Yalvaç zur Teilnahme an der Hauptverhandlung per Videokonferenz aufhalten werde, und wenn dem nicht so sei, ob beziehungsweise in welcher Weise seine vertrauliche Kommunikation während der Verhandlung mit dem im Gerichtssaal anwesenden Verteidiger ohne Überwachung durch Dritte gewährleistet werde.

11. Der Beschwerdeführer merkte mit Schriftsatz vom 19. Juli 2023 an, die türkischen Behörden seien nicht gefragt worden, ob und in welchem Umfang er im Falle einer Hauptverhandlung das Recht habe, persönlich an der Hauptverhandlung teilzunehmen. Er bitte um Aufklärung, ob der Senat in früheren Verfahren davon ausgegangen sei, dass der Umstand, dass der Angeklagte nicht persönlich an Gerichtsverhandlungen teilnehmen könne, sondern nur durch Einsatz von Videokonferenztechnik zugeschaltet werde, kein Auslieferungshindernis darstelle. Das Oberlandesgericht erwiderte mit Verfügung vom 3. August 2023, es werde davon ausgegangen, dass Art. 6 Abs. 3 Buchstabe c EMRK dem Einsatz von Videokonferenztechnik nicht entgegenstehe, wenn die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geforderten Rahmenbedingungen eingehalten würden.

12. Mit Verbalnote vom 25. Juli 2023 teilte die Botschaft der Republik Türkei mit, bei der Befragung von Zeugen oder der Anhörung von Sachverständigen in der Hauptverhandlung würden hochauflösende Kameras eingesetzt. Durch Heranzoomen seien der Beschwerdeführer und die Anwesenden in der Lage, jeweils Mimik und Gestik der betreffenden Personen angemessen wahrzunehmen. Er könne während der Verhandlung über die Videokonferenztechnik gegenüber dem Gericht Erklärungen abgeben oder Fragen an geladene Zeugen oder Sachverständige stellen. Bei der Beweisaufnahme würden die Beweismittel auf den Bildschirm projiziert, sodass sie vom Beschwerdeführer mitverfolgt werden könnten. Der Einsatz von Videokonferenztechnik im Gerichtssaal und in der Justizvollzugsanstalt Yalvaç an Verhandlungstagen werde von geschultem Personal durchgeführt, das in der Lage sei, auf technische Störungen zu reagieren. Im Falle einer Unterbrechung der Bild- und Tonübertragung werde die Verhandlung nach Behebung der Störung fortgesetzt. Auf seinen Antrag hin könne er bei der Teilnahme an Verhandlungen per Videokonferenz in der Justizvollzugsanstalt von seinem Verteidiger oder Anwalt begleitet werden.

13. Mit Schriftsatz vom 18. August 2023 wies der Beschwerdeführer darauf hin, die Haftbedingungen, die ihn in der Türkei erwarten würden, seien bislang nicht vollständig aufgeklärt, da unklar sei, in welchen Haftanstalten er außer in der Justizvollzugsanstalt Yalvaç untergebracht sein werde. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte trage nicht die Auffassung, dass das Anwesenheitsrecht des Angeklagten in der Hauptverhandlung im vorliegenden Fall bei persönlicher Abwesenheit durch den Einsatz von Videokonferenztechnik gewahrt werden könne, weil in dem ihn erwartenden Verfahren bisher keine gerichtliche Hauptverhandlung mit Tatsachenfeststellungen stattgefunden habe.

14. Das Oberlandesgericht erklärte mit Beschluss vom 4. September 2023 die Auslieferung des Beschwerdeführers und die Aufschiebung seiner Übergabe bis zur Erledigung der in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Strafansprüche für zulässig. Der Auslieferungshaftbefehl vom 12. Dezember 2022 wurde aufrechterhalten.

Die Auslieferung widerspreche nicht den wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung im Sinne von § 73 Satz 1 IRG. Angesichts der von den türkischen Justizbehörden in der Verbalnote vom 22. Februar 2023 gemachten Zusicherungen sei der Einwand des Beschwerdeführers, ihm würden nach einer Auslieferung menschenrechtswidrige Haftbedingungen in der Türkei drohen, unbegründet. Insoweit werde auf die Ausführungen im Senatsbeschluss vom 6. April 2023 verwiesen.

