HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Aug./Sept. 2007
8. Jahrgang
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Schrifttum

Detlef Burhoff / Thomas Schmidt / Joachim Volpert: RVG Straf- und Bußgeldsachen, 2. Auflage, 1775 S., 98,00 Euro, ZAP Verlag, Herne 2007.

Die meisten RVG-Kommentare widmen sich den Teilen 4 bis 6 VV RVG nur am Rande. Der Seitenumfang - einschließlich Gesetzestext- geht von 55 bis 170 Seiten. Nur der AnwKom-RVG von Gebauer/Schneider ist mit seinen 275 Seiten etwas ausführlicher. Demgegenüber sind in dem neuen Burhoff die Teile 4 bis 6 VV RVG auf rund 750 Seiten kommentiert. Daneben enthält der Kommentarteil des Werkes die vollständige Kommentierung des Teils 7 VV RVG sowie der Buß- und Strafsachen betreffenden Paragraphen des RVG. Der Burhoff ist jedoch weit mehr als ein auf die Vergütungsregelungen in Straf- und Bußgeldsachen spezialisierter Kommentar. Einem Handbuch ähnlich ist nämlich der Kommentierung ein ABC-Teil vorangestellt. In diesem stellen die Autoren einzelne allgemeine Probleme und Kernbegriffe des RVG dar und erläutern sie. Beispielhaft soll hier auf die Stichworte "Abtretung des Erstattungsanspruchs", "Dolmetscherkosten", "Erstattung", "Gerichtskosten", "Kostenfestsetzung in Straf- und Bußgeldsachen" und "Vorschuss" verwiesen werden. Solche Themen werden in herkömmlichen RVG-Kommentaren kaum einmal abgehandelt. Das in seiner Konzeption einmalige Werk umfasst daher auch 1775 Druckseiten und übersteigt damit den Umfang so manchen Gesamtkommentars zum RVG.

Die Autoren ergänzen die Erläuterungen durch viele Beispiele, Checklisten sowie durch Muster, die sich auch auf der beiliegenden CD-ROM befinden. So gibt Burhoff unter dem Stichwort "Geldwäsche" in einer Checkliste wichtige Hinweise, wie der Strafverteidiger dem Vorwurf der Geldwäsche vorbeugen kann. Die Darstellung der Beratungshilfe in Straf- und Bußgeldsachen kommt üblicherweise in RVG-Kommentaren viel zu kurz. Schmidt widmet sich diesem Thema auf gut 20 Seiten. Auf rund 17 Seiten befasst sich Volpert mit der Einigungsgebühr, die auch dem Strafverteidiger oder Nebenklägervertreter anfallen kann, ein Aspekt, der in anderen Werken häufig nicht angemessen gewürdigt wird. Die in der Rechtsprechung höchst umstrittene Frage, wie sich die Vergütung des Zeugenbeistands berechnet, erörtert Burhoff unter Vorbem. 4.1. Rn. 4 ff. unter Angabe von einigen Dutzend Gerichtsentscheidungen. Ebenso umstritten ist es in der Rechtsprechung, ob dem "Terminsvertreter" auch die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG zusteht, worauf derselbe Autor unter Nr. 4100 VV RVG Rn. 6 ff. eingeht. Zum in der Praxis umstrittenen Anwendungsbereich der Grundgebühr gibt der von Burhoff an derselben Kommentarstelle unter Rn. 19 ff. aufgeführte Katalog der erfassten Tätigkeiten wichtige Hinweise.

Die Anwendung des die Einzeltätigkeiten betreffenden Teils 4 Abschn. 3 VV RVG wirft in der Praxis viele Fragen auf. Wenn sich der Leser mit der rund 60 Seiten umfassenden Darstellung von Volpert befasst hat, bleibt keine dieser Fragen unbeantwortet. Unter Vorbem. 5.1.2 Rn. 4 vertritt Burhoffdie wohl zutreffende Auffassung, dass das vorbereitende Verfahren vor der Verwaltungsbehörde und das anschließende gerichtliche Verfahren verschiedene Angelegenheiten sind, was zum zweifachen Anfall der Postentgeltpauschale führt. Unter welchen Voraussetzungen dem Verteidiger die zusätzliche Verfahrensgebühr nach Nr. 4141 bzw. Nr. 5115 VV RVG an-

fällt, wenn durch seine Mitwirkung die Hauptverhandlung entbehrlich wird, ist von der Praxis in vielen Fallgestaltungen zu klären. Die entsprechende Kommentierung von Burhoff auf rund 27 bzw. 17 Seiten mit Rechtsprechungsnachweisen und Beispielen gibt hierzu eine wichtige Hilfe.

