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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 862

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 54/22, Beschluss v. 29.07.2022, HRRS 2022 Nr. 862


BVerfG 2 BvR 54/22 (2. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 29. Juli 2022 (LG Zwickau)

Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen erkennungsdienstliche Maßnahmen (Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung; umfassender Schutz auch offenkundiger Daten; Einschränkung des Grundrechts zum Schutz des öffentlichen Interesses; gesetzliche Begrenzung der Informationserhebung und -verwendung; strikte Zweckbindung; Anfangsverdacht als Voraussetzung einer erkennungsdienstlichen Behandlung; konkrete Notwendigkeit für den Zweck des Strafverfahrens; Grundsatz der Verhältnismäßigkeit); Ermittlungsverfahren wegen Sachbeschädigung (Graffiti; Geeignetheit der Maßnahme; unzulässige Abnahme von Fingerabdrücken bei fehlenden daktyloskopischen Spuren; keine Notwendigkeit von Fotoaufnahmen bei Identifizierung anhand vorhandenen Bildmaterials; Differenzierung zwischen Zwecken des Erkennungsdienstes und des Strafverfahrens).

Art. 1. Abs. 1 GG; Art. 2 Abs. 1 GG; § 81b Alt. 1 StPO; § 81b Alt. 2 StPO; § 152 Abs. 2 StPO; § 244 Abs. 2 StPO; § 303 Abs. 2 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die umfassende erkennungsdienstliche Behandlung eines Beschuldigten, dem eine Sachbeschädigung durch Graffiti vorgeworfen wird und der von Polizeibeamten auf Fotoaufnahmen eines Tatzeugen wiedererkannt wurde, verletzt diesen in seinem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, soweit die Maßnahme - wie bei der Abnahme eines Zehnfinger- und Handflächenabdrucks - im Einzelfall für die Strafverfolgung bereits nicht geeignet ist, weil am Tatort keine daktyloskopischen Spuren sichergestellt wurden. Gleiches gilt, soweit eine konkrete Notwendigkeit der Datenerhebung - wie betreffend die Anfertigung eines Fünfseitenbildes und eines Ganzkörperbildes - nicht erkennbar ist, weil eine Identifizierung des Beschuldigten bereits anhand des vorhandenen Bildmaterials möglich erscheint.

2. Dass eine erkennungsdienstliche Maßnahme möglicherweise zur Erforschung und Aufklärung zukünftiger Straftaten (§ 81b Alt. 2 StPO) zulässig ist, rechtfertigt nicht zugleich ihre Durchführung für ein konkretes Strafverfahren (§ 81b Alt. 1 StPO). Anderenfalls würde die durch den Gesetzgeber vorgegebene Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Verwendungszwecken in unzulässiger Weise konterkariert.

3. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Es gewährt seinen Trägern Schutz gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung oder Weitergabe der auf sie bezogenen, individualisierten oder individualisierbaren Daten. Umfasst sind alle Informationen, die über die Bezugsperson etwas aussagen können, auch wenn sie offenkundig oder allgemein zugänglich sind.

4. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung darf nur im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden. Die Einschränkung darf nicht weitergehen, als es zum Schutz des öffentlichen Interesses unerlässlich ist. Der Gesetzgeber hat den Zweck einer Informationserhebung bereichsspezifisch und präzise zu bestimmen und die Informationserhebung und -verwendung auf das zu diesem Zweck Erforderliche zu begrenzen.

5. § 81b Alt. 1 StPO trägt dem Schrankenvorbehalt für Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ausreichend Rechnung. Die Vorschrift setzt voraus, dass gegen den Betroffenen der Anfangsverdacht einer Straftat besteht. Die einzelne Maßnahme muss zudem für den Zweck des Strafverfahrens konkret notwendig sein. Die Notwendigkeit orientiert sich an der Sachaufklärungspflicht der Gerichte und stellt zugleich eine Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsprinzips dar.

