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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 496

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 376/22, Beschluss v. 08.02.2023, HRRS 2023 Nr. 496


BGH 1 StR 376/22 - Beschluss vom 8. Februar 2023 (LG Arnsberg)

Einziehung von Taterträgen (Begriff des Erlangten: kein Erlangen vor Tatbegehung, kein „Weiterreichen“ ersparter Aufwendungen; keine Dritteinziehung bei Tatbeteiligten); Einziehung von Tatlohn (erforderliche Gewährung durch Dritten, kein Tatlohn bei eigenmächtigem Zugriff des Täters auf das Erlangte).

§ 73 Abs. 1 StGB; § 73b Abs. 1 Nr. 1 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Durch die Tat erlangt erlangt der Täter einen Gegenstand, wenn er ihm in irgendeiner Phase des Tatablaufs aus der Verwirklichung des Tatbestands so zugeflossen ist, dass er hierüber tatsächliche Verfügungsgewalt ausüben kann (st. Rspr.). Dies setzt notwendigerweise als zeitlich vorgelagerten Schritt die Begehung der Tat voraus.

2. Für die Tat erlangt der Täter nur dann etwas, wenn es ihm von anderen Personen für seine Tatbeteiligung zugewendet wird.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 23. September 2021, soweit es ihn betrifft, im Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen aufgehoben; die Einziehung entfällt. Die im Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten und die angefallene Gerichtsgebühr, welche die Einziehung betreffen, trägt die Staatskasse.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3. Der Angeklagte hat die weiteren Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 47 Fällen und versuchter Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt und die Einziehung „von Wertersatz“ in Höhe von 150.000 € angeordnet. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, führt lediglich zur Aufhebung der Einziehungsentscheidung. Im Übrigen ist sein Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Sachrüge hat hinsichtlich des Schuld- und Strafausspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

2. Die auf „§ 73 Abs. 1 Alt. 1 StGB“ gestützte Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 150.000 € hält dagegen rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Nach den Feststellungen des Landgerichts kaufte der Angeklagte als faktischer Geschäftsführer für die P. GmbH (nachfolgend: P.) zum großen Teil Paletten ohne Rechnung „schwarz“ ein. Zur Abdeckung dieser Käufe ließ er sich von Scheinfirmen gegen Zahlung einer Provision Scheinrechnungen über Ankauf und Lieferung von Paletten ausstellen. Weder wurden diese Rechnungen bezahlt noch wurden Paletten geliefert. Die Scheinrechnungen wurden sodann in der Buchführung der P. als „bar bezahlt“ verbucht. Tatsächlich hatte der Angeklagte die Rechnungsbeträge von den Konten der P. abgehoben und daraus den Hintermännern der Scheinfirmen die vereinbarte Provision bezahlt, weiter „schwarz“ Paletten eingekauft und jedenfalls 300.000 € für private Zwecke verwendet. Der Steuerberater der P. machte auftragsgemäß in den für die P. abgegebenen Steuererklärungen den Vorsteuerabzug auch aus den Scheinrechnungen geltend.

b) Das Landgericht hat hinsichtlich von 150.000 €, die der Angeklagte seinem Privatvermögen zugeführt hatte (hinsichtlich weiterer 150.000 € hat das Landgericht ein Erlöschen gemäß § 73e Abs. 1 StGB angenommen), die Einziehung auf § 73 Abs. 1 Alt. 1 StGB („durch die Tat“) gestützt, weil in dieser Höhe der aus der Tat folgende Vermögenszufluss an die Gesellschaft sogleich an den Angeklagten als Täter weitergeleitet worden sei. Zwar sei keine Weiterleitung der erzielten Steuervorteile feststellbar; aber der Angeklagte habe bereits unmittelbar Teile des Bargeldes entnommen, das erst später durch die niedrigere Steuerlast der P. verdient worden sei. Damit habe sich der durch die Nichtzahlung der Steuern erlangte Vermögensvorteil nicht nur im Gesellschaftsvermögen, sondern auch im privaten Vermögen des Angeklagten tatsächlich niedergeschlagen.

