HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

November 2021
22. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Polizeiliche Hinterleute beim Einsatz von Vertrauenspersonen vor Strafbarkeit nicht gefeit

Anmerkung zur Entscheidung BGH, Urt. v. 22.12.2020 – 1 StR 165/19 = HRRS 2021 Nr. 286

Von RA Dr. Yannic Hübner, Frankfurt am Main[*]

Kaum mehr als zwei Monate nach der (erneuten) Verurteilung Deutschlands in der Sache Akbay u.a. gegen Deutschland[1] gewährt das vorliegende Urteil des 1. Strafsenats vom 22. Dezember 2020 weitere beunruhigende Einblicke in die Praxis verdeckter polizeilicher Ermittlungsarbeit. Dieses Mal geht es weder um eine Tatprovokation noch um die Frage, welche Konsequenz eine solche für das Verfahren gegen den provozierten Täter nach sich zieht. Vielmehr sind es die "VP-Führer", also die polizeilichen Hinterleute des Einsatzes einer Vertrauensperson, die im Fokus der Ermittlungen stehen. Der Spieß wird gewissermaßen herumgedreht.

Zunächst einmal ist es der Sachverhalt selbst, der die Aufmerksamkeit auf sich zieht und Anlass zu Bedenken gibt. Denn die vorschriftswidrigen Alleingänge der involvierten Ermittlungspersonen, die gezielten Einflussnahmen auf das Verfahren und die Täuschungen und Lügen, um sich in der Folge gegenseitig zu decken und aufgestellte Thesen aufrechtzuerhalten, nehmen ein Ausmaß an, das ohne Weiteres als Blaupause für das Drehbuch eines Justizthrillers herhalten könnte. In der rechtlichen Würdigung fallen sodann die Bemerkungen am Rande ins Auge, solche zur Geltung des Legalitätsprinzips und zur Unzulässigkeit einsatzbedingter Straftaten, während die Wertungen des Senats im Ergebnis durchweg Zustimmung verdienen. Von der Entscheidung geht das wichtige Signal aus, dass die polizeilichen Hinterleute beim Einsatz von Vertrauenspersonen vor Strafbarkeit nicht gefeit sind. Ein Messen mit zweierlei Maß, eine statusbedingte Straflosigkeit gibt es nicht. Rechtspolitisch bietet der Fall schließlich praktisches Anschauungsmaterial für die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung des Einsatzes von Vertrauenspersonen – mit klar formulierten Voraussetzungen und Grenzen der Zulässigkeit. Transparenz und Öffentlichkeit staatlicher Handlungen bilden im liberalen Rechtsstaat unverzichtbare Bedingungen zur Kontrolle und zur Disziplinierung staatlicher Macht.[2]

I. Zum Sachverhalt

Der Sachverhalt des Falles führt in einen "gefahrenabwehrrechtlichen Strukturermittlungseinsatz" der bayerischen Ermittlungsbehörden gegen eine Rockergruppierung aus dem Jahre 2011, bei dem eine eingesetzte Vertrauensperson (im Folgenden: VP) ihren polizeilichen Kontaktmann (im Folgenden: VP-Führer K.) auf eine geplante Entwendung von Baumaschinen in Dänemark und deren anschließende Weiterveräußerung in den Kosovo aufmerksam machte. Der später angeklagte VP-Führer K. fasste die Mitteilungen daraufhin zwar in fünf "VP-Berichten" zusammen, die Staatsanwaltschaft unterrichtete er von seinen Erkenntnissen jedoch nicht. In der Folge – und entgegen der Richtlinien des bayerischen Innenministeriums – blieb eine Einbindung der dänischen Ermittlungsbehörden aus. Entgegen einer vorherigen Dienstbesprechung holte er auch keine Entscheidung seiner Vorgesetzten ein, sondern entschied kurzerhand selbst, dass die VP an der Fahrt nach Dänemark teilnimmt, und dass durch eine zweite Vertrauensperson die Sicherung der Baumaschinen im Nachhinein gelingen sollte. Zu allem Überfluss widersetzte sich die VP in der Folge den Anweisungen des VP-Führers K. und agierte bei der Tat als Fahrer eines LKW, wie es ihr der "Präsident" der Gruppierung vorgab. Ferner hatte sie noch in Deutschland heimlich, ohne Mitteilung an die Behörden, ein geeignetes Frachtbriefformular erworben.

Am 25. September 2011 wirkte die VP dann mittäterschaftlich an der Entwendung der Bagger und Kleinbaumaschinen im Gesamtwert von rund EUR 55.000,00 mit. Aufgrund einer von den dänischen Ermittlungsbehörden eingeleiteten Fahndung wurde sie am Folgetag sogleich in der Oberpfalz festgenommen. Die Manipulationen des VP-Führers K. nahmen hiermit ihren Lauf. Noch am Tag der Festnahme erwirkte er die Freilassung der VP und die Herausgabe ihrer Mobiltelefone, indem er sie anwies, keine Angaben zur Sache zu machen. Gegenüber den zuständigen Kriminalbeamten gab er zudem wahrheitswidrig an, die VP "sei nur der gutgläubige Fahrer gewesen" ("Legalfracht-These"). Mit weiteren Vorgesetzten gemeinsam kam die VP-Führung überein, die Erkenntnisse aus den fünf "VP-Berichten" nicht gegenüber anderen Ermittlungsbehörden offenzulegen und stattdessen den Sachverhalt zu verschleiern, um eine schnelle Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen die VP zu erreichen, sie vor Aufdeckung zu schützen und die vorherigen Dienstvergehen zu vertuschen. Hierzu wurde die "Legalfracht-These" weiter ausgebaut und eine E-Mail der VP verfälscht, um den Anschein zu erwecken, sie sei von einer legalen Überführung der Baumaschinen ausgegangen. Nach einem Gespräch mit zweien der involvierten Kriminalbeamten entschied der zuständige Oberstaatsanwalt, dass die dänischen Behörden die Ermittlungen übernehmen sollten. Dort wirkten die Beamten dann darauf hin, dass auf eine förmliche Vernehmung der VP verzichtet wird. In das anzufertigende Besprechungsprotokoll ließen sie zudem günstige Ausführungen zur "Legalfracht-These" aufnehmen, welche sie sogleich in ihrem Schlussbericht übernahmen. Die aufgefundenen gefälschten Frachtpapiere wurden hingegen wahrheitswidrig als unauffällig dargestellt.

In einer 2013 und (nach teilweiser Urteilsaufhebung) 2016 vor dem Landgericht Würzburg gegen die VP wegen Verstoßes gegen das BtMG u.a. geführten Hauptverhandlung setzten sich die Lügen des VP-Führers K. und seines Kollegen W. sodann fort: Zur Aufrechterhaltung der "Legalfracht-These" gaben sie in ihren Zeugenvernehmungen wahrheitswidrig an, die VP hätte "nicht konkret" von dem bevorstehenden Eigentumsdelikt berichtet, man habe anfangs nichts davon gewusst und sei davon ausgegangen, der Transport sei legal und es gebe Frachtpapiere. Eine der VP eigens angeordnete Reise nach Tunesien, um relevante Strukturinformationen zu sammeln, stellte der VP-Führer K. zudem wahrheitswidrig als eine private Urlaubsreise dar.

Im Prozess gegen das Führungspersonal der VP verurteilte das LG Nürnberg-Fürth den VP-Führer K. schließlich wegen falscher uneidlicher Aussage in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten und seinen Kollegen W. wegen eines Falles der falschen uneidlichen Aussage zu einer solchen von drei Monaten, deren Vollstreckung jeweils zur Bewährung ausgesetzt wurde. Von den Vorwürfen der Strafvereitelung im Amt wurden sie und vier weitere Mitangeklagte freigesprochen.

In der vorliegenden Entscheidung hob der Bundesgerichtshof die Verurteilung des VP-Führers K. in einem Fall und die Verurteilung seines Kollegen W. wegen falscher uneidlicher Aussage auf. Die weitergehende Revision des VP-Führers K. und die Revisionen der Staatsanwaltschaft gegen die Freisprüche im Tatkomplex "Strafvereitelung im Amt" wurden verworfen.

