HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

November 2021
22. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Entfernung des Angeklagten aus dem Zeugenvernehmungsraum mit Simultanübertragung

Von Professor Dr. Katharina Beckemper, Leipzig[*]

I. Problemaufriss

Die StPO sieht sowohl für das Ermittlungsverfahren als auch die Hauptverhandlung Maßnahmen vor, den Beschuldigten getrennt vom Zeugen zu vernehmen. Dabei befindet sich entweder der Zeuge in einem anderen Raum (alleine während der Hauptverhandlung oder zusammen mit dem vernehmenden Richter im Ermittlungsverfahren) oder der Beschuldigte wird von den anderen Verfahrensbeteiligten separiert, indem er während der Zeugenvernehmung den Vernehmungsraum verlassen muss.

Den Ausschluss des Beschuldigten regelt § 168c Abs. 3 StPO für das Ermittlungsverfahren und § 247 StPO für die Hauptverhandlung. Trotz der gleichen Rechtsfolge – Entfernung des Beschuldigten während der Zeugenvernehmung – unterscheiden sich aber die Voraussetzungen, unter denen diese angeordnet werden kann.

Die Vernehmung des Zeugen durch den Richter in einem anderen Raum mit einer gleichzeitigen Simultanübertragung zu den weiteren Verfahrensbeteiligten (sog. Mainzer Modell[1]) enthält für das Ermittlungsverfahren § 168e StPO unter der Voraussetzung, dass eine dringende Gefahr für das Wohl des Zeugen vorliegt. Unter der gleichen Bedingung kann der Zeuge nach § 247a StPO auch während der Hauptverhandlung mittels einer Simultanübertragung in einem getrennten Raum vernommen werden. In diesem Verfahrensstadium befinden sich allerdings alle anderen Verfahrensbeteiligten einschließlich des Richters im Hauptverhandlungssaal (sog. Englisches Modell[2]).

Das System der Separierung von Zeuge und Beschuldigten während der Zeugenvernehmung ist daher im Strafverfahrensrecht schon kein geschlossenes System. Gemein ist aber den vorgesehenen Maßnahmen im Ermittlungsverfahren und der Hauptverhandlung, dass ein Ausschluss des Beschuldigten bei gleichzeitiger Videoübertragung der im Hauptverhandlungssaal oder Vernehmungsraum stattfindenden Zeugenvernehmung vom Gesetz nicht vorgesehen ist.

Dabei könnten aber durchaus Gründe dafür sprechen, in bestimmten Einzelfällen nicht den Zeugen, sondern den Beschuldigten von den anderen Verfahrensteilnehmern zu separieren, ihm aber die Zeugenvernehmung simultan zu übermitteln.[3]

Es mag zwar in vielen Fällen angebracht sein, z.B. dem kindlichen Zeugen die Atmosphäre im Gerichtssaal zu ersparen und auch die Gefahr einer möglichen Begegnung mit dem Beschuldigten auf dem Gerichtsflur auszuschließen. Es sind jedoch durchaus auch Sachverhalte denkbar, in denen es für den Zeugen in der Hauptverhandlung weniger belastend ist, nicht in eine Kamera hinein aussagen zu müssen, sondern persönlich vom Richter vernommen zu werden.[4] In vielen Fällen wird nur so eine Vertrauensbasis zwischen dem Vernehmenden und dem (insbesondere kindlichen) Zeugen aufzubauen sein. Diesen Argumenten, die bei der Diskussion über das Mainzer Modell hinlänglich ausgetauscht wurden[5], kann durch den Ausschluss des Beschuldigten gerecht werden, ohne dass die mit dem Mainzer Modell hinzunehmenden Beeinträchtigungen der §§ 226, 238 Abs. 1, 242 und 261 StPO, die durch die Abwesenheit des Richters[6] entstehen, zu beklagen sind.