Auch der Einwand des Beschwerdeführers, seine mögliche Teilnahme an der nach seiner Auslieferung an die türkischen Justizbehörden anstehenden Hauptverhandlung vor dem zuständigen Strafgericht in Izmir mittels Bild- und Tonübertragung sei mit den in Art. 6 EMRK verankerten menschenrechtlichen Verfahrensgarantien des Angeklagten in einem Strafprozess unvereinbar, sei unbegründet. Diese Art der Mitwirkung eines Angeklagten an einer außerhalb der Justizvollzugsanstalt durchgeführten Gerichtsverhandlung verstoße nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht generell gegen die aus Art. 6 EMKR folgenden strafprozessualen Mindestgarantien und sei insbesondere mit dem aus Art. 6 Abs. 3 Buchstabe c EMRK sowie aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens abgeleiteten Recht des Angeklagten auf Anwesenheit in und effektive Teilnahme an der Hauptverhandlung vereinbar, sofern bestimmte Bedingungen eingehalten würden. Zur Aufklärung der im vorliegenden Fall gegebenen Rahmenbedingungen der möglichen Mitwirkung des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung vor dem Strafgericht Izmir sei die Übermittlung von konkreten Informationen der türkischen Justizbehörden zur Ausgestaltung des Einsatzes der Videokonferenztechnik für erforderlich erachtet worden. Der Senat gehe unter Zugrundelegung der durch die türkischen Justizbehörden in der Verbalnote vom 25. Juli 2023 mitgeteilten Angaben davon aus, dass im vorliegenden Fall das Recht des Beschwerdeführers auf ein faires Verfahren, vor allem auf Anwesenheit in und effektive Teilnahme an der anstehenden Hauptverhandlung vor dem Strafgericht in Izmir, unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ausreichend gewährleistet sei. Anhaltspunkte für eine fehlende Belastbarkeit der von den türkischen Justizbehörden übermittelten Informationen seien nicht ersichtlich.

15. Am 8. September 2023 beantragte der Beschwerdeführer, gemäß § 33 IRG erneut über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden und den Aufschub der Auslieferung anzuordnen. Art. 6 EMRK gebe nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dem Angeklagten in einem Strafverfahren das Recht, persönlich in der Hauptverhandlung anwesend zu sein (unter Verweis auf EGMR <GK>, Hermi v. Italy, Urteil vom 18. Oktober 2006, Nr. 18114/02). Die vom Senat herangezogene Literatur und Rechtsprechung trage nicht die Auffassung, dass das Anwesenheitsrecht des Angeklagten in der Hauptverhandlung im vorliegenden Fall, nämlich bei seiner vollständigen persönlichen Abwesenheit in einem erstinstanzlichen Strafverfahren, in dem bis jetzt keine gerichtliche Hauptverhandlung mit Tatsachenfeststellungen stattgefunden habe, durch den Einsatz von Videokonferenztechnik gewahrt werden könne, zumal diese in der Türkei nicht einmal zuverlässig funktioniere.

Die türkische Verbalnote vom 22. Februar 2023 erwähne nicht, dass bei den etwa 75 türkischen Auslieferungsersuchen an Deutschland pro Jahr stets behauptet werde, die Verfolgten würden in der Haftanstalt Yalvaç im geschlossenen Vollzug Typ T untergebracht. Kalkuliere man die aus den türkischen Auslieferungsersuchen bekannten hohen Haftstrafen mit ein, müsse die Haftanstalt Yalvaç sogar dann überbelegt sein, wenn sie ausschließlich für aus der Bundesrepublik Deutschland ausgelieferte Verfolgte reserviert sei.

16. Das Oberlandesgericht lehnte mit Beschluss vom 15. September 2023 den Antrag auf Aufschub der Auslieferung an die türkischen Behörden ab. Die durch den Beschwerdeführer im Schriftsatz vom 8. September 2023 vorgetragenen Einwendungen seien nicht geeignet, eine andere Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung zu begründen.

17. Am 21. September 2023 teilte das Auswärtige Amt der Republik Türkei mit, dass die Auslieferung des Beschwerdeführers seitens der Bundesregierung bewilligt worden sei. Auf die durch die Republik Türkei abgegebenen Zusicherungen werde verwiesen. Die Übergabe des Beschwerdeführers komme erst in Betracht, wenn den deutschen Strafansprüchen genüge getan sei.