II. Zur rechtlichen Würdigung

Die rechtliche Würdigung des Senats überzeugt, sowohl zu den Freisprüchen aller Beamten wegen des Vorwurfs der Strafvereitelung im Amt (§ 258a StGB) als auch zur falschen uneidlichen Aussage (§ 153 StGB) des VP-Führers K. und seines Kollegen W. Erfreulich sind die deutlichen Verweise des Gerichts auf die Geltung des Legalitätsprinzips und auf die Unzulässigkeit einsatzbedingter Straftaten, wohingegen die erwähnte Straflosigkeit der Anstiftung durch einen Lockspitzel einen falschen Eindruck vermittelt. Gerade in den praxisrelevanten Fällen des Scheinkaufs von Betäubungsmitteln ist ein Strafbarkeitsrisiko der agents provocateurs nicht von der Hand zu weisen. Im Einzelnen:

1. Aufrechterhaltung der Freisprüche im Tatkomplex "Strafvereitelung im Amt"

Mit Blick auf § 258a StGB steht und fällt die Strafbarkeit der involvierten Beamten mit der Frage des Vorsatzes bezüglich eines strafbaren Vorverhaltens der VP. Insoweit führt der Senat nachvollziehbar aus, dass die VP die spätere Rückgabe der Bagger für sicher hielt, mithin ohne Enteignungsvorsatz handelte und der VP-Führer K. sowie die weiteren Beamten auch von dieser Sichtweise bei der VP ausgingen. Da die Beamten also die VP für straflos hielten, war ein Strafvereitelungsvorsatz bei allen abzulehnen. Und da W. und die übrigen Beamten ebenso das

Verhalten des VP-Führers K. für straflos hielten (soweit sie davon überhaupt Kenntnis hatten), schied bei diesen auch eine Strafvereitelung im Amt zugunsten des VP-Führers K. aus.

2. Aufhebung bestimmter Verurteilungen im Tatkomplex "Falsche uneidliche Aussage"

Auch beim Vorwurf des § 153 StGB sind es letztlich Tatsachenfragen, die den Ausschlag zu den differenzierten Erwägungen des BGH gaben. Aufgrund widersprüchlicher Mitschriften des Vorsitzenden und des Berichterstatters zur Zeugenaussage des VP-Führers K. im Prozess gegen die VP hob der Senat die Verurteilung des VP-Führers K. in einem Fall auf, hielt sie jedoch in zwei weiteren Fällen aufrecht, da die Diskrepanzen insoweit nicht durchschlugen. Ausgesprochene Teilfreisprüche des Landgerichts mussten zudem ausscheiden, weil mehrere wahrheitswidrige Einzelangaben innerhalb einer Vernehmung – worauf der Senat mit Recht hinwies – konkurrenzrechtlich als lediglich eine Tat (§ 52 Abs. 1 StGB) zu qualifizieren sind.[3] Weitere Mängel in der Beweiswürdigung des Landgerichts führten schließlich dazu, dass der Senat die Verurteilung des VP-Führers W. wegen § 153 StGB aufhob.

Am Ende sind es somit die tatsächlichen Besonderheiten des Einzelfalles, die das Ergebnis der Entscheidung prägen. Bemerkenswert ist im Übrigen der Verweis auf den Verwahrungsbruch als Amtsträger (§ 133 StGB) und die Urkundsdelikte (§§ 267 ff. StGB) wegen des nachträglich veränderten VP-Berichts. Mit diesen Fragen wird sich die neue zuständige Strafkammer im Einzelnen näher befassen müssen. Dogmatisch Spektakuläres – so viel bleibt festzuhalten – hält das vorliegende Urteil nicht parat.