Es streitet aber noch ein ganz eigener Grund für die Anwendung dieses Modells. Das aktivere Zusammenwirken mit den anderen Verfahrensbeteiligten kann dem Gefühl der Teilhabe an der Verurteilung des Täters dienlich sein, was sich insbesondere bei nicht kindlichen Zeugen positiv auswirken kann. Insbesondere Opfer-Zeugen brauchen unter Umständen das Erlebnis zumindest der Hauptverhandlung für die Normbestärkung.

Die Einführung der hier zu untersuchenden Maßnahme des Ausschlusses des Beschuldigten mit Simultanübertragung der Zeugenvernehmung wurde deshalb wenig überraschend bereits während der Beratungen zum Opferrechts-

reformgesetz gefordert. [7] Die persönliche Vernehmung des Zeugen solle die Regel bleiben, weil die Zeugenaussage, insbesondere vom Verletzten, eine wesentliche Erkenntnisquelle sei, die nur technisch vermittelt gegenüber der unmittelbaren Vernehmung mit Nachteilen für die Wahrheitsfindung behaftet sei. Es sei deshalb vorzugswürdiger, den Beschuldigten anstelle des Zeugens auszuschließen. Letztlich sei eine unmittelbare Vernehmung der Zeugen für den Prozess sogar unabdingbar, weil nur so ein unverfälschter Eindruck vom Zeugen gewonnen werden könne.

Zu einer ausdrücklichen Regelung im Gesetz ist es nicht gekommen. Man möchte aber nicht ausschließen, dass in der Praxis dennoch wie beschrieben verfahren wird. Was – wie vereinzelt zutreffend betont wird – aufgrund der geltenden Gesetzeslage auch gestattet sei.[8] Eine solche Möglichkeit vermeide mögliche Fehler und Unzulänglichkeiten, die beim Ausschluss des Angeklagten auftreten können, indem die spätere Unterrichtung über die wesentlichen Inhalte der Zeugenvernehmung unrichtig sei. Die fehlende ausdrückliche rechtliche Regelung ändere nichts an der Zulässigkeit der Simultanübertragung zum ausgeschlossenen Betroffenen, sondern entspreche sogar dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, weil es das mildere Mittel gegenüber dem vollständigen Ausschluss nach § 247 StPO sei.[9]

Das klingt zwar überzeugend, aber angesichts der genannten Vorschläge im Gesetzgebungsverfahren zum Opferrechtsreformgesetz und der Nichtberücksichtigung durch den Gesetzgeber können durchaus Zweifel entstehen, ob hier eine Regelungslücke besteht. Da der Ausschluss des Beschuldigten mit Simultanübertragung der Zeugenvernehmung gesetzlich nicht vorgesehen ist, könnte sie sich schon deshalb verbieten. Ausdrücklich hat sich der Gesetzgeber mit der Möglichkeit der Einführung dieser Maßnahme im Opferrechtsreformgesetz nicht auseinandergesetzt. Anders als angesichts der ausdrücklichen Entscheidung für das Englische Modell in § 247a StPO[10], welche die Anwendung des Mainzer Modells ausschließt[11], ist eine weitergehende Interpretation des Gesetzes deshalb durchaus grundsätzlich möglich. Dem widerspricht auch nicht die Argumentation des BGH[12], der zur Begründung des Verfahrensverstoßes bei Anwendung des Mainzer Modells ausführt, § 247a Abs. 1 S. 1 StPO regele die einzig zulässige Art und Weise der Videovernehmung eines Zeugen in der Hauptverhandlung; daneben seien andere Formen nicht statthaft. Bei dem hier vorgeschlagenen Modell handelt es sich ja gerade nicht um eine Videovernehmung, sondern um die Vermeidung einer solchen. Die Existenz von § 247a StPO kann deshalb dieser Maßnahme nicht entgegenstehen. Ob der fehlenden Regelung im Gesetz ist aber nicht klar, unter welchen Voraussetzungen davon Gebrauch gemacht werden kann, den Beschuldigten von der Zeugenvernehmung auszuschließen, die Zeugenvernehmung aber per Simultanübertragung mit ihm zu teilen.

