HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Februar 2019
20. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Zur Auslegung des Straftatbestands der Bildung bewaffneter Gruppen (§ 127 StGB)

Anmerkung zu BGH, Urt. v. 14.6.2018 – 3 StR 585/17 = HRRS 2018 Nr. 777

Von Prof. Dr. Dr. Milan Kuhli, Universität Hamburg

Seit der Neufassung des Straftatbestands der Bildung bewaffneter Gruppen (§ 127 StGB) durch das sechste Strafrechtsreformgesetz[1] musste sich die höchstrichterliche Rechtsprechung nur selten mit dieser Regelung auseinandersetzen.[2] Dieser Zustand hat sich mittlerweile jedoch geändert, da der dritte Strafsenat des Bundesgerichtshofs kürzlich Gelegenheit hatte, in einem Revisionsverfahren zu § 127 StGB Stellung zu beziehen. Der BGH nahm dies zum Anlass, sich in seinem Urteil vom 14. Juni 2018[3] ausführlich mit einer Reihe zentraler Auslegungsfragen zu dieser Strafvorschrift zu befassen. Bereits aufgrund dieses Umstands ist die Entscheidung sehr lesenswert. Auch kann an dieser Stelle bereits vorweggenommen werden, dass dem Urteil im Hinblick auf die strafrechtliche Bewertung des konkreten Falles im Wesentlichen zu folgen ist. Dies gilt jedoch nicht für die inhaltlichen Ausführungen des Senats zur Auslegung des § 127 StGB, die in Teilen kritikwürdig sind.

I. Urteil

Den hier interessierenden Sachverhalt der Revisionsentscheidung schildert der BGH wie folgt: "Nachdem die Angeklagten N. und Gr. vor dem[…]Döner-Imbiss gemeinschaftlich den Nebenkläger M. tätlich angegriffen hatten[…], begaben sie sich in die etwa 400 Meter entfernte gemeinsame Wohnung.[…][N. und Gr.]berichteten den in der Wohnung sukzessive eintreffenden sechs weiteren Angeklagten G., B., C., S., R. und E. wahrheitswidrig, sie seien von ‚Immigranten‘ vor dem Döner-Imbiss zusammengeschlagen worden. Nach einiger Zeit gaben N. und Gr. in der Absicht, sich an ‚den Ausländern‘ zu rächen, welche die in der Wohnung Anwesenden am Döner-Imbiss vermuteten, die Parole aus, dass ‚man jetzt runter gehe‘. N. bewaffnete sich mit einem circa einen Meter langen Baseballschläger, Gr. mit einer etwa 1,20 Meter langen Vorhangstange aus Holz und B. mit einem Schlosserhammer.

Anschließend brachen sämtliche Angeklagte − jeweils in Kenntnis der Bewaffnung einzelner von ihnen − zu dem Döner-Imbiss auf, um dort im Rahmen einer ‚Vergeltungsaktion‘, insbesondere unter Verwendung der mitgeführten Gegenstände, zu randalieren, zu drohen und zu prügeln. Vorneweg marschierten N. und Gr., die gut erkennbar Baseballschläger und Holzstange in der Hand trugen, sowie B., der den Hammer in eine Gesäßtasche seiner Hose gesteckt hatte, und S. Die vier weiteren Angeklagten folgten jeweils in Zweierstärke versetzt[…].[…][Dabei]wurden aus der in dieser Weise angeordneten Formation − keinem Einzelnen[…][zuzuordnen]− immer wieder aggressive Rufe laut, etwa ‚Denen zeigen wir‘s!‘, ‚Die machen wir fertig!‘ und ‚Die kauf' ich mir jetzt!‘"[4]

Der Senat sah in dem Verhalten des Angeklagten N., der als einziger Revision eingelegt hatte, die Bildung einer bewaffneten Gruppe nach § 127 Var. 1 StGB.[5] In diesem Kontext setzte sich der BGH eingehend mit der Frage auseinander, ob der aus den acht Angeklagten bestehende Personenzusammenschluss eine über gefährliche Werkzeuge verfügende Gruppe i.S.d. § 127 StGB darstellt − eine Frage, die im Ergebnis bejaht wurde.[6]

II. Kritik

Die vom BGH vorgenommene Auslegung des § 127 StGB betrifft vor allem die Tatbestandsmerkmale Gruppe (dazu 1), Gefährliches Werkzeug (dazu 2) und Verfügen (da­zu 3).

