Alle Ausgaben der HRRS, Aufsätze und Anmerkungen ab dem Jahr 2000.
HRR-Strafrecht
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
März 2003
4. Jahrgang
PDF-Download
1. § 363 Abs. 1 StPO findet auf einen Wiederaufnahmeantrag, der eine Änderung des Schuldspruchs zum Ziel hat, keine Anwendung. (BGHSt)
2. Ist die Durchführung eines Strafverfahrens gegen einen Tatzeugen, auf dessen angebliche uneidliche Falschaussage der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gestützt wird, wegen unbekannten Aufenthalts des Zeugen nicht möglich, so steht das Fehlen der nach § 364 Satz 1 Halbs. 1 StPO grundsätzlich erforderlichen rechtskräftigen Verurteilung des Zeugen der Zulässigkeit der Wiederaufnahme nicht entgegen (Bestätigung von BGHSt 39, 75, 86). (Bearbeiter)
3. Ein Wiederaufnahmeantrag ist nicht deswegen unzulässig, weil er eine bloße Änderung des Schuldspruchs intendiert, aus der keine Änderung des Strafmaßes resultieren würde. Dies gilt auch dann, wenn nur wegen einer von mehreren tateinheitlich verbundenen Straftaten die Wiederaufnahme beantragt wird. Denn zum einen liegt auch in einem Schuldspruch wegen einer tateinheitlich begangenen Tat, der sich nicht auf die Bestimmung des Strafrahmens auswirkt, eine eigenständige Beschwer. Zum anderen ist gem. § 363 Abs. 1 StPO nur ein Wiederaufnahmeantrag unzulässig, der lediglich eine andere Strafbemessung aufgrund desselben Strafgesetzes zum Ziel hat. Kommt jedoch eine Änderung des Schuldspruchs in Betracht, so läge - den Erfolg des Antrags und eine erneute Verurteilung mit Teilfreispruch im Sinne des Wiederaufnahmeantrags unterstellt - schon keine Verurteilung aufgrund desselben Strafgesetzes vor. (Bearbeiter)
4. Grundsätzlich ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens unzulässig, wenn sie nur einen Teil einer einheitlichen Tat erfassen soll. Das gilt aber nicht, wenn trotz sachlichrechtlicher Tateinheit ausnahmsweise mehrere prozessuale Taten anzunehmen sind. Zwar bildet eine sachlichrechtlich einheitliche Tat im Sinne des § 52 StGB regelmäßig auch eine Tat im Sinne des § 264 StPO. Im Einzelfall aber, insbesondere dann, wenn untereinander an sich in Tatmehrheit stehende Straftaten durch ein jeweils tateinheitlich verwirklichtes Delikt zur Tateinheit ver- klammert werden, kann eine Tat im materiellrechtlichen Sinn prozessual in mehrere Taten zerfallen. Dann ist die Wiederaufnahme hinsichtlich einzelner Taten im prozessualen Sinne zulässig. (Bearbeiter)
5. Die §§ 359 ff. StPO dienen der Lösung des Konflikts zwischen den Grundsätzen der materiellen Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit, die sich beide aus dem Rechtsstaatsprinzip ableiten (BVerfG MDR 1975, 468, 469). Innerhalb der durch den Gesetzeswortlaut gezogenen Grenzen verdient insoweit diejenige Auslegung den Vorzug, welche die Korrektur einer Fehlentscheidung ermöglicht, deren Aufrechterhaltung derart dem Gebot der Gerechtigkeit widerspräche, dass das allgemeine Interesse am Fortbestand einer rechtskräftigen Entscheidung zurücktreten muss. (Bearbeiter)
1. Erwidert der Verteidiger eines Mitangeklagten, ist dem Angeklagten erneut das letzte Wort zu erteilen. (BGHSt)
2. Die Vorschrift des § 258 Abs. 2, 3 StPO verfolgt den Zweck, dem Angeklagten die Möglichkeit einzuräumen, seine Auffassung noch unmittelbar vor der Beratung und Verkündung des Urteils darlegen zu können. Nach der Natur der Sache gilt sie jedoch nicht im Verhältnis mehrerer Angeklagter, von denen logischerweise einer nach dem anderen Gelegenheit zur Äußerung bekommt. Allerdings können Äußerungen von Mitangeklagten den Wiedereintritt in die Hauptverhandlung notwendig machen. (Bearbeiter)