In Bußgeldsachen hat der Verteidiger oft erhebliche Probleme, die von ihm berechnete Mittelgebühr gegen Staatskasse oder Rechtsschutzversicherung durchzusetzen. Hier helfen die Erläuterungen von Burhoff unter Vorbem. 5 VV RVG Rn. 39 ff. weiter, die auch eine Checkliste und ein 27 Punkte umfassendes Rechtsprechungs-ABC enthalten.

Die hohe Aktualität des Werks wird nicht zuletzt dadurch belegt, dass Burhoff im ABC-Teil unter dem Stichwort "Erfolgshonorar" bereits die aktuelle Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit des uneingeschränkten Verbots des Erfolgshonorars berücksichtigt.

Der "Burhoff" ist ein für den Verteidiger in Straf- und Bußgeldsachen praktisch unverzichtbares Buch, das sich schon in seiner 2. Auflage zu einem Standardwerk entwickelt hat.

VorRiLG Heinz Hansens, Berlin

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Frank Neubacher; Anne Klein (Hrsg.), Vom Recht der Macht zur Macht des Rechts ?, Interdisziplinäre Beiträge zur Zukunft internationaler Strafgerichte, Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften, Bd.48, Duncker & Humblot, Berlin, 2006, 314 S., € 82,-

Das Völkerstrafrecht bleibt ein extrem dynamisches Gebiet, sowohl was die tatsächlichen Entwicklungen angeht als auch in Bezug auf seine wissenschaftliche Durchdringung. Ersteres ist aus den Tagesnachrichten ablesbar, die etwa den Prozess gegen Charles Taylor kommentieren, der nun nach Den Haag verlegt wurde, oder die sich mit den Ermittlungen der Anklagebehörde des ICC in Bezug auf Darfur beschäftigen, bei welchen noch nicht klar ist, ob dort die Ergebnisse im Vordergrund stehen oder die Tatsache, dass die USA deren Einleitung durch den Sicherheitsrat zuließen und damit ihre Totalblockadehaltung eindeutig aufgaben.

Die sich vertiefende wissenschaftliche Bearbeitung dieses Themas zeigt sich vor allem an der zunehmenden Zahl der einschlägigen Veröffentlichungen, und zwar sowohl zahlreicher einschlägiger Dissertationen und sonstiger Monographien als auch inzwischen dreier einschlägiger Lehrbücher[1]. Als wichtiges Medium der wissenschaftlichen Auseinandersetzung stellen sich gerade in diesem Bereich auch Sammel- und Tagungsbände heraus, von denen in den letzten Jahren eine ganze Anzahl mit einschlägigen Schwerpunkten erschienen sind[2]. In diese Kategorie gehört auch der hier zu besprechende Band, in dem Frank Neubacher und Anne Klein Beiträge zu einer Tagung herausgeben, die das Institut für Kriminologie der Universität zu Köln in Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung und der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit im Juni 2004 in Brühl veranstaltet hat. Der Titel des Bandes, "Vom Recht der Macht zur Macht des Rechts ?", weist auf ein Ziel, dessen Erreichung nach wie vor sehr unsicher ist. Ob tatsächlich das Recht jemals den Primat vor der Macht der politischen Entscheidungsträger wird beanspruchen können, lässt sich derzeit noch nicht absehen. Einerseits nimmt zwar der Druck auf Verantwortliche für schwerste Verbrechen gegen das humanitäre Völkerrecht materiellrechtlich wie prozessual zu und macht inzwischen auch vor ehemaligen Staatschefs nicht mehr halt[3]. Andererseits ist es nach wie vor kaum vorstellbar, dass tatsächlich auch Politiker strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden könnten, die wirklich mächtige Staaten repräsentieren[4].

