HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juli 2001
2. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH

I. Materielles Strafrecht

1. Schwerpunkt Allgemeiner Teil des StGB


Entscheidung

BGH 1 StR 130/01 - Beschluß v. 25. April 2001 (LG Nürnberg-Fürth)

Körperverletzung durch Unterlassen; Obhutsverhältnis; Garantenstellung (tatsächliche Übernahme der Gewähr für das Rechtsgut Gesundheit durch Rettungssanitäter); Quasi-Kausalität; Vermeidbarkeit; Pflichtwidrigkeitszusammenhang

§ 223 StGB; § 13 StGB

1. Nehmen Rettungssanitäter ihre Aufgabe wahr, entsteht ein Obhutsverhältnis gegenüber dem Betroffenen, das wesentlich von der Pflicht bestimmt ist, diesen vor weiteren gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu bewahren. (Garantenstellung durch die tatsächliche Übernahme der Gewähr für das Rechtsgut Gesundheit).

2. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann eine pflichtwidrige Unterlassung dem Angeklagten grundsätzlich nur dann angelastet werden, wenn der strafrechtlich relevante Erfolg bei pflichtgemäßem Handeln mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert worden wäre (BGH NJW 2000, 2754, 2757 m.w.Nachw.).


Entscheidung

BGH 3 StR 7/01 - Urteil v. 25. April 2001 (LG Düsseldorf)

Garantenstellung des Wohnungsinhabers; Besondere Umstände (Wohnung als Gefängnis; Psychische Machtstellung)

§ 13 StGB

Der Inhaber einer Wohnung oder sonstiger Räume hat nur dann für in diesen Räumen begangene Rechtsgutsverletzungen strafrechtlich einzustehen, wenn besondere Umstände hinzutreten, die eine Rechtspflicht zum Handeln begründen.


Entscheidung

BGH 1 StR 137/01 - Beschluß v. 8. Mai 2001 (LG München II)

Sachrüge; Lückenhafte Beweiswürdigung; Tötungsvorsatz ("Stromschlagfall"); Unmittelbares Ansetzen zum Versuch bei notwendiger, nicht ungewisser Mitwirkung des Opfers; Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit bei nachgewiesenem Hirnprozeß; Aufklärungsrüge; Ermittlungsgrundsatz; Steuerungsfähigkeit; Schuldfähigkeit; Versuch einer gefährlichen und schweren Körperverletzung; Hemmschwelle

§ 261 StPO; § 22 StGB; § 212 StGB; § 15 StGB; § 244 Abs. 2 StPO; § 20 StGB; § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB; § 226 StGB

1. Ein nachgewiesener Hirnprozeß (Eingriff) legt stets das Vorliegen schuldfähigkeitsmindernder Voraussetzungen nahe. Er kann auch für die Abgrenzung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit Bedeutung erlangen.

2. Hat der Täters aus seiner Sicht alles für das Gelingen seines Tatplanes Erforderliche getan, ist auch dann, wenn für die Herbeiführung eines deliktischen Erfolges noch die unbewußte Mitwirkung des Opfers erforderlich ist, ein unmittelbares Ansetzen gegeben, soweit bei ungestörtem Fortgang der Dinge alsbald und innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes die Herbeiführung des Erfolges wahrscheinlich war und nahelag (und damit nicht ungewiß war vgl. BGHSt 43, 177 = NStZ 1998, 241 - Giftfalle und BGH NStZ 1998, 294, 295 - Sprengfalle).

3. Vor allem wegen der höheren Hemmschwelle gegenüber der Tötung eines Menschen ist die offen zutage tretende Lebensgefährlichkeit bestimmter Handlungen ein zwar gewichtiges Indiz, nicht aber ein zwingender Beweisgrund für die Billigung eines Todeserfolges durch den Täter ist (sog. voluntatives Element des Vorsatzes). Der Schluß auf den bedingten Tötungsvorsatz ist deshalb nur dann tragfähig, wenn der Tatrichter in seine Erwägungen auch alle diejenigen Umstände einbezogen hat, die eine derartige Folgerung in Frage stellen können. Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, daß er eine solche Prüfung vorgenommen hat.