II.

1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde, die er mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbindet, rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 19 Abs. 4, Art. 25 und Art. 103 Abs. 1 GG.

Das Oberlandesgericht habe seine Auslieferung in die Türkei zur Strafverfolgung für zulässig erklärt, ohne eine völkerrechtlich verbindliche Zusicherung einzuholen, dass er in der Türkei an der ihm bevorstehenden Hauptverhandlung vor dem Strafgericht persönlich teilnehmen könne. Der Senat habe die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht ausreichend erfasst, der zufolge Art. 6 EMRK einer teilweisen Substitution der persönlichen Anwesenheit durch Ton-Bild-Übertragung nur in besonders gelagerten Fällen nicht entgegenstehe. Dem persönlichen Erscheinen des Angeklagten komme bei einer Berufungsverhandlung nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht die gleiche entscheidende Bedeutung zu wie bei der Hauptverhandlung. Im Rechtsmittelverfahren müsse ein „legitimes Ziel“ für ein Fernverfahren festgestellt werden, das in der vorliegenden Konstellation nicht existiere. Anders als das italienische Recht, mit dem sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in der Entscheidung Marcello Viola v. Italy, Urteil vom 5. Januar 2007, Nr. 45106/04, eingehend auseinandergesetzt habe, sehe das türkische Recht keine gesetzliche Ausgestaltung eines „Fernverfahrens“ vor. Auch das Bundesverfassungsgericht habe sich in mehreren Entscheidungen mit dem Anwesenheitsrecht des Angeklagten in einer gegen ihn geführten strafgerichtlichen Hauptverhandlung und zudem mit der Bedeutung des insoweit notwendigen Grundrechtsschutzes im Auslieferungsverfahren befasst (unter Verweis auf BVerfGE 140, 317). Das Oberlandesgericht habe die Auslieferung für zulässig erklärt, obwohl der Beschwerdeführer im Falle seiner Auslieferung kein unmittelbares Teilnahmerecht an einer von ihm zu erwartenden strafgerichtlichen Hauptverhandlung in der Türkei habe, wodurch zu besorgen sei, dass im Falle der Auslieferung das unabdingbare Maß an Grundrechtsschutz und der völkerrechtlich verbindliche Mindeststandard gemäß Art. 25 GG nicht eingehalten würden. „Anwesend“ sei nämlich nur ein Angeklagter, der das Geschehen der Hauptverhandlung selbst in allen Einzelheiten sicher wahrnehmen und auf den Gang der Hauptverhandlung durch Fragen, Anträge und Erklärungen einwirken könne (unter Verweis auf BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Dezember 2006 - 2 BvR 1872/03 -, Rn. 12).

2. Dem Niedersächsischen Justizministerium ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.

3. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten des Ausgangsverfahrens vorgelegen.

III.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, da dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (vgl. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.

Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist im tenorierten Umfang offensichtlich begründet (vgl. § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle vom 4. September 2023 verletzt den Beschwerdeführer, soweit seine Auslieferung an die türkischen Behörden für zulässig erklärt wird, in seinem Recht aus Art. 19 Abs. 4 GG.

1. a) Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG enthält ein Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 67, 43 <58>; stRspr). Dabei gewährleistet Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern verleiht dem Einzelnen einen substantiellen Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 101, 106 <122 f.>; 103, 142 <156>; 113, 273 <310>; 129, 1 <20>). Im Rahmen des gerichtlichen Zulässigkeitsverfahrens im Vorgriff auf eine Auslieferung sind die zuständigen Gerichte verpflichtet, den entscheidungserheblichen Sachverhalt aufzuklären und etwaige Auslieferungshindernisse in hinreichender Weise, also in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig, zu prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Dezember 2021 - 2 BvR 1282/21 -, Rn. 17). Zweck der gerichtlichen Zulässigkeitsprüfung im förmlichen Auslieferungsverfahren ist der präventive Rechtsschutz der betroffenen Person (vgl. BVerfGE 113, 273 <312>).

b) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unterliegen die deutschen Gerichte bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer Auslieferung der verfassungsrechtlichen Pflicht zu prüfen, ob die erbetene Auslieferung die gemäß Art. 79 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 1 und Art. 20 GG unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätze beziehungsweise das unabdingbare Maß an Grundrechtsschutz verletzt (vgl. BVerfGE 59, 280 <282 f.>; 63, 332 <337>; 108, 129 <136>; 140, 317 <355 Rn. 83 f.>). Sie sind zudem − insbesondere im Auslieferungsverkehr mit Staaten, die nicht Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind − verpflichtet zu prüfen, ob die Auslieferung und die ihr zugrundeliegenden Akte den nach Art. 25 GG in der Bundesrepublik Deutschland verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard wahren (vgl. BVerfGE 59, 280 <282 f.>; 63, 332 <337 f.>; 75, 1 <19>; 108, 129 <136>; 113, 154 <162>).

Gemäß Art. 25 GG sind bei der Auslegung und Anwendung von Vorschriften des innerstaatlichen Rechts durch Verwaltungsbehörden und Gerichte die allgemeinen Regeln des Völkerrechts zu beachten. Hieraus folgt insbesondere, dass die Behörden und Gerichte grundsätzlich daran gehindert sind, innerstaatliches Recht in einer Weise auszulegen und anzuwenden, welche die allgemeinen Regeln des Völkerrechts verletzt. Sie sind auch verpflichtet, alles zu unterlassen, was einer unter Verstoß gegen allgemeine Regeln des Völkerrechts vorgenommenen Handlung nichtdeutscher Hoheitsträger im Geltungsbereich des Grundgesetzes Wirksamkeit verschafft, und gehindert, an einer gegen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts verstoßenden Handlung nichtdeutscher Hoheitsträger bestimmend mitzuwirken (vgl. BVerfGE 75, 1 <18 f.>; stRspr).

Nicht nur im Rechtshilfeverkehr unter Mitgliedstaaten der Europäischen Union, sondern auch im allgemeinen völkerrechtlichen Auslieferungsverkehr gilt der Grundsatz, dass dem ersuchenden Staat im Hinblick auf die Einhaltung der Grundsätze der Rechtshilfe in Strafsachen sowie des Völkerrechts Vertrauen entgegenzubringen ist (vgl. BVerfGE 109, 13 <35 f.>; 109, 38 <61>; 140, 317 <349 Rn. 68>). Auch im allgemeinen Auslieferungsverkehr hat der ersuchende Staat ein erhebliches Interesse an der Aufrechterhaltung und Funktionsfähigkeit der gegenseitigen Rechtshilfe. Von der Begehung von Rechtsverletzungen, die die zukünftige Funktionsfähigkeit des Auslieferungsverkehrs zwangsläufig beeinträchtigen würden, wird ein ersuchender Staat schon deshalb regelmäßig Abstand nehmen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Dezember 2021 - 2 BvR 1282/21 -, Rn. 18 m.w.N.).

Dieser Grundsatz kann so lange Geltung beanspruchen, wie er nicht durch entgegenstehende Tatsachen, etwa systemische Defizite im Zielstaat, erschüttert wird (vgl. BVerfGE 109, 13 <35 f.>; 109, 38 <61>). Das ist der Fall, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass im Fall einer Auslieferung die unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätze beziehungsweise das unabdingbare Maß an Grundrechtsschutz oder der verbindliche völkerrechtliche Mindeststandard gemäß Art. 25 GG nicht eingehalten werden. Dafür müssen stichhaltige Gründe gegeben sein, nach denen gerade im konkreten Fall eine beachtliche Wahrscheinlichkeit besteht, dass in dem ersuchenden Staat die Mindeststandards nicht beachtet werden (vgl. BVerfGE 140, 317 <350 Rn. 71>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Dezember 2021 - 2 BvR 1282/21 -, Rn. 19 m.w.N.).

c) Die vom ersuchenden Staat im Auslieferungsverkehr gegebenen völkerrechtlich verbindlichen Zusicherungen sind geeignet, etwaige Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Auslieferung auszuräumen, sofern nicht im Einzelfall zu erwarten ist, dass die Zusicherungen nicht eingehalten werden (vgl. BVerfGE 63, 215 <224>; 109, 38 <62>; BVerfGK 2, 165 <172 f.>; 3, 159 <165>; 6, 13 <19>; 6, 334 <343>; 13, 128 <136>; 13, 557 <561>; 14, 372 <377 f.>; stRspr). Eine Zusicherung entbindet das über die Zulässigkeit einer Auslieferung befindende Gericht jedoch nicht von der Pflicht, zunächst eine eigene Gefahrenprognose anzustellen, um die Situation im Zielstaat und so die Belastbarkeit einer Zusicherung einschätzen zu können (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Oktober 2019 - 2 BvR 828/19 -, Rn. 44 m.w.N.).