II. Ausschluss und Simultanübertragung des Beschuldigten unter den Voraussetzungen der §§ 168c Abs. 3, 247 StPO

Liegen die Umstände vor, die einen Ausschluss des Beschuldigten von der Zeugenvernehmung gestatten, stellt es den Beschuldigten tatsächlich besser, wenn er nicht nur nach der Vernehmung über den Inhalt der Befragung informiert wird, sondern eine Simultanübertragung des Geschehens im Vernehmungsraum bzw. Hauptverhandlungssaal stattfindet.[13]

1. Untersuchungszweck und Wahrheitsfindung

Es dürfte aber Fälle geben, in denen der Schutzzweck des Ausschlusses des Beschuldigten nicht erreicht werden kann, wenn die Zeugenvernehmung simultan übertragen wird und der Zeuge dies auch weiß.

Im Ermittlungsverfahren kann der Beschuldigte nach § 168c Abs. 3 StPO ausgeschlossen werden, wenn dessen Anwesenheit den Untersuchungszweck gefährden würde. Dies gilt namentlich auch dann, wenn zu befürchten ist, dass ein Zeuge in Gegenwart des Beschuldigten nicht die Wahrheit sagen würde (vgl. § 168c Abs. 3 S. 2 StPO), z.B. weil die Anwesenheit des Beschuldigten beim Zeugen zu einer psychischen Ausnahmesituation führt, die eine wahrheitsgemäße Aussage unwahrscheinlich macht.[14]

Eine vergleichbare Regelung trifft § 247 S. 1 StPO für die Hauptverhandlung. Danach kann das Gericht anordnen, dass sich der Angeklagte während einer Vernehmung aus dem Sitzungszimmer entfernt, wenn zu befürchten ist, ein Mitangeklagter oder ein Zeuge werde bei seiner Vernehmung in Gegenwart des Angeklagten die Wahrheit nicht sagen. Voraussetzung dafür ist eine konkrete Gefahr für die Wahrheitsfindung, während der Wunsch des

Zeugen, ohne den Beschuldigten auszusagen, nicht ausreichend ist.[15]

Die Vorschriften für den Ausschluss des Beschuldigten bei der Zeugenvernehmung entsprechen sich folglich in beiden Verfahrensabschnitten in dieser Variante weitgehend.

Auch wenn eine Übertragung den Beschuldigten besserstellt, kann es Fälle geben, in denen die Anordnung dieser Übertragung ausscheidet, weil die Gefahr für den Untersuchungszweck oder die Wahrheitsfindung nicht beseitigt werden kann, wenn der Zeuge weiß, dass der Beschuldigte zwar nicht im Raum ist, die Zeugenvernehmung aber gleichzeitig verfolgen kann. Aus der rechtlichen Möglichkeit der gleichzeitigen Übertragung kann deshalb kein Recht des Beschuldigten darauf folgen. Es wird in der Literatur aber zutreffend darauf hingewiesen, dass das Gericht die Möglichkeiten erwägen soll, welche die Gefahr für den Schutzzweck minimieren, etwa indem der Bildschirm mit dem Bild des Beschuldigten für den Zeugen unsichtbar aufgestellt wird.[16]

2. Nachteil für das Wohl des kleinen Zeugen oder dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für die Gesundheit des volljährigen Zeugen

Während der Hauptverhandlung ist der Ausschluss des Angeklagten nach § 247 StPO darüber hinaus auch möglich, wenn dem Zeugen unter 18 Jahren ein erheblicher Nachteil für sein Wohl droht oder der volljährige Zeuge in die Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für seine Gesundheit kommt.[17] Während im Ermittlungsverfahren lediglich die Erforschung der Wahrheit als Schutzzweck von Bedeutung ist, kommen in der Hauptverhandlung auch potentielle Nachteile des Zeugen als Begründung für die Entfernung des Angeklagten in Betracht.

Bei diesen Ausschlussgründen dürfte es zur Wahrung des Schutzes der Zeugen oftmals angebracht sein, auf eine Simultanübertragung zu verzichten oder aber zumindest "nur" eine Ein-Wege-Technik anzuwenden.

III. Ausschluss des Beschuldigten und Simultanübertragung unter den Voraussetzungen der §§ 168e / 247a StPO

Die oben genannten Forderungen, die Möglichkeit eines Ausschlusses des Beschuldigten bei gleichzeitiger Simultanübertragung zu schaffen, stützen sich ausdrücklich auf das Argument, eine unmittelbare Vernehmung des Zeugen sei für den Prozess unabdingbar und deshalb sei nach Möglichkeit der Beschuldigte und nicht der Zeuge auszuschließen. Mit diesem Vorschlag richteten sie sich gegen die Abschaffung der Subsidiarität des § 247a StPO und der damit einhergehenden Befürchtung von vermehrten Zeugendistanzvernehmungen. Diese Gefahr wäre aber nicht gegeben, wenn ein Ausschluss des Beschuldigten schon unter der geltenden Rechtslage auch unter den Voraussetzungen vorgenommen werden darf, in denen de lege lata nur der Ausschluss des Zeugen mit gleichzeitiger Simultanübertragung geregelt ist.

1. Voraussetzungen der Separierung des Zeugen bei gleichzeitiger Simultanübertragung

Sowohl im Ermittlungsverfahren als auch der Hauptverhandlung ist die Möglichkeit vorgesehen, einen sich in einem anderen Raum befindlichen Zeugen zu befragen und die Vernehmung dabei simultan an die anderen Verfahrensbeteiligten zu übertragen. Zwar unterscheidet sich die Rechtsfolge der genannten Normen, weil sich im Ermittlungsverfahren der Zeuge und der Richter in einem Raum aufhalten (Mainzer Modell), während der Hauptverhandlung der Zeuge jedoch von allen Verfahrensbeteiligten getrennt ist (Englisches Modell). Die Voraussetzungen, unter denen der Zeuge getrennt vom Beschuldigten befragt werden kann, sind aber in § 168e und § 247a StPO identisch: Es muss die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen vorliegen.

Da hingegen die Voraussetzungen für den Ausschluss des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung unterschiedlich geregelt sind, führt dies zu einem abweichenden Verhältnis der Maßnahmen "Ausschluss des Beschuldigten" und "Zeugenvernehmung mit Videoübertragung" in beiden Verfahrensstadien.

a) Vergleich der Voraussetzungen der §§ 247 und 247a StPO

Wie dargelegt ist die Entfernung des Angeklagten aus der Hauptverhandlung nicht nur zum Schutz der Wahrheitsfindung, sondern auch zum Schutz des Zeugen erlaubt. Der Vergleich der Bedingungen des § 247 StPO mit dem § 247a StPO erzeugt ein disparates Bild, weil die vorausgesetzte Gefahr in letztgenannter Norm für den minderjährigen Zeugen enger, für den volljährigen Zeugen jedoch weiter gefasst ist.[18] Spricht § 247 StPO für den Zeugen unter 18 Jahren von einem "nur" erheblichen Nachteil und setzt auch keine dringende Gefahr voraus, fordert § 247a SPO die genannte dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen. Nur für volljährige Zeugen bedarf es für den Ausschluss des Beschuldigten einer dringenden Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für die Gesundheit, für die Möglichkeit der Vernehmung in einem anderen Raum

findet sich die Beschränkung auf Nachteile für die Gesundheit dagegen nicht.