Das ist gewiss nicht zu bedauern. Gerade wenn es um die strafrechtliche Verantwortung von staatlichen Ermittlungspersonen geht, kann mit nüchterner und gründlicher Rechtsanwendung nur gewonnen werden. Ausnahmen oder Ausbrüche in die eine oder andere Richtung, ein Messen mit zweierlei Maß, kann und darf es nicht geben. Insofern sind die Nebensätze des Senats zum Legalitätsprinzip und zur Unzulässigkeit einsatzbedingter Straftaten als erfreuliches Signal zu werten:

3. Legalitätsprinzip verbietet Flucht in Zuständigkeitsvorschriften

Der Senat stellt mit Recht klar, dass eine Offenlegung der besonderen Kenntnisse durch den VP-Führer K. gegenüber den primär zuständigen Ermittlungsbehörden nach dem in §§ 163, 161 StPO zum Ausdruck kommenden Legalitätsprinzip geboten war und dass diese Pflicht auch durch Zuständigkeitsvorschriften (wie etwa Art. 7 Abs. 3 BayPOG) nicht überlagert wird (Rn. 19). Dieses Bekenntnis zum Legalitätsprinzip schreibt die Leitungsaufgabe und die Gesamtverantwortung der Staatsanwaltschaft gegenüber der Polizei im Bereich der Strafverfolgung fest und formuliert somit an sich eine Selbstverständlichkeit.[4] Für den Einsatz von Vertrauenspersonen sendet diese Bemerkung allerdings das deutliche Signal aus, dass Transparenz und Kontrolle der polizeilichen Tätigkeit unumgängliche Voraussetzungen bilden müssen. Zugleich gebietet der Senat den Stimmen im polizeirechtlichen Schrifttum, welche in Richtung eines verselbstständigten polizeilichen Ermittlungsverfahrens weisen,[5] den nötigen Einhalt.

4. Unzulässigkeit einsatzbedingter Straftaten

Zur Unzulässigkeit einsatzbedingter Straftaten sendet die Entscheidung (in Rn. 22) ein ebenso deutliches Signal: Eine Erlaubnis zur Begehung von Straftaten kommt für Vertrauenspersonen ebenso wie für Verdeckte Ermittler (vgl. RiStBV Anlage D II.2.2. Satz 1) nicht in Betracht – weder als sog. "milieutypische Straftat" noch als "Keuschheitsprobe" zur Deckung der eigenen Person noch zu dem Zweck, näher an die Hintermänner einer kriminellen Organisation zu gelangen.[6] Der hohe Stellenwert des Legalitätsprinzips wird damit abermals unterstrichen. Dieses Signal ist auch deshalb zu begrüßen, weil mit § 184b Abs. 5 S. 2 StGB (flankiert durch den Richtervorbehalt in § 100d StPO) zum 13. März 2020 für den Bereich der Kinderpornographie eine eng begrenzte Erlaubnis der sog. "Keuschheitsprobe" geschaffen wurde.[7] Die vorliegende Entscheidung bestätigt, dass es insofern bei einer "Ausnahmevorschrift unter engen Voraussetzungen"[8] bleiben muss.

5. Strafbarkeit tatprovozierenden Verhaltens

Umso mehr irritiert die pauschale Bemerkung des Gerichts, dass eine Erlaubnis zur Begehung von Straftaten in Fällen in Betracht komme, "in denen die Rechtsprechung nach den Grundsätzen eines tatprovozierenden Verhaltens eine Straflosigkeit angenommen hat" (Rn. 24). Diese Bemerkung ist geeignet, den falschen Eindruck zu vermitteln, der Einsatz eines sog. agent provocateur (als Vertrauensperson, Verdeckter Ermittler oder als nicht offen ermittelnder Polizeibeamter) sei per se vom Risiko einer eigenen Strafbarkeit befreit. Dies ist mitnichten der Fall und solche "Grundsätze" lassen sich auch der referenzierten Entscheidung des 3. Senats vom 21. Juni 2007[9] nicht entnehmen. Ganz im Gegenteil hatte der 3. Senat hier den Schuldspruch lediglich dahin geändert, dass die angeklagte Vertrauensperson nicht wegen Handeltreibens, sondern wegen Anstiftung zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig war.