Entscheidungstenor

Der Beschluss des Landgerichts Zwickau vom 6. Dezember 2021 - 1 Qs 204/21 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit er die Anfertigung eines Zehnfinger- und Handflächenabdrucks und eines Fünfseiten- und Ganzkörperbildes betrifft. Er wird insoweit aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Zwickau zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Der Freistaat Sachsen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 10.000 Euro (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.

Gründe

A.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen einen Beschluss des Landgerichts Zwickau, mit welchem dieses seine Beschwerde gegen die gerichtliche Bestätigung einer Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen nach § 81b Alt. 1 StPO als unbegründet verwarf. Er rügt die Verletzung seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1. Abs. 1 GG.

I.

1. Am 1. Juni 2021 brachte ein zunächst unbekannter Täter an einem Gasverteilergebäude in Zwickau zwei großflächige, mit silberner Sprühfarbe ausgeführte Übermalungen der dort bereits in weißer und schwarzer Farbe angebrachten Schriftzüge „Toni F. Du Jude“ und „Antifa Boxen“ an. Unter diesen Schriftzügen befanden sich wiederum weitere Farbauftragungen. Der Täter wurde dabei von einem Zeugen angesprochen, gefilmt und fotografiert. Der Zeuge gab bei seiner späteren Vernehmung an, er sei in der Lage, die Person wiederzuerkennen. Die Eigentümerin des betroffenen Gebäudes stellte mit Schreiben vom 5. Juli 2021 Strafantrag und bezifferte die Beseitigungskosten auf 500 bis 800 Euro, sollte der Graffitischutz erneuert werden müssen, auf 2.500 bis 3.000 Euro. Ausgehend von einem anonymen Hinweis erkannten zwei Polizeibeamte den Beschwerdeführer auf den vom Zeugen gefertigten Lichtbildern wieder. Gegen den Beschwerdeführer wurde daraufhin ein Ermittlungsverfahren wegen Sachbeschädigung eingeleitet.

2. Am 8. Juli 2021 ordnete die Polizei Zwickau die erkennungsdienstliche Behandlung des Beschwerdeführers gemäß § 81b Alt. 1 und 2 StPO an. Die Anordnung lautete auszugsweise:

Es wird angeordnet, Sie

1. gemäß § 81b Alternative 1 Strafprozessordnung (StPO) für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens

und

2. gemäß § 81b Alternative 2 für die Zwecke des Erkennungsdienstes

erkennungsdienstlich zu behandeln und hierzu von Ihnen

Fünfseitenbild; Ganzkörperbild; Personenbeschreibung; Spezialbild; Zehnfinger- und Handflächenabdruck anzufertigen.

Zur Begründung führte die Anordnung unter Bezugnahme auf § 81b Alt. 1 StPO aus, dass gegen den Beschwerdeführer am 1. Juni 2021 ein Ermittlungsverfahren wegen Sachbeschädigung eingeleitet worden sei. Ihm werde zur Last gelegt, ein Gasverteilerhäuschen beschmiert zu haben. Damit sei er einer Tat nach § 303 Abs. 2 StGB verdächtig. Eine erkennungsdienstliche Behandlung sei notwendig, weil die „aufgeführten Maßnahmen“ zur Sachverhaltsaufklärung erforderlich seien. Der Beschwerdeführer sei von einem Zeugen gesehen, gefilmt und auf diesen Bildern von mehreren Polizeibeamten erkannt worden. Um den Beschwerdeführer der Tat beweiskräftig vor Gericht zu überführen, müsse dem Zeugen eine Wahllichtbildvorlage vorgelegt werden. Dies diene dazu, den Beschwerdeführer zu identifizieren oder ihn vom Tatvorwurf zu entlasten. Die Wiedererkennung durch Polizeibeamte allein sei bei fehlendem Geständnis, Inanspruchnahme des ihm zustehenden Aussageverweigerungsrechts oder dem Abstreiten der Tat vor Gericht als Beweis nicht geeignet, zumal das Bildmaterial von schlechter Qualität sei.

