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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 560

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 312/22, Urteil v. 02.03.2023, HRRS 2023 Nr. 560


BGH 4 StR 312/22 - Urteil vom 2. März 2023 (LG Dresden)

Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht (Weisung: hinreichend bestimmt, Führungsaufsichtsbeschluss, strafbewehrte Weisung, ausdrückliche Bezugnahme, keine weitere Erläuterung, Missverständnisse, mündliche Belehrung); Strafzumessung (strafschärfende Berücksichtigung des Fehlens von Strafmilderungsgründen: keine Aufarbeitung der kriminogenen Faktoren, passivabwartendes Vermeidungsverhalten); Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (erhebliche Straftaten: Gesamtwürdigung, Kriterien aus der gesetzgeberischen Wertung, schwerer sexueller Missbrauch von Kindern); schwerer sexueller Missbrauch von Kindern.

§ 145a StGB; § 68b StGB; § 46 StGB; § 176a StGB aF; § 66 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine Verurteilung nach § 145a StGB setzt voraus, dass die Weisung, gegen die der Täter verstoßen hat, hinreichend bestimmt ist. In Anbetracht des Gebots aus Art. 103 Abs. 2 GG und des Umstands, dass § 68b Abs. 2 StGB auch nicht strafbewehrte Weisungen zulässt, muss sich aus dem Führungsaufsichtsbeschluss selbst ergeben, dass es sich bei der Weisung, auf deren Verletzung die Verurteilung gestützt werden soll, um eine solche gemäß § 68b Abs. 1 StGB handelt, die nach § 145a Satz 1 StGB strafbewehrt ist. Dafür ist zwar einerseits eine ausdrückliche Bezugnahme auf § 68b Abs. 1 StGB nicht erforderlich; andererseits wird eine solche Bezugnahme aber ohne weitere Erläuterung regelmäßig nicht ausreichen, um dem Verurteilten die notwendige Klarheit zu verschaffen. Dass eine Weisung strafbewehrt ist, muss in dem Führungsaufsichtsbeschluss unmissverständlich klargestellt sein. Wegen der Gefahr von Missverständnissen und Ungewissheiten kann diese Klarstellung nicht durch eine mündliche Belehrung ersetzt werden.

2. Erhebliche Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB sind nach ständiger Rechtsprechung solche, die den Rechtsfrieden empfindlich stören. Kriterien hierfür ergeben sich zwar zunächst aus den in § 66 Abs. 1 StGB zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Wertungen. Dabei kann aber kein genereller Maßstab angelegt werden, sondern es bedarf stets der Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalles, bei der neben der Schwere der zu erwartenden Taten und den - auch nur potentiell bzw. typischerweise eintretenden - Folgen für die Opfer auch die Tathäufigkeit oder die Rückfallgeschwindigkeit ins Gewicht fallen können.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 29. April 2022 mit den Feststellungen aufgehoben,

a) soweit der Angeklagte in den Fällen II. B. Teil 1, Taten 1) bis 4) sowie II. B. Teil 2, Taten 3) bis 5) der Urteilsgründe verurteilt worden ist; hiervon ausgenommen sind die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen, die bestehen bleiben;

b) im verbleibenden Strafausspruch.

Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorgenannte Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist.

3. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel sowie die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht in vier Fällen, hiervon in drei Fällen jeweils in Tateinheit mit schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und hierbei in einem Fall in Tateinheit mit sexueller Nötigung“ unter Einbeziehung der Strafe aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten sowie wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht in drei Fällen, hiervon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr und vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis, sowie wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen, hiervon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr, zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Ferner hat es eine isolierte Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von zwei Jahren angeordnet.

Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet. Die ebenfalls mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts begründete Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sich die Beschwerdeführerin gegen die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung wendet, dringt in vollem Umfang durch.

I.

Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der Angeklagte, der am 20. Dezember 2016 rechtskräftig wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht sowie wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten verurteilt worden war, wurde nach Vollverbüßung der Strafe am 6. September 2018 aus der Haft entlassen. Im Rahmen der danach eingetretenen fünfjährigen Führungsaufsicht wurden ihm mit dem in den Urteilsgründen nur auszugsweise wiedergegebenen Beschluss des Landgerichts Chemnitz ? Auswärtige Strafvollstreckungskammer Döbeln ? vom 16. August 2018 mehrere Weisungen erteilt. Unter anderem wurde er angewiesen, „zu Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren keinen direkten oder indirekten Kontakt aufzunehmen, insbesondere nicht über Internet oder Chatforen, mit ihnen nicht zu verkehren und nicht zu beherbergen“; davon ausgenommen waren Kontakte in Anwesenheit einer sorgeberechtigten Person. Mit Beschluss vom 16. November 2020 wurde das Kontaktverbot verschärft und dem Angeklagten der Kontakt mit Kindern und Jugendlichen auch in Anwesenheit eines Sorgeberechtigten verboten. Über die Folgen von Weisungsverstößen wurde der Angeklagte in den Beschlüssen belehrt.

2. Der Angeklagte beging zwischen dem 25. August 2019 und 28. Februar 2021 die folgenden Taten:

a) In der Nacht auf den 25. August 2019 hielt sich der Angeklagte nach einer Feier in einem Kleingarten auf. In der Laube dieses Gartens schlief die am 19. Juni 2008 geborene Nebenklägerin Z. G. gemeinsam mit ihrem (nicht sorgeberechtigten) Stiefvater. Die Nebenklägerin erwachte, verließ die Laube und traf im Garten auf den Angeklagten. Dieser forderte die Nebenklägerin, deren Alter er kannte, nach einem Spaziergang durch die Gartenanlage mehrfach auf, sich auf seinen Schoß zu setzen und ein Video auf seinem Mobiltelefon anzusehen. Die Nebenklägerin kam dieser Aufforderung schließlich nach, setzte sich ? in eine Decke gehüllt ? auf den Schoß des Angeklagten und sah sich ein Video an. Der Angeklagte griff mit einer Hand unter die Decke und „kraulte“ „den bedeckten Intimbereich der Scheide“ der Nebenklägerin, um sich sexuell zu befriedigen. Die Nebenklägerin empfand die Berührungen als unangenehm, verspürte Angst und verharrte zunächst auf dem Schoß des Angeklagten; nach einigen Minuten stand sie auf und ging in die Laube zurück (II. B. Teil 1, Tat 1) der Urteilsgründe).

b) An einem nicht näher festgestellten Tag im November oder Dezember 2019 hielt sich der Angeklagte in der Wohnung eines Bekannten auf. Gleichzeitig hielten sich dort die Ku. und ihre am 29. Januar 2014 geborene Tochter auf. Während das Kind in der Badewanne saß, verließ die Mutter die Wohnung. In deren Abwesenheit hob der Angeklagte das Kind aus der Wanne und trocknete es ab (II. B. Teil 1, Tat 2) der Urteilsgründe).

c) An einem nicht näher festgestellten Tag zwischen September und November 2019 hielt sich der Angeklagte in Begleitung mehrerer Personen in einem Freizeitbad auf. Die Nebenkläger F. und G. K. besuchten ebenfalls das Schwimmbad und kamen mit dem Angeklagten, den G. K. schon von einem früheren Schwimmbadaufenthalt kannte, in Kontakt. Während der Angeklagte sich gemeinsam mit dem am 28. Juni 2012 geborenen Nebenkläger G. K. im flachen Bereich eines Wellenbeckens befand, zog er diesem überraschend dessen Badehose hinunter. Der Nebenkläger setzte sich in dem Bemühen nieder, seinen entblößten Unterleib unterhalb des Wasserspiegels zu verbergen. Dies nutzte der Angeklagte aus und fasste mit einer Hand an den unbekleideten Penis des Kindes, um sich sexuell zu erregen. Danach ließ er von dem Nebenkläger ab, der sich die Badehose wieder anzog und sich entfernte (II. B. Teil 1, Tat 3) der Urteilsgründe).

Zu einem späteren Zeitpunkt desselben Tages hielt sich der Angeklagte gemeinsam mit dem am 10. August 2006 geborenen Nebenkläger F. K. in einem Außenschwimmbecken auf. Als der Nebenkläger in den Innenbereich schwimmen wollte, hielt der Angeklagte ihn an einem Bein fest und zog ihn zu sich heran. Während er den Bauch des Kindes umfasste und es weiter festhielt, fasste er mit der anderen Hand über der Badehose an dessen Penis, um sich sexuell zu erregen (II. B. Teil 1, Tat 4) der Urteilsgründe).