Bestimmt ein agent provocateur zur Vornahme eines abstrakten Gefährdungsdelikts (wie insb. das Handeltreiben mit oder die Einfuhr von Betäubungsmitteln), das von der tatprovozierten "Zielperson" auch vollendet wird, so erfüllt er den Tatbestand der Anstiftung zu diesem Delikt. Die hergebrachte Begründung der Straflosigkeit des agent provocateur – seine Tätigkeit sei nicht auf den Umsatz des Stoffes gerichtet, sondern darauf, ihn aus dem Verkehr zu ziehen[10] – trägt in diesen Konstellationen der Anstiftung nicht, denn im Kern verkennt die vorgenommene Tatbestandsrestriktion, dass das Unrecht der Anstiftung jedenfalls auch auf der akzessorischen Verursachung der Haupttat beruht.[11] Übersteigt ein agent provocateur also die (rechtfertigenden) Grenzen der Zulässigkeit und bestimmt er rechtsstaatswidrig zur Vornahme einer Straftat, dann macht er sich strafbar. In diesem Sinne mahnte der 2. Senat bereits in einem Beschluss vom 4. Juni 1985: "Ein etwaiges Fehlverhalten[des tatprovozierenden V-Manns]ist mit straf-, disziplinar- oder arbeitsrechtlichen Maßnahmen zu beantworten".[12] Konkreter wurde er dann in einem Urteil aus dem Dezember 2013, in dem er darauf hingewiesen hat, "dass rechtsstaatliche Belange namentlich auch durch ein etwaiges Strafverfahren gegen die VP zu gewährleisten sind. In Fällen einer Tatprovokation der hier vorliegenden Art besteht für die Staatsanwaltschaft Anlass, bei Verdacht eines zielstrebig und unbedingt auf einen großen Betäubungsmittelumsatz gerichteten, grob rechtswidrigen Verhaltens einer VP deren strafrechtliche Verantwortlichkeit zu überprüfen".[13]

III. Ausblick

Die komplexen Umstände des Sachverhalts machen die vorliegende Entscheidung des 1. Senats gewiss zu einem Spezialfall. Mit der Hervorhebung des Legalitätsprinzips und dem grundsätzlichen Hinweis auf die Unzulässigkeit einsatzbedingter Straftaten gibt sie gleichwohl das deutliche Zeichen, dass ein Strafbarkeitsrisiko polizeilicher Ermittlungspersonen beim Einsatz von V-Leuten, Verdeckten Ermittlern und nicht offen ermittelnder Polizeibeamten real ist. Zugleich lässt sich das Urteil als Plädoyer für eine gesetzliche Regelung des Einsatzes von Vertrauenspersonen lesen. Eine solche ist bereits aus Gründen des Gesetzesvorbehalts und der Wesentlichkeitstheorie verfassungsrechtlich zwingend geboten.[14] Obendrein bietet eine gesetzliche Regelung, versehen mit klar formulierten Voraussetzungen und Grenzen, für die eingesetzten V-Leute, für die VP-Führer und nicht zuletzt für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger Transparenz und Rechtssicherheit. Der praktische Nutzen einer Gesetzesregelung für die Strafverfolgungsbehörden wird anhand der vorliegenden Entscheidung illustrativ verdeutlicht. In diesem Sinne hat auch Gazeas[15] unter exemplarischer Heranziehung des Falles "Murat Cem" ("VP01") eindrücklich dargelegt, wozu das Fehlen einer gesetzlichen Regelung führen kann.

Nach Empfehlungen der "Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglichen Ausgestaltung des Strafverfahrens"[16] in der 18. Legislaturperiode, eines vom BMJ in Auftrag gegebenen Gutachtens[17] der Großen Strafrechtskommission des Deutschen Richterbunds aus dem November 2017 (übergeben im Dezember 2019) und Gesetzanträgen der FDP-Fraktion[18] und der Fraktion Die Linke[19] in der nunmehr vergangenen 19. Legislaturperiode besteht dringender Handlungsbedarf. Es ist an der Zeit, die gesetzliche Regelung des Einsatzes von Vertrauenspersonen und der Tatprovokation endgültig auf die Agenda der Rechtspolitik zu setzen.