Dennoch zeigt auch der hier vorgelegte Band, dass sich in dem Bereich der Verfolgung der sogenannten core crimes derzeit viel bewegt. In dem Band sind Beiträge vieler sehr renommierter Vertreter der Völkerstrafrechtswissenschaft in Deutschland versammelt, wie Ambos, Kreß, Weigend oder Kaul. Der Reiz des Bandes liegt aber gerade darin, sich nicht nur auf die Dogmatik des Völkerstrafrechts und des dazugehörigen Prozessrechts auf internationaler und nationaler Ebene zu konzentrieren, sondern durch die Einbeziehung kriminologischer und soziologischer Betrachtung sowie einem Schlaglicht auf die Behandlung Minderjähriger im Völkerstrafrecht auch weitere Perspektiven zu eröffnen und dadurch die Diskussion auf eine breitere Basis zu stellen. Dabei hilft auch die Untergliederung der einzelnen Beiträge in vier Hauptkapitel, wenngleich sich nicht ganz erschließt, warum der Beitrag Schüler-Spingorums zu einer internationalen Jugendkriminalpolitik statt dem Abschnitt III ("Täter,

Opfer, Folgen - Die Bedeutung des Völkerstrafrechts für Individuum und Gesellschaft") eher dem Abschnitt IV ("Umgang mit Menschenrechtsverbrechen auf nationaler Ebene") zugeordnet wird[5]. Abgesehen hiervon erscheint die Sortierung der Beiträge schlüssig und überlegt.

In seinem den kriminologischen Teil des Bandes einleitenden Text (S.17-44) geht Neubacher der Frage nach, warum die Kriminologie den Bereich der Makrokriminalität lange vernachlässigt hat (von Jäger abgesehen). Er bietet hierfür insgesamt fünf Gründe an, die ebenso plausibel wie wenig schmeichelhaft für die Wissenschaft sind. Wichtig ist auch der Hinweis auf die aus kriminologischer Sicht nachweisbaren Folgen der Straffreistellung von staatsverstärkter Kriminalität sowohl für die Opfer als auch für das Rechtsbewusstsein. Zu Recht werden neben generalpräventiven Aspekten weitere Strafzwecke gerade für den hier relevanten Bereich identifiziert, die (teils generalisierend) ebenfalls auf die Opfer solcher Verbrechen weisen, nämlich die bekundete internationale Solidarisierung mit diesen und die Dokumentation der Fakten jenseits der staatlich gelenkten Propaganda. Die Wichtigkeit dieses Gesichtspunktes ist eine echte Besonderheit des Völkerstrafrechts, dessen Tatbestände sich eben dadurch auszeichnen, dass die Täter sehr häufig Zugriff auch auf die Geschichtsschreibung nehmen und auf nationaler Ebene eben die Kennzeichnung der begangenen Taten als Unrecht verhindern. Dem entspricht auch die engagiert begründete Absage an eine Kollektivschuldzuweisung bei Staatsverbrechen und das Plädoyer für die trotz bestehender Schwierigkeiten in tatsächlicher Hinsicht lohnende Suche nach der jeweiligen individuellen Schuld. Dies ist auch als direkte Absage an die immer noch anzutreffende Ansicht zu verstehen, staatlich angeordnete oder geduldete Verbrechen seien individuell gar nicht als Verbrechen zurechenbar, weil sich der einzelne ja systemkonform und damit nicht kriminell verhalten habe. Dass diese Überlegungen aber zu neuen Ansätzen bei der Suche nach Präventionsmöglichkeiten führen müssen, zeigt Neubacher am Ende seines Textes auf. Den vermeintlichen und tatsächlichen Grenzen der Betrachtung der Makrokriminalität als Teil eines Kriminalitätskonzeptes widmet auch Jäger seinen Beitrag (S.45-69). Dabei verweist er zunächst zu Recht darauf, dass es sich hier inzwischen um positives Recht handelt (ICC-Statut, VStGB...), die Grundkonzeption also unzweifelhaft auf der Basis der geltenden Rechtsordnung bei allen Problemen in tatsächlicher Hinsicht kaum noch geleugnet werden kann. Auf dieser Grundlage lässt er auch Einwände nicht gelten, welche die Dimension dieser Verbrechen als per se der Kriminologie entzogen ansehen, sei es weil hier schon mangels echter Strafverfolgung gar keine wirkliche Kriminalität vorliege (ein Befund, der sich ja inzwischen, wenn auch langsam, aufzulösen beginnt), sei es weil die Betrachtung politisch-historischer Großereignisse, in deren Zusammenhang die fraglichen Verbrechen geschehen, die Kriminologie als Wissenschaft überfordern würden und hier andere Disziplinen wie die Geschichts- oder Politikwissenschaft zuständig wären. Stattdessen weist Jäger auf, in welche Richtung sich die weitere kriminologische und kriminalwissenschaftliche Forschung weiterentwickeln könnte. Diese Ansätze breitet dann Reese in ihrem Beitrag (S.71-89) in fünf konkreteren Fragen nach der Auswirkung der Existenz des ICC auf die Theoriebildung, nach der Rolle der Opfer, nach Alternativen zum Strafrecht und den Strafzwecken und nach den Nutznießern eines Völkerstrafrechts weiter aus und deutet jeweils eine Reihe weiterer möglicher Diskussionen an, die noch zu führen sein werden.