d) Zur Bindung der Gerichte an Recht und Gesetz (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG) gehört die Berücksichtigung der Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung. Sind für die Beurteilung eines Sachverhalts Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte einschlägig, so sind die von diesem in seiner Abwägung berücksichtigten Aspekte auch in die verfassungsrechtliche Würdigung einzubeziehen und es hat eine Auseinandersetzung mit den vom Gerichtshof gefundenen Abwägungsergebnissen stattzufinden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 5. Juli 2006 - 2 BvR 1317/05 -, Rn. 12, und vom 2. Mai 2007 - 2 BvR 411/07 -, juris, Rn. 6, sowie Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Februar 2018 - 2 BvR 107/18 -, Rn. 26; vgl. auch BVerfGE 111, 307 <323 f.>).

aa) Für ein faires Strafverfahren ist es von zentraler Bedeutung, dass der Angeklagte persönlich am Verfahren teilnimmt (vgl. EGMR, Poitrimol v. France, Urteil vom 23. November 1993, Nr. 14032/88, § 35; Sinichkin v. Russia, Urteil vom 8. April 2010, Nr. 20508/03, § 30, m.w.N.; vgl. zum Ganzen auch BVerfGE 140, 317 <363 f. Rn. 102>). Dies dient nicht nur allgemein seinem Anspruch auf rechtliches Gehör, sondern gibt dem Gericht auch die Möglichkeit, die Stichhaltigkeit seiner Aussagen zu prüfen und sie mit denen des Opfers und der Zeugen zu vergleichen (vgl. EGMR, Poitrimol v. France, Urteil vom 23. November 1993, Nr. 14032/88, § 35). Auch wenn das Recht auf persönliche Anwesenheit im Verfahren nicht ausdrücklich in Art. 6 Abs. 1 EMRK benannt wird, so folgt doch aus Sinn und Zweck dieser Gewährleistung, dass eine Person, die einer Straftat angeklagt ist, das Recht hat, an der Verhandlung teilzunehmen (vgl. EGMR, Colozza v. Italy, Urteil vom 12. Februar 1985, Nr. 9024/80, § 27). Verfahren in Abwesenheit des Angeklagten können allerdings mit der Konvention vereinbar sein, wenn der Angeklagte auf sein Anwesenheits- und Verteidigungsrecht verzichtet hat oder ein Gericht die ihm zur Last gelegten Vorwürfe erneut in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht prüft, nachdem es den Angeklagten gehört hat (vgl. EGMR, Colozza v. Italy, Urteil vom 12. Februar 1985, Nr. 9024/80, § 29 f.; Medenica v. Switzerland, Urteil vom 14. Juni 2001, Nr. 20491/92, § 55; vgl. auch BVerfGE 140, 317 <363 Rn. 101>). Ein Verzicht auf das Recht auf Anwesenheit ist nur wirksam, wenn er in eindeutiger Weise erklärt wird und durch ein Mindestmaß an Verfahrensgarantien abgesichert ist (vgl. EGMR <GK>, Hermi v. Italy, Urteil vom 18. Oktober 2006, Nr. 18114/02, §§ 73 ff.; Caka v. Albania, Urteil vom 8. Dezember 2009, Nr. 44023/02, §§ 86 ff.).