3. Die Anordnung der Einziehung hat keinen Bestand.

a) Eine Einziehung nach § 73 Abs. 1 Alt. 1, § 73c Satz 1 StGB ist ausgeschlossen, weil nach dieser Vorschrift der Tatertrag abgeschöpft werden soll, den der Tatbeteiligte „durch eine rechtswidrige Tat“ erlangt hat. Erlangt ist er, wenn er ihm in irgendeiner Phase des Tatablaufs aus der Verwirklichung des Tatbestands so zugeflossen ist, dass er hierüber tatsächliche Verfügungsgewalt ausüben kann (st. Rspr.; z.B. BGH, Beschlüsse vom 19. November 2019 - 1 StR 525/19, BGHR StGB § 73 Erlangtes 32 Rn. 3 und vom 7. Dezember 2022 - 2 StR 437/20 Rn. 23; jeweils mwN). Dies setzt notwendigerweise als zeitlich vorgelagerten Schritt die Begehung der Tat voraus. Zwar unterliegen der Einziehung auch geldwerte Vorteile wie etwa ersparte Aufwendungen für Steuern (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 22. Oktober 2019 - 1 StR 199/19 Rn. 7 und vom 17. November 2022 - 1 StR 323/22 Rn. 8; jeweils mwN). Der Angeklagte aber hat das Geld dem Konto der P. zu einem Zeitpunkt entnommen und seinem privaten Vermögen zugeführt, zu welchem sich der geldwerte Vorteil bei der P. in Gestalt der durch Nichtentrichtung der geschuldeten Steuern ersparten Aufwendungen noch nicht realisiert hatte. Die Scheinrechnungen waren, wenn überhaupt, in einem ersten Schritt erst in die Buchhaltung aufgenommen worden. Die Übergabe der Unterlagen an den Steuerberater zur Vorbereitung der abzugebenden Steuererklärung lag noch in weiter Ferne. Eine Einkommensteuerhinterziehung durch Verschweigen von bezogenen verdeckten Gewinnausschüttungen ist nicht Gegenstand der Verurteilung.

b) Eine andere Rechtsgrundlage, auf die die Einziehung gestützt werden könnte, gibt es nicht.

aa) Auf § 73 Abs. 1 Alt. 2, § 73c Satz 1 StGB kann die Einziehung nicht gestützt werden. Vorteile sind „für“ die Tat erlangt, wenn sie einem Beteiligten als Gegenleistung für sein rechtswidriges Handeln gewährt werden, jedoch nicht auf der Tatbestandsverwirklichung beruhen (st. Rspr.; z.B. BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 2022 - 1 StR 474/21 Rn. 3 und vom 27. März 2019 - 2 StR 561/18 Rn. 8; jeweils mwN). Der Angeklagte aber hat das Bargeld eigenmächtig von dem Konto der P. einbehalten; es wurde ihm nicht von anderen Personen für seine Tatbeteiligung zugewendet (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Juni 2021 - 1 StR 133/21 Rn. 8).

bb) § 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a und b, Abs. 2, § 73c Satz 1 StGB kann eine Einziehung gegen den Angeklagten ebenfalls nicht begründen, weil sich diese Vorschrift ausdrücklich nur gegen Personen richtet, die nicht „Täter oder Teilnehmer“ sind, aber infolge der Anknüpfungstat - hier die Steuerhinterziehung durch die P. - selbst etwas erlangt haben. Der Angeklagte ist Täter der Steuerhinterziehungen. Er hat auch nichts erlangt; denn entrichtet eine juristische Person die geschuldete Steuer nicht, fließt ihr und nicht ihrem Organ dieser Vermögensvorteil zu, sodass die Einziehungsanordnung grundsätzlich gegen die Gesellschaft zu richten ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Januar 2020 - 1 StR 529/19, BGHR StGB § 73 Erlangtes 33 Rn. 15 f. und vom 17. November 2022 - 1 StR 323/22 Rn. 8; jeweils mwN).

Im Übrigen hat sich die Steuerersparnis in Form der ersparten Aufwendungen bei der P. mit ihrer Inanspruchnahme durch die P. zugleich „verbraucht“ und kann daher „gegenständlich“ nicht weitergereicht werden (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 17. November 2022 - 1 StR 323/22 Rn. 8 und vom 22. August 2022 - 1 StR 187/22 Rn. 5; jeweils mwN).

c) Die Einziehungsanordnung ist daher aufzuheben; sie entfällt entsprechend § 354 Abs. 1 StPO.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO, § 465 Abs. 2 StPO analog (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. Februar 2021 - 1 StR 423/20 Rn. 6 ff. und vom 6. Oktober 2021 - 1 StR 311/20 Rn. 9 ff.).

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 496

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede