HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

September 2003
4. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen


Das Akteneinsichtsrecht des Strafverteidigers nach § 147 StPO[*]

Von RiOLG Detlef Burhoff, Hamm/Münster

I. Allgemeines

1. Normzweck des § 147 StPO

Der Beschuldigte kann sich wirksam nur verteidigen, wenn er die ihm zur Last gelegten Umstände kennt. I. d. R. setzt dies die Kenntnis des Inhalts der Strafakte voraus. Nur eine möglichst frühzeitige Information über die Vorwürfe, wegen der gegen ihn ermittelt wird, versetzt den Beschuldigten in die Lage, sich rechtzeitig auf die Verteidigung einzurichten und sich Verteidigungsmittel zu beschaffen. Deshalb ist das Akteneinsichtsrecht des § 147 StPO - neben dem Beweisantrags- und Fragerecht (zum Beweisantragsrecht vgl. BURHOFF, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 3. Aufl., Rn. 255 ff. [im folgenden kurz: BURHOFF, HV]; MICHALKE ZAP F. 22, S. 49 ff. [Grundsätze]; dies., ZAP F. 22, S. 61 ff. [Formen des Beweisantrages]; zum Fragerecht des Angeklagten in der Hauptverhandlung BURHOFF, HV, Rn. 490 ff.) - ein Kernstück der Verteidigung, das den Grundsätzen des Rechts auf rechtliches Gehör und des fairen Verfahrens entspringt (LÜDERSSEN, in: LÖWE-ROSENBERG, StPO, 25. Aufl., § 147 Rn. 1 m. w. N. [im folgenden kurz: LR-LÜDERSSEN]; wegen der Einzelheiten des Akteneinsichtsrechts s. a. BURHOFF, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren,

2. Aufl., Rn. 29 ff. m. w. N. [im folgenden kurz: BURHOFF, EV]; BAHNSEN, Das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers im Strafverfahren, 1996). Das Akteneinsichtsrecht dient insbesondere auch dazu, Fehlurteile zu verhindern (WASSERBURG NStZ 1981, 211).

2. Regelungsumfang

§ 147 StPO gilt für das gesamte Strafverfahren (vgl. dazu unten IV. 1 und V.) und über § 46 Abs. 1 OWiG auch für das Ordnungswidrigkeitenverfahren (vgl. dazu auch BayObLG NStZ 1991, 190). Im disziplinarrechtlichen Vorermittlungsverfahren steht dem Verteidiger ebenfalls ein Recht auf Einsichtnahme in die Akten zu, §§ 40 Abs. 1, 26 Abs. 3 BDO (BDiszG NStZ 1992, 596).

§ 147 StPO unterscheidet zwischen dem Recht zur Einsicht in die Akten und dem Recht zur Besichtigung der Beweisstücke, wobei das Besichtigungsrecht das Einsichtsrecht ergänzt. Beides wird vom Gesetz im wesentlichen gleichbehandelt. Daher ist im folgenden mit Akteneinsichtsrecht, wenn nicht besonders darauf hingewiesen wird, der umfassende Begriff gemeint (zu den Unterschieden vgl. unten VI.). Die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV) regeln die Akteneinsicht über § 147 StPO hinaus in Nr. 182 ff. Die dort früher geregelte Akteneinsicht für Dritte ist nun durch StrafverfahrensänderungsG 1999 in den §§ 474 ff. StPO geregelt (s. dazu unten VII.).

Das Akteneinsichtsrecht besteht grundsätzlich immer und kann nur unter gewissen, engen Voraussetzungen (vgl. § 147 Abs. 2 StPO; s. u. V. 2.) abgelehnt werden.

II. Verteidiger i. S. d. § 147 StPO

1. Begriff

Zur Akteneinsicht nach § 147 StPO ist grundsätzlich nur der Verteidiger berechtigt. Verteidiger i. S. d. § 147 StPO sind zunächst der Wahlverteidiger (§ 138 StPO) und der Pflichtverteidiger (§ 141 StPO). Verteidiger sind aber auch der Rechtsreferendar, dem die Verteidigung gem. § 139 StPO übertragen wurde, sowie die nach § 138 Abs. 2 StPO als Verteidiger zugelassenen Personen, unabhängig davon, ob ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegt.

Der Begriff des Verteidigers (vgl. dazu a. BURHOFF, EV, Rn. 922) ist weit auszulegen. Für das Akteneinsichtsrecht ist aber nicht Voraussetzung, dass bereits ein Verteidigungsverhältnis i. S. eines zwischen dem "Verteidiger" und dem "Beschuldigten" zustande gekommenen Geschäftsbesorgungsvertrags nach den §§ 675, 611 BGB besteht. Vielmehr ist nach h. M. auch schon während des sog. Anbahnungsverhältnisses, also in der Zeit, in der der Rechtsanwalt prüft, ob er das Mandat überhaupt annehmen will, Akteneinsicht zu gewähren (KLEINKNECHT/ MEYER-GOßNER, StPO, 45. Aufl., § 147 Rn. 9 m. w. N. (im folgenden kurz: KLEINKNECHT/ MEYER-GOßNER]).

Kein Akteneinsichtsrecht besteht, wenn der Rechtsanwalt selbst Beschuldigter ist. Er wird dann ebenso wie jeder andere Beschuldigte behandelt. Auch der gesetzliche Vertreter oder ein Beistand haben kein Recht zur Einsichtnahme. Ihnen kann jedoch gegebenenfalls Einsicht gewährt werden (zur Akteneinsicht von nicht am Verfahren Beteiligten s. unten VII.).

2. Kein Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten

Das Akteneinsichtsrecht ist dem Wortlaut des § 147 StPO nach grundsätzlich auf den Verteidiger beschränkt, obwohl heute § 147 StPO nicht mehr als Verbot der Gewährung von Akteneinsicht an den Beschuldigten verstanden werden sollte (LR-LÜDERSSEN, § 147 Rn. 12 ff.). Denn Träger des Akteneinsichtsrechts ist an sich der Beschuldigte (zum Begriff s. BURHOFF, EV, Rn. 198 m. w. N.), der das Recht allerdings nicht selbst ausüben kann, sondern insoweit grundsätzlich einen Verteidiger benötigt. Demgemäß wird auch zunehmend in der Literatur dem Beschuldigten selbst ein Akteneinsichtsrecht zugebilligt (BÖSE StraFo 1999, 293; a. A. aber die h. M., vgl. die Nachw. bei KLEINKNECHT/MEYER-GOßNER, § 147 Rn. 3). Der EuGH hat zudem dem Beschuldigten dann einen Anspruch auf Akteneinsicht gewährt, wenn er sich ohne Akteneinsicht nicht hinreichend verteidigen kann, die Beiordnung eines Pflichtverteidigers wegen des nur geringen Vorwurfs aber ausscheidet (s. NStZ 1998, 429 m. zust. Anm. DEUMELAND; dazu auch BÖSE, a. a. O., und HAAS NStZ 1999, 442).

Nach der Neuregelung des § 147 Abs. 7 können aber dem Beschuldigten, der keinen Verteidiger hat, Abschriften oder Ablichtungen der Akten ausgehändigt werden (so schon zur früheren Rechtslage LR-LÜDERSSEN, 24. Aufl., a. a. O.; SCHROEDER NJW 1987, 301, 303). Über einen entsprechenden Antrag hat der Staatsanwalt oder der Vorsitzende gem. § 147 Abs. 5 StPO nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Ihm wird i. d. R. stattzugeben sein, wenn nicht der Untersuchungszweck gefährdet ist und nicht schutzwürdige Belange Dritter (z. B. Schutz gefährdeter Zeugen pp.) entgegenstehen. Ergibt die Prüfung, dass der Beschuldigte sich ohne Aktenkenntnis nicht angemessen verteidigen kann, so ist ihm gegebenenfalls nach § 140 Abs. 2 StPO ein Pflichtverteidiger zu bestellen (LAUFHÜTTE, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 4. Aufl., § 147 StPO Rn. 2 [im folgenden kurz: KK-LAUFHÜTTE]).