Diese zum Teil deckungsgleichen, zum Teil weiteren bzw. engeren Voraussetzungen erschweren die Rechtsanwendung nicht, weil § 247a StPO nicht mehr subsidiär ist.[19] Die in § 247a StPO vorgesehene Subsidiarität wurde 2004 mit dem Opferrechtsgesetz abgeschafft, weil konstatiert wurde, es sei von der Möglichkeit, den Zeugen in einem anderen Raum per Videobefragung kaum Gebrauch gemacht und stattdessen der Angeklagte entfernt worden.[20] Dies hätte zur Folge, dass Kindern die Atmosphäre im Gerichtssaal nicht erspart werden konnte und es außerdem auch zu möglichen Begegnungen auf dem Gerichtsflur gekommen ist.[21] Das Ziel der Abschaffung der Subsidiarität war, es im Einzelfall zu ermöglichen, die beste Regelung für den Zeugen zu finden. Insbesondere wurde bei kindlichen Pornographieopfern angeführt, diese könnten Probleme mit einer Vernehmung via Kamera haben.[22]

Es kann deshalb nur wenige Einzelfälle geben, in denen eine Entfernung des Angeklagten aus dem Hauptverhandlungssaal mit Simultanübertragung der Vernehmung lediglich auf § 247a StPO, nicht aber auf § 247 StPO gestützt werden könnte, namentlich, wenn für einen Zeugen unter 18 Jahren ein "nur" erheblicher und nicht schwerwiegender Nachteil droht und diese Gefahr nicht dringend ist.

b) Vergleich der Voraussetzungen der §§ 168c Abs. 3 und 168e StPO

Im Ermittlungsverfahren überschneiden sich die Voraussetzungen des Ausschlusses des Beschuldigten und die von den anderen Verfahrensbeteiligten getrennte Vernehmung des Zeugen durch den Richter in einem anderen Raum dagegen nicht. Während der Ausschluss des Beschuldigten angeordnet werden kann, wenn die Anwesenheit den Untersuchungszweck gefährdet, setzt die Vernehmung des Zeugen durch den Richter getrennt von den übrigen Verfahrensbeteiligten voraus, dass die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen besteht und gleicht damit den Voraussetzungen des § 247a StPO. Der Gesetzgeber hatte bei Einführung dieses Merkmals vor allem den Schutz von Opferzeugen eines sexuellen Missbrauchs im Blick, weil diese massiven psychischen Belastungen ausgesetzt seien und so für das Wohl nachhaltige Störungen befürchtet werden müssten.[23] Der Anwendungsbereich der Vorschrift beschränkt sich aber nicht auf diese Strafverfahren.[24]

Unterschiedlich ausgestaltet ist freilich nicht nur die Rechtsfolge (Mainzer Modell im Ermittlungsverfahren versus Englisches Modell in der Hauptverhandlung), sondern auch die weiterhin geltende Subsidiarität des § 168e zu § 168c Abs. 3 StPO.[25] In der Literatur wird bemängelt, damit setze paradoxerweise die subsidiäre Maßnahme weniger voraus als die vorrangige Regelung.[26] Dem ist nicht uneingeschränkt zuzustimmen, weil es sich hier nicht um ein "Weniger", sondern vielmehr um eine andere Schutzrichtung handelt. Während der Ausschluss des Beschuldigten der Wahrheitsfindung dient, soll die getrennte Vernehmung des Zeugen diesen schützen. Zuzugeben ist dabei allerdings, dass auch die Beeinträchtigung des Wohls des Zeugen die Vernehmung und damit auch die Wahrheitsfindung erschwert.[27]

Zu einem Subsidiaritätsverhältnis kann es deshalb immer nur kommen, wenn aufgrund der dringenden Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen gleichzeitig auch der Untersuchungszweck bei Anwesenheit des Beschuldigten gefährdet ist.