3. Das Recht des Angeklagten, als Letzter noch etwas zu seiner Verteidigung anführen zu können, besteht nicht nur, wenn der Staatsanwalt oder der Nebenkläger erwidert haben, sondern selbst dann, wenn sein Verteidiger für ihn gesprochen hat. (Bearbeiter)
1. Gebotene Ablehnung der Bestellung eines vom Beschuldigten bezeichneten Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger bei konkreter Gefahr einer Interessenkollision in einem Fall sukzessiver Mehrfachverteidigung. (BGHSt)
2. Kollidiert der Wunsch eines Beschuldigten, von einem bestimmten Rechtsanwalt verteidigt zu werden, mit einem möglichen Konflikt dieses Rechtsanwalts in Bezug auf die Interessen eines anderen - auch früheren - Mandanten (vgl. BGHSt 34, 190, 191), ist eine abwägende Entscheidung nach den Grundsätzen des BGH zu treffen. (Bearbeiter)
3. Grundsätzlich ist allein der Rechtsanwalt für die Wahrung seiner Berufspflichten verantwortlich (vgl. BGH NStZ 1992, 292). Der für die Verteidigerbestellung zuständige Gerichtsvorsitzende sollte vor einer Ablehnung der gewünschten Pflichtverteidigerbestellung den Rechtsanwalt - gegebenenfalls daneben auch den Beschuldigten selbst - zu dem Sachverhalt anhören, der die Gefahr der Interessenkollision begründen kann. (Bearbeiter)
Der Tatrichter kann - in besonders gelagerten prozessualen Sachverhalten - verpflichtet sein, erkannte Missverständnisse der Verteidiger über die Grundlagen von ihnen gestellter Hilfsbeweisanträge durch einen Hinweis auszuräumen (vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 30). Die augenfällige sachliche Aussichtslosigkeit der Verteidigungslinie löst die Pflicht allein nicht aus. Anders als ein erkanntes Missverständnis begründet nicht etwa jede deutlich erkennbare abweichende Bewertung des Ergebnisses der Beweisaufnahme durch die Verteidigung eine gerichtliche Hinweispflicht aus Gründen fairer Verfahrensgestaltung. Dies gilt - nicht anders als im Fall bewusster unrichtiger Behauptungen über Ergebnisse der Beweisaufnahme (vgl. BGH NStZ 1993, 228) - jedenfalls auch bei Fehlbewertungen der Verteidigung aufgrund von Uneinsichtigkeit oder nachhaltiger Unaufmerksamkeit. Allzu weitgehenden Eingriffs- und Reaktionspflichten des Gerichts auf die Wahrnehmung von Verfahrensrechten durch die Verteidigung stünde letztlich der Grundsatz entgegen, dass die Verteidigung bei deren Ausübung prozessrechtlich eigenverantwortlich handelt (vgl. BGHSt 13, 337, 343).
1. Zwar müssen vom Tatrichter gezogene Schlüsse nicht zwingend in dem Sinne sein, dass eine für den Täter günstigere Feststellungsalternative mit naturwissenschaftlicher Genauigkeit ausgeschlossen werden müsste. Die Feststellung subjektiver Vorstellungen des Täters kann etwa auf eine dem Tatrichter obliegende Gesamtwürdigung der objektiven Tatumstände gestützt werden. Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung jedoch, wenn die Urteilsgründe die Besorgnis begründen, der Tatrichter habe naheliegende abweichende Möglichkeiten nicht bedacht, oder wenn Schlussfolgerungen auf Erfahrungssätze gestützt werden, welche in dieser Form nicht bestehen, so dass sich das Ergebnis der Beweiswürdigung als bloße Vermutung darstellt. Ein solcher Mangel kann insbesondere nicht dadurch geheilt werden, dass der Tatrichter in den Urteilsgründen seine zweifelsfreie Überzeugung besonders nachdrücklich betont.
2. Einen Erfahrungssatz, wonach Schmerzensschreie eines durch einen Schuss in den Fuß getroffenen Opfers die Annahme nahe legen, die geschädigte Person habe möglicherweise tödliche Verletzungen erlitten, gibt es nicht.