Im (völker-)strafrechtsdogmatischen zweiten Abschnitt des Bandes, der deutlich kürzer bleibt als die vorhergehenden kriminologischen Erwägungen geht der deutsche Richter am ICC Kaul zunächst auf die Entstehungsgeschichte des Gerichts und den 2004 aktuellen Stand der Verfahren ein (S.93-102), der sich inzwischen natürlich weiterentwickelt hat (insbesondere durch die Darfur-Ermittlungen). Kreß geht auf die Tatsache ein, dass die ersten Ermittlungsverfahren auf "Staateneigenüberweisungen" zurückgehen, also die Bitte der Tatortstaaten um ein Tätigwerden des ICC gegen Rebellengruppen im eigenen Lande (S.103-109). Diese Form der Verfahrenseinleitung war bei Ausarbeitung des Statuts von Rom zwar nicht ausdrücklich mitbedacht, ist aber nicht grundsätzlich zu kritisieren. Dennoch ergeben sich hier natürlich Spannungen, wenn in der von einem Staat überwiesenen "Situation" auch Hinweise auf eine Verstrickung staatlicher Organe in völkerstrafrechtliche Verbrechen auftauchen, so dass die Frage nach der Unabhängigkeit des Anklägers von den das Verfahren auslösenden Staaten drängend wird. Ambos fragt in seinem Beitrag (S.111-116) nach den im Völkerstrafrecht zu schützenden Rechtsgütern. Diese identifiziert er primär als "supraindividuelle, kollektive oder komplexe" Rechtsgüter, deren theoretisch unbestritten weitgehender Schutz allerdings durch die komplizierten konkurrierenden Zuständigkeiten zwischen nationalen und internationalen Gerichten sowie jeweils untereinander, durch materiellrechtliche und prozessuale Probleme (verdeutlicht am Beispiel des Nachweises der subjektiven Tatseite des Völkermordes), und durch die Angewiesenheit auf die Kooperation der Nationalstaaten begrenzt werde. In seinem Text zum deutschen Völkerstrafgesetzbuch[6] (S.117-135) geht Weigend neben einem Durchgang durch die Normen dieses Gesetzes auf das spezifische Problem des Verhältnisses des in § 1 VStGB proklamierten Weltrechtsprinzips und der dieses prozessual abfedernden Norm des § 153f StPO ein. Dabei konnte der Autor im Jahr 2004, aus dem der Beitrag stammt, natürlich die Verbiegungen dieser Norm durch die Praxis noch nicht absehen[7].

Der folgende Abschnitt des Bandes beschäftigt sich mit gesellschafts- und geschichtswissenschaftlichen Fragen im Zusammenhang mit der Bewältigung schwersten staatlich veranlassten und gedeckten Unrechts. Steinbach (S.139-160) weist dabei im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der Geschichte der DDR im wiedervereinigten Deutschland auf die Parallelität zu der Aufarbeitung des NS-Vergangenheit hin und beschäftigt sich dann speziell mit der Relevanz der entsprechenden Strafpro-

