HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

November 2015
16. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

1018. BGH 3 StR 33/15 – Urteil vom 9. Juli 2015 (LG Bochum)

BGHSt; Verwenden der Kennzeichen eines verbotenen Vereins (Kennzeichenbegriff; „Rockerkutte“; „Bandidos“; Name einer Vereinigung als Kennzeichen; Ortsbezeichnung; Verwenden; Schwestervereine; im Wesentlichen gleiche Form; einschränkende Auslegung; Schutzzweck; Alleinstellungsmerkmal); Analogieverbot.

§ 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 VereinsG; § 9 VereinsG; § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB; Art. 103 Abs. 2 GG

1. Zur Strafbarkeit wegen Verwendens der Kennzeichen eines verbotenen Vereins durch das Tragen sog. Rockerkutten. (BGHSt)

2. Die Kennzeicheneigenschaft besteht bei sog. „Rockerkutten“ i.d.R. hinsichtlich der darauf abgebildeten Abzeichen jeweils für sich genommen. Es kommt dagegen nicht auf das Zusammenspiel von Vorder- und Rückseite der Weste als Ganzes oder auch nur auf das Ensemble sämtlicher Abzeichen auf der Rückseite der Weste an. (Bearbeiter)

3. Der Name einer Vereinigung oder eines Vereins als solcher ist regelmäßig kein Kennzeichen i.S.d. §§ 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 VereinsG, 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Etwas anderes kann indes gelten, wenn er eine bestimmte Formgebung erfahren hat, etwa in signifikanten Schriftzügen dargestellt wird, und sich deshalb als Erkennungszeichen darstellt, das einen den beispielhaft aufgeführten Kennzeichen entsprechenden Symbolcharakter aufweist (hier: „Bandidos“-Schriftzug auf der Rückseite der sog. „Rockerkutte“). (Bearbeiter)

4. Da für die Prüfung der Kennzeicheneigenschaft auf die einzelnen Abzeichen abzustellen ist, kann bei sog. „Rockerkutten“ die Verwendung eines Ortszusatzes, der von demjenigen eines verbotenen Vereins (mit ansonsten identischer Symbolik) abweicht, nicht zur Folge haben, dass nicht (auch) das Kennzeichen eines verbotenen Vereins vorliegt. (Bearbeiter)

5. Durch die Hinzufügung einer eindeutig auf einen nicht verbotenen Verein hinweisenden Ortsbezeichnung ergibt sich aus dem maßgeblichen Gesamtzusammenhang der Kennzeichenverwendung jedoch eindeutig, dass die an sich unter den strafrechtlichen Kennzeichenbegriff fallenden weiteren Symbole gerade nicht als Kennzeichen der verbotenen Chapter verwendet werden, sondern als solche eines nicht mit einer Verbotsverfügung belegten Ortsvereine. Das führt nach den zu § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB anerkannten Grundsätzen zur restriktiven Auslegung des Merkmals „Verwenden“ (vgl. BGH HRRS 2008 Nr. 1084), die auf die Strafnorm des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG zu übertragen sind dazu, dass ein tatbestandsmäßiges „Verwenden“ des verbotenen Kennzeichens ausscheidet. (Bearbeiter)

6. Bei der Prüfung, ob ein Kennzeichen im strafrechtlichen Sinne vorliegt, dürfen keine außerhalb desselben liegenden Umstände seiner Verwendung einbezogen werden. Eine solche Gesamtbetrachtung ist vielmehr wegen der damit verbundenen nachteiligen Folgen für die Rechtssicherheit und die Bestimmtheit des Tatbestands abzulehnen. Ein Kennzeichen muss daher in seinem auf die verbotene Organisation hinweisenden Symbolgehalt aus sich heraus verständlich sein. (Bearbeiter)

7. Von einem Kennzeichen i.S.d. §§ 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 VereinsG, 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB muss keine Unterscheidungswirkung im Sinne eines Alleinstellungsmerkmals. Es reicht vielmehr aus, dass sich ein Verein ein bestimmtes Symbol – etwa durch formale Widmung oder durch schlichte Übung – derart zu Eigen gemacht hat, dass dieses zumindest auch als sein Kennzeichen erscheint. Ob dieses auch von anderen, nicht verbotenen Vereinen oder in gänzlich anderem Kontext genutzt wird, ist für die Frage der Kennzeicheneigenschaft ohne Bedeutung. (Bearbeiter)

8. Die Regelung des § 9 Abs. 3 VereinsG kann bei der Prüfung von § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG nicht zur Anwendung gelangen, da hiermit eine Erweiterung der Strafbarkeit nach dieser Vorschrift verbunden wäre. Aufgrund des Analogieverbots (Art. 103 Abs. 2 GG) verbietet sich für die Strafgerichte indes eine solche das Merkmal des „Verwendens“ nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG erweiternde Auslegung, da der Gesetzgeber § 9 Abs. 3 VereinsG in der Strafnorm nicht in Bezug genommen und damit nicht zum Ausdruck gebracht hat, dass er auch das Verwenden von Kennzeichen verbotener Vereine „in im Wesentlichen gleicher Form“ der Strafbarkeit nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG unterworfen wissen wollte. (Bearbeiter)


Entscheidung

1044. BGH 1 StR 11/15 – Beschluss vom 2. September 2015 (LG Berlin)

Schmuggel (Verhältnis zur Steuerhinterziehung: Spezialität; Verhältnis zur Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall: Strafrahmenentnahme von § 370 Abs. 3 AO a.F. für § 373 AO a.F.).