d) Zwischen dem 30. August und dem 15. November 2020 führte der Angeklagte in drei Fällen jeweils einen Pkw im öffentlichen Straßenverkehr, wobei er - wie er wusste - nicht über die erforderliche Fahrerlaubnis verfügte (II. B. Teil 2, Taten 1) bis 3) der Urteilsgründe). In zwei Fällen (II. B. Teil 2, Taten 2) und 3) der Urteilsgründe) war er darüber hinaus alkoholbedingt fahruntüchtig. Bei der letzten dieser Taten befand sich der zur Tatzeit 15 Jahre alte W. während der Fahrt allein mit dem Angeklagten in dem Fahrzeug.

e) Von Anfang Februar bis zum 16. März 2021 wohnte der Angeklagte in dem Haus einer mit ihm bekannten Familie. Er schlief in einer von volljährigen Kindern der Familie bewohnten Wohnung, hielt sich aber auch in einer weiteren Wohnung des Hauses auf. Dort lebten unter anderem die beiden zehn- bzw. vierzehnjährigen Kinder der Familie, zu denen er dauerhaften Kontakt hatte. Im Februar 2021 wurde auch der seinerzeit 15-jährige W. in dem Haus beherbergt. Am 28. Februar 2021 hielt sich der Angeklagte gemeinsam mit diesem und dem zehn Jahre alten Sohn der Familie in dem Haus auf, während die Hauseigentümerin es verlassen hatte (II. B. Teil 2, Taten 4) und 5) der Urteilsgründe).

3. Das Landgericht hat die Taten als schweren sexuellen Missbrauch (§ 176a Abs. 1 StGB aF) in drei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht (II. B. Teil 1, Taten 1) und 3) der Urteilsgründe) sowie in einem Fall in weiterer Tateinheit mit sexueller Nötigung (II. B. Teil 1, Tat 4) der Urteilsgründe), als Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht in vier weiteren Fällen (II. B. Teil 1, Tat 2) und Teil 2, Taten 3) bis 5) der Urteilsgründe), in einem Fall davon (II. B. Teil 2, Tat 3) der Urteilsgründe) in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr und mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis, sowie als vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen, in einem davon in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr (II. B. Teil 2, Taten 1) und 2) der Urteilsgründe) gewertet. Es hat Einzelstrafen zwischen sechs Monaten und fünf Jahren Freiheitsstrafe verhängt und hieraus - im Hinblick auf eine noch nicht erledigte Vorverurteilung vom 19. Dezember 2019 - zwei Gesamtfreiheitsstrafen in Höhe von sechs Jahren und sechs Monaten sowie zwei Jahren und acht Monaten gebildet; ferner hat es eine isolierte Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis angeordnet.

Von der Anordnung der Sicherungsverwahrung hat das - sachverständig beratene - Landgericht abgesehen, weil die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB nicht gegeben seien. Bei dem Angeklagten bestehe zwar ein Hang zur Begehung von Straftaten, nicht aber zu solchen, die die Erheblichkeitsschwelle der Vorschrift überschritten.

II.

Die Revision des Angeklagten

1. Die Revision des Angeklagten ist überwiegend begründet.

a) Der Schuldspruch in den Fällen zu II. B. Teil 1 sowie in den Fällen II. B. Teil 2, Taten 3) bis 5) der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

aa) Die tateinheitliche Verurteilung wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht wird von den Feststellungen nicht getragen.

Eine Verurteilung nach § 145a StGB setzt voraus, dass die Weisung, gegen die der Täter verstoßen hat, hinreichend bestimmt ist. In Anbetracht des Gebots aus Art. 103 Abs. 2 GG und des Umstands, dass § 68b Abs. 2 StGB auch nicht strafbewehrte Weisungen zulässt, muss sich aus dem Führungsaufsichtsbeschluss selbst ergeben, dass es sich bei der Weisung, auf deren Verletzung die Verurteilung gestützt werden soll, um eine solche gemäß § 68b Abs. 1 StGB handelt, die nach § 145a Satz 1 StGB strafbewehrt ist. Dafür ist zwar einerseits eine ausdrückliche Bezugnahme auf § 68b Abs. 1 StGB nicht erforderlich; andererseits wird eine solche Bezugnahme aber ohne weitere Erläuterung regelmäßig nicht ausreichen, um dem Verurteilten die notwendige Klarheit zu verschaffen. Dass eine Weisung strafbewehrt ist, muss in dem Führungsaufsichtsbeschluss unmissverständlich klargestellt sein. Wegen der Gefahr von Missverständnissen und Ungewissheiten kann diese Klarstellung nicht durch eine mündliche Belehrung ersetzt werden (vgl. zum Ganzen BGH, Beschluss vom 11. Mai 2021 - 5 StR 106/21; Beschluss vom 12. Januar 2021 - 3 StR 362/20). Dies ist in den Urteilsgründen in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise darzustellen.

