HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 320
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 401/20, Beschluss v. 19.01.2021, HRRS 2021 Nr. 320
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 12. November 2019 werden als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Die Rügen sind wegen unzutreffenden und unvollständigen Vortrags unzulässig, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die Beschwerdeführer haben behauptet, dass „eine Erklärung über den Verzicht auf den Mutterschutz gegenüber dem Dienstherrn offensichtlich nicht erfolgt“ sei. Tatsächlich hatte die schwangere Richterin für jeden einzelnen Hauptverhandlungstag Erklärungen „zur Weiterarbeit während des vorgeburtlichen Mutterschutzes“ unterzeichnet. Dass diese Erklärungen nicht jeweils unaufgefordert von der Gerichtsverwaltung oder dem Vorsitzenden der Schwurgerichtskammer übersandt wurden, ändert daran nichts. Soweit die Verteidigung des Angeklagten R. hierzu meint, nicht das Revisionsvorbringen sei unvollständig, sondern die Stellungnahme des Vorsitzenden der Schwurgerichtskammer oder die Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft, verkennt sie, dass sich die Rügeobliegenheiten nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO allein an den jeweiligen Revisionsführer richten. Von diesem ist in solchen Fällen zu verlangen, dass er sich während des Laufs der Revisionsbegründungsfrist die ihm zugänglichen, zur Prüfung der Besetzung erforderlichen Informationen verschafft (BGH, Beschluss vom 29. Juni 2006 - 4 StR 146/06). Den Beschwerdeführern wäre es - anstatt zu spekulieren, dass entsprechende Erklärungen „offensichtlich“ nicht abgegeben worden seien - ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen, sich bei der Gerichtsverwaltung nach den dort vorliegenden Erklärungen zu erkundigen.
Die Rügen wären - wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat - darüber hinaus auch unbegründet. Es ist schon nicht ersichtlich, dass der beisitzenden Richterin über die Teilnahme an dem vorliegenden Verfahren und etwaigen sich aus ihrer Aufnahme in die Bereitschaftsrichterliste ergebenden Aufgaben hinaus weitere Dienstpflichten zukamen, so dass bereits die Argumentation der Beschwerdeführer, es handele sich allenfalls um einen Teilverzicht, nicht nachvollziehbar ist. Es ist ferner unzutreffend, dass ein teilweiser Verzicht auf den vorgeburtlichen Mutterschutz nicht möglich sei; das Gegenteil ist der Fall. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut von § 3 Abs. 1 Satz 1 MuSchG, der ein Beschäftigungsverbot für den Arbeitgeber nur vorsieht, soweit die Schwangere sich nicht zur Arbeitsleistung ausdrücklich bereit erklärt. Nur ein solches Verständnis der Norm wird im Übrigen dem gesetzgeberischen Ziel gerecht, durch die Reform des Mutterschutzgesetzes die Vereinbarkeit von Schwangerschaft bzw. Mutterschaft und Erwerbstätigkeit zu fördern und zu gewährleisten (vgl. BT-Drucks. 18/8963, S. 34; BeckOK Arbeitsrecht/Dahm, 58. Ed., § 3 MuSchG Rn. 10 mwN); die Wahlfreiheit der Schwangeren sollte gestärkt und ihre berufliche Entwicklung unterstützt werden (ErfK/Schlachter, 21. Aufl., MuSchG, § 3 Rn. 6). Aus der Begründung zur Neufassung von § 229 Abs. 3 StPO durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. Dezember 2019 (BGBl. I, S. 1332) ergibt sich nichts anderes: Ziel auch dieser Regelung ist es, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu stärken (BT-Drucks. 19/14747, S. 17); von einer fehlerhaften Besetzung ging der Gesetzgeber - im Anschluss an das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 7. November 2016 - 2 StR 9/15, NJW 2017, 745 - nur für den Fall aus, dass die Richterin während des Bestehens eines (absoluten) mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots an der Hauptverhandlung teilnimmt (BT-Drucks. 19/14747, S. 32). Ein solches tritt aber gerade nicht ein, wenn und soweit die Richterin sich - wie hier - zur Arbeitsleistung ausdrücklich bereit erklärt.
Der (gegebenenfalls auch nur teilweise) Verzicht der beisitzenden Richterin auf den Mutterschutz verstieß auch nicht gegen das Recht der Beschwerdeführer auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Dieses Recht ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Fällen wie dem vorliegenden, in denen allenfalls eine fehlerhafte Anwendung der vorhandenen Normen zur Bestimmung des zuständigen Gerichts und seiner Besetzung in Rede steht, nur dann verletzt, wenn die in Frage stehende richterliche Maßnahme oder Entscheidung willkürlich ist, die Bestimmung des entscheidenden Richters also auf sachfremden Erwägungen beruht, schlechthin unvertretbar ist, oder wenn sie die Bedeutung und Tragweite des Rechts auf den gesetzlichen Richter grundlegend verkennt (st. Rspr.; vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 16. Dezember 2014 - 1 BvR 2142/11, BVerfGE 138, 64 Rn. 71 mwN). Davon kann mit Blick auf die bestehende auch teilweise Disponibilität des vorgeburtlichen Mutterschutzes keine Rede sein (vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 24. November 2017 - 13 UF 230/16, juris Rn. 63 ff.).
Der Senat braucht deshalb nicht zu entscheiden, ob er der Annahme des 2. Strafsenats (Urteil vom 7. November 2016 - 2 StR 9/15, NJW 2017, 745), aus dem lediglich an den Arbeitgeber gerichteten Beschäftigungsverbot aus § 6 Abs. 1 Satz 1 MuSchG a.F. (heute: § 3 Abs. 2 Satz 1 MuSchG) ergebe sich ohne weiteres ein „Dienstleistungsverbot“ für die Richterin, das zu einer gesetzeswidrigen Gerichtsbesetzung führe, nähertreten könnte (vgl. bereits BGH, Beschluss vom 8. Januar 2020 - 5 StR 366/19, juris Rn. 40, insoweit in BGHSt 64, 246 nicht abgedruckt). Ebenso kann offen bleiben, ob ein Weiterarbeiten der zunächst zuständigen Richterin während des Mutterschutzes überhaupt den materiellen Gehalt des Rechts auf den gesetzlichen Richter berührt und deshalb ein solcher Verstoß gegen Arbeitsschutzgesetze, durch die kein Schutz vor sachfremden Einflussnahmen auf Entscheidungen der Richterin gewährt werden soll, auch im Rahmen einer Besetzungsrüge beanstandet werden kann. Durch die Verfahrensgarantie aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wird gewährleistet, dass eine Entscheidung durch einen vorab nach hinreichend genauen abstrakt-generellen Regelungen bestimmbaren Richter getroffen wird, der zudem den grundgesetzlichen Anforderungen an die Person eines Richters genügt, namentlich unabhängig und neutral ist. Dass eine Richterin nur aufgrund eines Verstoßes gegen ausschließlich ihrem Schutz dienende Vorschriften diese Voraussetzungen nicht (mehr) erfüllen sollte, erschließt sich dem Senat nicht.
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 320
Externe Fundstellen: NStZ 2021, 434
Bearbeiter: Christian Becker