III. Akten i. S. d. § 147 StPO

1. Zum Aktenbegriff in § 147 StPO

a) § 147 StPO enthält keine Legaldefinition des Begriffs der Akten. Im allgemeinen werden zu den Akten, auf die sich das Einsichtsrecht des Verteidigers erstreckt, alle vom ersten Zugriff der Polizei an gesammelten be- und entlastenden Schriftstücke gezählt, die im Fall der Anklageerhebung dem Gericht vorzulegen wären, sowie die nach der Anklageerhebung entstandenen Aktenteile und die vom Gericht herangezogenen oder von der StA nachgereichten Beiakten (KLEINKNECHT/MEYER-GOßNER, § 147 Rn. 14 m. w. N.; vgl. auch BVerfGE 62, 338; BGH StV 1988, 193 f.; s. a. ODENTHAL StV 1991, 441 ff., 447; zur Akteneinsicht im Steuerstrafverfahren BURKHARD StV 2000, 526 ff.; BURHOFF, EV, Rn. 736).

b) Danach fallen unter das Akteneinsichtsrecht (s. zum Umfang des Akteneinsichtsrecht auch das "ABC" bei BURHOFF, EV, Rn. 90 ff.) alle Schriftstücke, Ton- (KÖLLNER StraFo 1995, 50; LG Bonn StV 1995, 632) oder Bildaufnahmen (OLG Karlsruhe AnwBl. 1981, 18), einschließlich etwaiger Videoaufnahmen (BayObLG NStZ 1991, 190 [für das OWi-Verfahren]) sowie der Strafregisterauszug (BVerfG StV 1983, 137; LR-LÜDERSSEN, § 147 Rn. 73 m. w. N.). Es besteht auch ein Recht auf Einsicht in die dem Gericht vorliegenden Unterlagen über die Untersuchungshaft, wozu sämtliche Entscheidungen nach § 119 Abs. 3 i. V. m. § 126 Abs. 2 StPO und darüber hinausgehende Vorgänge, wie z. B. die Genehmigung von Telefonaten, Beschwerden über die Dauer der Postwege oder Schreiben des Angeklagten über Beschränkungen gehören (vgl. BGH NStZ 1991, 94 m. Anm. FOTH; StV 1991, 337; Haftsonderheft!). Teil der Akten sind auch Beweismittelordner, die nur Ablichtungen von sichergestellten Urkunden enthalten (OLG Köln NJW 1985, 336) sowie die vorläufigen Aufzeichnungen der Protokolle nach § 168a Abs. 2 StPO. Gefangenenpersonalakten (vgl. dazu LG Braunschweig, OLG Koblenz, und OLG Celle in StV 1981, 80 ff.) sind dann nach § 147 StPO (auch) dem Verteidiger vorzulegen, wenn sie dem Gericht wegen einer bevorstehenden Prozesshandlung zur Kenntnis zu bringen sind (OLG Koblenz StV 1981, 286; vgl. LR-LÜDERSSEN, § 147 Rn. 79 m. w. N.).

c) Vom Akteneinsichtsrecht nicht umfasst sind die Handakten der StA und andere innerdienstliche Vorgänge. Dazu gehören auch Notizen, die sich Mitglieder des Gerichts während der Hauptverhandlung gemacht haben (KK-LAUFHÜTTE, § 147 StPO Rn. 4). Diesen gleichgestellt werden sog. "Nebenprotokolle", das sind Mitschriften zur Unterstützung des Gerichts (OLG Karlsruhe NStZ 1982, 299). Denn diese sind für das Verfahren ohne Bedeutung, da sie wie Berichterstattervermerke und Stenogramme nicht Bestandteil des Sitzungsprotokolls sind, so dass auf sie eine Revision in keinem Fall gestützt werden könnte (KK-LAUFHÜTTE, a. a. O., m. w. N.). Auch auf nach § 119 Abs. 3 StPO angehaltene und zur Habe des Angeklagten genommene Schreiben bezieht sich das Akteneinsichtsrecht nicht (BGH MDR 1988, 357 ff.) sowie auch nicht auf gem. § 96 StPO gesperrte Akten oder Aktenteile (OLG Celle StV 1982, 264; OLG Hamm NJW 1984, 880).

d) Eine für die Praxis nicht unbedeutende Einschränkung hat das Akteneinsichtsrecht durch das 1992 erlassene Gesetz zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität (OrgKG) erfahren. Besteht nämlich Anlass zu der Besorgnis, dass Leben, Leib oder Freiheit eines Zeugen oder einer anderen Person durch die Offenbarung der Identität oder des Wohn- oder Aufenthaltsortes dieses Zeugen gefährdet sind, werden die Unterlagen, die die Feststellung der Identität des Zeugen gewährleisten, bei der Staatsanwaltschaft gesondert verwahrt und nach § 68 Abs. 3 S. 4 StPO erst dann zu den Akten genommen, wenn die Gefährdung entfällt. Erst dann erstreckt sich auf sie das Akteneinsichtsrecht (KLEINKNECHT/MEYER-GOßNER, § 68 Rn. 17). Entsprechendes gilt für Entscheidungen und sonstige Unterlagen über den Einsatz eines sog. verdeckten Ermittlers. Auch sie werden nach § 110d Abs. 2 S. 1 StPO gesondert verwahrt und nach § 110d Abs. 2 S. 2 StPO erst dann zu den Akten genommen, wenn dies ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks, der öffentlichen Sicherheit, der Sicherheit von Leib und Leben einer Person sowie der Möglichkeit der weiteren Verwendung des verdeckten Ermittlers geschehen kann. Zu den Unterlagen gehören auch Aktenvermerke des verdeckten Ermittlers oder sonstige auf dessen Angaben beruhende Informationen (KLEINKNECHT/MEYER-GOßNER, § 110d Rn. 2 m. w. N.). Erst nach Übernahme der Unterlagen in die Strafakten besteht das Akteneinsichtsrecht (KLEINKNECHT/MEYER-GOßNER, a. a. O.). Schließlich ist in § 101 Abs. 4 S. 2 StPO Ähnliches geregelt für den Einsatz bestimmter technischer Mittel zu Observationszwecken und für den sog. Großen Lauschangriff (KLEINKNECHT/MEYER-GOßNER, § 100c Rn. 2 ff. m. w. N.). Diese Einschränkungen können zur Folge haben, dass die entsprechenden Unterlagen während des Verfahrens weder dem Gericht noch dem Angeklagten bekannt werden, sondern insgesamt verborgen bleiben (mit Recht krit. dazu STRATE ZRP 1990, 145; KLEINKNECHT/MEYER-GOßNER, § 102 Rn. 7; s. a. Stellungnahme des DAV StV 1992, 34).

2. Besondere Fälle

a) Spurenakten

Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass zu den zur Akteneinsicht vorzulegenden Akten nicht die Handakten der Staatsanwaltschaft gehören (vgl. oben 1 c). In diesen Handakten dürfen jedoch, von dem Ausnahmefall des § 147 Abs. 2 StPO abgesehen, nicht Aktenbestandteile zurückgehalten werden, die in die dem Gericht vorzulegenden Akten gehören. Problematisch wird dies bei den sog. "Spurenakten" (vgl. zu diesem Problem

die eingehende Darstellung bei LR-LÜDERSSEN, § 147 Rn. 31 ff.). Dazu lassen sich in etwa folgende Grundsätze darstellen (s. a. BURHOFF, EV, Rn. 72 ff.):

Das Einsichtsrecht bezieht sich auf jeden Fall auf Akten, die dem Gericht zur Kenntnis gebracht werden (OLG Hamm NStZ 1984, 423). Bei Vorgängen, die dem Gericht nicht vorliegen und die nicht aufgrund des Verfahrens gegen den Beschuldigten und des durch Tat und Täter bestimmten Prozessgegenstandes entstanden sind, handelt es sich um verfahrensfremde Akten. Nach BGH (NJW 1981, 2267; s. dazu BVerfG NStZ 1983, 273) gilt das auch für Vorgänge, die tatbezogene Überprüfungen eines Sachverhalts oder einer Person enthalten. Solche "Spurenakten" sind den Hauptakten dann als Beiakten beizufügen, so dass sie dem Einsichtsrecht unterliegen, wenn - bei großzügiger Auslegung (BGH NStZ 1983, 228) ein Sachzusammenhang i. S. e. möglichen schuld- oder rechtsfolgenerheblichen Bedeutung des Akteninhalts besteht, was von der Anklagebehörde gem. § 199 Abs. 2 S. 2 StPO zu prüfen ist (vgl. zur Kritik dieser Auffassung KK-LAUFHÜTTE, § 147 StPO Rn. 4). Das BVerfG (a. a. O.) hat der Verteidigung ein nach § 23 EGGVG einklagbares Recht zur Einsicht auch in die Spurenakten zuerkannt, die die Polizei oder Staatsanwaltschaft dem Gericht nicht vorgelegt haben.

b) Akten anderer Behörden und Beiakten

Auch in Akten anderer Behörden ist grundsätzlich Akteneinsicht zu gewähren, es sei denn, sie sind nur zur vertraulichen Behandlung übersandt worden (vgl. RiStBV 187 Abs. 2 S. 2; KLEINKNECHT/MEYER-GOßNER, § 147 StPO Rn. 16; LR-LÜDERSSEN, § 147 Rn. 146 f.). Nach BGHSt 42, 71 (= NStZ 1997, 43) ist die Vertraulichkeitsbitte unbeachtlich. Die (bloße) Vertraulichkeitsbitte schließt die Verwertung der Akten durch das Gericht in der Hauptverhandlung nicht aus, dafür wäre eine Sperre nach § 96 StPO erforderlich (BGH, a. a. O.).

Die Akteneinsicht umfasst auch sog. Beiakten, also etwa Vorstrafenakten, Personalakten, Akten über Zivil- oder Verwaltungsprozesse, Steuerakten u. a. Insoweit steht auch nicht der Grundsatz des Datenschutzes der Akteneinsicht entgegen (SCHMIDT NStZ 1983, 89; vgl. auch GROß/FÜNFSINN NStZ 1992, 105; zu Steuerakten insbesondere BURKHARD StV 2000, 526 ff.; BURHOFF, EV, Rn. 736).

c) Verfahren gegen mehrere Beschuldigte

Hier treten Probleme in praktischer und rechtlicher Hinsicht auf (wegen der Einzelheiten BURHOFF, EV, Rn. 44 ff.): Praktische Probleme macht oft die Frage, wie die Akteneinsicht der Verteidiger mehrerer Beschuldigter organisiert werden kann. I. d. R. werden dazu Zweitakten anzulegen sein, damit mehrere Verteidiger gleichzeitig die Akten einsehen können. Auch kann ein Verteidiger dem Verteidiger eines Mitbeschuldigten den von ihm gefertigten Aktenauszug zur Einsichtnahme zur Verfügung stellen.

Rechtliche Probleme ergeben sich in folgender Hinsicht: Wenn ein einheitliches Verfahren geführt wird, erstreckt sich die Akteneinsicht selbstverständlich auf die gesamten Akten. Aktenteile, die die Tat nur eines Beschuldigten betreffen, dürfen nicht zurückgehalten werden. Wird ein einheitliches Verfahren getrennt und gegen mehrere Beschuldigte in unterschiedlichen Verfahren fortgesetzt, erstreckt sich das Einsichtsrecht auch auf die Akten des Ursprungsverfahrens und nicht nur auf die Teile, die das Gericht für bedeutungsvoll hält (OLG Karlsruhe AnwBl. 1981, 18). Inwieweit ein Einsichtsrecht auch in die Teile der Akten von Mitbeschuldigten besteht, wenn diese erst nach Trennung der Ursprungsverfahren angefallen sind oder in die gesamten Akten, wenn die Verfahren von Anfang an getrennt geführt worden sind, ist noch nicht abschließend entschieden. Die h. M. in der Rechtsprechung verneint die Frage (vgl. OLG Hamm StV 1993, 299, 301 m. w. N.). Beachtlich dürfte jedoch die Kritik von LÜDERSSEN (LR-LÜDERSSEN, § 147 Rn. 71) sein, der unter Hinweis auf BVerfG NStZ 1983, 273 ff. einen Akteneinsichtsanspruch jedenfalls dann für gegeben hält, wenn der Inhalt der gesonderten Akten von irgendeiner Bedeutung für die Feststellung der dem Beschuldigten vorgeworfenen Tat und der eventuell gegen ihn zu verhängenden Rechtsfolge sein kann (ähnlich BAHNSEN, a. a. O., S. 65).

d) Einsichtsrecht in gerichtliche Dateien

Im Zuge fortschreitender Ausstattung der Gerichte und Staatsanwaltschaften mit Personalcomputern, ohne die heute umfangreiche Wirtschaftsstrafverfahren kaum noch zu erledigen sind, erhält die Frage, wie die Einsicht in während der Ermittlungen angelegte Dateien zu behandeln ist, immer größere praktische Bedeutung. Diese Frage ist folgendermaßen zu beantworten:

Computerausdrucke sind zu den Akten zu nehmen und werden deren Bestandteil, so dass in sie Einsicht genommen werden kann. Bei elektronisch gespeicherten Dateien auf Disketten oder Festplatten, die von der Staatsanwaltschaft dem Gericht übergeben bzw. überspielt werden, handelt es sich ebenfalls um "Akten" i. S. d. § 147 StPO, die grundsätzlich wie Unterlagen aus Papier zu behandeln sind, so dass sie auf Verlangen dem Verteidiger zur Einsicht zur Verfügung zu stellen sind (vgl. zu allem FETZER DRiZ 1990, 48; StV 1991, 142; SCHÄFER wistra 1989, 8). Das gilt allerdings nicht für die Daten eines Prozesses, die ein Richter sich separat auf einer Diskette oder Festplatte speichert, um sie dort zu bearbeiten. Sie sind zu behandeln wie Notizen und unterliegen damit nicht der Einsicht durch den Verteidiger (FETZER StV 1991, 143; vgl. auch

MEYER/BÖHM wistra 1992, 170).

IV. Durchführung der Einsichtnahme

1. Einsichtnahme

Der Verteidiger darf die Akten einsehen, sobald er gewählt oder bestellt ist. Ihm ist die Akteneinsicht auch zu gestatten, wenn er prüfen will, ob er ein ihm angetragenes Mandat annehmen will (sog. Anbahnungsfall); er muss dann aber die Aufforderung, das Mandat zu übernehmen, nachweisen (KLEINKNECHT/MEYER-GOßNER, § 147 StPO Rn. 9 m. w. N.; s. o. II. 1). Das Akteneinsichtsrecht erlischt mit dem Erlöschen der Verteidigerstellung, etwa durch Erlöschen der Vollmacht oder auch durch rechtskräftigen Ausschluss des Verteidigers.