zesse auch für die historische Rekonstruktion und Aufarbeitung untergegangener Diktaturen. Die Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Gewaltverbrechen in Strafprozessen stieß die zeitgeschichtliche Aufarbeitung erst an, die ihrerseits auch auf die Prozesse zurückwirkte, ohne dass die Ergebnisse beider Ansätze notwendig kongruent wären. Auch Klein beschäftigt sich in ihrem Beitrag (S.161-186) mit dieser Aufarbeitung der NS-Verbrechen in der Bundesrepublik Deutschland. An der exemplarischen Betrachtung des Auschwitz- und des Lischka-Prozesses entwickelt sie die These, dass sich erst nach letzterem, also in den 1980'er Jahren, die Akzeptanz der Dimension der Verbrechen des Dritten Reichs und die Anerkennung sowohl der Opfer als auch der Schuld der einzelnen Täter im Kollektivbewusstsein der Deutschen festgesetzt habe. Walter lenkt in seinem Text (S.187-201) den Blick des Kriminologen auf die Neutralisationstechniken, die es den Tätern schwerster Massenverbrechen erlauben, das eigene Verhalten in ein durchaus vorhandenes eigenes Wertesystem einzuordnen. Diesen Neutralisationstendenzen könne im Strafvollzug entgegengewirkt und damit eine echte Resozialisierung erreicht werden. Dazu sei allerdings angemerkt, dass dies Ressourcen im Strafvollzug voraussetzt, die gerade in den Fällen der letzten Jahre (Ruanda, Sierra Leone etc.), nicht erwartet werden können. Fischer berichtet von den Erfahrungen im Umgang mit traumatisierten Gewaltopfern im Rahmen des Kölner Opferhilfe-Modells (S.203-223), welches versucht, Erkenntnisse der Psychotraumatologie in die konkreten Arbeit mit Opfern schwerer Gewalt einzubringen, was auch etwa den Umgang mit traumatisierten (Opfer-) Zeugen in der Justiz umfasst.

Im vierten Abschnitt über die Aufarbeitung von Menschenrechtsverbrechen durch nationale Institutionen geht zunächst die dort tätige Richterin Winter auf den Special Court for Sierra Leone ein (S.227-233), ein von der UNO und der dortigen Regierung getragenes sogenanntes Hybridgericht. Die mit der Errichtung und den ersten Verfahrensschritten verbundenen immensen Probleme schildert sie sehr anschaulich, zieht aber dennoch eine insgesamt positive (Zwischen-) Bilanz für den Stand 2004. Tätzsch stellt die parallel zu diesem Gericht eingerichtete Wahrheitskommission von Sierra Leone vor (S.235-261), deren Teilziel einer unabhängig erarbeiteten zeitgeschichtlichen Faktenbasis durch den 2004 vorgelegten Abschlussbericht zunächst erreicht wurde. Allerdings sei die ebenfalls angestrebte Ermöglichung einer gesamtgesellschaftlichen und persönlichen Auseinandersetzung mit eigener und fremder Schuld gerade in den in diesem Konflikt sehr häufigen Fällen von Kindersoldaten sowie entführter und sexuell missbrauchter Mädchen und Frauen sehr schwierig, und die praktische Zusammenarbeit mit dem zuvor beschriebenen Special Court hätte optimiert werden können. Hankel beschreibt in seinem Text (S.263-277) die Lage in Ruanda zehn Jahre nach dem dort verübten Völkermord. Dabei bricht er zunächst eindrucksvoll die Gleichung Hutu = Täter / Tutsi = Opfer auf. Die damit verbundene Kritik an der einseitigen Anwendung des Völkermordtatbestandes auf die Tutsi als Opfergruppe verfängt allerdings eher auf der Ebene der sozialen und politischen Auswirkungen dieser Unterscheidung als auf der normativ-justiziellen Ebene. Zutreffend stellt er dar, dass das Nichtvorgehen des ICTR gegen Verbrechen der Tutsi vor allem am politischen Widerstand der nun von Tutsi gestellten ruandischen Regierung scheiterte, welche mit der Totalblockade des ICTR gedroht hatte. Weiter beschreibt Hankel kritisch sowohl sowohl die nationale ruandische Justiz als auch die zur Aufarbeitung des Genozids geschaffenen Gacaca-Laiengerichte. Einen Bezug zum vorherigen Text von Fischer stellt Mischnik her, die ebenfalls den Umgang mit traumatisierten Opfern von Massengewalt in Indonesien aus der Perspektive einer dort als Helferin tätigen Psychologin und Juristin beschreibt (S.279-290). Hier werden die gefährlichen Langzeitfolgen solcher Kollektivtraumata und die Notwendigkeit einer therapeutisch begleiteten Verarbeitung der Gewalterfahrung verdeutlicht.