Gemessen an diesen Maßstäben sind die Urteilsfeststellungen lückenhaft. Die Führungsaufsichtsbeschlüsse der Strafvollstreckungskammer vom 16. August 2018 und vom 16. November 2020 werden in den Urteilsgründen nur auszugsweise mitgeteilt. Deshalb kann nicht abschließend geprüft werden, ob darin unmissverständlich klargestellt ist, dass die vom Angeklagten verletzten Weisungen strafbewehrt sind. Soweit die Urteilsgründe die Führungsaufsichtsbeschlüsse wiedergeben, kann ihnen dies nicht zweifelsfrei entnommen werden. Die Feststellung des Landgerichts, dass dem Angeklagten durch die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts entsprechende Weisungen erteilt wurden, die ihre Grundlage in § 68b Abs. 1 StGB hatten und somit unter der Strafbewehrung des § 145a StGB standen, und der Angeklagte über die Folgen von Weisungsverstößen in den Beschlüssen „ausdrücklich“ belehrt wurde, ist unzureichend. Auch sie ermöglicht ? mangels Mitteilung der der Wertung des Landgerichts zugrundeliegenden Tatsachen ? dem Senat nicht die Überprüfung, ob in den Führungsaufsichtsbeschlüssen selbst für den Angeklagten unmissverständlich klargestellt worden ist, dass ein Verstoß gegen die Weisungen strafbar ist.

bb) Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht zieht die Aufhebung der Verurteilung wegen der in den Fällen II. B. Teil 1, Taten 1), 3) und 4) sowie II. B. Teil 2, Tat 3) der Urteilsgründe jeweils tateinheitlich verwirklichten weiteren Straftatbestände nach sich (vgl. BGH, Beschluss vom 11. November 2021 - 4 StR 134/21, juris Rn. 8 mwN).

b) Auch die Strafaussprüche in den verbleibenden Fällen II. B. Teil 2, Taten 1) und 2) können nicht bestehen bleiben, weil die Strafzumessung durchgreifende Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufweist.

Bezüglich dieser ? wie überhaupt sämtlicher verfahrensgegenständlicher ? Taten hat das Landgericht strafschärfend berücksichtigt, dass der Angeklagte sich trotz wegen einschlägiger Taten verbüßter Freiheitsstrafen nicht „um eine ernsthafte Aufarbeitung der kriminogenen Faktoren bemüht“, sondern ein „passivabwartendes Vermeidungsverhalten“ gezeigt habe. Dies ist rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht damit das Fehlen von Strafmilderungsgründen strafschärfend berücksichtigt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 14. September 2022 - 5 StR 194/22, wistra 2022, 513 Rn. 20; Beschluss vom 17. August 2022 - 4 StR 472/21).

Überdies hat das Landgericht in den Fällen II. B. Teil 2, Taten 1) bis 3) strafschärfend gewertet, dass der Angeklagte „die Pkw-Fahrten nutzte, um ? alkoholisiert ? entspannen zu können“. Diese Strafzumessungserwägung ist unklar und lässt besorgen, dass das Landgericht dem Angeklagten das Fehlen eines verständlichen Anlasses für die Fahrt und damit auch hier einen fehlenden Strafmilderungsgrund angelastet oder strafschärfend berücksichtigt hat, dass der Angeklagte die Tat überhaupt begangen hat.

c) Der Senat hebt auch die zugehörigen Feststellungen zur subjektiven Seite der von der Teilaufhebung des Schuldspruchs erfassten Taten einschließlich der hiermit eng verknüpften Feststellungen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten (vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 2022 - 4 StR 426/22 Rn. 13) auf. Das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht erhält hierdurch insbesondere Gelegenheit, sich intensiver als bisher geschehen mit der inneren Seite der Taten nach § 176a StGB aF zu befassen und die Kenntnis des Alters der Geschädigten, soweit sie sich nicht von selbst versteht, sorgfältiger zu belegen. Ebenfalls der Aufhebung unterliegen die der Strafzumessung zugehörigen Feststellungen.