Während laufender Hauptverhandlung hat der Verteidiger das Einsichtsrecht jedenfalls dann, wenn er erst im Verlauf der Hauptverhandlung gewählt oder bestellt worden ist (OLG Stuttgart NJW 1979, 560), wenn er ein besonderes Interesse an der Einsicht nachweisen kann (KK-LAUFHÜTTE, § 147 Rn. 14) oder wenn neue Ermittlungsergebnisse oder Urkunden zu den Akten gelangt sind (ODENTHAL StV 1991, 441 ff., 447; BGHSt 36, 305 [für Telefon-Überwachungs-Unterlagen]). Ob der Verteidiger darüber hinaus verlangen kann, während laufender Hauptverhandlung die Akten einzusehen, ist strittig (vgl. einerseits bejahend LR-LÜDERSSEN, § 147 Rn. 100; andererseits verneinend KLEINKNECHT/MEYER-GOßNER, § 147 StPO Rn. 10). Es dürfte m. E. dann, wenn die Akten während einer Unterbrechung der Hauptverhandlung vom Gericht nicht benötigt werden, kein Grund bestehen, dem Verteidiger Akteneinsicht nicht zu gewähren. § 147 StPO sieht insoweit eine zeitliche Begrenzung des Akteneinsichtsrechts nicht vor. Der Verteidiger hat allerdings keinen Anspruch auf Einsicht in das Sitzungsprotokoll einer über mehrere Tage dauernden Hauptverhandlung, da dieses erst durch die abschließende Unterschrift des Vorsitzenden und des Protokollführers fertiggestellt ist (BGH NStZ 1981, 297).

Die Akteneinsicht muss ausreichend und in zumutbarer Weise gewährt werden, u. U. auch mehrfach, wenn der Akteninhalt umfangreicher geworden ist (OLG Hamburg JR 1966, 274; OLG Hamm NJW 1972, 1096 f.). Die Dauer der Akteneinsicht richtet sich nach dem Umfang der einzusehenden Akten (BGH MDR 1955, 530; zur Dauer s. a. BURHOFF, EV, Rn. 58 f.). Die Akteneinsicht ist auch rechtzeitig vor der Hauptverhandlung zu gewähren. U. U. kann es unsachgemäß sein, einem auswärtigen Verteidiger erstmalig Akteneinsicht nur auf der Geschäftsstelle kurz vor dem Hauptverhandlungstermin zu gewähren (BayObLG NStZ 1991, 43). Einem Verteidiger kann im Ordnungswidrigkeitenverfahren auch nicht zugemutet werden, Videoaufzeichnungen auf einer weit entfernten Polizeidienststelle einzusehen (BayObLG NStZ 1991, 190).

Das Akteneinsichtsrecht kann dem Verteidiger nicht entzogen werden. Solange jemand Verteidiger ist, hat er alle Rechte. Die einzige Ausnahme bildet § 138c Abs. 3 S. 1 und 2 StPO.

2. Mitnahmerecht

Nach Nr. 189 Abs. 3 RiStBV wird die Akteneinsicht grundsätzlich in den Diensträumen der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts gewährt. Der Verteidiger hat keinen Rechtsanspruch auf Aktenaushändigung zur Mitnahme in sein Büro oder seine Wohnung (BGH DRiZ 1990, 455; NStZ 1985, 13). Allerdings sollen ihm die Akten jedoch gem. § 147 Abs. 4 StPO, wenn nicht wichtige Gründe entgegenstehen, in seine Geschäftsräume oder in die Wohnung mitgegeben werden (zum Ort der Durchführung auch BURHOFF, EV, Rn. 76 m. w. N.). Das schließt aber nicht die Pflicht des Gerichts ein, dem Verteidiger die Akten zuzusenden (OLG Frankfurt NStZ 1981, 191; OLG Stuttgart NJW 1979, 559 f.). Werden die Akten zugesandt, kann für die Übersendung eine Gebühr verlangt werden (vgl. Nr. 9003 KVGKG). Das ist verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG NJW 1996, 2222; wegen der Einzelheiten s. BURHOFF, EV, Rn. 28 m. w. N.). Ein Mitnahmerecht besteht auch allenfalls für die Akten, nicht hingegen für Beweismittel. Diese dürfen nicht aus amtlichem Gewahrsam entlassen werden (vgl. wegen der Einzelheiten unten VI).

Ein wichtiger Grund, der der Mitnahme der Akten entgegensteht, kann z. B. darin liegen, dass die Akten als Verschlusssachen gekennzeichnet sind (vgl. Nr. 213 Abs. 4 RiStBV; KG StV 1997, 624), dass die Gefahr der Einsichtnahme oder der Beeinträchtigung durch Dritte besteht oder dass die Akten für die beschleunigte Durchführung des Verfahrens nötig sind. Auch vorläufige Tonbandaufzeichnungen nach § 168a Abs. 2 StPO werden i. d. R. von der Mitgabe auszuschließen sein, ebenso behördliche Akten vertraulicher Art, wie z. B. Personalakten (KLEINKNECHT/MEYER-GOßNER, § 147 StPO Rn. 29 m. w. N.; vgl. auch unten V. 2).

Der Verteidiger erhält die Akten immer nur zu treuen Händen. Das bedeutet: Er darf sie selbst einsehen, sie aber nicht dem Beschuldigten oder dritten Personen überlassen oder ihnen Einsicht gewähren. Er kann sie auch nicht einem Sachverständigen zur Erstattung eines Gutachtens überlassen. In diesen Fällen muss er Ablichtungen oder Abschriften aus den Akten anfertigen, die er dann weitergeben kann (KLEINKNECHT/MEYER-GOßNER, § 147 Rn. 31 m. w. N.).

3. Auszüge/Abschriften

Der Verteidiger darf sich Auszüge oder Ablichtungen

aus den Akten oder Abschriften von Aktenteilen fertigen (BGH NJW 1963, 1462; BURHOFF, EV, Rn. 37). Dabei kann er sich zur technischen Durchführung seines Büropersonals, nicht aber des Beschuldigten oder eines Dritten bedienen. Der Verteidiger hat keinen Anspruch darauf, dass das Gericht für ihn Ablichtungen fertigt (KK-LAUFHÜTTE, § 147 StPO Rn. 6; a. A. KREKELER wistra 1983, 47). In den Fällen, in denen die Aktenüberlassung in die Geschäftsräume oder die Wohnung abgelehnt worden ist, kann der Verteidiger jedoch beantragen, sich von der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht Ablichtungen gegen Erstattung der Auslagen fertigen zu lassen (KK-LAUFHÜTTE, m. w. N.). Im Einzelfall ist dem Verteidiger auch von Videoaufnahmen nach Übersendung einer Leerkassette eine Kopie zu fertigen (BayObLG NJW 1991, 1070; OLG Koblenz NStZ-RR 2000, 311).

Bei unter Geheimschutz stehenden Akten gilt: Das Gericht kann das Recht des Verteidigers, sich Ablichtungen oder Auszüge zu fertigen, beschränken oder ausschließen (BGH NJW 1963, 1462; 1977, 2086). Es darf dadurch jedoch nicht das Recht des Beschuldigten, über die sachliche Grundlage des gegen ihn erhobenen Vorwurfs unterrichtet zu werden, beeinträchtigt werden, so dass also solche Schriftstücke, die der Verteidiger im Wortlaut zu einer sachgerechten Verteidigung benötigt, ihm von Amts wegen in Ablichtung zur Verfügung zu stellen sind (KK-LAUFHÜTTE, § 147 StPO Rn. 7).

4. Unterrichtung des Beschuldigten

Der Beschuldigte hat zwar selbst kein Akteneinsichtsrecht (s. o. II. 2), er muss aber zu einer sachgerechten Verteidigung wissen, worauf sich der gegen ihn erhobene Vorwurf stützt. Deshalb ist der Verteidiger zur Weitergabe der durch die Akteneinsicht erlangten Kenntnisse an den Beschuldigten berechtigt und aus dem Mandatsverhältnis heraus auch verpflichtet (BGH NJW 1980, 64; KLEINKNECHT/MEYER-GOßNER, § 147 StPO Rn. 20 m. w. N.; zur Unterrichtung des Beschuldigten s. a. BURHOFF, EV, Rn. 94). In dem Umfang, in dem der Verteidiger dem Beschuldigten aus dem Akteninhalt Mitteilungen machen darf, ist er auch berechtigt, ihm Aktenabschriften und Auszüge sowie Ablichtungen, gegebenenfalls sogar die gesamte Akte, auszuhändigen (BGH, a. a. O.). Das gilt aber nur so lange, wie dadurch nicht eine Gefährdung des Untersuchungszwecks eintritt, so z. B. wenn der Beschuldigte aus einem Aktenauszug erfährt, dass eine Durchsuchung seiner Wohnung bevorsteht oder die Staatsanwaltschaft gegen ihn Haftbefehl beantragt (BGH, a. a. O.; vgl. auch KLEINKNECHT/MEYER-GOßNER, § 147 StPO Rn. 21 m. w. N. zur a. A. in der Literatur). Ein Informationsrecht besteht auch nicht in Angelegenheiten, die nicht mehr im Rahmen der Verteidigung liegen, z. B. wenn es sich um Einzelheiten handelt, die ausschließlich die Mitbeschuldigten betreffen.

V. Besonderheiten in den Verfahrensabschnitten

1. Ermittlungsverfahren

Im Ermittlungsverfahren kann dem Verteidiger bis zu dem Zeitpunkt, in dem gem. § 169a StPO der Abschluss der Ermittlungen in den Akten vermerkt ist - spätestens bis zur Erhebung der Anklage - die Akteneinsicht insgesamt oder in einzelne Teile versagt werden, wenn die Einsicht den Untersuchungszweck gefährden kann. Dafür werden dringende Gründe oder eine konkrete Gefahr nicht vorausgesetzt (a. A. BURKHARD wistra 1996, 173 m. w. N.). Es genügt aber auch nicht nur eine vage und entfernte Möglichkeit der Gefährdung. Die Gefährdung liegt z. B. dann vor, wenn zu befürchten ist, dass bei Gewährung der Akteneinsicht die Sachaufklärung beeinträchtigt würde, z. B. durch Verdunklungshandlungen des Beschuldigten, der von seinem Verteidiger - pflichtgemäß - über den Akteninhalt informiert wird (wegen weiterer Einzelheiten s. BURHOFF, EV, Rn. 53 m. zahlreichen w. N). Die Akteneinsicht kann immer versagt werden, wenn bestimmte Untersuchungshandlungen vorbereitet werden, die nur durch Überraschung erfolgreich sein können, wie z. B. eine Durchsuchung. Sind die Gründe für die Beschränkung des Akteneinsichtsrecht entfallen, muss die Beschränkung wieder aufgehoben werden (§ 147 Abs. 6 StPO), was spätestens mit dem Abschluss der Ermittlungen zu erfolgen hat. Davon ist dem Verteidiger Mitteilung zu machen. Einem Akteneinsichtsgesuch ist nunmehr nachzukommen.

2. Ausnahmen von § 147 Abs. 2 StPO

Auch beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 147 Abs. 2 StPO sind die in § 147 Abs. 3 StPO bezeichneten Schriftstücke von der Beschränkung des § 147 Abs. 2 StPO ausgenommen. Dabei handelt es sich um Niederschriften über die Vernehmungen des Beschuldigten (vgl. dazu BURHOFF, EV, Rn. 56), und zwar sowohl um polizeiliche, staatsanwaltschaftliche und gerichtliche Protokolle (auch für polizeiliche Vernehmungen, auf die bei richterlichen Vernehmungen Bezug genommen wird, s. OLG Hamm NStZ 1987, 572). Die Beschränkungen gelten weiter nicht für die Niederschriften über solche richterlichen Untersuchungshandlungen, bei denen dem Verteidiger die Anwesenheit gestattet worden ist oder hätte gestattet werden müssen, sowie für Gutachten von Sachverständigen, gleichgültig welchen Inhalts und aus welchem Verfahrensabschnitt (KK-LAUFHÜTTE, § 147 StPO Rn. 13). Damit unterfallen auch Bild-Ton-Aufzeichnungen, die im Ermittlungsverfahren gem. §§ 168e S. 4, 58a Abs. 2 StPO von der richterlichen Vernehmung eines Zeugen gemacht worden sind, als Ergänzungen der schriftlichen Vernehmungsprotokolle der in § 147 Abs. 3 StPO geregelten Ausnahme (s. dazu BURHOFF, EV, Rn. 56a, 930s). Sachverständigengutachten i. S. d. § 147 Abs. 3 StPO

sind aber nicht Übersetzungen von fremdsprachigen Urkunden, die aus den Gründen von § 147 Abs. 2 StPO nicht eingesehen werden dürfen (OLG Hamburg StV 1986, 422). Eine Ausnahme vom Verbot der Beschränkung gilt bei einer nach den §§ 31, 32 EGGVG angeordneten Kontaktsperre in Verfahren wegen Begehung terroristischer Straftaten.

Nach Anbringung des Abschlussvermerks besteht ein uneingeschränktes Akteneinsichtsrecht des Verteidigers, das nun auch nicht mehr beschränkt werden kann (BGH NStZ 1998, 97), auch nicht bei Wiederaufnahme der Ermittlungen (KLEINKNECHT/MEYER-GOßNER, § 147 StPO Rn. 27). Das Akteneinsichtsrecht darf auch dann nicht (mehr) beschränkt werden, wenn sich aus dem Akteninhalt Anhaltspunkte über den Beschuldigten betreffende Zwangsmaßnahmen ergeben sollten (OLG Hamburg NStZ 1992, 50 = StV 1991, 551).

3. Einstellung des Verfahrens

Nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens, muss dem Verteidiger in entsprechender Anwendung von § 147 StPO auf Antrag Akteneinsicht gewährt werden (KK-LAUFHÜTTE, § 147 StPO Rn. 15). Dafür braucht der Verteidiger ein besonderes Interesse nicht darzulegen; das ergibt sich ohne weiteres daraus, dass die Staatsanwaltschaft bei Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO die Ermittlungen jederzeit wieder aufnehmen kann. Für die Einsichtnahme kommt eine Auslagenpauschale gem. § 5 Abs. 3 JVKostO nicht in Betracht (LG Oldenburg NStZ 1992, 555).

Das Akteneinsichtsrecht nach Einstellung ist grundsätzlich unabhängig davon, nach welcher Vorschrift das Verfahren eingestellt worden ist. Der Einstellung nach § 170 StPO steht die nach den §§ 153, 153a StPO gleich, da auch hier die Ermittlungen unter bestimmten Voraussetzungen wieder aufgenommen werden können. Etwas anderes kann gegebenenfalls bei einer Einstellung nach § 153d StPO gelten, wenn die Einsicht gerade die dort genannten Interessen gefährdet (LR-LÜDERSSEN, § 147 Rn. 125).

4. Rechtskräftiger Verfahrensabschluss

Nach rechtkräftigem Abschluss des Verfahrens kann der Verteidiger ebenfalls in entsprechender Anwendung von § 147 StPO Akteneinsicht beantragen. Sie ist ihm zu gewähren, wenn er sie zur Vorbereitung von Prozesshandlungen, wie z. B. der Stellung eines Wiederaufnahmeantrags oder von Anträgen, die Strafe zur Bewährung auszusetzen, oder zur Stellung eines Gnadengesuchs benötigt (KK-LAUFHÜTTE, a. a. O., § 147 StPO Rn. 16). § 147 StPO gilt aber nicht, wenn der frühere Beschuldigte Akteneinsicht für Zwecke begehrt, die mit seiner Verteidigung in der Strafsache nicht mehr zusammenhängen (SCHÄFER MDR 1984, 454 gegen OLG Hamm NJW 1984, 880).