§ 373 AO; § 373 AO a.F.; § 370 Abs. 1 AO; § 370 Abs. 3 AO a.F.

1. Bei Schmuggel gemäß § 373 AO handelt es sich um einen Qualifikationstatbestand, der den Grundtatbestand des § 370 AO verdrängt (vgl. BGH NStZ 2015, 285). Dies gilt für vor dem 1. Januar 2008 begangene Taten trotz unterschiedlicher Strafandrohungen auch dann, wenn zugleich die Voraussetzungen eines besonders schweren Falls der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 3 AO aF gegeben sind.

2. Für vor dem 1. Januar 2008 begangene Taten gemäß § 373 AO aF, bei denen zugleich die Voraussetzungen eines besonders schweren Falls der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 3 AO aF verwirklicht sind, ist die Strafe dem Strafrahmen des § 370 Abs. 3 AO aF zu entnehmen. Denn es wäre sinnwidrig, diesen Strafrahmen nur deshalb nicht zur Anwendung zu bringen, weil zum Grundtatbestand zusätzlich ein Merkmal, das die Tat als Schmuggel qualifiziert – wie hier die Gewerbsmäßigkeit (§ 373 Abs. 1 AO) -, hinzukommt. (vgl. BGH NStZ 2015, 285).

3. Dagegen besteht für nach dem 31. Dezember 2007 begangene Taten nach Anhebung des Strafrahmens des Schmuggels gemäß § 373 AO auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren für einen Rückgriff auf den Strafrahmen des § 370 Abs. 3 AO kein Bedürfnis mehr.


Entscheidung

1014. BGH 3 StR 214/15 – Beschluss vom 20. August 2015 (LG Oldenburg)

Nichtberücksichtigung der Erziehungsfähigkeit und -bedürftigkeit des jugendlichen oder heranwachsenden Straftäters bei Verhängung von Jugendstrafe aufgrund der Schwere der Schuld.

§ 17 Abs. 2 JGG

Der Senat muss nicht entscheiden, ob er der neueren Auffassung des 1. Strafsenats zustimmen könnte, der dazu neigt, bei einer auf die Schwere der Schuld gestützten Jugendstrafe die Erziehungsfähigkeit und -bedürftigkeit des jugendlichen oder heranwachsenden Straftäters generell nicht zu berücksichtigen (vgl. BGH HRRS 2013 Nr. 597). Er gibt allerdings zu erwägen, dass insbesondere auch verfassungsrechtliche Vorgaben Anlass dazu sein könnten, dass bei der Verhängung von Sanktionen gegen Straftäter, die zum Zeitpunkt ihrer Verurteilung bereits das 21. Lebensjahr vollendet haben und somit im strafrechtlichen Sinne als erwachsen gelten, der Erziehungsgedanke nicht mehr nur von geringem Gewicht sein kann, sondern insgesamt kein taugliches Strafzumessungskriterium mehr ist.


Entscheidung

1048. BGH 1 StR 187/15 – Beschluss vom 29. September 2015 (LG Augsburg)

Auffangrechtserwerb (Berücksichtigung der Härtefallklausel); Absehen von der Anordnung des Verfalls in Härtefälle (Erörterung im Urteil).

§ 111i Abs. 2, Abs. 5 StPO; § 73c Abs. 1 StGB

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Regelung des § 73c Abs. 1 StGB auch im Rahmen der nach § 111i Abs. 2 StPO zu treffenden Entscheidung zu beachten (vgl. BGH wistra 2015, 270). Wird in Anwendung des § 73c Abs. 1 StGB ganz oder teilweise von der Anordnung des Verfalls abgesehen, hat dies zur Folge, dass der in der Entscheidungsformel allein zu bezeichnende Vermögensgegenstand bzw. Geldbetrag, den der Staat bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 111i Abs. 5 StPO unmittelbar oder als Zahlungsanspruch erwirbt, hinter dem Erlangten bzw. dessen Wert zurückbleibt (vgl. BGH NJW 2011, 624 f.).

2. Die Voraussetzungen des § 73c Abs. 1 StGB sind zu erörtern, wenn naheliegende Anhaltspunkte für deren Vorliegen gegeben sind (vgl. BGH NStZ-RR 2015, 171 f.).


Entscheidung

1063. BGH 2 StR 47/15 – Beschluss vom 7. September 2015 (LG Gera)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Tateinheit bei mehreren Einzelhandlungen des Handeltreibens).

§ 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG; § 52 StGB.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs werden Einzelhandlungen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln dann, wenn die Bezahlung einer früheren Lieferung mit der Übergabe einer neuen Drogenmenge zusammentrifft, zur Tateinheit verbunden (vgl. BGH NStZ 2011, 97). Sowohl die Bezahlung von Betäubungsmitteln als auch die Übergabe der Drogen sind Teilakte des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln.


Entscheidung

1101. BGH 4 StR 347/15 – Beschluss vom 9. September 2015 (LG Zweibrücken)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Täterschaft bei ausschließlicher Beteiligung am Transport der Betäubungsmittel).

§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG; § 25 StGB

Für eine zutreffende Einordnung der Beteiligung des Kuriers an einem Betäubungsmittelgeschäft ist der jeweils konkrete Tatbeitrag für das Umsatzgeschäft insgesamt und nicht allein für den Teilbereich des Transports zu bewerten. Einer Tätigkeit, die sich im bloßen Transport von Rauschgift erschöpft, kommt dabei eine täterschaftliche Gestaltungsmöglichkeit in der Regel nicht zu. (vgl. BGH NStZ-RR 2012, 375).