bb) Der persönlichen Anwesenheit des Angeklagten kommt in einer Rechtsmittelverhandlung nicht dieselbe Bedeutung zu wie im erstinstanzlichen Verfahren (vgl. EGMR <GK>, Hermi v. Italy, Entscheidung vom 18. Oktober 2006, Nr. 18114/02, § 60). Rechtsmittelverfahren, in denen nur über Rechtsfragen, nicht aber über Tatsachenfragen entschieden wird, stehen gegebenenfalls mit Art. 6 EMRK im Einklang, obwohl der Angeklagte der Verhandlung nicht persönlich beiwohnt, sofern er in erster Instanz anwesend war (vgl. EGMR, Sinichkin v. Russia, Urteil vom 8. April 2010, Nr. 20508/03, § 31; <GK>, Sakhnovskiy v. Russia, Urteil vom 2. November 2010, Nr. 21272/03, § 96). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nimmt insoweit eine Einzelfallbetrachtung vor, in der der Prüfungsumfang und die Entscheidungsbefugnis des Rechtsmittelgerichts, der Gegenstand des Verfahrens und seine Bedeutung für den Angeklagten sowie die Art und Weise, in der die Interessen des Angeklagten vor Gericht geschützt werden, eine Rolle spielen (vgl. EGMR <GK>, Hermi v. Italy, Urteil vom 18. Oktober 2006, Nr. 18114/02, § 60; Sinichkin v. Russia, Urteil vom 8. April 2010, Nr. 20508/03, § 30 m.w.N.; zum Ganzen vgl. Grabenwarter/Pabel, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG Konkordanzkommentar, 3. Aufl. 2022, Kap. 14 Rn. 147 m.w.N.).

cc) Im Hinblick auf den Einsatz von Videokonferenztechnik in einem Rechtsmittelverfahren befand der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass die Europäische Menschenrechtskonvention einer Teilnahme des abwesenden Angeklagten an der Verhandlung mittels Videokonferenztechnik nicht prinzipiell entgegenstehe, wenn diese Möglichkeit im nationalen Recht vorgesehen sei und der Einsatz dieser Technik im Einzelfall ein legitimes Ziel verfolge (vgl. EGMR, Marcello Viola v. Italy, Urteil vom 5. Januar 2007, Nr. 45106/04, §§ 67 f.). Im konkreten Fall, der eine Anklage wegen Mordes und Mitgliedschaft in einer mafiösen kriminellen Vereinigung zum Gegenstand hatte, sah der Gerichtshof den Einsatz der Videokonferenztechnik angesichts der dafür streitenden öffentlichen Interessen, namentlich der Belange des Zeugenschutzes und des Erfordernisses einer angemessenen Verfahrensdauer, und unter Einbeziehung des Umstands, dass der Angeklagte das Recht hatte, sich während der Verhandlung vertraulich mit seinem Verteidiger zu beraten, als gerechtfertigt an (vgl. EGMR, Marcello Viola v. Italy, Urteil vom 5. Januar 2007, Nr. 45106/04, §§ 67, 75).

2. Nach diesen Maßstäben hält die Zulässigkeitsentscheidung vom 4. September 2023 einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht stand. Das Oberlandesgericht hat nicht ausreichend aufgeklärt, ob der Beschwerdeführer nach seiner Auslieferung in einer Weise an der erstinstanzlichen strafrechtlichen Hauptverhandlung beteiligt sein wird, die dem Grundsatz des fairen Verfahrens genügt, und dadurch sein Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt.