[*] Der Verfasser Dr. Yannic Hübner ist Rechtsanwalt bei der Kanzlei kempf schilling + partner in Frankfurt am Main.

[1] EGMR HRRS 2020 Nr. 1163, dazu Hübner HRRS 2020, 441. Zuvor war es bereits in der Sache Furcht gegen Deutschland (EGMR HRRS 2014 Nr. 1066) im Oktober 2014 zu einer Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland gekommen.

[2] Vgl. Bernsmann/Jansen StV 1998, 217 m.V.a. Velten, Transparenz staatlichen Handelns und Demokratie (1996).

[3] Vgl. Fischer, StGB Kommentar, § 153, Rn. 17; OLG Köln StV 1983, 507.

[4] Vgl. LR-StPO/Erb, § 163; Rn. 15; § 161, Rn. 58; Vor § 158, Rn. 43 ff.

[5] Vgl. dazu LR-StPO/Erb, § 163, Rn. 5, 11 m.V.a. Knemeyer, FS Krause, 471 ff. sowie Knemeyer/Deubert NJW 1992, 3131 u.w.N.

[6] Vgl. MüKo-StPO/Günther, § 110c, Rn. 39; KK-StPO/Bruns, § 110c, Rn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, § 110c, Rn. 4; Eisenberg NJW 1993, 1033 (1039); allgemein zur Schutzpflicht von Polizeibeamten gegenüber Individualrechtsgütern BGHSt 38, 388 (389).

[7] BT-Drs. 19/16543 S. 10 f.

[8] BT-Drs. 19/16543 S. 10 a.E.

[9] BGH HRRS 2007 Nr. 517.

[10] Vgl. BGH HRRS 2007 Nr. 517.

[11] Eingehend Hübner, Rechtsstaatswidrig, aber straflos?, S. 190 ff. Für eine Differenzierung nach der Deliktsstruktur der Haupttat ebenfalls Deiters JuS 2006, 305; Rönnau JuS 2015, 19 (21); Mitsch, Straflose Provokation strafbarer Taten, S. 189 ff.; Nikolidakis, Grundfragen der Anstiftung, S. 71 ff.; Roxin, Strafrecht AT II, § 26, Rn. 157 ff.; LK-StGB/Schünemann, § 26, Rn. 63 ff.; SK-StGB/Hoyer, Vor §§ 26–31, Rn. 66 ff.; SS-StGB/Heine/Weißer, § 26, Rn. 24. Auch Esser StV 2021, 383 (391) konstatiert, dass "die derzeitigen, höchst fragwürdigen dogmatischen Schutzwehren vor einer Strafbarkeit[…]" nicht einmal mehr Studienanfänger überzeugen und "längst überholt" sind.

[12] BGH StV 1985, 309 (310).

[13] BGH HRRS 2014 Nr. 163 Rn. 48.

[14] Eingehend Gazeas, Schriftliche Stellungnahme zur Öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages am 24. März 2021; Gercke StV 2017, 615 (618 ff.); Soiné ZRP 2021, 47 (48); Decker, Der V-Manneinsatz durch Polizei und Verfassungsschutz, 2018, S. 145; BMJV (Hrsg.), Bericht der StPO-Expertenkommission (2015), S. 80 ; speziell zur Tatprovokation Jahn/Hübner StV 2020, 207 (209 ff.); Hübner, Rechtsstaatswidrig, aber straflos?, S. 122 ff.

[15] Gazeas (Fn. 14), S. 4 f.; zusf. zur Anhörung vom 24.03.2021 https://www.bundestag.de/presse/hib/830602-830602.

[16] BMJV (Hrsg.), Bericht der StPO-Expertenkommission (2015), S. 80 ff.

[17] Große Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes, Gutachten zum Thema Vertrauenspersonen und Tatprovokation, online abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/Service/Fachpublikationen/Gutachten_DRB_Vertrauenspersonen.pdf.

[18] BT-Drs. 19/25248.

[19] BT-Drs. 19/25352.