Die objektiven Feststellungen zum jeweiligen Tatgeschehen sind von dem aufgezeigten Darstellungsmangel hingegen nicht betroffen und können daher bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen sind möglich, soweit sie den aufrechterhaltenen nicht widersprechen.

2. Im Übrigen erweist sich die Revision des Angeklagten als unbegründet. Die Schuldsprüche in den Fällen II. B. Teil 2, Taten 1) und 2) der Urteilsgründe sowie die Anordnung einer isolierten Sperrfrist für die Fahrerlaubniserteilung sind rechtsfehlerfrei. Insbesondere ist der vom Landgericht angenommene Tatvorsatz hinsichtlich des Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 Abs. 1 StVG) und der Trunkenheit im Verkehr (§ 316 Abs. 1 StGB) unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe noch hinreichend belegt. Auch die hierauf gestützte Maßregel nach § 69a StGB kann bestehen bleiben. Ungeachtet der nur knappen Begründung der Maßregelentscheidung schließt der Senat angesichts der einschlägigen Vorahndungen des Angeklagten und der daraus resultierenden Mindestdauer der Sperre (§ 69a Abs. 3 StGB) aus, dass das Landgericht diese ohne den der Aufhebung unterliegenden Teil des Schuldspruchs nicht oder mit geringerer Dauer angeordnet hätte.

3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass die Strafzumessung im angefochtenen Urteil auch über die zur Aufhebung führenden Rechtsfehler hinaus rechtlichen Bedenken begegnet. Die vom Landgericht zur Begründung der Höhe der Einzelstrafe im Fall II. B. Teil 1, Tat 1) gewählte Formulierung: „Dabei ist die gesetzgeberische Intention von der Kammer zu berücksichtigen, dass bereits ohne ein körperliches Eindringen durch den Angeklagten ein Verbrechenstatbestand vorliegt, allein weil der Angeklagte einschlägig vorbestraft ist“, lässt besorgen, dass die Strafkammer dem Angeklagten die Verwirklichung des Straftatbestandes des § 176a StGB aF als solche strafschärfend angelastet hat. Entsprechendes gilt für die im Fall II. B. Teil 1, Tat 4) der Urteilsgründe zulasten des Angeklagten angeführte Erwägung, dass der Geschädigte zur Tatzeit in einem Alter gewesen sei, „in welchem die Pubertät und die Entdeckung seiner Sexualität erst beginnt“. Mangels Feststellungen zu einer durch die Tat bewirkten konkreten, über das mit der Tatbestandsverwirklichung typischerweise verbundene Maß hinausgehenden Beeinträchtigung des Geschädigten in seiner sexuellen Entwicklung ist auch hier zu besorgen, dass die Begehung der Tat als solche straferschwerend berücksichtigt worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 2021 - 2 StR 373/21).

III.

Die Revision der Staatsanwaltschaft Die wirksam auf die unterbliebene Maßregelanordnung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

1. Die mit der Revisionsbegründung erklärte Beschränkung des Rechtsmittels auf die unterbliebene Anordnung der Sicherungsverwahrung ist, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, wirksam (vgl. auch BGH, Urteil vom 9. September 2021 - 3 StR 327/20 Rn. 11).

2. Das Rechtsmittel hat Erfolg. Die Begründung, mit der das Landgericht einen Hang zu erheblichen Straftaten verneint hat, hält der auf die Sachrüge gebotenen rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Erhebliche Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB sind nach ständiger Rechtsprechung solche, die den Rechtsfrieden empfindlich stören. Kriterien hierfür ergeben sich zwar zunächst aus den in § 66 Abs. 1 StGB zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Wertungen. Dabei kann aber kein genereller Maßstab angelegt werden, sondern es bedarf stets der Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalles, bei der neben der Schwere der zu erwartenden Taten und den - auch nur potentiell bzw. typischerweise eintretenden - Folgen für die Opfer auch die Tathäufigkeit oder die Rückfallgeschwindigkeit ins Gewicht fallen können (vgl. zum Ganzen nur BGH, Urteil vom 9. September 2021 - 3 StR 327/20; Urteil vom 25. April 2019 - 4 StR 478/18, NStZ 2020, 84 Rn. 13; jew. mwN).

b) Das Landgericht hat diese Maßstäbe nicht grundsätzlich verkannt; die von ihm vorgenommene Gesamtwürdigung wird ihnen indes nicht gerecht. Sie ist lückenhaft, weil sie eine Reihe für die Erheblichkeit der Hangtaten und zugleich die Gefährlichkeit des Angeklagten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB sprechender Gesichtspunkte unerörtert lässt.