3. Eine Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 1 1. und 2. Variante StGB setzt konkrete Feststellungen zum Kenntnis- und Vorstellungsbild des Täters zum Zeitpunkt nach der letzten auf den Taterfolg abzielenden Handlung voraus (BGHSt 31, 175; 39, 227).
1. Die Zeugnisverweigerung eines Angehörigen darf nicht gegen den Angeklagten verwendet werden, auch dann nicht, wenn der Angehörige später Angaben macht, da nur so dem Angehörigen die von § 52 StPO eingeräumte Entscheidungsfreiheit verbleibt, ob und wann er Angaben zur Sache machen will, ohne hierdurch Schlüsse des Gerichts zu Lasten des Angeklagten befürchten zu müssen (vgl. BGHSt 34, 324, 327; BGHR StPO § 261 Aussageverhalten 21; BGH NStZ 1987, 182; 1989, 281; StV 2002, 4 jeweils m.w.N.).
2. Eine Ausnahme gilt für solche Fälle, in denen sich der Angehörige bereits zuvor gegenüber den Ermittlungsbehörden als Zeuge zur Sache eingelassen hatte, ohne die ihm zu diesem Zeitpunkt bereits bekannten, den Angeklagten entlastenden Umstände vorzubringen (wie sie in BGHSt 34, 324, 327 f.).
Eine Pflicht, auf eine vollständige Bescheidung der selbst gestellten Beweisanträge hinzuwirken, ergibt sich für die Staatsanwaltschaft verstärkt schon aus ihrer gesetzlichen Stellung und Aufgabe, den Richter in seinem Bemühen um die Erforschung des wirklichen Sachverhalts und die richtige Rechtsanwendung zu unterstützen.
1. Die Würdigung der Beweise ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist auf das Vorliegen von Rechtsfehlern beschränkt. Ein sachlich-rechtlicher Fehler kann indessen vorliegen, wenn die tatsächliche Würdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist.
2. Bei bestimmten Fallgestaltungen sind an die Beweiswürdigung besondere Anforderungen zu stellen. Steht im Kern "Aussage gegen Aussage", so hat der Bundesgerichtshof etwa in Fällen, in denen die Aussage des einzigen Belastungszeugen in einem wesentlichen Detail als bewusst falsch anzusehen war, verlangt, dass Indizien für deren Richtigkeit im übrigen vorliegen müssen, die außerhalb der Aussage selbst liegen (vgl. BGHSt 44, 256, 257). Ähnlich liegt es, wenn die Hauptbelastungszeugin sich früher selbst der Falschaussage und der falschen Verdächtigung zum Nachteil des Angeklagten aus dem Beweggrund der Rache bezichtigt hatte, der Tatrichter die vormalige vermeintliche Falschaussage aber doch glauben will. Hängt die Entscheidung des Tatrichters im Wesentlichen davon ab, welchen Angaben er folgt, sind zudem gerade bei Sexualdelikten die Entstehung und die Entwicklung der belastenden Aussage aufzuklären. Das gilt vor allem dann, wenn ein Zusammenhang mit familiären Auseinandersetzungen nicht von vornherein auszuschließen ist (BGH NStZ 1999, 45; NStZ 2000, 496).
1. Bei der Einholung eines Sachverständigengutachtens besteht kein Anspruch auf die Heranziehung eines bestimmten Sachverständigen, oder eines Angehörigen einer bestimmten Universität. Die Auswahl des Sachverständigen obliegt allein dem Gericht, § 73 Abs. 1 Satz 1 StPO.
2. Einwände gegen die Kostenentscheidung können nur im Rahmen einer zusätzlich zur Revision einzulegenden sofortigen Beschwerde (§ 464 Abs. 3 StPO) innerhalb der hierfür vorgesehenen Frist (§ 311 Abs. 2 StPO) geltend gemacht werden.
Das Scheitern des Alibibeweises bedeutet nur, dass gegebenenfalls eine schon anderweit gewonnene Überzeugung des Tatrichters nicht erschüttert wird (vgl. BGHSt 41, 151, 154 m. N).). Das Scheitern setzt eine erschöpfende Auswertung der Beweistatsachen voraus.