4. Bei der Würdigung sind alle dafür maßgeblichen Umstände zu berücksichtigen, namentlich das Ziel und der Beweggrund für die Tat, die Art der Ausführung, die von der Tat ausgehende Gefährlichkeit, der Kenntnisstand des Täters, aber auch seine psychische Verfassung. Bei der Abgrenzung ist weiter zu bedenken, daß der Täter einen Tötungserfolg zwar als möglich vorausgesehen, aber ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut haben kann, er werde dennoch nicht eintreten; dann würde er in bezug auf den Tötungserfolg nur fahrlässig handeln. Hingegen kann eine billigende Inkaufnahme des Erfolges und damit bedingter Tötungsvorsatz vorliegen, wenn ihm der Erfolgseintritt an sich unerwünscht ist, er sich aber wegen eines angestrebten anderen Zieles damit abfindet.


Entscheidung

BGH 3 StR 52/01 - Beschluß v. 10. Mai 2001 (LG Hildesheim)

Konkurrenzen (Individuelle Beurteilung von Tatmehrheit und Tateinheit); Handlung; Mittäter, Mittelbare Täterschaft; Anstiftung; Beihilfe

§ 52 StGB; § 53 StGB

1. Sind an einer Deliktsserie mehrere Personen als Mittäter, mittelbare Täter, Anstifter oder Gehilfen beteiligt, ist die Frage, ob die mehreren Straftaten tateinheitlich oder tatmehrheitlich zusammentreffen, nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für jeden der Beteiligten gesondert zu prüfen und zu entscheiden. Maßgeblich ist dabei der Umfang des Tatbeitrages jedes Tatbeteiligten.

2. Hat daher ein Mittäter, der sich an der unmittelbaren Ausführung der Taten nicht mehr beteiligt, einen alle Einzeldelikte fördernden Tatbeitrag bereits im Vorfeld erbracht, so werden ihm die jeweiligen Taten des oder der anderen Mittäter als tateinheitlich begangen zugerechnet, da sie in seiner Person durch den einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verknüpft werden. Ob der oder die Mittäter die ihnen zurechenbaren Taten gegebenenfalls tatmehrheitlich begingen, ist demgegenüber ohne Belang (s. etwa BGH NStZ 1996, 296 f.; BGHR StGB § 52 Handlung, dieselbe 29).

3. Gleiches gilt im Falle der mittelbaren Täterschaft. Bewirkt der mittelbare Täter durch lediglich eine Einflußnahme auf den oder die Tatmittler, daß diese mehrere für sich genommen selbständige Taten begehen, werden diese in der Person des mittelbaren Täters zur Tateinheit verbunden, da sie letztlich allein auf dessen einmaliger Einwirkung auf den oder die Tatmittler beruhen (s. etwa BGHSt 40, 218, 238).

2. Schwerpunkt Besonderer Teil des StGB


Entscheidung

BGH GSSt 1/00 - Beschluß v. 22. März 2001 (LG Münster)

BGHSt; Begriff der Bande; Bandendiebstahl; Bandenwille; Bandeninteresse; Mitwirkung eines Bandenmitgliedes; Grundsätzliche Bedeutung; Entscheidungserheblichkeit; Gruppendynamischer Prozeß; Bandenraub; Bandenmäßiger Schmuggel; Rechtssicherheit; Gemischte Zweierbande; Rechtsgut Gewahrsam; Aktionsgefahr; Effizienzgefahr; Organisationsgefahr; Wegnahme; Täterschaft und Teilnahme

§ 242 StGB; § 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB; § 132 Abs. 4 GVG; § 260 Abs. 1 Nr. 2 StGB; § 260 a Abs. 1 StGB; § 244 a Abs. 1 StGB, § 30 a Abs. 1 BtMG; § 243 Abs. 1 StGB; § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB; § 373 Abs. 2 Nr. 3 AO

1. Der Begriff der Bande setzt den Zusammenschluß von mindestens drei Personen voraus, die sich mit dem Willen verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbständige, im einzelnen noch ungewisse Straftaten des im Gesetz genannten Deliktstyps zu begehen. Ein "gefestigter Bandenwille" oder ein "Tätigwerden in einem übergeordneten Bandeninteresse" ist nicht erforderlich. (BGHSt)

2. Der Tatbestand des Bandendiebstahls setzt nicht voraus, daß wenigstens zwei Bandenmitglieder örtlich und zeitlich den Diebstahl zusammen begehen. Es reicht aus, wenn ein Bandenmitglied als Täter und ein anderes Bandenmitglied beim Diebstahl in irgendeiner Weise zusammenwirken. Die Wegnahmehandlung selbst kann auch durch einen bandenfremden Täter ausgeführt werden. (BGHSt)

3. Die Bande unterscheidet sich von der Mittäterschaft durch das Element der auf eine gewisse Dauer angelegten Verbindung mehrerer Personen zu zukünftiger gemeinsamer Deliktsbegehung. Von der kriminellen Vereinigung unterscheidet sich die Bande dadurch, daß sie keine Organisationsstruktur aufweisen muß und für sie kein verbindlicher Gesamtwille ihrer Mitglieder erforderlich ist, diese vielmehr in einer Bande ihre eigenen Interessen an einer risikolosen und effektiven Tatausführung und Beute- oder Gewinnerzielung verfolgen können. (Bearbeiter)

4. Die besondere Gefährlichkeit des Bandendiebstahls und damit der Grund für seine höhere Strafwürdigkeit liegt zum einen in der abstrakten Gefährlichkeit der auf eine gewisse Dauer angelegten allgemeinen Verbrechensverabredung, der Bandenabrede, zum anderen aber auch in der konkreten Gefährlichkeit der bandenmäßigen Tatbegehung für das geschützte Rechtsgut. (Bearbeiter)

5. Der Tatbestand des § 242 StGB schützt die Rechtsgüter des Eigentums und des Gewahrsams an einer Sache. Die Vorschrift des § 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB setzt voraus, daß durch die bandenmäßige Tatbegehung des Diebstahls diese Rechtsgüter einer erhöhten Gefährdung ausgesetzt werden. Eine so verstandene Aktions- und Ausführungsgefahr beim Bandendiebstahl kann nicht nur durch gemeinschaftliches Handeln am Ort der Wegnahme, sondern ebenso durch jedes arbeitsteilige Zusammenwirken wenigstens zweier Bandenmitglieder bei der Planung und Vorbereitung der Tat oder bei tatbegleitenden Maßnahmen gesteigert werden. (Bearbeiter)

6. Das Merkmal der Mitwirkung beim Bandendiebstahl setzt nicht voraus, daß jedes der zusammenwirkenden Bandenmitglieder Täter ist. Es genügt für den Tatbestand auch, wenn ein Bandenmitglied mit einem anderen Bandenmitglied in irgendeiner Weise, etwa als Gehilfe, zusammenwirkt. (Bearbeiter)

7. Der Umstand, daß ein unmittelbar die Wegnahme ausführender Dritter nicht Mitglied der Bande ist, steht nur dessen Verurteilung als Täter eines Bandendiebstahls entgegen, nicht aber der Annahme eines Bandendiebstahls. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 3 StR 96/01 - Beschluß v. 10. Mai 2001 (LG Hannover)

Besonders schwerer Fall der Untreue (des Betruges); Herbeiführen eines Vermögensverlustes großen Ausmaßes (Im Fall bei 50.110 DM); Widerlegung der Indizwirkung eines Regelbeispiels

§ 266 Abs. 2 StGB; § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StGB

1. Welchen Wert man für den Vermögensverlust großen Ausmaßes auch annehmen würde, er wäre aufgrund der Regelbeispielstechnik insoweit kein absoluter Wert, als der Tatrichter - wie auch bei den anderen Regelbeispielen - in einer Gesamtbetrachtung feststellen muß, ob tat- oder täterbezogene Umstände vorliegen, die die Indizwirkung des Regelbeispiels aufheben und trotz Verwirklichung des Regelbeispiels zu Verneinung eines besonders schweren Falls führen können.