1. Gruppe

a. Zwecksetzung und Mindestgröße

Der Senat definiert das Merkmal der Gruppe als Mehrheit von Personen, die sich zu einem gemeinsamen − identitätsstiftenden − Zweck zusammengeschlossen haben, wobei eine räumliche Verbindung der Personen

nicht erforderlich sein soll.[7] Sieht man von dem (nach hiesigem Verständnis zur Tatbestandseinschränkung ungeeigneten) Kriterium des identitätsstiftenden Charakters des Gruppenzwecks ab, so steht die vom BGH vorgenommene Umschreibung durchaus im Einklang mit einer in der Literatur anzutreffenden Sichtweise.[8] Entsprechendes gilt auch für die Annahme des Gerichts, der zufolge − jedenfalls bei räumlichem Zusammenwirken der betreffenden Personen − eine Mindestzahl von drei Mitgliedern für die Annahme einer Gruppe genügen soll.[9] Diesbezüglich trifft der Wortlaut von § 127 StGB zwar keine konkrete Aussage, allerdings sollen Personenmehrheiten mit drei Teilnehmern nach der Gesetzesbegründung in der Regel für die Annahme einer Gruppe genügen.[10] Dies gilt im Übrigen auch für die Konstellation eines fehlenden räumlichen Zusammenwirkens,[11] jedoch konnte diese Frage vom Senat offengelassen werden. Unter Zugrundelegung der bis hierhin genannten Kriterien geht der BGH zu Recht davon aus, dass im vorliegenden Fall sowohl die erforderliche Zwecksetzung als auch die notwendige Mindestgröße gegeben sind.

b. Organisation

Zur Frage, ob die Annahme einer Gruppe von zusätzlichen Voraussetzungen abhängt, schreibt der BGH: Wirken die Personen "an einem Ort zusammen, sind keine weitergehenden Anforderungen an die Personenmehrheit zu stellen; sie muss insbesondere nicht eine Organisationsstruktur aufweisen oder auf längere Zeit angelegt sein. Ein spontaner Zusammenschluss für eine einmalige Unternehmung reicht aus".[12] Für diese Ansicht beruft sich der Senat auf eine Aussage des Reformgesetzgebers, dem zufolge der Begriff der Gruppe Personenzusammenschlüsse erfasst, "ohne daß es auf einen bestimmten Grad von Organisation ankäme".[13]

Dem Gericht ist insoweit zuzustimmen, als das Vorliegen einer Gruppe weder eine militärähnliche Organisation[14] noch eine gewisse Dauerhaftigkeit voraussetzt.[15] Es ist also keineswegs notwendig, dass der betreffende Personenzusammenschluss durch eine Befehlsstruktur oder durch besondere Abreden über eine gemeinsame Willensbildung geprägt ist. Auch wird das Vorliegen einer Gruppe nicht dadurch ausgeschlossen, dass der betreffende Personenzusammenschluss einen nur einmaligen Charakter aufweist.[16] Zugleich hält der Autor dieser Urteilsanmerkung aber an seiner andernorts vertretenen Auffassung fest, der zufolge "Personenansammlungen, die nur einen kurzen Augenblick bestehen und völlig unorganisiert sind, in der Regel nicht tatbestandsmäßig sind".[17] Dies betrifft insbesondere solche Personenmehrheiten, die – etwa aufgrund eines grundlegenden Konflikts innerhalb der Ansammlung − völlig aktionsunfähig sind.