5. Untersuchungshaft und Akteneinsicht

Von besonderer Bedeutung ist das Akteneinsichtsrecht, wenn sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft befindet. Denn häufig kann er erst durch die beantragte Akteneinsicht dem dringenden Tatverdacht oder auch den Haftgründen entgegentreten. Deshalb muss der Verteidiger insbesondere in diesen Fällen versuchen, der Verweigerung der Akteneinsicht entgegenzutreten. In diesem Bereich sind noch viele Fragen ungeklärt (vgl. dazu auch WASCHILEWSKI StV 2001, 243; BOSCH StV 1999, 338) und manches ist in Bewegung. Der Verteidiger sollte sich aber auf jeden Fall auf die Lamy-Entscheidung des EuGH v. 30. 3. 1989 (StV 1993, 283 m. Anm. ZIEGER, 320 f.) berufen, aus der sich ein Anspruch des Verteidigers auf Einsicht in alle Akten, die dem Haftrichter vorliegen, und zwar ab dem Zeitpunkt des Antrags auf Haftprüfung bzw. der Beschwerde gegen den Haftbefehl, ergibt (ZIEGER a. a. O., S. 322).

Zu den Fragen hat inzwischen auch das BVerfG Stellung genommen (BVerfG NJW 1994, 573; s. a. BGH NJW 1996, 734). Es hat ausgeführt, dass Art. 103 Abs. 1 GG auch Geltung bei Entscheidungen über Anordnung und Fortdauer der Untersuchungshaft habe. Das bedeute, dass der Haftbefehl und die ihn bestätigenden gerichtlichen Entscheidungen im Haftprüfungs- und Haftbeschwerdeverfahren nur auf solche Tatsachen und Beweismittel gestützt werden dürfen, die dem Beschuldigten vorher bekannt waren und zu denen er sich äußern konnte. Dem trage das Gesetz durch die in den §§ 114 ff. StPO erfolgte nähere Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs im Haftprüfungsverfahren Rechnung. Wenn aber die Tatsachen und insbesondere das Beweismaterial, auf das das Gericht seine Haftentscheidung stütze, mündlich nicht (mehr) mitteilbar seien, müssten dem Beschuldigten deshalb weitere Informationsquellen etwa durch ein Akteneinsichtsrecht eröffnet werden. Zwar sei die Möglichkeit der Beschränkung des Akteneinsichtsrecht bis zum Abschluss der Ermittlungen in § 147 Abs. 2 StPO grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn der Beschuldigte aber inhaftiert sei, habe er u. U. ein nicht bis zum Abschluss der Ermittlungen aufschiebbares Interesse an Aktenkenntnis. In diesem Fall liege nämlich ein Eingriff in das Recht des Beschuldigten auf Freiheit der Person vor, dessen freiheitssichernde Funktion dem Informationsinteresse des Beschuldigten gegenüber den Erfordernissen des rechtsstaatlichen Auftrags zur Wahrheitsermittlung im Strafverfahren ein höheres Gewicht verleihe. Aus dem Recht des Beschuldigten auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren und seinem Anspruch auf rechtliches Gehör folge deshalb ein Anspruch des inhaftierten Beschuldigten auf Einsicht seines Verteidigers in die Akten, wenn und soweit er die sich darin befindenden Informationen benötigt, um auf die gerichtliche Haftentscheidung effektiv einwirken zu können und eine mündliche Mitteilung

der Tatsachen und Beweismittel, die das Gericht seiner Entscheidung zugrunde zu legen gedenke, nicht ausreichend sei. Dabei werde allerdings regelmäßig eine Teilakteneinsicht hinsichtlich der für die Haftentscheidung relevanten Tatsachen und Beweismittel genügen (ähnlich BGH NJW 1996, 734; a. A. u. a. ZIEGER StV 1993, 320). Das BVerfG (a. a. O.) hat weiter festgestellt, dass, wenn aus Gründen der Gefährdung der Ermittlungen aus der Sicht der Staatsanwaltschaft eine auch nur teilweise Einsicht in die Ermittlungsakte nicht möglich sei und sie diese deshalb gem. § 147 Abs. 2 StPO verweigere, das Gericht auf die Tatsachen und Beweismittel, die deshalb nicht zur Kenntnis des Beschuldigten gelangt seien, seine Entscheidung nicht stützen könne und deshalb ggf. den Haftbefehl aufheben müsse (vgl. dazu auch KG StV 1994, 319 m. Anm. SCHLOTHAUER, das ebenfalls der Auffassung ist, dass ein Haftbefehl aufzuheben sei, wenn die Staatsanwaltschaft darauf bestehen sollte, dass die Verdachtsgründe dem Beschuldigten im Interesse des Fortgangs der Ermittlungen noch nicht zur Kenntnis gelangen dürfen; vgl. auch KG StV 1993, 370 mit Anm. SCHMIDTBAUER). Nach Ansicht des BVerfG gilt dies allerdings nicht bei nicht vollzogenem Haftbefehl (BVerfG NStZ-RR 1998, 108; OLG Hamm NStZ-RR 1998, 19 [für einen auf Verdunkelungsgefahr gestützten Haftbefehl]; a. A. OLG Köln StV 1998, 269; WASCHILEWSKI StV 2001, 243).

VI. Beweismittel

Das Recht zur Einsicht in die Akten wird vom Recht zur Besichtigung der Beweismittel ergänzt. Die Beweismittel werden grundsätzlich ebenso wie Akten behandelt, einige Unterschiede bestehen aber.

1. Begriff des Beweismittels

Zu den Beweismitteln i. S. d. Vorschrift gehören alle Gegenstände, die nach §§ 94 ff. StPO beschlagnahmt oder sichergestellt sind, sowie die nach §§ 111b ff. StPO sichergestellten Gegenstände, soweit sie als Beweismittel in Betracht kommen, auch wenn sie nicht in dieser Eigenschaft sichergestellt worden sind (LR-LÜDERSSEN, § 147 Rn. 107 m. w. N.). Beweismittel sind auch Augenscheinsgegenstände, z. B. Videoaufzeichnungen (OLG Schleswig NJW 1980, 352) und Gegenstände, die Grundlage für einen Sachverständigenbeweis sein oder für Vorhalte bei Zeugen- oder Beschuldigtenvernehmungen verwendet werden können. Auch Urkunden und Urkundensammlungen gehören zu den Beweismitteln, wenn sie wegen ihrer Beschaffenheit entscheidungserheblich sein können (OLG Köln NJW 1985, 336 f.). Kommt es bei ihnen für das weitere Verfahren nur auf den in ihnen verkörperten Inhalt an, sind sie als Aktenbestandteile zu behandeln (LR-LÜDERSSEN a. a. O.). Akten anderer Behörden sind keine Beweismittel, sie zählen grundsätzlich zu den Verfahrensakten.

2. Besichtigung der Beweismittel

a) Umfang des Besichtigungsrechts

Im Gegensatz zur Akteneinsicht, die auch in den Geschäftsräumen des Verteidigers gewährt werden kann, u. U. sogar soll, erfolgt die Besichtigung der Beweisstücke an der Stelle, wo sie sich befinden, also etwa im Asservatenraum oder in den sonst zur Aufbewahrung bestimmten Räumlichkeiten, in denen sich die Beweismittel befinden oder in die sie gebracht werden.