Da dies oftmals aber gleichzeitig der Fall sein wird – insoweit ist der Kritik der Literatur an der Subsidiaritätsklausel beizupflichten – und auch nur so ergibt die Subsidiaritätsklausel einen Sinn, verbleibt lediglich ein kleiner Anwendungsbereich für § 168e StPO als Grundlage für den Ausschluss des Beschuldigten bei gleichzeitiger Videoübertragung der Zeugenvernehmung.

Denkbar sind hier vor allem die Fälle, in denen der (meist nicht kindliche Zeuge) für die Aufarbeitung des Geschehens die so empfundene aktive Mitwirkung in einem auch so erlebten staatlichen Prozess bereits vor der Hauptverhandlung benötigt oder das Gericht es für unabdingbar hält, dass sich alle Beteiligten ein unmittelbares Bild vom Zeugen schon in diesem Verfahrensstadium machen. Das Argument der Belastung durch eine Videovernehmung kann ob des vom Gesetzgeber gewählten Englischen Modells nicht verfangen, weil der Richter den Zeugen direkt befragt.

Nur in sehr wenigen Einzelfällen wird deshalb ein Ausschluss des Beschuldigten mit Simultanübertragung die bessere Variante sein, so dass diese ihre große Stärke vor allem in der Hauptverhandlung entwickeln kann.

IV. Unterrichtung des Beschuldigten

Hält man zutreffend den Ausschluss des Beschuldigten mit Simultanübertragung sowohl in der Hauptverhandlung – als die in vielen Fällen verhältnismäßigere Variante als der reine Ausschluss – und die zumindest theoretische Anwendung dieser Maßnahme im Ermittlungsverfahren für möglich, muss danach geklärt werden, ob der Beschuldigte im Anschluss dennoch von dem wesentlichen Inhalt der Vernehmung unterrichtet werden muss.

Die Antwort hängt davon ab, wie die Videoübertragung konkret ausgestaltet wurde bzw. ob der technischen Gegebenheiten des jeweiligen Gerichts ausgestaltet werden konnte. Wurde unter Berücksichtigung aller Opferschutzgesichtspunkte und dem Interesse an der Wahrheitsfindung eine Zwei-Wege-Videoübertragung gewählt, kann die Unterrichtung kursorisch ausfallen und auch Revisionsfehler lassen sich durch die Anwendung dieser Technik minimieren.

Ist aus Gründen des Schutzes des Zeugen nur eine Ein-Weg-Übertragung angeordnet worden, ist der Beschuldigte zu unterrichten und die Unterrichtung ins Hauptverhandlungsprotokoll aufzunehmen.[28]

V. Fazit

Der vom Gesetz nicht vorgesehene Ausschluss des Beschuldigten mit Simultanübertragung der Zeugenvernehmung bietet viele Vorteile, obgleich der Anwendungsbereich im Ermittlungsverfahren für diese Maßnahme eher klein erscheint. Während der Hauptverhandlung aber kann sie gleichermaßen unter den Voraussetzungen des § 247 StPO als auch des § 247a StPO angeordnet werden und entlastet die Gerichte sowohl bei der Ausübung des Ermessens als auch der späteren Unterrichtung.


[*] Die Verfasserin ist Inhaberin des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht und Wirtschaftsstrafrecht an der Universität Leipzig.

[1] Vgl. dazu Dahs NJW 1996, 178; Laubenthal JZ 1996, 335; Seitz JR 1998, 309 (311); Caesar NJW 1998, 2313 (2315).

[2] Zur Begründung für die Einführung dieses Modells siehe BT-Drs. 15/814, 4, 8; Rieß StraFo 1999, 1.

[3] Van Gemmeren NStZ 2001, 262 ff.

[4] Caesar NJW 1998, 2313 (2315).

[5] Rieß NJW 1998, 3240 (3241).

[6] Siehe dazu KK-StPO/Diemer, 8. Aufl. 2019, § 247a Rn. 1.