Außerdem begründete die Anordnung die Speicherung der so gewonnenen Daten nach § 81b Alt. 2 StPO. Sie könne vorgenommen werden, wenn die Daten auch nach § 81b Alt. 2 StPO hätten erhoben werden dürfen. Aufgrund der Tatsache, dass gegen den Beschwerdeführer seit März 2013 in sieben Fällen - unter anderem auch wegen Sachbeschädigung durch Sprühen von Graffiti - ermittelt worden sei oder ermittelt werde, ergebe sich die begründete Wahrscheinlichkeit, dass er erneut mit derartigen oder ähnlich gelagerten Delikten strafrechtlich in Erscheinung treten werde. Ferner sei die Anordnung der Einzelmaßnahmen erforderlich, um die vom Beschwerdeführer in Zukunft zu erwartenden Straftaten aufklären zu können. Von dem Beschwerdeführer gebe es keine Bilder und keine Finger- und Handflächenabdrücke und auch keine Personenbeschreibung in den polizeilichen Dateien. Um in zukünftigen Fällen Zeugen eine Lichtbildmappe vorlegen zu können, sei es erforderlich, Lichtbilder und eine Personenbeschreibung anfertigen zu lassen. Dazu zählten auch Detailbilder von Tätowierungen, Muttermalen und Narben. Da häufig Tatmittel am Tatort und in der näheren Umgebung zurückgelassen würden, an denen sich daktyloskopische Spuren befinden könnten, sei es notwendig, die Finger- und Handflächenabdrücke in den polizeilichen Daten zu speichern.

3. Soweit sich die Anordnung auf § 81b Alt. 2 StPO stützte, legte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 20. Juli 2021 gegenüber der Polizeidirektion Zwickau Widerspruch ein.

4. Hinsichtlich der Anordnung nach § 81b Alt. 1 StPO stellte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 20. Juli 2021 beim Amtsgericht Zwickau einen Antrag auf gerichtliche Feststellung, dass diese aufzuheben sei. Trotz Ankündigung einer Begründung des Antrags nach erfolgter Akteneinsicht ging eine solche nicht ein.

Mit Verfügung vom 8. Oktober 2021 übersandte die Staatsanwaltschaft die Akte an das Amtsgericht Zwickau mit der Bitte, über die angeordnete erkennungsdienstliche Maßnahme zu entscheiden. Diese sei aus strafprozessualer Sicht notwendig, um die Identifizierung durch den Tatzeugen zu ermöglichen.

Das Amtsgericht bestätigte die Anordnung mit Beschluss vom 12. Oktober 2021. Zur Begründung nahm es auf die Gründe der Anordnung Bezug. Wie die Staatsanwaltschaft vertrete auch das Gericht die Ansicht, dass die Anordnung - auch ihrem Umfang nach - für die Aufklärung der Straftat erforderlich sei.

5. a) Gegen den Beschluss legte die Verteidigerin des Beschwerdeführers am 19. Oktober 2021 Beschwerde zum Landgericht ein und führte in der Begründung aus, dass ihr Mandant nicht bestreite, die Person zu sein, mit der der Zeuge gesprochen habe. Weiterhin räume der Mandant ein, die Person auf den von dem Zeugen gefertigten Aufnahmen zu sein. Einer Anfertigung von Lichtbildern bedürfe es aus diesem Grund nicht. Eine Anfertigung von Finger- sowie Handflächenabdrücken sei dagegen nicht zulässig, da es kein Vergleichsmaterial gebe. Es sei der Verfahrensakte nicht zu entnehmen, dass Finger- oder Handflächenabdrücke an der vermeintlichen Tatörtlichkeit festgestellt worden seien. Ohne Vergleichsmaterial könne kein Abgleich stattfinden, weshalb die Anfertigung ins Leere laufe und rechtswidrig sei.

b) Mit Verfügung vom 26. Oktober 2021 übersandte die Staatsanwaltschaft die Akten an das Amtsgericht mit dem Antrag, der Beschwerde nicht abzuhelfen. Allein die Angaben der Rechtsanwältin seien im Falle des Bestreitens in der Hauptverhandlung nicht zum Tatnachweis geeignet.

c) Das Amtsgericht half der Beschwerde ohne weitere Begründung nicht ab und übersandte die Akte der Staatsanwaltschaft zur Vorlage an das Beschwerdegericht.

d) Mit Schriftsatz vom 1. November 2021 beantragte die Verteidigerin die Einstellung des Strafverfahrens gemäß § 170 Abs. 2 StPO bei der Staatsanwaltschaft. Eine Strafbarkeit wegen Sachbeschädigung gemäß § 303 Abs. 2 StGB bestehe nicht, da der zusätzliche Farbauftrag, durch den lediglich bereits vorhandene Schmierereien teilweise übermalt worden seien, nicht zu einer erheblichen Veränderung des Erscheinungsbildes geführt habe. Nach Eingang dieses Schriftsatzes versandte die Staatsanwaltschaft die Akte an das Landgericht mit dem Antrag, die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts aus dessen zutreffenden Gründen als unbegründet zu verwerfen.

e) Mit angegriffenem Beschluss vom 6. Dezember 2021 verwarf das Landgericht die Beschwerde als unbegründet und nahm zur Begründung vollinhaltlich Bezug auf die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung, der nichts hinzuzufügen sei.

II.

Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG durch die landgerichtliche Entscheidung. Die Voraussetzungen des § 81b Alt. 1 StPO lägen nicht vor. Die Anlasstat entfalle, da das Verhalten des Beschwerdeführers keine Straftat darstelle. Die Fertigung von Lichtbildern sei nicht erforderlich. Der Beschwerdeführer habe durch seine Verteidigerin bereits mitgeteilt, die Person auf der Videoaufnahme zu sein. Dem Zeugen müssten keine Bilder mehr vorgelegt werden, da die Identifizierung des Verursachers abgeschlossen sei. Auch ein sogenanntes - darüber hinaus viel zu unbestimmt bezeichnetes - Spezialbild sei somit nicht erforderlich. Eine Personenbeschreibung, Zehnfingerabdrücke sowie Handflächenabdrücke seien nicht geeignet im Sinne des § 81b Alt. 1 StPO, da kein Vergleichsmaterial vorliege. Aus der Ermittlungsakte ergebe sich nicht, dass Finger- oder Handflächenabdrücke erhoben worden seien. Soweit das Landgericht in der angegriffenen Entscheidung auch auf Ausführungen zu § 81b Alt. 2 StPO verweise, könnten diese zur Begründung der erkennungsdienstlichen Behandlung für Zwecke des Strafverfahrens nicht herangezogen werden.

III.

1. Der Generalbundesanwalt hat mit seiner Stellungnahme vom 25. April 2022 ausgeführt, dass er die Verfassungsbeschwerde für unzulässig halte, ihr jedenfalls aber, soweit sie sich gegen erkennungsdienstliche Maßnahmen wende, die über die Anfertigung von Lichtbildern hinausgingen, der Erfolg nicht versagt werden könne.

a) Soweit der Beschwerdeführer sich gegen die Anfertigung von Lichtbildern zur Vorlage an den Zeugen wende, zeige er keinen Verfassungsverstoß auf. Eine verfassungsrechtlich nicht vertretbare Anwendung der Vorschrift des § 81b Alt. 1 StPO hinsichtlich der Fertigung von Lichtbildern für die Wahllichtbildvorlage sei nicht feststellbar.

Es begegne keinen fach- oder verfassungsrechtlichen Bedenken, dass die Fachgerichte von der Beschuldigteneigenschaft des Beschwerdeführers ausgegangen seien. Erforderlich sei allein ein auf einen bestimmten Tatverdächtigen konkretisierter Anfangsverdacht des § 152 Abs. 2 StPO, welcher hier wegen des Vorwurfs der Sachbeschädigung nach § 303 Abs. 2 StGB gegen den Beschwerdeführer bestehe.

Die Fertigung von Lichtbildern sei trotz der Verteidigererklärung im Beschwerdeverfahren, der Beschwerdeführer räume ein, die Person auf den vom Zeugen gefertigten Aufnahmen zu sein, erforderlich. Denn dieser Schriftsatz biete keine Gewähr für die Überführung des Beschwerdeführers als Täter. Bei Verteidigerschriftsätzen müsse etwa durch Unterschrift oder durch Formulierung in Ich-Form erkennbar sein, dass der Beschuldigte die Erklärung als eigene Äußerung verstanden wissen wolle und sich seines Verteidigers gleichsam als „Schreibhilfe“ bediene. Dies lasse der Verteidigerschriftsatz nicht erkennen. Davon abgesehen, sei eine entsprechende schriftliche Einlassung von geringem Beweiswert. Im Falle eines Widerrufs würden sich erhebliche Beweisschwierigkeiten ergeben, zumal das vorhandene Bildmaterial von schlechter Qualität sei. Es käme dann wesentlich auf die Angaben des Zeugen an. Im Hinblick auf das sich im Laufe der Zeit verändernde Äußere des Beschwerdeführers sowie der erwartbaren nachlassenden Erinnerung des Zeugen an die Begegnung mit dem Täter der Sachbeschädigung könne eine Fertigung von Lichtbildern auch nicht hinausgeschoben werden, bis das Einlassungsverhalten des Beschwerdeführers in einer etwaigen Hauptverhandlung bekannt sei. Dies gelte umso mehr, als einem Wiedererkennen durch den Zeugen in der Hauptverhandlung, in der ihm der Beschwerdeführer als Angeklagter gegenübertrete, wegen der verstärkten Suggestibilität der Identifizierungssituation erheblich geringeren Beweiswert zukomme.

b) Hingegen könnten die übrigen durch die Strafverfolgungsbehörden angeordneten erkennungsdienstlichen Maßnahmen nicht auf § 81b Alt. 1 StPO gestützt werden. Sie seien für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens nicht notwendig. Der Beschwerdeführer weise zu Recht darauf hin, dass Spuren, die den Abgleich mit seinen Handflächen- und Fingerabdrücken erforderten, in dem gegen ihn geführten Strafverfahren nicht ersichtlich seien. Auch die Notwendigkeit einer Personenbeschreibung erschließe sich nicht. Angesichts der mangelnden Erforderlichkeit dieser Maßnahmen sowie der fehlenden Auseinandersetzung mit dieser Frage in der angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidung handele es sich nicht allein um einen einfachrechtlichen, sondern zugleich um einen Verfassungsverstoß gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.

Die angegriffene fachgerichtliche Entscheidung beruhe auch auf diesem Verfassungsverstoß. Insbesondere könne nicht auf die Rechtmäßigkeit der Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung gemäß § 81b Alt. 2 StPO abgestellt werden. Die vom Gesetzgeber des § 81b StPO vorgegebenen präzisen Verwendungszwecke würden konterkariert, wollte man eine nach § 81b Alt. 2 StPO rechtmäßige Datenerhebung zur Kompensation für eine defizitär begründete Anordnung gemäß § 81b Alt. 1 StPO heranziehen. Auch wegen ihres unterschiedlichen Charakters als strafprozessuale beziehungsweise präventivpolizeiliche Maßnahme, die in unterschiedlichen Rechtswegen zu bekämpfen sei, verbiete sich eine Vermengung der parallelen Anordnungen.

2. Der Freistaat Sachsen hat die Verfahrensakten übersandt, jedoch keine Stellungnahme abgegeben.

3. Ausweislich der Verfahrensakte sind die Maßnahmen noch nicht vollzogen.

B.

Soweit der Beschluss die Abnahme eines Zehnfinger- und Handflächenabdrucks und die Anfertigung eines Fünfseiten- und Ganzkörperbildes betrifft, nimmt die Kammer die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG statt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist in diesem Umfang zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

I.

Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit sie zur Entscheidung angenommen wird, zulässig. Der Beschwerdevortrag genügt insoweit den Begründungs- und Substantiierungsanforderungen nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist im Umfang ihrer Annahme auch offensichtlich begründet. Soweit der Beschluss des Landgerichts die Abnahme eines Zehnfinger- und Handflächenabdrucks sowie die Anfertigung eines Fünfseiten- und Ganzkörperbildes betrifft, ist der Beschwerdeführer in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verletzt.

1. a) Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleistet die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen (vgl. BVerfGE 65, 1 <Leitsatz 1, 43>; 103, 21 <32 f.>; 156, 63 <118 Rn. 198>; BVerfGK 9, 62 <77>). Es gewährt seinen Trägern Schutz gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung oder Weitergabe der auf sie bezogenen, individualisierten oder individualisierbaren Daten (vgl. BVerfGE 65, 1 <43>; 67, 100 <143>; 103, 21 <33>). Davon werden alle Informationen, die über die Bezugsperson etwas aussagen können, umfasst. Der Schutz erstreckt sich auch auf Basisdaten wie Name und Anschrift sowie auf offenkundige oder allgemein zugängliche Informationen. Unter den Bedingungen der automatisierten Datenverarbeitung gibt es grundsätzlich kein „belangloses“ Datum mehr (vgl. BVerfGE 65, 1 <45>; 128, 1 <44 f.>). Diese Verbürgung darf nur im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden; die Einschränkung darf nicht weitergehen, als es zum Schutz des öffentlichen Interesses unerlässlich ist (vgl. BVerfGE 103, 21 <33>).

b) Dem Schrankenvorbehalt für Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung trägt die gesetzliche Regelung des § 81b Alt. 1 StPO ausreichend Rechnung (vgl. BVerfGE 47, 239 <252>; BVerfG, Beschluss des Dreierausschusses des Zweiten Senats vom 27. September 1982 - 2 BvR 1199/82 -, NStZ 1983, S. 84). Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schützt den Einzelnen gegen informationsbezogene Maßnahmen, die für ihn weder überschaubar noch beherrschbar sind. Deshalb hat der Gesetzgeber den Zweck einer Informationserhebung bereichsspezifisch und präzise zu bestimmen und die Informationserhebung und -verwendung auf das zu diesem Zweck Erforderliche zu begrenzen (vgl. BVerfGE 65, 1 <46>; 84, 239 <279 f.>; 113, 29 <57 f.>; 118, 168 <187 f.>). Vor diesem Hintergrund genügt § 81b Alt. 1 StPO den rechtsstaatlichen Erfordernissen der Normklarheit und Justitiabilität (vgl. BVerfGE 47, 239 <252>). Die Vorschrift bezweckt die Führung des Tatnachweises und die Identifizierung in einem anhängigen Strafverfahren und dient daher der Strafverfolgung (vgl. Trück, in: Münchener Kommentar, StPO, 1. Aufl. 2014, § 81b Rn. 1). Sie grenzt den Kreis zulässiger Zwangsmaßnahmen sowohl ihrer Art als auch ihrem Zweck nach hinreichend deutlich ein. Erlaubt sind danach außer den im Tatbestand ausdrücklich angeführten Maßnahmen - Aufnahme von Lichtbildern und Fingerabdrücken, Vornahme von Messungen - nicht etwa schlechthin andere Maßnahmen, sondern nur solche, die den genannten ähnlich sind. Die Maßnahmen nach § 81b Alt. 1 StPO müssen den Zwecken der Durchführung des Strafverfahrens dienen und im Rahmen dieser Zweckbestimmung notwendig sein. Unter diesen Umständen vermögen sowohl Strafverfolgungsbehörden als auch Beschuldigte mit hinreichender Bestimmtheit zu beurteilen, ob im konkreten Fall die gesetzlichen Voraussetzungen für die Vornahme einer „ähnlichen Maßnahme“ im Sinne des § 81b StPO erfüllt sind (vgl. BVerfGE 47, 239 <252>).

c) Bei der Auslegung und Anwendung des § 81b Alt. 1 StPO sind die Gerichte gehalten, die Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung angemessen zu berücksichtigen (vgl. zu § 81g StPO: BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 3. Mai 2016 - 2 BvR 2349/15 -, Rn. 10). Voraussetzung des § 81b Alt. 1 StPO ist, dass gegen den Betroffenen ein Strafverfahren geführt wird und gegen ihn ein Anfangsverdacht im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO besteht (vgl. Krause, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2017, § 81b Rn. 8). Zudem müssen die einzelnen Maßnahmen jeweils für den Zweck der Durchführung des Strafverfahrens konkret notwendig sein. Dabei orientiert sich die Notwendigkeit der Maßnahme an der Sachaufklärungspflicht der Gerichte nach § 244 Abs. 2 StPO (vgl. Krause, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2017, § 81b Rn. 11; Goers, in: BeckOK StPO, § 81b Rn. 6 <April 2022>). Gleichzeitig stellt das Tatbestandsmerkmal der Notwendigkeit eine Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsprinzips dar (vgl. zu § 81b Alt. 2 StPO: BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 8. März 2011 - 1 BvR 47/05 -, Rn. 24). Dies bedeutet, dass die Gerichte zur konkreten Notwendigkeit jeder einzelnen angeordneten erkennungsdienstlichen Maßnahme ausführen und eine Abwägung zwischen dem Interesse einer wirksamen Strafverfolgung und dem Grundrecht des Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung vornehmen müssen.

2. Der Beschluss des Landgerichts ist mit diesen Maßstäben nicht in Einklang zu bringen. Soweit er die Anfertigung eines Zehnfinger- und Handflächenabdrucks betrifft, war die Anfertigung dieser Abdrücke für die Strafverfolgung bereits nicht geeignet (a). Hinsichtlich der Anfertigung eines Fünfseiten- und Ganzkörperbildes hat das Landgericht die Bedeutung und Tragweite des Grundrechts des Beschwerdeführers auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG mangels Auseinandersetzung mit deren konkreter Notwendigkeit ebenfalls grundlegend verkannt (b).

a) Das Landgericht geht zwar unter Bezugnahme auf die Gründe der polizeilichen Anordnung noch nachvollziehbar davon aus, dass der Beschwerdeführer Beschuldigter in einem Strafverfahren war und gegen ihn ein konkreter Anfangsverdacht nach § 152 Abs. 2 StPO wegen des Vorwurfs der Sachbeschädigung nach § 303 Abs. 2 StGB bestand. Die Abnahme eines Zehnfinger- und Handflächenabdrucks war zur Erreichung des Zwecks der Maßnahme - der Täterfeststellung und damit der Durchführung des Strafverfahrens - jedoch bereits nicht geeignet. Die Identifizierung des Täters konnte nicht über die Abnahme eines Zehnfinger- und Handflächenabdrucks erfolgen, weil Finger- oder Handflächenabdrücke ausweislich der Ermittlungsakte am Tatort nicht sichergestellt wurden. Ausführungen zur konkreten Notwendigkeit dieser erkennungsdienstlichen Maßnahmen sind weder dem landgerichtlichen Beschluss noch der in Bezug genommenen Begründung der polizeilichen Verfügung zu entnehmen. Die polizeiliche Verfügung, auf welche das Landgericht in seiner Begründung verweist, verhält sich allein zur konkreten Notwendigkeit der Bildaufnahmen nach § 81b Alt. 1 StPO. Eine Begründung der Notwendigkeit der Abnahme von Zehnfinger- und Handflächenabdrücken weist sie lediglich für die erkennungsdienstliche Anordnung nach § 81b Alt. 2 StPO aus, die dem Zweck der Erforschung und Aufklärung zukünftiger Straftaten dienen sollte. Auf diese Begründung der Maßnahme gemäß § 81b Alt. 2 StPO kann für die Rechtmäßigkeit der Anordnung nach § 81b Alt. 1 StPO jedoch kein Bezug genommen werden. Denn die vom Gesetzgeber vorgegebenen präzisen Verwendungszwecke würden konterkariert, wollte man eine nach § 81b Alt. 2 StPO rechtmäßige Datenerhebung zur Kompensation für eine defizitär begründete Anordnung gemäß § 81b Alt. 1 StPO heranziehen.

b) Die konkrete Notwendigkeit der Anordnung der Anfertigung eines Fünfseiten- und Ganzkörperbildes hat das Landgericht ebenfalls nicht verfassungsrechtlich tragfähig begründet. In der vollinhaltlichen Bezugnahme auf die polizeiliche Anordnung, der nach Ansicht des Landgerichts nichts hinzuzufügen war, ist eine umfassende Abwägung zwischen den Interessen einer wirksamen Strafverfolgung und dem Interesse des Beschwerdeführers im Rahmen der Prüfung der Notwendigkeit der Maßnahme nicht erkennbar. Es fehlt bereits eine Auseinandersetzung mit der Tatsache, dass der Zeuge der Sachbeschädigung angegeben hatte, in der Lage zu sein, den Täter wiederzuerkennen. Dies hätte auch im Rahmen einer Beweisaufnahme in der - zeitnah zu erwartenden - Hauptverhandlung erfolgen können. Ebenso wenig erörtert die polizeiliche Anordnung, dass es auch dem Tatrichter im Rahmen der Hauptverhandlung grundsätzlich möglich gewesen wäre, einen Abgleich zwischen den in der Akte befindlichen Lichtbildern sowie dem Erscheinungsbild des Beschwerdeführers vorzunehmen. Es ergibt sich auch nicht aus der Akte, dass die von dem Zeugen gefertigten Lichtbilder für einen solchen Abgleich ungeeignet gewesen wären. Vielmehr erkannten die Polizeibeamten den Beschwerdeführer spontan auf diesen Lichtbildern wieder.

C.

Es ist daher gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG festzustellen, dass der Beschluss des Landgerichts vom 6. Dezember 2021 den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt, soweit er die Anfertigung eines Zehnfinger- und Handflächenabdrucks und eines Fünfseiten- und Ganzkörperbildes betrifft. Der Beschluss ist insoweit nach § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben und die Sache an das Landgericht Zwickau zurückzuverweisen.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie wegen Verletzung des Grundsatzes der materiellen Subsidiarität unzulässig ist. Von einer weiteren Begründung nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG wird abgesehen.

D.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Da der nicht angenommene Teil der Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers von untergeordneter Bedeutung ist, sind ihm die notwendigen Auslagen in vollem Umfang zu erstatten (vgl. BVerfGE 86, 90 <122>).

Die Festsetzung des Gegenstandswertes für die anwaltliche Tätigkeit stützt sich auf § 37 Abs. 2 Satz 2, § 14 Abs. 1 RVG in Verbindung mit den Grundsätzen über die Festsetzung des Gegenstandswertes im verfassungsrechtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 79, 365 <368 ff.>). Im Hinblick auf die objektive Bedeutung der Sache ist ein Gegenstandswert von 10.000 Euro angemessen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 862

Bearbeiter: Holger Mann