Das Oberlandesgericht hat zwar die einschlägigen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Recht des Angeklagten auf Anwesenheit im Strafverfahren herangezogen, die dort vorgenommenen Differenzierungen aber nur unzureichend berücksichtigt und den an den Vorgaben des Gerichtshofs zu messenden Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt. Ausgehend von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur herausgehobenen Bedeutung des Rechts eines Angeklagten auf Anwesenheit in der strafgerichtlichen Hauptverhandlung (vgl. insoweit nur EGMR, Colozza v. Italy, Urteil vom 12. Februar 1985, Nr. 9024/80, §§ 27 ff.; Poitrimol v. France, Urteil vom 23. November 1993, Nr. 14032/88, § 35; Sinichkin v. Russia, Urteil vom 8. April 2010, Nr. 20508/03, § 30 m.w.N.) hätte sich das Oberlandesgericht bereits im Ausgangspunkt mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob dem Beschwerdeführer nach türkischem Recht grundsätzlich das Recht zukommt, auf seinen Wunsch hin an einer gegen ihn gerichteten erstinstanzlichen Hauptverhandlung persönlich teilzunehmen. Obwohl sich die aus §§ 30, 73 IRG fließende Pflicht des Oberlandesgerichts zur umfassenden Sachaufklärung jedenfalls dann auch auf das insoweit einschlägige (Prozess-)Recht des ersuchenden Staates bezieht, wenn der Verfolgte - wie hier - substantiiert darlegt, im Falle seiner Auslieferung einem Strafverfahren ausgesetzt zu sein, in dem seinem Recht auf Anwesenheit nicht genügt werde (vgl. für dahingehende Aufklärungspflichten im Fall von Verurteilungen in Abwesenheit des Angeklagten Böhm, in: Grützner/Pötz/Kreß/Gazeas/Brodowski, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, § 30 Rn. 28 f. <Dez. 2014>), hat das Oberlandesgericht nicht ermittelt, wie das Anwesenheitsrecht im Strafverfahren nach türkischem Recht konkret ausgestaltet ist und unter welchen Bedingungen - etwa nach einer eindeutigen Verzichtserklärung seitens des Angeklagten (vgl. dazu EGMR, Colozza v. Italy, Urteil vom 12. Februar 1985, Nr. 9024/80, § 29 f.; Medenica v. Switzerland, Urteil vom 14. Juni 2001, Nr. 20491/92, § 55) - Einschränkungen zugelassen sind. Die an die türkischen Behörden gerichtete Frage, ob „das Anwesenheitsrecht des Angeklagten in der Hauptverhandlung durch den Einsatz von Videokonferenztechnik gewahrt“ werde, deutet vielmehr eine bereits feststehende Rechtsauffassung des Senats an und nimmt das Ergebnis der ihm obliegenden Prüfung, ob der Grundsatz des fairen Verfahrens durch die beabsichtigte Durchführung der anstehenden Hauptverhandlung überhaupt sichergestellt werden kann, in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vorweg.

Ausgehend von der Feststellung im Beschluss vom 5. Juni 2023, die Teilnahme eines inhaftierten Angeklagten an einer außerhalb der Justizvollzugsanstalt durchgeführten Gerichtsverhandlung per Bild- und Tonübertragung sei nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte mit dem aus Art. 6 Abs. 3 Buchstabe c EMRK folgenden Grundsatz des fairen Verfahrens vereinbar, sofern bestimmte Bedingungen eingehalten würden, hat das Oberlandesgericht weder die in der einschlägigen Rechtsprechung angelegte Differenzierung zwischen erstinstanzlichen Strafgerichtsverhandlungen und Rechtsmittelverfahren berücksichtigt (vgl. nur EGMR <GK>, Hermi v. Italy, Urteil vom 18. Oktober 2006, Nr. 18114/02, § 60) noch ermittelt, welches „legitime Ziel“ mit der Nutzung der Videokonferenztechnik im konkreten Fall verfolgt wird.

Angesichts der dargestellten Defizite der Sachverhaltsaufklärung und insbesondere der offengelassenen Frage, ob der Beschwerdeführer nach seiner freien Entscheidung an der gegen ihn gerichteten Hauptverhandlung persönlich teilnehmen kann beziehungsweise diesbezüglich eine Wahl hat, genügen die angegriffenen Beschlüsse den Anforderungen von Art. 19 Abs. 4 GG nicht. Dies gilt selbst angesichts des Umstands, dass sich das Oberlandesgericht eingehend mit den technischen Modalitäten des Einsatzes audiovisueller Übertragungstechnik während der anstehenden Hauptverhandlung vor dem Strafgericht in Izmir auseinandergesetzt und insoweit einzelfallbezogene Zusicherungen eingeholt hat.

3. Ob die angegriffenen Entscheidungen daneben gegen weitere Grundrechte verstoßen, muss vor diesem Hintergrund nicht entschieden werden.

IV.

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 4. September 2023 - 2 AR (Ausl) 108/22 - wird, soweit er die Zulässigkeit der Auslieferung betrifft, aufgehoben; die Sache wird insoweit an das Oberlandesgericht zurückverwiesen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG).

Mit der Aufhebung der Zulässigkeitsentscheidung vom 4. September 2023 wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 15. September 2023 - 2 AR (Ausl) 108/22 - insoweit gegenstandslos.

V.

Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2, 3 BVerfGG.

Die Festsetzung des Gegenstandswerts für die anwaltliche Tätigkeit stützt sich auf § 37 Abs. 2 Satz 2, § 14 Abs. 1 RVG in Verbindung mit den Grundsätzen über die Festsetzung des Gegenstandswerts im verfassungsgerichtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 104

Bearbeiter: Holger Mann