Der Umstand, dass aktionsunfähige Personenmehrheiten nach vorliegendem Verständnis nicht unter den Tatbestand von § 127 StGB fallen, rechtfertigt sich vor allem mit dem Schutzzweck dieser Norm: Es handelt sich hierbei nach allgemeinem Verständnis um ein abstraktes Gefährdungsdelikt,[18] das der Verhinderung von Gewaltpotenzialen dient.[19] Geschützt wird das Gewaltmonopol[20] des demokratisch legitimierten[21] Staates in seiner Funktion als Garant des inneren öffentlichen Friedens, daneben aber auch die Wehrhoheit der Bundesrepublik Deutschland und deren Interesse an der Wahrung ihrer Neutralität bei kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen dritten Staaten.[22] Eine Gefahr für die genannten Rechtsgüter kann bereits dann eintreten, wenn sich Personen für eine einmalige Aktion zusammenschließen und keine besonderen Vereinbarungen im Hinblick auf die Willensbildung treffen. Allerdings ergeben sich aus dem genannten Schutzzweck zugleich auch die Grenzen der Auslegung: Ist eine Personenmehrheit völlig aktionsunfähig, so besteht keinerlei Gefahr für das Gewaltmonopol des Staates und die anderen genannten Rechtsgüter. Von einem solchen Fall fehlender Gefahr wäre etwa dann auszugehen, wenn innerhalb einer Personenansammlung grundlegende Meinungsverschiedenheiten darüber herrschen, auf welche Weise ein gemeinsamer Zweck umzusetzen ist. Gegen die hier vertretene Annahme einer fehlenden Tatbestandsmäßigkeit derartiger aktionsunfähiger Personenansammlungen lässt sich auch nicht ins Feld führen, dass die Regelung des § 127 StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt gerade keine Verwirklichung einer konkreten Gefahr voraussetzt. Das nach hiesiger Ansicht geforderte Gefahrpotenzial bildet nämlich kein zusätzliches Tatbestandsmerkmal, sondern ist bereits im Merkmal der Gruppe impliziert.

Durch die hier präferierte Auslegung, der zufolge aktionsunfähige Personenansammlungen nicht unter den Tatbestand des § 127 StGB fallen, wird zugleich vermieden, dass die Tathandlungsvarianten des Befehligens (Var. 1) bzw. Versorgens (Var. 4) bei derartigen Personenansammlungen keine Anwendung in Vollendungskonstellationen finden. Der BGH hält ein solches Argument zwar für bedeutungslos, da nach seiner Ansicht "kein sachlicher Grund dafür ersichtlich[ist], dass bei jedem von § 127 StGB erfassten Personenzusammenschluss die Verwirklichung sämtlicher im Tatbestand normierter Tathandlungsvarianten möglich sein muss".[23] Allerdings lässt sich ein sachlicher Grund nur dann leugnen, wenn man ausschließlich auf die Frage der Normlogik abstellt, den Aspekt einer nachvollziehbaren und verständlichen Gesetzessystematik jedoch ausblendet: Würde man davon ausgehen, dass auch völlig unorganisierte Personenansammlungen unter den Gruppenbegriff i.S.d. § 127 StGB fallen, so würde im Fall von Var. 1 (Befehligen) zumindest faktisch ein engerer Gruppenbegriff gelten als in Var. 3 (Anschließen), obwohl § 127 StGB einheitlich von der "Gruppe" spricht.

Vor dem Hintergrund dieser Erwägungen zur Gesetzessystematik und zum Strafgrund des § 127 StGB kann der vom Senat in Bezug genommenen Aussage des Reformgesetzgebers, der Begriff der Gruppe erfasse Personenzusammenschlüsse, "ohne daß es auf einen bestimmten Grad von Organisation ankäme",[24] keine maßgebliche Bedeutung beigemessen werden. Bemerkenswerterweise vernachlässigt auch der BGH diese Aussage an einer Stelle seiner Entscheidung: Er lässt nämlich explizit offen, ob "eine Mehrheit von Personen, wenn diese nicht räumlich zusammenwirken, noch weitere Kriterien - etwa im Hinblick auf die Mindestanzahl oder die Organisationsstruktur - erfüllen muss, damit sie als Gruppe im Sinne des § 127 StGB zu beurteilen ist".[25]

An dieser Stelle ist jedoch noch einmal darauf hinzuweisen, dass die hier geäußerte Kritik am Urteil des Bundesgerichtshofs nicht der Subsumtion gilt. Diese lautet in den Worten des Senats: "Für die Annahme einer - ad hoc gebildeten - Gruppe genügt der Zusammenschluss der acht Angeklagten in dem Zeitpunkt, in dem sich die Beteiligten über den gemeinsamen Zweck einer ‚Vergeltungsaktion‘ endgültig einigten".[26] Dem ist zuzustimmen, da in Bezug auf diese Personenansammlung keinerlei Hemmnisse in der Aktionsfähigkeit ersichtlich sind.

2. Gefährliches Werkzeug

Nach dem Wortlaut des § 127 StGB muss die Gruppe über Waffen oder andere gefährliche Werkzeuge verfügen. Im vorliegenden Fall trugen einzelne Gruppenmitglieder einen Baseballschläger, eine hölzerne Vorhangstange sowie einen Schlosserhammer. [27] Da es sich bei diesen Gegenständen nicht um Waffen im technischen Sinne handelt,[28] hängt die Frage der Strafbarkeit nach § 127 StGB davon ab, ob die genannten Gegenstände unter das Merkmal der gefährlichen Werkzeuge subsumiert werden können. Nun kann bekanntlich nahezu jeder Gegenstand bei entsprechendem Einsatz im konkreten Fall gefährlich sein. Soll das Tatbestandsmerkmal der gefährlichen Werkzeuge daher einen eigenständigen Anwendungsbereich entfalten, bedarf es zusätzlicher einschränkender Kriterien. Der Senat führt in dieser Hinsicht aus: Für die Beurteilung von Gegenständen als gefährliche Werkzeuge kommt es "neben deren objektiver Beschaffenheit[…]darauf an, ob ihnen nach dem Gruppenzweck im Fall der Verwendung eine waffengleiche Funktion zukommt".[29] Bemerkenswerterweise spricht sich der BGH in diesem Zusammenhang gegen eine "unbesehen[e]" Übertragung der Auslegung der Diebstahlsqualifikation gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Alt. 2 StGB auf § 127 StGB aus, [30] obwohl beide Regelungen zwei deutliche Gemeinsamkeiten aufweisen:

(1) Sowohl § 127 StGB als auch die Diebstahlsqualifikation beinhalten das Tatbestandsmerkmal des gefährlichen Werkzeugs bzw. der gefährlichen Werkzeuge.

(2) Der Wortlaut beider Straftatbestände verlangt keine Verwendungsabsicht und (anders als die Körperverletzungsqualifikation nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB) keinen aktiven Einsatz der gefährlichen Werkzeuge.

Trotz dieser Gemeinsamkeiten bestreitet der Senat jedoch die Vergleichbarkeit von § 127 StGB und § 244 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Alt. 2 StGB. Das Gericht begründet dies mit folgenden Erwägungen: Bei der Diebstahlsqualifikation "erhöht allein das Bei-sich-Führen von Waffen oder anderen gefährlichen Werkzeugen die abstrakte Gefährlichkeit schon für sich gesehen strafbewehrter Handlungen. Beim Tatbestand des § 127 StGB betrifft demgegenüber die bloße Verfügungsgewalt über derartige Gegenstände den die Strafsanktion legitimierenden Unrechtskern. Eine bloß abstrakte Gefährlichkeit ist[…]zur Eingrenzung strafwürdigen Verhaltens nicht geeignet; hiernach wäre etwa auch eine ihren Sport ausübende Baseballmannschaft erfasst." [31] Diese Argumente des Senats überzeugen indes nicht. Erstens kann die Auslegung eines Tatbestandsmerkmals prinzipiell nicht davon abhängen, ob es sich bei dem betreffenden Straftatbestand um ein Grunddelikt oder um eine Qualifikation handelt; [32] in beiden Fällen prägt die Auslegung nämlich den Unrechtskern der maßgeblichen Vorschrift. Zweitens spricht nichts dagegen, die Strafbarkeit der angesprochenen Baseballmannschaft - ebenso wie die Strafbarkeit anderer gesellschaftlich unbedenklicher Gruppen - mangels Unbefugtheit i.S.d. § 127 StGB zu verneinen. [33] Vor diesem Hintergrund wäre eine eingehendere Auseinandersetzung des