2. Zur streitigen Frage, ab welchem Wert die indizierende Wirkung des Regelbeispieltatbestandes bei der Herbeiführung eines Vermögensverlustes großen Ausmaßes einsetzt.


Entscheidung

BGH 2 StR 88/01 - Urteil v. 25. Mai 2001 (LG Limburg a. d. Lahn)

Notar; Falschbeurkundung im Amt; Deutsche Sprache; Rechtlich erhebliche Tatsache; Öffentliche Urkunde; Testierfähigkeit; Geschäftsfähigkeit; Sprachkundigkeit; Sprachunkundigkeit

§ 348 StGB; § 415 ZPO; § 418 ZPO; § 16 BeurkG

1. Ein Notar macht sich nicht der Falschbeurkundung im Amt schuldig, wenn er falsch beurkundet, daß ein Erschienener der deutschen Sprache hinreichend mächtig ist. (BGHSt)

2. Nicht jede falsche Angabe in einer öffentlichen Urkunde ist Gegenstand einer Straftat nach § 348 StGB. Falsch beurkundet im Sinne dieser Vorschrift sind nur diejenigen rechtlich erheblichen Erklärungen, Verhandlungen oder Tatsachen, auf die sich der öffentliche Glaube der Urkunde, das heißt die "volle Beweiswirkung für und gegen jedermann", erstreckt (vgl. BGH wistra 2000, 266; BGHSt 44, 186, 187). (Bearbeiter)

3. Welche Angaben im einzelnen diese Voraussetzung erfüllen, ergibt sich in erster Linie aus den gesetzlichen Bestimmungen, die für Errichtung und Zweck der öffentlichen Urkunde maßgeblich sind. Dabei sind auch die Anschauungen des Rechtsverkehrs zu beachten. Die Beurkundung einer Tatsache, die weder nach dem Gesetz noch nach einer anderen Vorschrift (zwingend) angegeben zu werden braucht und deren unwahre Kundgabe die Wirksamkeit der Beurkundung nicht berührt, kann grundsätzlich nicht als Beurkundung einer rechtlich erheblichen Tatsache angesehen werden (vgl. auch BGHSt 22, 32, 35). (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 2 StR 128/01 - Beschluß v. 2. Mai 2001 (LG Erfurt)

Vermögensnachteil bei der Erpressung (Vermögensbegriff bei nichtigen, "bemakelten" Forderungen); Nötigung

§ 253 Abs. 1 StGB; § 240 StGB

Ein Teilnehmer an einer Straftat erwirbt gegen seine Tatgenossen keinen vermögenswerten, rechtlich geschützten Anspruch, der deshalb auch nicht dem Vermögensbegriff des § 253 StGB unterfallen kann.


Entscheidung

BGH 2 StR 149/01 - Beschluß v. 2. Mai 2001 (LG Marburg)

Urkundenfälschung durch Gebrauchen einer unechten Urkunde; Abgrenzung zur mittelbaren Falschbeurkundung bei Beglaubigungen von Kopien

§ 267 Abs.1; § 271 StGB

1. Mittelbare Falschbeurkundung kommt in Betracht, wenn der Täter bewirkt, daß eine Kopie oder Abschrift beglaubigt wird, die in Wirklichkeit nicht mit dem Original übereinstimmt, also inhaltlich falsch ist.

2. Davon zu unterscheiden ist ein Sachverhalt, bei dem nicht der Beglaubigungsvermerk falsch war, sondern das Originalschriftstück gefälscht war, dessen Kopie beglaubigt wurde. Hier liegt keine mittelbare Falschbeurkundung vor.


Entscheidung

BGH 3 StR 72/01 - Beschluß v. 29. März 2001 (LG Oldenburg)

Feststellungsvoraussetzungen beim Bandendiebstahl; Überzeugungsbildung

§ 261 StPO; § 244 StGB

Der Begriff der Bande setzt den Zusammenschluß von mindestens drei Personen voraus. Die drei Personen müssen sich mit dem Willen verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbständige, im einzelnen noch ungewisse Diebstahlstaten zu begehen. Ein "gefestigter Bandenwille" oder ein "Tätigwerden in einem übergeordneten Bandeninteresse" ist nicht erforderlich.