[7] DAV: http://www.gesmat.bundesgerichtshof.de/gesetzesmat erialien/15_wp/Opferrechtsreformgesetz%20-%20OpferRRG/dav59-03_Sept_03.pdf, abgerufen am 16.02.2021. Allerdings wird hier behauptet, es sei schon Rechtsprechung des BGH, diese Maßnahme einzusetzen, während die zitierte Quelle (BGH, NStZ 2001, 262) lediglich in der Anmerkung von van Gemmeren (NStZ 2001, 263 ff.) eine solche propagiert, in der Entscheidung davon aber nicht die Rede ist. Deutscher JuristInnenbund, zitiert nach Dieckerhoff, Audiovisuelle Vernehmung kindlicher Opferzeugen sexuellen Missbrauchs im Strafverfahren, 2008, 65.

[8] Van Gemmeren NStZ 2001, 262 (263). Oder mit deutlichen Worten: Meyer-Mews NJW 2002, 103 (107), dass es kaum einzusehen sei, den Beschuldigten mit weniger zufrieden zu geben.

[9] Van Gemmeren NStZ 2001, 262 (263).

[10] BT-Drs. 13/3128, BT-Drs. 13/4983, BT-Drs. 13/7165 und später noch einmal in BT-Drs. 15/814, 4 (8).

[11] BGH NJW 2017, 181 ff. (= HRRS 2017 Nr. 15); KK-StPO/Diemer, 8. Aufl. 2019, § 247a Rn. 1; a.A. Kretschmer JR 2017, 174.

[12] BGH NJW 2017, 181 ff.

[13] Van Gemmeren NStZ 2001, 262 (264).

[14] MüKo-StPO/Kölbel, 1. Aufl. 2016, § 168c Rn. 10; HK-StPO/Zöller, 6. Aufl. 2019, § 168c Rn. 6.

[15] MüKo-StPO/Cierniak/Niehaus, 1. Aufl. 2016, § 247 Rn. 9; HK-StPO/Julius, 6. Aufl. 2019, § 247 Rn. 2; SK-StPO, Bd. 5, 5. Aufl. 2016, § 247 Rn. 22; Meyer-Goßner/Schmitt-StPO, 63. Aufl. 2020, § 247 Rn. 3.

[16] Van Gemmeren NStZ 2001, 262 (264).

[17] Vgl. dazu Meyer-Goßner/Schmitt-StPO, 63. Aufl. 2020, § 247 Rn. 11 f.; SK-StPO, Bd. 5, 5. Aufl. 2016, § 247 Rn. 33 ff.

[18] So auch KK-StPO/Diemer, 8. Aufl. 2019, § 247a Rn. 8b.

[19] Siehe dazu KK-StPO/Diemer, 8. Aufl. 2019, § 247a Rn. 8b.

[20] BT-Drs. 15/1976, S. 26.

[21] Dieckerhoff (Fn. 7), S. 64.

[22] BT-Drs. 15/1976, S. 29.

[23] BT-Drs. 13/7165 S. 9.

[24] MüKo-StPO/Krüger, 1. Aufl. 2016, § 168e Rn. 6.

[25] MüKo-StPO/Krüger, 1. Aufl. 2016, § 168e Rn. 9 f.; HK-StPO/Zöller, 6. Aufl. 2019, § 168e Rn. 6 auch mit alternativen Möglichkeiten zum Schutz des Zeugen, zustimmend auch: SK-StPO/Wohlers/Albrecht, Bd. 3, 5. Aufl. 2016, § 168e Rn.12. A.a. MüKo-StPO/Kölbel, 1. Aufl. 2016, § 168c Rn. 10.

[26] Hartz, Empirische und normative Fragen der audiovisuellen Vernehmung kindlicher Opfer, 2004, S. 136; zustimmend Diekerhoff, (Fn. 7), S. 57.

[27] BT-Drs. 13/7165 S. 9.

[28] Van Gemmeren NStZ 2001, 262 (264).