Bei der Besichtigung darf der Verteidiger Aufzeichnungen und Lichtbilder machen oder Sachverständige hinzuziehen (KLEINKNECHT/MEYER-GOßNER, § 147 StPO Rn. 19). Die Besichtigung von Tonband-, Video- oder Filmaufnahmen erfolgt in der Weise, dass der Verteidiger sie sich - auch mehrmals - vorspielen lässt (LR-LÜDERSSEN, a. a. O., § 147 Rn. 112). Ist das zur Informationsvermittlung nicht ausreichend, hat er einen Anspruch auf Herstellung einer amtlich gefertigten Kopie des Video- oder Tonbandes oder des Films (LR-LÜDERSSEN, a. a. O.; KLEINKNECHT/MEYER-GOßNER, a. a. O.; LG Bonn StV 1995, 632 [für Tonaufnahmen]; vgl. auch BayObLG NStZ 1991, 190). Die Besichtigungsmöglichkeit muss dem Verteidiger rechtzeitig vor der Hauptverhandlung eingeräumt werden (KG StV 1989, 9) und ohne Rücksicht darauf, ob die Aufzeichnungen einem Verwertungsverbot unterliegen (KLEINKNECHT/MEYER-GOßNER, a. a. O.).

b) Mitgabeverbot

Nach § 147 Abs. 4 StPO dürfen die Beweismittel nicht zur Einsichtnahme in die Geschäftsräume oder die Wohnung des Verteidigers mitgegeben werden. § 147 Abs. 4 StPO enthält ein Mitgabeverbot, das es ausnahmslos verbietet, die Beweisstücke mitzugeben. Beweisstücke, die zu Aktenbestandteilen geworden sind, werden also aus den Akten entfernt, gegebenenfalls wird dem Verteidiger eine Fotokopie überlassen. Nach LR-LÜDERSSEN (§ 147 Rn. 115) gilt eine Ausnahme dann, wenn der Verteidiger einen Sachverständigen mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragen möchte und dieser das Gutachten nur erstatten kann, wenn ihm das Beweisstück überlassen wird (ähnlich KREKELER StraFo 1996, 7).

c) Urkunden als Beweismittel

Häufig, insbesondere in Wirtschaftsstrafverfahren, sind umfangreiche Geschäftsunterlagen beschlagnahmt worden. Der Inhalt solcher Urkunden lässt sich i. d. R. nicht allein durch Besichtigung in den Räumen der Staatsanwaltschaft aufnehmen, weshalb in der Literatur die Forderung erhoben worden ist, dem Verteidiger

diese Beweismittel zur Einsichtnahme in sein Büro zu überlassen (KREKELER wistra 1983, 47). Von dem Mitnahmeverbot des § 147 Abs. 4 StPO gibt es jedoch keine Ausnahme, so dass auch solche Beweismittel aus Gründen des Integritätsschutzes nicht herausgegeben werden dürfen. Mit LR-LÜDERSSEN (a. a. O., § 147 Rn. 117) wird man aber einen Anspruch des Verteidigers auf amtlich gefertigte Fotokopien bejahen müssen, da anderenfalls das Besichtigungsrecht des § 147 Abs. 1 StPO kaum sachgerecht ausgeübt werden kann. Die Kosten für die Kopien dürften, wenn das Besichtigungsrecht nur durch die Überlassung der Kopien gewährt werden kann, zunächst der Staatskasse zur Last fallen.

VII. Akteneinsicht von nicht am Verfahren Beteiligten

Das Gesetz regelt in § 147 StPO nur die Akteneinsicht des Beschuldigten. Als Vertreter anderer Verfahrensbeteiligter hat ein Rechtsanwalt einen Anspruch auf Einsichtnahme, und zwar als Prozessbevollmächtigter des Privatklägers (§ 385 Abs. 3 StPO), des Nebenklägers (§ 397 Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 385 Abs. 2 StPO), der Einziehungs- oder Verfallsbeteiligten (§§ 434 Abs. 1 S. 2, 442 Abs. 1 StPO) sowie der bußgeldbeteiligten juristischen Person oder einer Personenvereinigung (§ 444 Abs. 2 S. 2 StPO), sowie des Verletzten (§ 406e StPO; vgl. zur Anfechtung BGH NStZ 1993, 351).

Für sonstige Nichtverfahrensbeteiligte galten früher die Nrn. 182 ff. RiStBV. Inzwischen ist auch für diese das Akteneinsichtsrecht nicht mehr bloß durch Verwaltungsvorschriften geregelt (vgl. dazu u. a. OLG Hamm NStZ 1986, 236; OLG Koblenz NJW 1986, 3093 und BVerfG NStZ 1987, 286), sondern in den §§ 474 ff. StPO. Danach erhalten Gerichte, Staatsanwaltschaften und andere Justizbehörden Akteneinsicht, wenn dies für Zwecke der Rechtspflege erforderlich ist (§ 474 Abs. 1 StPO). Andere öffentliche Stellen erhalten unter den Voraussetzungen des § 474 Abs. 2 StPO Auskunft, z. B. zur Feststellung, Durchsetzung oder zur Abwehr von Rechtsansprüchen im Zusammenhang mit der Straftat. Für eine Privatperson - abgesehen von den Verletzten - erhält ein Rechtsanwalt Auskunft, wenn er hierfür ein berechtigtes Interesse darlegt (§ 475 StPO; vgl. dazu OLG Stuttgart NStZ-RR 2000, 349; wegen der Einzelheiten KLEINKNECHT/MEYER-GOßNER, § 475 StPO Rn. 2). Für wissenschaftliche Zwecke gilt die Regelung in § 476 StPO.

Die Ablehnung der Akteneinsicht erfordert nach Nr. 188 Abs. 1 RiStBV einen mit kurzer Begründung versehenen Bescheid (zur Anfechtbarkeit der Ablehnungsentscheidung s. u. VIII. 2).

VIII. Verfahren

1. Zuständigkeit zur Gewährung von Akteneinsicht

Die Frage der Zuständigkeit ist in § 147 Abs. 5 StPO geregelt, und zwar gilt je nach dem Verfahrensabschnitt:

Im vorbereitenden Verfahren und im Ermittlungsverfahren entscheidet die Staatsanwaltschaft über die Akteneinsicht (s. auch Nr. 183 Buchst. a RiStBV). Die Polizeibehörde darf keine Akteneinsicht gewähren, auch nicht in Unfall- und Tatortskizzen. Die Staatsanwaltschaft ist auch dann für die Entscheidung zuständig, wenn die Akten nicht ihr, sondern dem Gericht zur Vornahme einer richterlichen Handlung oder für eine Entscheidung vorliegen (OLG Hamm NStZ 1982, 348; OLG Saarbrücken StV 1991, 265 m. w. N.).

Vom Eingang der Anklage bei Gericht an bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens ist der Vorsitzende des jeweils mit der Sache befassten Gerichts zuständig. Das gilt auch für die Hauptverhandlung, da § 238 Abs. 2 StPO nicht gilt.

Ist das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen, ist nach § 147 Abs. 5 S. 1 StPO wieder die Staatsanwaltschaft zuständig (anders noch Nr. 183 Buchst. c RiStBV).

2. Anfechtung von Entscheidungen

a) Entscheidungen der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren

Im Ermittlungsverfahren getroffene Entscheidungen der Staatsanwaltschaft über die Akteneinsicht durch Verfahrensbeteiligte, sind nach der Neuregelung in § 147 Abs. 5 S. 2 StPO anfechtbar, wenn die Versagung erfolgt, nachdem bereits der Abschluss der Ermittlungen (§ 169a StPO) in den Akten vermerkt worden ist, wenn die Versagung die in § 147 Abs. 3 StPO bezeichneten Unterlagen betrifft (vgl. dazu oben V. 2) oder wenn der Beschuldigte sich nicht auf freiem Fuß befindet. In diesen Fällen kann Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 161a Abs. 3 S. 2-4 StPO gestellt werden. In den übrigen Fällen ist ein Rechtsmittel nicht gegeben, zulässig ist lediglich eine Dienstaufsichtsbeschwerde, nicht aber der Antrag nach § 23 EGGVG (vgl. u. a. OLG Hamm NStZ 1984, 280; OLG Hamburg StV 1986, 422; KLEINKNECHT/MEYER-GOßNER, § 147 StPO Rn. 40 m. w. N.). Auch der Antrag nach § 23 EGGVG ist nicht (mehr) zulässig. Aus der Regelung in § 147 Abs. 5 S. 2 StPO ist zu entnehmen, dass ein Rechtsbehelf nur in den dort genannten Fällen zulässig sein soll (KLEINKNECHT/MEYER-GOßNER, a. a. O.). Der insoweit früher bestehende Streit hat sich also erledigt. Wird allerdings die Einsicht in die den Ermittlungsakten beigefügten Spurenakten (vgl. oben III. 2a) abgelehnt, ist dagegen der Rechtsweg nach § 23 EGGVG (noch) gegeben (KLEINKNECHT/MEYER-GOßNER, a. a. O.; s. dazu BVerfG NJW 1983, 1043; OLG Hamm NStZ 1984, 423).

b) Richterliche Entscheidungen

Richterliche Entscheidungen können mit der Beschwerde angefochten werden. Das gilt auch für Entscheidungen des erkennenden Gerichts, § 305 S. 1 StPO steht dem nicht entgegen (str. OLG Brandenburg NJW 1996, 67 m. w. N.; OLG Frankfurt NStZ 1996, 238). Nichtverfahrensbeteiligte haben das Beschwerderecht des § 304 Abs. 2 StPO, nicht das Antragsrecht nach § 23 EGGVG (vgl. u. a. OLG Köln NJW 1985, 336). Nach § 147 Abs. 4 S. 2 StPO besteht folgende Ausnahme: Die Entscheidung über die Mitgabe von Akten zur Einsichtnahme oder deren Verweigerung kann nicht angefochten werden. Das gilt auch für eine Entscheidung, die die Modalitäten der Mitnahme regelt, z. B. Abholung auf der Geschäftsstelle (OLG Hamm, Beschl. v. 11. 3. 1993 - 3 Ws 123/93). Die richterliche Entscheidung über die Akteneinsicht des Verletzten nach § 406e StPO ist für den Beschuldigten jedoch anfechtbar (BGH NStZ 1993, 351 m. w. N.).

c) Entscheidungen nach rechtskräftigem Abschluss

Die Entscheidungen der Staatsanwaltschaft sind nach Maßgabe des § 147 Abs. 5 S. 2 StPO anfechtbar (s. oben 2 a).

d) Entscheidungen zur Akteneinsicht Dritter

Für die Rechtsmittel betreffend Entscheidungen zur Akteneinsicht Dritter gilt § 478 Abs. 3 StPO. Die Entscheidungen der Staatsanwaltschaft können angefochten werden, die des Vorsitzenden sind unanfechtbar (wegen der Einzelheiten s. KLEINKNECHT/MEYER-GOßNER, § 478 Rn. 3).

IX. Revision

Entscheidungen des Vorsitzenden nach § 147 StPO, die vor der Hauptverhandlung ergehen, können unter den Voraussetzungen des § 336 S. 1 StPO mit der Revision anfechtbar sein (KK-LAUFHÜTTE, § 147 StPO Rn. 22). Im übrigen gilt: Grundsätzlich kann auf die Verweigerung der Akteneinsicht die Revision nicht gestützt werden (OLG Hamm NJW 1972, 1096), auch nicht wegen der Art der Ausgestaltung (BGH NStZ 2000, 46). Nur wenn in der Hauptverhandlung deswegen ein Antrag auf Unterbrechung oder Aussetzung gestellt und durch Gerichtsbeschluss abgelehnt worden ist, kann der Revisionsgrund des § 338 Nr. 8 StPO - Beschränkung der Verteidigung - geltend gemacht werden (BGH NStZ 1985, 87; KG StV 1982, 10; BGH StV 1988, 193 [auch ohne den Antrag]; so auch KK-LAUFHÜTTE, a. a. O.; zum notwendigen Revisionsvorbringen s. a. BayObLG NJW 1992, 2242).

X. Anträge zur Akteneinsicht

1. Antrag im Ermittlungsverfahren

Im Ermittlungsverfahren dürfte sich folgender Antrag auf Akteneinsicht empfehlen (nach BURHOFF, EV, Rn. 36):

An die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Musterstadt
In dem Ermittlungsverfahren
gegen H. Muster
Az.: . . .
wegen des Verdachts der Hehlerei u. a.

wird unter Hinweis auf die Vollmacht

Akteneinsicht

in die Verfahrensakten, sämtliche Beiakten, Beweismittelordner und sonstigen Beweisstücke beantragt. Sollten die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen und zur Zeit wegen Gefährdung des Ermittlungszwecks gem. § 147 Abs. 2 StPO Akteneinsicht nicht gewährt werden, wird beantragt, unter Hinweis auf § 147 Abs. 3 StPO auf jeden Fall das Protokoll der Beschuldigtenvernehmung, die Protokolle über solche richterlichen Untersuchungshandlungen, bei denen ich als Verteidiger anwesend war bzw. mir die Anwesenheit hätte gestattet werden müssen sowie Sachverständigengutachten zur Verfügung zu stellen. Ich bitte auch um kurze - gegebenenfalls telefonische - Mitteilung der Tatsachen, aus denen sich die Gefährdung des Ermittlungszwecks ergeben soll.

Für den Fall, dass der Verletzte Akteneinsicht gem. § 406e Abs. 1 StPO beantragt, bitte ich, mir vor Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Das Stellungnahmerecht des Beschuldigten ergibt sich aus Art. 19 Abs. 4 GG und aus dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs (s. SCHLOTHAUER StV 1987, 356 ff.).

Rechtsanwalt

2. Antrag in der Hauptverhandlung wegen nicht rechtzeitig gewährter Akteneinsicht

An das
Amtsgericht/Landgericht Musterstadt
In der Strafsache
gegen H. Muster
Az.: . . .
wird namens und in Vollmacht des Angeklagten beantragt,
die Hauptverhandlung wegen fehlender Akteneinsicht auszusetzen.

Ich habe mich mit Schriftsatz vom . . . zum Verteidiger des Angeklagten bestellt und um Akteneinsicht gebeten. Diese ist bisher nicht gewährt worden. Damit war eine ordnungsgemäße Vorbereitung des Termins, zu dem auch eine Erörterung des Akteninhalts mit meinem Mandanten gehört, nicht möglich. Deshalb muss die heutige Hauptverhandlung ausgesetzt werden. Sollte sie dennoch stattfinden, läge darin eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung nach § 338 Nr. 8 StPO.

Rechtsanwalt


[*] Die HRR-Strafrecht bedankt sich bei Herrn RiOLG Burhoff (Autor der beiden bekannten Praxishandbücher zum Ermittlungsverfahren / zum Hauptverfahren) und der Redaktion der ZAP für die Zustimmung zur Übernahme dieses Aufsatzes aus dem Heft 2/2002; Fach 22, S. 345 ff. Für die jüngsten höchstrichterlichen Entwicklungen zum Akteneinsichtsrechts vergleichen sie unsere Datenbank, etwa die EGMR-Urteile Öcalan vs. Türkei und Dowsett vs Großbritannien (in diesem Heft). Versäumen Sie es auch nicht, die inhaltreiche strafrechtliche Homepage von Herrn Burhoff zu besuchen: www.burhoff.de, die ihnen insbesondere die Rechtsprechung des OLG Hamm bietet.