Schüler-Spingorum beschäftigt sich vor seinen abschließenden Bemerkungen zu der Tagung (S.309 f.) mit der Frage nach der Existenz einer internationalen Jugendkriminalpolitik (S.292-307). Angesichts der ja auch zuvor angeklungenen Problematik des zunehmenden Einsatzes von Kindersoldaten ist die Notwendigkeit eines Blicks auch der internationalen Kriminalwissenschaften auf dieses Gebiet naheliegend.

Insgesamt eröffnet der vorliegende Band eine große Bandbreite von Themenfeldern, die sich in dem gemeinsamen Bezug auf den kriminalrechtlichen und -wissenschaftlichen Umgang mit schwersten Menschenrechtsverbrechen treffen. Er reiht sich damit in die schon angesprochene Serie einschlägiger Sammelbände in diesem Feld ein und sticht gleichzeitig durch seine Varietät von Themen aus ihr heraus. Schon deswegen ist ihm viel Aufmerksamkeit zu wünschen, welche der Tiefe und Breite der wissenschaftlichen Auseinandersetzung nur gut tun kann.

Wiss. Mitarbeiter Dr. Denis Basak, J.W. Goethe-Universität Frankfurt am Main


[1] Gemeint sind hier Ambos, Internationales Strafrecht (2006); Satzger Internationales und Europäisches Strafrecht (2005) und Werle, Völkerstrafrecht (2003).

[2] Hier sind etwa zu nennen: Hankel/ Stuby, Strafgerichte gegen Menschheitsverbrechen (1995); Clark/ Sann, The Prosecution of International Crimes (1996); Baum/ Riedel/ Schaefer, Menschenrechtsschutz in der Praxis der Vereinten Nationen (1998); Lüderssen, Aufgeklärte Kriminalpolitik oder Kampf gegen das Böse ?, Bd.III Makrodelinquenz (1998); Fischer/ Lüder, Völkerrechtliche Verbrechen vor dem Jugoslawientribunal, nationalen Gerichten und dem Interanationalen Strafgerichtshof (1999); Kirsch, Internationale Strafgerichtshöfe (2005).

[3] Neben dem Prozess vor dem ICTY gegen Slobodan Milošević, dem Urteil des ICTR gegen den ehemaligen Ministerpräsidenten von Ruanda Jean Kambanda und dem bereits erwähnten Verfahren gegen den ehemaligen liberianischen Präsidenten Charles Taylor vor dem Special Court for Sierra Leone seien hier auch das Auslieferungsverfahren gegen Augusto Pinochet vor dem britischen Oberhaus und die (wenn auch schwierigen) Anfänge des Hybridgerichts in Kambodscha erwähnt.

[4] Ein (trauriges) Beispiel hierfür sei der Versuch, ein Strafverfahren in Deutschland nach dem VStGB gegen Donald Rumsfeld und andere anzustrengen, dazu etwa Basak in: Institut für Kriminalwissenschaften Frankfurt am Main (Hrsg.) Jenseits des rechtsstaatlichen Strafrechts, Frankfurter Kriminalwissenschaftliche Studien Bd.100, S.499 ff. Ebenso unwahrscheinlich erscheinen Strafverfolgungsmaßnahmen gegen Repräsentanten Russlands oder Chinas.

[5] Allerdings wird der Beitrag zumindest in der Gliederung hiervon leicht abgesetzt, ohne dass aber ein eigener Gliederungspunkt eröffnet würde.

[6] Der weitgehend dem Beitrag Weigends in der Gedächtnisschrift für Vogler (2004), S.197 ff. entspricht.

[7] Siehe OLG Stuttgart NStZ 2006, S.117 ff., mit Besprechungen von Ambos NStZ 2006, S.434 ff.; Basak (Fn.), S.499 ff.; Singelnstein/ Stolle ZIS 2006, S.118 ff.

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