Bundesgerichtshofs mit den bei § 244 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Alt. 2 StGB vertretenen Auslegungskriterien wünschenswert gewesen. Allerdings ändert dieser Kritikpunkt nichts daran, dass die vom BGH vorgenommene Subsumtion der vorliegend verwendeten Gegenstände (Baseballschläger, Holzstange und Schlosserhammer) unter das Merkmal der gefährlichen Werkzeuge [34] im Ergebnis gut vertretbar ist.

3. Verfügen

Nach Auffassung des Senats soll eine Gruppe "dann über Waffen oder andere gefährliche Werkzeuge[verfügen], wenn die Ausstattung mit derartigen Gegenständen für den gemeinsamen Gruppenzweck wesentlich ist und zugleich nach deren Art und Gefährlichkeit den Charakter des Personenzusammenschlusses (mit-)bestimmt".[35] Dies soll dann der Fall sein, "wenn die Mitglieder imstande sind, auf die Gegenstände ungehindert Zugriff zu nehmen, um sie dem - identitätsstiftenden - Gruppenzweck entsprechend einsetzen zu können".[36] Es soll dabei genügen, dass die Gegenstände "im Besitz einzelner Gruppenangehöriger sind", solange die anderen Mitglieder "ohne großen Aufwand" Zugriff erlangen können.[37]

Der BGH wendet sich damit gegen die Annahme eines "Mindestquorum[s]von mit Waffen bzw. gefährlichen Werkzeugen ausgerüsteten Gruppenmitgliedern, das abstrakt festzulegen wäre" und das beim Hinzutreten einer bestimmten Anzahl Unbewaffneter zur Straflosigkeit führen würde.[38] Diese Überlegung ist nicht von der Hand zu weisen, zumal in dem nicht selten anzutreffenden Fall einer im Detail unklaren Personenzahl regelmäßig in dubio pro reo davon auszugehen wäre, dass kein Verfügen i.S.d. § 127 StGB vorliegt. Aus diesem Grund wird die an anderer Stelle vom Autor vertretene (und vom Senat kritisierte [39]) Auffassung aufgegeben, wonach für das Verfügen auf "die Mehrheit der Gruppe" abzustellen sein soll. [40]

Dem BGH ist auch darin zu folgen, dass es im Hinblick auf die Gruppengefährlichkeit keinen Unterschied machen kann, ob bestimmte Personen Waffen etc. selbst tragen oder hierauf lediglich zugreifen können. Auch diesbezüglich ist jedoch zu betonen, dass der Tatbestand nicht voraussetzt, dass eine Mehrheit der Mitglieder auf Waffen etc. Zugriff hat. Dies ergibt sich erstens daraus, dass der Wortlaut des § 127 StGB darauf abstellt, dass eine Gruppe über Waffen etc. verfügt. [41] Zweitens wird eine bewaffnete Personenansammlung nicht dadurch weniger gefährlich, dass einzelne Personen keinen Zugriff auf Waffen etc. haben. Andererseits wäre es problematisch, von einer über Waffen etc. verfügenden Gruppe zu sprechen, wenn nur ein verschwindend geringer Teil der Gruppe bewaffnet etc. ist. Es spricht deshalb einiges dafür, dass § 127 StGB voraussetzt, dass zumindest ein wesentlicher Teil der Gruppe bewaffnet ist oder über andere gefährliche Werkzeuge verfügt, [42] solange nahezu alle Gruppenmitglieder Kenntnis hiervon haben. Unter Anwendung dieser Grundsätze ist der Annahme des Senats, die Gruppe habe im vorliegenden Fall über gefährliche Werkzeuge verfügt,[43] durchaus zuzustimmen: Nach dem Sachverhalt hatten alle Mitglieder der Gruppe Kenntnis davon, dass drei der acht Angeklagten − also wesentliche Teile der Gruppe – gefährliche Gegenstände bei sich führten. [44]

III. Fazit

An dem hier besprochenen Urteil sind vor allem zwei Aspekte positiv hervorzuheben: Erstens ist die vom BGH vorgenommene Subsumtion durchweg schlüssig. Zweitens - und vor allem - hat sich das Gericht im Rahmen der Entscheidung intensiv mit den verschiedentlich vertretenen Ansichten zur Auslegung des § 127 StGB auseinandergesetzt. Hierdurch hat der Senat einen wichtigen Beitrag zur Dogmatik des § 127 StGB geleistet. Dieser Umstand ändert aber nichts daran, dass die vom BGH vertretene Auslegung nicht in jeder Hinsicht überzeugt. Die teilweise abweichende Sichtweise, die vom Autor zur Auslegung des § 127 StGB vertreten wird, lässt sich wie folgt zusammenfassen:

- Personenansammlungen, die nur einen kurzen Augenblick bestehen und völlig unorganisiert sind, stellen grundsätzlich keine Gruppe i.S.d. § 127 StGB dar. Dies betrifft in der Regel solche Personenmehrheiten, die – etwa aufgrund eines grundlegenden Konflikts innerhalb der Ansammlung − völlig aktionsunfähig sind.

- Das Merkmal des gefährlichen Werkzeugs ist bei § 127 StGB in gleicher Weise auszulegen wie bei § 244 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Alt. 2 StGB.

Die Gruppe verfügt i.S.d. § 127 StGB über Waffen oder andere gefährliche Werkzeuge, wenn nahezu alle Mitglieder bezüglich des Umstands Vorsatz haben, dass ein wesentlicher Teil der Gruppe auf diese Gegenstände zumindest zugreifen kann.


[1] Gesetz vom 26.1.1998, BGBl. I S. 164 (171).

[2] Vgl. etwa BGH, Beschl. v. 14.3.2000 – 4 StR 284/99 = NStZ 2000, 474 (476).

[3] BGH, Urt. v. 14.6.2018 – 3 StR 585/17 = HRRS 2018 Nr. 777; vgl. auch Anm. Schiemann NJW 2018, 2975; Kulhanek NStZ 2018, 597.

[4] BGH HRRS 2018 Nr. 777, Rn. 5 f.

[5] Ebd., Rn. 12.

[6] Ebd., Rn. 12 ff.

[7] Ebd., Rn. 14.

[8] Vgl. zur Voraussetzung einer Mehrzahl von Personen, die sich zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks zusammengeschlossen haben: Lenckner GedS Keller, 2003, 151 (156); SSW/Fahl, 4. Aufl. 2018, § 127 Rn. 2; Lackner/Kühl/Heger, 29. Aufl. 2018, § 127 Rn. 2; vgl. zur fehlenden Notwendigkeit einer räumlichen Verbindung: BT-Drucks. 13/8587, S. 28.

[9] BGH HRRS 2018 Nr. 777, Rn. 14.

[10] BT-Drucks. 13/8587, S. 57, 80 (entgegen BT-Drucks. 13/8587, S. 28); ebenso (mindestens drei Personen): SSW/Fahl, 4. Aufl. 2018, § 127 Rn. 2; abweichend: NK-StGB/Ostendorf, 5. Aufl. 2017, § 127 Rn. 9; krit. auch: Schiemann NJW 2018, 2975.

[11] A.A. Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, 29. Aufl. 2014, § 127 Rn. 2.

[12] BGH HRRS 2018 Nr. 777, Rn. 14.

[13] BT-Drucks. 13/8587, S. 28; vgl. hierzu BGH HRRS 2018 Nr. 777, Rn. 15.

[14] Vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 7.8.2014 − 2 Ss 444/14 = NStZ 2015, 398 (399).

[15] SSW/Fahl, 4. Aufl. 2018, § 127 Rn. 2; NK-StGB/Ostendorf, 5. Aufl. 2017, § 127 Rn. 8.

[16] MüKo-StGB/Schäfer, 3. Aufl. 2017, § 127 Rn. 14; SSW/Fahl, 4. Aufl. 2018, § 127 Rn. 2.

[17] Matt/Renzikowski/Kuhli, 1. Aufl. 2013, § 127 Rn. 3.

[18] Kulhanek NStZ 2018, 597; Lenckner GedS Keller, 2003, 151 (153); SSW/Fahl, 4. Aufl. 2018, § 127 Rn. 1; Lackner/Kühl/Heger, 29. Aufl. 2018, § 127 Rn. 1.

[19] Vgl. Matt/Renzikowski/Kuhli, 1. Aufl. 2013, § 127 Rn. 1 m.w.N.

[20] Vgl. Kulhanek NStZ 2018, 597.

[21] Vgl. hierzu NK-StGB/Ostendorf, 5. Aufl. 2017, § 127 Rn. 3.

[22] Vgl. (mit Unterschieden): Lenckner GedS Keller, 2003, 151 (155); MüKo-StGB/Schäfer, 3. Aufl. 2017, § 127 Rn. 1; SSW/Fahl, 4. Aufl. 2018, § 127 Rn. 1; abweichend: NK-StGB/Ostendorf, 5. Aufl. 2017, § 127 Rn. 3; krit. auch: Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, 29. Aufl. 2014, § 127 Rn. 1.

[23] BGH HRRS 2018 Nr. 777, Rn. 17.

[24] BT-Drucks. 13/8587, S. 28; vgl. hierzu BGH HRRS 2018 Nr. 777, Rn. 15.

[25] BGH HRRS 2018 Nr. 777, Rn. 24.

[26] Ebd., Rn. 39.

[27] Ebd., Rn. 5.

[28] Dies sind Gegenstände, die nach ihrer Bauart dazu bestimmt sind, erhebliche Verletzungen zuzufügen (SSW/Fahl, 4. Aufl. 2018, § 127 Rn. 3).

[29] BGH HRRS 2018 Nr. 777, Rn. 25.

[30] Ebd., Rn. 31.

[31] Ebd., Rn. 31.

[32] Vgl. auch die Kritik bei: Kulhanek NStZ 2018, 597 f.

[33] Vgl. hierzu Matt/Renzikowski/Kuhli, 1. Aufl. 2013, § 127 Rn. 20.

[34] BGH HRRS 2018 Nr. 777, Rn. 12.

[35] Ebd., Ls. 2.

[36] Ebd., Rn. 25.

[37] Ebd., Rn. 26.

[38] Ebd., Rn. 28.

[39] Ebd., Rn. 28.

[40] Vgl. zu dieser Sichtweise noch Matt/Renzikowski/Kuhli, 1. Aufl. 2013, § 127 Rn. 6; vgl. auch NK-StGB/Ostendorf, 5. Aufl. 2017, § 127 Rn. 10.

[41] Vgl. Lenckner GedS Keller, 2003, 151 (159); Lackner/Kühl/Heger, 29. Aufl. 2018, § 127 Rn. 2.

[42] Vgl. insoweit auch SSW/Fahl, 4. Aufl. 2018, § 127 Rn. 5 (mindestens ein erheblicher Teil); Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, 29. Aufl. 2014, § 127 Rn. 2 (Bewaffnung als wesentliches Merkmal der Gruppe).

[43] BGH HRRS 2018 Nr. 777, Rn. 12.

[44] Ebd., Rn. 5 f.