HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Februar 2015
16. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

105. BGH 4 StR 92/14 – Beschluss vom 23. September 2014 (OLG Karlsruhe)

BGHSt; Benutzung eines Mobiltelefons beim Führen eines Kraftfahrzeugs (Begriff des Fahrzeugführers: begleitender Fahrlehrer).

§ 23 Abs. 1a StVO; § 2 Abs. 15 Satz 2 StVG.

1. Ein Fahrlehrer, der als Beifahrer während einer Ausbildungsfahrt einen Fahrschüler begleitet, dessen fortgeschrittener Ausbildungsstand zu einem Eingreifen in der konkreten Situation keinen Anlass gibt, ist nicht Führer des Kraftfahrzeugs im Sinne des § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO. (BGHSt)

2. Führer eines Kraftfahrzeugs ist, wer es unter bestimmungsgemäßer Anwendung seiner Antriebskräfte unter eigener Allein- oder Mitverantwortung in Bewegung setzt oder unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrtbewegung durch den öffentlichen Verkehrsraum ganz oder wenigstens zum Teil lenkt (vgl. BGHSt 35, 390, 393). Der Täter muss sich selbst aller oder wenigstens eines Teiles der wesentlichen Einrichtungen des Fahrzeugs bedienen, die für seine Fortbewegung bestimmt sind (vgl. BGHSt 18, 6, 8 f). Daher schließt es die Fahrzeugführereigenschaft zwar nicht aus, wenn mehrere Personen sich die Bedienung der notwendigen Funktionen teilen (in einem solchen Fall können beide als Fahrzeugführer anzusehen sein). Wer dagegen nicht einmal einen Teil der wesentlichen Einrichtungen des Fahrzeugs bedient, führt dieses im maßgeblichen Zeitpunkt nicht. (Bearbeiter)

3. Auch die Regelung des § 2 Abs. 15 Satz 2 StVG führt nicht dazu, dass der Fahrlehrer als Führer des Fahrzeugs im Sinne des § 23 Abs. 1a StVO anzusehen ist. Denn diese gesetzliche Fiktion findet auf § 23 Abs. 1a StVO keine Anwendung. (Bearbeiter)


Entscheidung

129. BGH 4 StR 323/14 (4 StR 324/14) – Beschluss vom 18. Dezember 2014 (LG Dortmund)

BGHR; Fortgeltung der Rechtsprechung zur Insolvenzverschleppung durch den faktischen Geschäftsführer.

§ 15a Abs. 4 InsO

Der faktische Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung kann Täter einer Insolvenzverschleppung nach § 15a Abs. 4 InsO sein. (BGHR)


Entscheidung

155. BGH 5 StR 136/14 – Urteil vom 10. Dezember 2014 (LG Kiel)

Vorsatzausschließender Tatumstandsirrtum beim Abrechnungsbetrug (Zytostatika-Lösungen; Fertigarzneimittel; Rezepturarzneimittel; Fehlende Zulassungsfähigkeit als Bezugspunkt des objektiven Betrugstatbestandes; Irrtum über die Rechtswidrigkeit der erstrebten Bereicherung; Subsumtionsirrtum); Erklärungswert bei Inbezugnahme der sog. „Lauer-Taxe“; Anforderungen an die Begründung beim freisprechenden Urteil; Beweiswürdigung; Ablehnung von Beweisanträgen (tatsächliche Bedeutungslosigkeit; Unzulässigkeit der Beweiserhebung); Umfang der Qualitätsprüfung bei Fertigarzneimitteln.

§ 263 StGB; § 16 StGB; § 244 StPO; § 260 StPO; § 261 StPO; § 267 StPO; § 78 AMG; § 95 AMG; § 96 AMG; § 12 Abs. 1 ApBetrO

1. Ist in objektiver Hinsicht für eine Tatbestandsverwirklichung hinsichtlich § 263 StGB die arzneimittelrechtliche Einordnung abgerechneter Zytostatika-Lösungen als Fertig- oder Rezepturarzneimittel ausschlaggebend, so ist ein diesbezüglicher Irrtum Tatumstandsirrtum i.S.d. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB und kein bloßer Subsumtionsirrtum.

2. Bei der sog. „Lauer-Taxe“ handelt es sich um eine privatunternehmerisch unterhaltene Datenbank, die

lediglich deklaratorisch unter anderem Anhaltspunkte für die Abrechnung von auf dem deutschen Markt erhältlichen in Deutschland zugelassenen Arzneimitteln gibt, aber keine normative Bestimmung der überhaupt nur abrechnungsfähigen Arzneimittel enthält. Durch einen Rückgriff auf Preise aus der Lauer-Taxe wird daher nicht konkludent erklärt, die dort gelisteten Fertigarzneimittel nur aus für den deutschen Markt bestimmten Chargen derselben vom Originalhersteller erzeugten Ausgangsmenge verwendet zu haben.

3. Nach § 12 Abs. 1 ApBetrO – der nach seinem Wortlaut nicht auf in Deutschland zugelassene Fertigarzneimittel beschränkt ist – müssen Fertigarzneimittel, die nicht in der Apotheke hergestellt worden sind, nur stichprobenweise geprüft werden. Dabei darf von einer über die Sinnesprüfung hinausgehenden Prüfung abgesehen werden, wenn sich keine Anhaltspunkte ergeben haben, die Zweifel an der ordnungsgemäßen Qualität des Arzneimittels begründen. Allein eine fremdsprachige Kennzeichnung der Verpackung der Ausgangsstoffe, die bei Abgabe der Infusionslösungen nicht an deren Empfänger gelangt, vermag einen solchen Qualitätsmangel nicht zu begründen.

4. Bis zur AMG-Novelle enthielten die arzneimittelpreisrechtlichen Vorschriften keine ausdrückliche Regelung darüber, welche Apothekeneinkaufspreise der Abrechnung von zytostatikahaltigen Lösungen in Fällen zugrunde zu legen waren, in denen die zur Herstellung der Zubereitung verwendeten, vom ausländischen Großhandel beziehbaren Fertigarzneimittel nicht in der sog. „Lauer-Taxe“ aufgeführt waren, insbesondere, wenn ein nicht in Deutschland zugelassenes Präparat im Rahmen der Herstellung einer Rezeptur verwendet wurde. Ein insoweit etwaig erzielter Einkaufsvorteil war daher nicht an die Gesetzlichen Krankenkassen weiterzugeben.

5. Der Senat kann erneut offen lassen, ob er sich der vom 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs im Urteil vom 4. September 2012 (1 StR 534/11, BGHSt 57, 312) vertretenen Ansicht anschließt, wonach es sich bei den in Apotheken hergestellten Zytostatika-Lösungen (weiterhin) um Fertigarzneimittel handelt, oder ob es vorzugswürdig erscheint, derartige Zubereitungen als Rezepturarzneimittel einzustufen.


Entscheidung

156. BGH 5 StR 405/13 – Urteil vom 10. Dezember 2014 (LG Braunschweig)

Abrechnungsbetrug bei Zytostatika-Lösungen (Eignung zur Irreführung als Voraussetzung des Täuschungsgegenstandes; Fertigarzneimittel; Rezepturarzneimittel; Verwendung nicht zugelassener ausländischer Fertigarzneimittel; konkludente Erklärung anspruchsbegründender Tatsachen durch Abrechnung; Lauer-Taxe).

§ 263 StGB; § 10 AMG; § 21 Abs. 1 AMG; § 27 Abs. 1 SGV V; , § 31 Abs. 1 SGB V; § 11 ApoG; § 4 AMPreisV; § 5 AMPreisV; § 1a Abs. 8 ApBetrO; § 7 ApBetrO; § 35 ApBetrO

1. Ein Verhalten ist dann nicht zur Irreführung geeignet – und kommt deshalb nicht als konkludente Täuschung i.S.d. Betrugstatbestandes in Betracht –, wenn der (konkludent) mitgeteilte Erklärungswert dem entspricht, wovon die Adressaten der Behauptung nach der Verkehrsanschauung ohnehin vernünftigerweise ausgehen müssen.

2. Der Senat braucht mit Blick auf die Entscheidung BGH HRRS 2012 Nr. 982 (1. Strafsenat) nicht zu entscheiden, ob es sich bei in einer Apotheke fertiggestellten Zytostatika-Lösungen nicht um Rezepturarzneimittel, sondern um Fertigarzneimittel handelt, die der Zulassungspflicht nach § 21 Abs. 1 AMG unterliegen. Denn jedenfalls bis zur AMG-Novelle vom 17. Juli 2009 gingen die maßgeblichen Verkehrskreise davon aus, dass Zytostatika-Zubereitungen, die regelmäßig aus Fertigarzneimitteln als Ausgangsstoffen hergestellt werden, als Rezepturarzneimittel anzusehen sind. Eine konkludente Täuschung hierüber scheidet insoweit aus.

3. Ein Kassenarzt erklärt mit seiner Abrechnung gegenüber der Krankenkasse regelmäßig nicht nur, dass die abgerechnete Leistung unter die Leistungsbeschreibung der Gebührennummer fällt, sondern auch, dass seine Leistung zu den kassenärztlichen Versorgungsleistungen gehört und nach dem allgemeinen Bewertungsmaßstab abgerechnet werden kann. Die Abrechnung enthält daher neben der Behauptung eines sozialrechtlichen Erstattungsanspruchs auch die konkludent miterklärte Aussage, die Berechnung unter Einhaltung der abrechnungsrechtlichen Maßgaben vorgenommen zu haben.

4. Bis zur AMG-Novelle wurden Zytostatika-Lösungen als Rezepturarzneimittel von den Gesetzlichen Krankenkassen nach den abrechnungsrechtlich vorgegebenen Maßgaben erstattet. Daher kam es bei Abrechnung von Zytostatika-Rezepten nach dem objektiven Empfängerhorizont für eine grundsätzliche Erstattungsfähigkeit dieser Zubereitungen nur auf deren Verkehrsfähigkeit und nicht auf die der verarbeiteten Fertigarzneimittel an. Als Rezepturarzneimittel durften Zubereitungen auch bei Verwendung eines nicht zugelassenen Fertigarzneimittels zu ihrer Herstellung abgerechnet werden. Eine solche Abrechnung begründet daher keine konkludente Täuschung i.S.d. § 263 StGB.

5. Bis zur AMG-Novelle enthielten die arzneimittelpreisrechtlichen Vorschriften keine ausdrückliche Regelung darüber, welche Apothekeneinkaufspreise der Abrechnung von zytostatikahaltigen Lösungen in Fällen zugrunde zu legen waren, in denen die zur Herstellung der Zubereitung verwendeten, vom ausländischen Großhandel beziehbaren Fertigarzneimittel nicht in der sog. „Lauer-Taxe“ aufgeführt waren, insbesondere, wenn ein nicht in Deutschland zugelassenes Präparat im Rahmen der Herstellung einer Rezeptur verwendet wurde. Ein insoweit etwaig erzielter Einkaufsvorteil war daher nicht an die Gesetzlichen Krankenkassen weiterzugeben.


Entscheidung

109. BGH 4 StR 457/14 – Urteil vom 18. Dezember 2014 (LG Hagen)

Verhängung von Jugendstrafe (Voraussetzungen: Schwere der Schuld im Einzelfall); Bemessung der Jugendstrafe.

§ 17 Abs. 2 JGG; § 18 JGG

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die Verhängung von Jugendstrafe unter dem

Gesichtspunkt der Schwere der Schuld im Sinne von § 17 Abs. 2 JGG nicht nur dann in Betracht kommen, wenn der jugendliche oder heranwachsende Täter ein Kapitalverbrechen begangen hat, sondern auch dann, wenn eine andere besonders schwere Straftat abzuurteilen ist; dazu können auch gravierende Sexualdelikte gehören (vgl. BGH NStZ-RR 2010, 56). Dabei ist der Begriff „Schwere der Schuld“ nicht abstrakt nach dem verwirklichten Tatbestand messbar, sondern jeweils nur in Beziehung zu einer bestimmten Tat zu erfassen, sodass der äußere Unrechtsgehalt der Tat nicht unberücksichtigt bleiben darf (vgl. BGH NStZ 2009, 450).

2. Lassen die Urteilsgründe erkennen, dass der Tatrichter die Bemessung der Jugendstrafe rechtsfehlerfrei am maßgeblichen Erziehungszweck (§ 18 Abs. 2 JGG) ausgerichtet hat, kann in der Regel ausgeschlossen werden, dass er eine niedrigere Strafe verhängt hätte, wenn er vom zutreffenden Strafrahmen ausgegangen wäre.


Entscheidung

103. BGH 4 StR 335/14 – Beschluss vom 3. Dezember 2014 (LG Münster)

Unerlaubte Gewaltausübung über Kriegswaffen (Verhältnis zu sonstigen strafbaren Verstößen gegen das KWKG).

§ 22a Abs. 1 Nr. 6 KWKG

Bei der Tatbestandsvariante in § 22a Abs. 1 Nr. 6 KWKG handelt es sich – wie sich bereits aus dem Wortlaut („sonst“) ergibt – um einen Auffangtatbestand, der hinter den spezielleren Erscheinungsformen des Ausübens der tatsächlichen Gewalt zurücktritt.


Entscheidung

111. BGH 4 StR 473/14 – Beschluss vom 2. Dezember 2014 (LG Frankenthal)

Gleichzeitiger unerlaubter Besitz von Waffen und Munition (Tateinheit).

§ 52 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 lit b) WaffG; § 52 Abs. 1 StGB

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat das gleichzeitige Ausüben der tatsächlichen Gewalt über mehrere Waffen, auch wenn diese nicht unter dieselben Strafbestimmungen fallen, zur Folge, dass die verschiedenartigen Verstöße gegen das Waffengesetz tateinheitlich zusammentreffen (vgl. BGH StV 1999, 645). Dies gilt selbst dann, wenn die Waffen an unterschiedlichen Orten aufbewahrt werden. Das Gleiche muss für den strafbaren Umgang mit Munition gelten.