Die Annahme der Strafkammer, dass es bei den Anlasstaten an dem erforderlichen „gesteigerten Maß des Unrechts“ fehle, steht zunächst in einem durch die Urteilsgründe nicht aufgelösten Widerspruch zu dem Umstand, dass es sich bei den Taten, die das Landgericht rechtsfehlerfrei als schweren sexuellen Missbrauch nach § 176a Abs. 1 StGB aF gewertet hat (Fälle II. B. Teil 1, Taten 1), 3) und 4) der Urteilsgründe), um solche handelt, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bedroht sind - was sich im Fall II. B. Teil 1, Tat 4) der Urteilsgründe nicht allein aus der Tatsache ergibt, dass der Angeklagte bei der Begehung bereits einschlägig vorbestraft war (§ 176a Abs. 1 StGB aF), sondern unabhängig hiervon aus dem Strafrahmen des tateinheitlich mitverwirklichten § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB - und für die das Landgericht konkrete Einzelstrafen von vier bzw. fünf Jahren Freiheitsstrafe für tat- und schuldangemessen gehalten hat. Wiesen aber die Anlasstaten ihrerseits eine hinreichende Schwere auf, spräche eine etwaige abnehmende Intensität der Sexualdelinquenz des Angeklagten, wie sie das Landgericht dem Umstand entnommen hat, dass er „Versuche der Vereinnahmung, der manipulativen oder drohenden Überzeugung oder gar anale bzw. orale Penetrationen (…) seit 2011 nicht mehr unternommen hat“, nicht ohne weiteres gegen die Erheblichkeit im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB. Überdies hat das Landgericht bei dieser Wertung nicht erkennbar in den Blick genommen, dass der Angeklagte bei einer der Anlasstaten (Fall II. B. Teil 1, Tat 4) der Urteilsgründe) anders als bei seinen Vortaten Gewalt zur Vornahme der sexuellen Handlung einsetzte und sich in einem weiteren Fall (II. B. Teil 1, Tat 1) der Urteilsgründe) durch die zunächst geäußerte Ablehnung der Geschädigten nicht davon abhalten ließ, sie weiter - mit dem Anreiz ein Video auf seinem Mobiltelefon ansehen zu können - zu bewegen, auf seinen Schoß zu kommen. Soweit das Landgericht die körperlichen und seelischen Tatfolgen für die Geschädigten als nicht ausreichend schwer eingestuft hat, lässt es Ausführungen dazu vermissen, dass nach den Feststellungen der Geschädigte G. K. nach der Tat „somatische Beschwerden“, namentlich Bauchschmerzen, entwickelte, die auch beinahe zwei Jahre später noch zu Fehltagen in der Schule führten. Ergänzend nimmt der Senat insoweit auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts Bezug. Schließlich hat das Landgericht auch nicht erkennbar die Steigerung der Tatfrequenz gewürdigt, die darin liegt, dass der Angeklagte nach den Feststellungen Taten des schweren sexuellen Missbrauchs zum Nachteil dreier geschädigter Kinder innerhalb eines Zeitraums von höchstens etwa drei Monaten beging, wohingegen den einschlägigen Vorahndungen zwei in engem zeitlichen Zusammenhang im Jahr 2011 zum Nachteil desselben Geschädigten sowie eine weitere im Jahr 2016 begangene Tat zugrunde lagen.

c) Das Urteil beruht auf den aufgezeigten Erörterungsmängeln. Da, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, die formellen Voraussetzungen des § 66 StGB vorliegen, vermag der Senat nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei einer vollständigen Gesamtwürdigung der Umstände die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB bejaht hätte und in Ausübung seines Ermessens zur Anordnung oder wenigstens zum Vorbehalt der Sicherungsverwahrung gelangt wäre. Die Maßregelentscheidung ist daher insoweit mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben.

IV.

Im Umfang der danach gebotenen Aufhebungen bedarf die Sache - in der Besetzung des § 76 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 Alt. 1 i.V.m. Abs. 4 GVG und unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 StPO) - neuer Verhandlung und Entscheidung.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 560

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede