hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 439

Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 354/23, Beschluss v. 24.01.2024, HRRS 2024 Nr. 439


BGH 3 StR 354/23 - Beschluss vom 24. Januar 2024 (LG Koblenz)

BGHR; erweiterte Einziehung von Taterträgen (Gutschrift auf Girokonto als Einziehungsgegenstand; Einziehung des Wertes nach Buchung im Kontokorrent; Subsidiarität der erweiterten Einziehung).

§ 73a Abs. 1 StGB; § 73c Satz 1 StGB

Leitsätze

Die Gutschrift auf einem im Kontokorrent geführten Girokonto stellt einen Gegenstand dar, der Grundlage für die erweiterte Einziehung des Wertes von Taterträgen sein kann. (BGHR)

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten I. wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 29. März 2023 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit darin - auch gegen den Mitangeklagten W. - jeweils die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von weiteren 5.558.461,50 € angeordnet worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten I. wegen gewerbsmäßigen Bandenbetruges in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Zudem hat es zu Lasten des Angeklagten - ebenso wie des Mitangeklagten W - die „Einziehung des Wertes von Taterträgen“ in Höhe von 9.874.651,22 € als Gesamtschuldner sowie - jeweils - weiterer 5.558.461,50 € angeordnet. Neben sonstigen Einziehungsentscheidungen hat es den Anrechnungsmaßstab für im Ausland erlittene Auslieferungshaft bestimmt und Adhäsionsentscheidungen getroffen. Der Angeklagte wendet sich mit seiner insoweit beschränkten Revision ausschließlich gegen die - erweiterte - Einziehung des Betrages von 5.558.461,50 € und rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen betrieben der Angeklagte und der Mitangeklagte im Zeitraum von September 2017 bis November 2020 neben weiteren Geschäften arbeitsteilig drei Online-Handelsplattformen in Bulgarien mit dem Ziel, Kunden zu vermeintlichen Kapitalanlagen zu veranlassen. Dabei wurden die Anleger darüber getäuscht, die gezahlten Geldbeträge zurückzuerhalten, während dies von Beginn an ausgeschlossen war. Hinter dem Unternehmen zum Betreiben der Plattformen mit zeitweise 400 bis 600 Mitarbeitern stand ein komplexes Firmengeflecht aus verschiedenen, durch Strohgeschäftsführer vertretenen Gesellschaften. Die Entscheidungsbefugnis behielten der Angeklagte und der Mitangeklagte. Die Kunden wurden durch in Bulgarien und Nordmazedonien ansässige Callcenter gewonnen, die nach Muttersprache der Getäuschten untergliedert waren. Über die drei Plattformen zahlte eine Vielzahl von - namentlich aufgeführten - Geschädigten aus Deutschland aufgrund der ihnen vorgespiegelten Geldanlage insgesamt 9.874.651,22 €. Tatsächlich lagen die betrügerisch erlangten Umsätze jedoch weit darüber und erreichten über 10 Millionen € im Monat. Von den Einzahlungen wurden die Geschäftskosten wie etwa Gehälter beglichen; den Rest schütteten sich der Angeklagte und der Mitangeklagte als „Dividenden“ aus. Diese beliefen sich jeweils für den Zeitraum von Mai 2016 bis März 2017 auf 624.663 € und für den Zeitraum von April 2017 bis April 2018 auf 5.107.500 €.

Das Landgericht hat in Bezug auf den Angeklagten und den Mitangeklagten die jeweils eine Plattform betreffenden Handlungen als eine Tat des gewerbsmäßigen Bandenbetruges (§ 263 Abs. 1 und 5 StGB) im Sinne eines uneigentlichen Organisationsdelikts gewertet und gegen die beiden in Höhe der Beträge, welche die konkret aufgeführten Geschädigten leisteten, die Einziehung des Wertes von Taterträgen als Gesamtschuldner angeordnet. Daneben hat es identisch gegen jeden von ihnen der Sache nach die erweiterte Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe weiterer 5.558.461,50 € angeordnet, dazu die empfangenen Dividenden in Höhe von jeweils 5.732.163 € zugrundegelegt und davon bis April 2018 geleistete Anlagebeträge der hiesigen Geschädigten in Höhe von 347.403 € je hälftig abgezogen.

II. Die vom Angeklagten allein angefochtene erweiterte Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 5.558.461,50 € hat, auch in Bezug auf den Mitangeklagten, keinen Bestand und bedarf erneuter tatgerichtlicher Prüfung.

1. Den Urteilsgründen ist in mehrfacher Hinsicht nicht zu entnehmen, dass die rechtlichen Voraussetzungen für eine erweiterte Einziehung des Wertes von Taterträgen gemäß § 73a Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB gegeben sind.

a) Es ergibt sich nicht, dass die den Dividendenzahlungen zugrunde liegenden Straftaten nicht näher konkretisiert werden können.

Die Anwendung des § 73a Abs. 1 StGB, auch in Verbindung mit § 73c Satz 1 StGB, setzt voraus, dass die Herkunft der Einziehungsgegenstände aus rechtswidrigen Taten feststeht, aber eine sichere Zuordnung zu konkreten oder zumindest konkretisierbaren einzelnen Taten nach Ausschöpfung aller Beweismittel ausgeschlossen ist. Sofern die betreffenden Gegenstände einzelnen rechtswidrigen Herkunftstaten zugeordnet werden können oder könnten, und sei es erst nach weiteren Ermittlungen oder Beweiserhebungen, scheidet eine erweiterte Einziehung von Taterträgen (§ 73a Abs. 1 StGB) beziehungsweise des Wertes von Taterträgen (§ 73c StGB) aus. Vielmehr ist dann eine Einziehung von Taterträgen nach § 73 Abs. 1 StGB beziehungsweise des Wertes von Taterträgen nach § 73c StGB einem (gesonderten) Verfahren wegen dieser anderen Straftaten vorbehalten. § 73a Abs. 1 StGB ist mithin subsidiär gegenüber § 73 Abs. 1 StGB (st. Rspr.; s. insgesamt etwa BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2021 - 3 StR 381/21, wistra 2022, 254 Rn. 19 mwN).

Nach den Urteilsgründen hat sich die Strafkammer zwar rechtsfehlerfrei davon überzeugt, dass es sich bei den Dividenden um Erträge aus Betrugstaten handelt. Sie hat aber nicht dargelegt, inwieweit diese Taten näher konkretisiert werden können. Da ausweislich der Feststellungen weitere Verfahren gegen den Angeklagten und den Mitangeklagten hinsichtlich anderer Plattformen geführt werden, lässt sich auch im Zusammenhang nicht entnehmen, dass eine weitere Eingrenzung anderer Taten, aus denen die Erträge herrühren könnten, ausgeschlossen ist. Zudem ist abzugrenzen, ob die Zuflüsse nicht teilweise aus den abgeurteilten, gemäß § 154a Abs. 1 StPO beschränkten Taten - dem Betreiben der drei bestimmten Handelsplattformen - stammen können, weil die „mit diesen und weiteren Plattformen betrügerisch erzielten Umsätze“ nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen weit über den konkret aufgeführten Schadensbeträgen lagen (vgl. zur Bedeutung der Verfolgungsbeschränkung BGH, Beschluss vom 23. Mai 2023 - GSSt 1/23, juris Rn. 60 mwN).

b) Darüber hinaus ist unklar, inwieweit das Erlangte zum Zeitpunkt der Begehung einer der abgeurteilten Taten gegenständlich oder als Surrogat beim Angeklagten vorhanden war. Ein solcher zeitlicher Zusammenhang zwischen der urteilsgegenständlichen Tat und den abzuschöpfenden Erträgen aus anderen Delikten war bereits im Rahmen des erweiterten Verfalls nach § 73d StGB aF erforderlich. Daran hat sich durch das neue Recht der Vermögensabschöpfung nichts geändert. Abgeschöpft werden kann im Wege der erweiterten Einziehung von Wertersatz nur dasjenige illegal Erlangte, das der Angeklagte zur Tatzeit der abgeurteilten Delikte in seiner Verfügungsgewalt hatte. Das zuvor Verbrauchte oder erst später Erworbene unterfällt den §§ 73a, 73c StGB nicht (BGH, Beschluss vom 8. März 2022 - 3 StR 238/21, NZWiSt 2022, 404 Rn. 14 mwN).

Da die Dividenden insgesamt den Zeitraum von Mai 2016 bis April 2018 betrafen, sich der jeweilige Zahlungszeitpunkt nicht ergibt und die Taten frühestens im September 2017 begannen, ist hier nicht ersichtlich, dass der erforderliche zeitliche Zusammenhang vorliegt.

c) Schließlich bleibt nach den Urteilsgründen offen, ob auf die Straftaten, an welche die erweiterte Einziehung anknüpft, überhaupt deutsches Strafrecht anwendbar ist.

Wenngleich die Vermögensabschöpfung als Maßnahme eigener Art und nicht als Strafe zu qualifizieren ist, setzt die erweiterte Einziehung nach § 73a StGB die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts voraus. Fehlt es an ihr, liegt insoweit ein Prozesshindernis vor. Für die erweiterte Einziehung hat dies zur Folge, dass ihre Anordnung nur möglich ist, wenn auch für die ihr zugrundeliegenden, von der Verurteilung nicht umfassten Herkunftstaten gemäß §§ 3 ff. StGB deutsches Strafrecht gilt (s. BGH, Urteil vom 22. März 2023 - 1 StR 335/22, NJW 2023, 2956 Rn. 16 mwN; zustimmend Lenk, NJW 2023, 2959; BeckOK StGB/Heuchemer, 59. Ed., § 73 Rn. 9.7).

Vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte sowie die weiteren Beteiligten im Ausland handelten und sich das Betrugsmodell ersichtlich nicht allein an Kunden in Deutschland richtete, erschließt sich die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts auf die „anderen“ Taten nicht, die für die erweiterte Einziehung maßgeblich sind.

2. Die erweiterte Einziehung des Wertes von Taterträgen bedarf neuer tatgerichtlicher Prüfung, da - entgegen dem Revisionsvorbringen - ihre Voraussetzungen und die Möglichkeit weiterer Feststellungen dazu nicht von vornherein ausgeschlossen sind.

Die erweiterte Einziehung von Taterträgen oder ihres Wertes kommt gemäß § 73a Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB bei Gegenständen in Betracht, die durch oder für andere rechtswidrige Taten erlangt worden sind. Die genaue Art und Weise der Dividendenzahlung ist im Urteil nicht festgestellt. Bereits deshalb erlauben die bisherigen Feststellungen keine abschließende rechtliche Bewertung.

Sollte, wie vom Revisionsführer naheliegend angenommen, die Leistung durch Ãœberweisung auf ein als Kontokorrent geführtes Girokonto erbracht worden sein, stünde dem Erlangen eines Gegenstandes im Sinne des § 73a Abs. 1 StGB nicht grundsätzlich entgegen, dass nach deutschem Recht die vom Kontokorrent erfassten Einzelansprüche ihre rechtliche Selbständigkeit verlieren und bloße Rechnungsposten werden (s. dazu BGH, Urteil vom 1. Juli 2021 - 3 StR 518/19, NStZ 2022, 354 Rn. 113). Zwar fallen unter den Begriff des Gegenstandes nur individualisierte Sachen und Rechte (s. BGH, Urteil vom 1. Juli 2021 - 3 StR 518/19, BGHSt 66, 147 Rn. 155; Beschluss vom 4. Juli 2018 - 1 StR 244/18, BGHR StGB § 73 Abs. 1 Anwendungsbereich 1 Rn. 10 mwN; BT-Drucks. 18/9525 S. 62). Allerdings können dazu auch Ãœberweisungseingänge auf Bankkonten zählen; denn zumindest bis zum - durchweg periodischen - Rechnungsabschluss stehen die aus Ein- und Ausgängen herrührenden einzelnen Posten einander im Kontokorrent gleichwertig gegenüber (s. BGH, Urteil vom 7. März 2002 - IX ZR 223/01, BGHZ 150, 122, 128 f.; vgl. zudem EBJS/Menges, HGB, 4. Aufl., § 355 Rn. 27). Die bloße Verbuchung von Forderungen im Kontokorrent führt nicht zum Erlöschen der den beiderseitigen Posten zugrundeliegenden Ansprüche (vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 1985 - I ZR 201/82, BGHZ 93, 307, 311 mwN; Ellenberger/Bunte, BankR-Hdb/Schmieder, 6. Aufl., § 26 Rn. 64; zur etwaigen Pfändbarkeit eines der Kontokorrentbindung unterfallenden Anspruchs der Gutschrift gegen die Bank BGH, Urteil vom 24. September 2020 - IX ZR 289/18, BGHZ 227, 123 Rn. 35, 37). Vor diesem Hintergrund ist eine Kontogutschrift damit nicht ausschließlich rechnerisch fassbar, sondern stellt ein - wenngleich durch das Kontokorrent gebundenes - Recht und mithin einen Gegenstand im Sinne des § 73a Abs. 1 StGB dar (vgl. zur Abschöpfbarkeit nach § 73a Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB von als Buchgeld in Kontokorrentabschlüssen identifizierbaren Erlösen auch BGH, Urteil vom 16. Dezember 2021 - 1 StR 312/21, juris Rn. 12). Die Buchung im Kontokorrent hat indes zur Folge, dass nicht mehr die gegenständliche Einziehung, sondern lediglich die Einziehung des Wertes gemäß § 73c Satz 1 StGB zu erwägen ist (s. BGH, Urteil vom 1. Juli 2021 - 3 StR 518/19, NStZ 2022, 354 Rn. 113 mwN; Köhler, NStZ 2017, 497, 501).

Hat der Angeklagte einen Gegenstand erlangt, ist zu prüfen, ob dies - etwa als Tatbeute - „durch“ oder - beispielsweise als Tatentgelt - „für“ andere rechtswidrige Taten geschah (vgl. zur Abgrenzung BGH, Beschluss vom 2. November 2022 - 3 StR 162/22, NStZ-RR 2023, 46; s. auch MüKoStGB/Joecks/Meißner, 4. Aufl., § 73 Rn. 38). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die erweiterte Einziehung eines Surrogats oder seines Wertes nicht statthaft ist, jedoch der Wert des ursprünglich vom Täter Erlangten der erweiterten Einziehung unterliegt (s. BGH, Urteil vom 22. September 2022 - 3 StR 238/21, wistra 2023, 121 Rn. 14 mwN). Insofern scheint nach den bisher getroffenen Feststellungen möglich, dass der Angeklagte die „Dividenden“ letztlich als Entgelt für seine betrügerischen Unternehmungen erhielt und daher - je nach den noch zu treffenden Feststellungen (s.o.) - eine erweiterte Einziehung des Wertes der gegenständlich nicht mehr vorhandenen Taterträge anzuordnen sein könnte.

3. Die erweiterte Einziehung ist gemäß § 357 Satz 1 StPO auch zugunsten des Mitangeklagten aufzuheben, da sich das Urteil insoweit auf ihn erstreckt und er von denselben Rechtsfehlern in gleicher Weise betroffen ist.

4. Die Sache ist - entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts - an eine andere, als Wirtschaftsstrafkammer zuständige Strafkammer zurückzuverweisen, da eine Zuständigkeit der Staatsschutzkammer nicht mehr besteht und nach den gegebenen Umständen zur Beurteilung des Falles besondere Kenntnisse des Wirtschaftslebens erforderlich sind (§ 74c Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a GVG).

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 439

Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede