hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 523

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 1543/20, Beschluss v. 29.04.2021, HRRS 2021 Nr. 523


BVerfG 2 BvR 1543/20 (2. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 29. April 2021 (BGH / LG Lüneburg)

Verständigung im Strafverfahren (Erfordernis einer ausdrücklichen Zustimmung zum gerichtlichen Verständigungsvorschlag; konkludente Zustimmung nicht ausreichend; keine Heranziehung des Verfahrensablaufs zur Auslegung sonstiger Prozesserklärungen der Staatsanwaltschaft als Zustimmungserklärung; kein strukturelles Regelungsdefizit der Vorschriften über die Verständigung; Transparenz- und Dokumentationspflichten; effektive Kontrolle des Verständigungsgeschehens; regelmäßiges Beruhen des Urteils auf fehlender Zustimmung); Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde (Darlegungen zur Einhaltung der Monatsfrist; Vortrag zu allen Zugangszeitpunkten der strafgerichtlichen Entscheidung in Zweifelsfällen).

Art. 20 Abs. 3 GG; § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG; § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG; § 37 Abs. 2 StPO; § 257c Abs. 2 Satz 2 StPO; § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO

Leitsätze

1. Die allgemeine Begründungslast des § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG verlangt von einem Beschwerdeführer im Zweifelsfall die schlüssige Darlegung, dass die einmonatige Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG zur Erhebung und Begründung der Verfassungsbeschwerde eingehalten ist. (BVerfG)

2. In Strafsachen werden Entscheidungen regelmäßig sowohl dem Verteidiger als auch dem Beschuldigten bekanntgegeben. Daher ist substantiierter Vortrag zu allen Zugangszeitpunkten - oder die Klarstellung, dass der Beschluss nur einem der Beteiligten bekanntgegeben wurde - jedenfalls dann erforderlich, wenn sich die Einhaltung der Monatsfrist nicht ohne weiteres aus den vorgelegten Unterlagen ergibt. Die Regelung des § 37 Abs. 2 StPO findet im verfassungsgerichtlichen Verfahren keine Anwendung. (BVerfG)

3. Die Vorgaben an die Transparenz des Verständigungsverfahrens erfordern, dass Angeklagter und Staatsanwaltschaft einem gerichtlichen Verständigungsvorschlag ausdrücklich - und nicht lediglich konkludent - zustimmen. Nur in Ausnahmefällen wird ein Urteil nicht darauf beruhen, dass das erkennende Gericht bei einer verfahrensrechtswidrig nur konkludent erklärten Zustimmung von einer wirksamen Verständigung ausgegangen ist. (BVerfG)

4. Der noch immer defizitäre Vollzug des Verständigungsgesetzes führt jedenfalls derzeit noch nicht zur Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelungen. Deren wissenschaftliche Evaluation im Jahre 2020 hat kein strukturelles Regelungsdefizit aufgezeigt, sondern ergeben, dass die Transparenz- und Dokumentationsvorschriften jedenfalls in Verfahren vor den Landgerichten mehrheitlich beachtet werden. (Bearbeiter)

5. Die Zustimmungserklärungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft sind für die Verständigung konstituierend. Wie alle wesentlichen Elemente einer Verständigung sind sie deshalb zum Gegenstand der öffentlichen Hauptverhandlung zu machen und zu protokollieren, um der Öffentlichkeit, der Staatsanwaltschaft und dem Rechtsmittelgericht eine effektive Kontrolle des Verständigungsgeschehens zu ermöglichen. Daraus folgt auch das Gebot einer ausdrücklichen Zustimmung. Eine nur konkludente Zustimmung wäre mit den Transparenz- und Dokumentationspflichten nicht in Einklang zu bringen, könnte zu Unsicherheiten über Form und Inhalt der Erklärung führen und ließe Raum für verfassungsrechtlich unzulässige informelle Absprachen. (Bearbeiter)

6. Auf einer fehlenden ausdrücklichen Zustimmung zur Verständigung wird ein Urteil regelmäßig beruhen, da das Erfordernis einer ausdrücklichen Zustimmung zum Kern des dem Verständigungsgesetz zugrundeliegenden Schutzkonzepts gehört und in engem Zusammenhang mit den Transparenz- und Dokumentationspflichten steht. Die für einen Verstoß gegen diese Pflichten entwickelten Maßstäbe gelten somit auch für Verfahrensfehler bei Abgabe und Dokumentation der erforderlichen Zustimmung. (Bearbeiter)

7. Auch zum Schutz des Angeklagten ist es unzulässig, den Verfahrensablauf heranzuziehen, um sonstige Prozesserklärungen der Staatsanwaltschaft als Zustimmungserklärung zu einer Verständigung zu werten, wenn die Prozesserklärungen zeitlich erst nach dem im Rahmen der Verständigung abgelegten Geständnis abgegeben wurden. (Bearbeiter)

8. Die Verwerfung einer Revision des Angeklagten begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn das Revisionsgericht für eine wirksame Verständigung eine konkludente Zustimmungserklärung der Staatsanwaltschaft ausreichen lässt, welche daraus hergeleitet wird, dass die Staatsanwaltschaft nach dem verständigungsbasierten Geständnis des Angeklagten einer Verfahrensabtrennung zugestimmt und im Schlussvortrag eine Strafe beantragt hatte, die sich im Rahmen des Verständigungsvorschlags hielt. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen seine strafrechtliche Verurteilung durch das Landgericht Lüneburg und den seine Revision verwerfenden Beschluss des Bundesgerichtshofs. Er macht die Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren durch eine willkürliche Anwendung der Vorschriften zur Verständigung im Strafprozess geltend.

In dem Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer unterbreitete der Kammervorsitzende zu Beginn der Beweisaufnahme einen Verständigungsvorschlag, dem der Beschwerdeführer zustimmte. Die Staatsanwaltschaft gab keine ausdrückliche Zustimmungserklärung ab. Auf Grundlage des Verständigungsvorschlags gestand der Beschwerdeführer (§ 257c Abs. 2 Satz 2 StPO). Das Landgericht legte dem Urteil die Verständigung zugrunde.

Mit der Revision rügte der Beschwerdeführer, die Verständigung sei verfahrensfehlerhaft gewesen. Da die Staatsanwaltschaft einer Verständigung nicht ausdrücklich zugestimmt habe, sei keine wirksame Verständigung zustande gekommen. Die Zustimmung zu einer Verständigung nach § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO müsse ausdrücklich und nicht nur konkludent erklärt werden. Die Strafkammer sei mithin zu Unrecht von einer wirksamen Verständigung ausgegangen. Auf diesem Verfahrensfehler beruhe das Urteil, da das Geständnis durch das rechtsfehlerhafte Verfahren beeinflusst gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe auf die Wirksamkeit der Verständigung - insbesondere den Schutz durch § 257c Abs. 4 StPO - vertraut, als er nach Maßgabe des § 257c Abs. 2 Satz 2 StPO ein Geständnis abgelegt habe.

Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision mit Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO, ohne zu den Verfahrensrügen auszuführen. Er folgte damit dem Antrag des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof, der es als ausreichend erachtete, dass sich „unzweifelhaft“ eine „eindeutige (konkludente) Zustimmungserklärung“ aus dem im Hauptverhandlungsprotokoll niedergelegten Verfahrensgang ergebe. Insbesondere folge die Zustimmung hier aus dem Einverständnis der Staatsanwaltschaft mit einer Verfahrensabtrennung, weil diese in Zusammenhang mit dem verständigungsbasierten Geständnis des Beschwerdeführers gestanden habe. Zudem habe die Staatsanwaltschaft nach Abschluss der Hauptverhandlung eine Strafe beantragt, die sich im Rahmen des Verständigungsvorschlages gehalten habe. Jedenfalls beruhe das Urteil nicht auf dem gerügten Verfahrensverstoß, weil der Beschwerdeführer so gestellt sei, als wenn die Verständigung wirksam gewesen wäre. Alle Verfahrensbeteiligten hätten sich im weiteren Verfahrensgang an den Verständigungsvorschlag des Gerichts gehalten, und das Urteil sei dem Verständigungsvorschlag entsprechend ausgefallen.

II.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, denn die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG sind nicht erfüllt. Grundsätzliche Bedeutung kommt der Verfassungsbeschwerde nicht zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt, da sie unzulässig ist. Der Beschwerdevortrag genügt den Substantiierungs- und Begründungsanforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG nicht.

1. Die allgemeine Begründungslast des § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG verlangt, dass ein Beschwerdeführer zu den Sachentscheidungsvoraussetzungen seiner Verfassungsbeschwerde vorträgt, soweit deren Vorliegen nicht aus sich heraus erkennbar ist. Hierzu gehört im Zweifelsfall auch die schlüssige Darlegung, dass die einmonatige Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG zur Erhebung und Begründung der Verfassungsbeschwerde eingehalten ist (vgl. BVerfGK 14, 468 <469>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Juni 2014 - 2 BvR 1004/13 -, Rn. 3; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juli 2018 - 2 BvR 1548/14 -, Rn. 15; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Februar 2021 - 2 BvR 428/18 -, Rn. 2).

2. Diesen Vorgaben wird der Beschwerdevortrag nicht gerecht. Der Beschwerdeführer legt nur dar, wann die das fachgerichtliche Verfahren abschließende Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 1. Juli 2020 seinem im Revisionsverfahren mandatierten Verteidiger zugegangen ist. Vortrag dazu, ob und wann ihm selbst die Entscheidung bekanntgegeben wurde, lässt er vermissen. Da die erste Bekanntgabe der Entscheidung im Hinblick auf die Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG fristauslösend wirkt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Juni 2014 - 2 BvR 1004/13 -, Rn. 12 f.; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Februar 2021 - 2 BvR 428/18 -, Rn. 8; Jahn, in: Jahn/Krehl/Löffelmann/Güntge, Die Verfassungsbeschwerde in Strafsachen, 2. Aufl. 2017, Rn. 290) und die Revisionsentscheidung regelmäßig sowohl dem Verteidiger als auch dem Beschuldigten bekanntgegeben wird, ist die Angabe aller Zugangszeitpunkte - mithin sowohl des Zugangs bei dem oder den Verteidiger(n) sowie bei dem Beschuldigten - jedenfalls dann erforderlich, wenn sich die Einhaltung der Monatsfrist - wie hier - nicht ohne weiteres aus den vorgelegten Unterlagen ergibt. Ohne substantiierten Vortrag zu den jeweiligen Zugangszeitpunkten - oder die Klarstellung, dass der Beschluss nur einem der Beteiligten bekanntgegeben wurde - kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschuldigte die Entscheidung bereits zu einem früheren Zeitpunkt erhalten hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Juni 2014 - 2 BvR 1004/13 -, Rn. 12 f.; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Februar 2021 - 2 BvR 428/18 -, Rn. 8; Jahn, in: Jahn/Krehl/Löffelmann/Güntge, Die Verfassungsbeschwerde in Strafsachen, 2. Aufl. 2017, Rn. 285). Die Regelung des § 37 Abs. 2 StPO zu mehrfachen Zustellungen findet als straf-, aber nicht verfassungsprozessuale Norm, die zudem nur Zustellungen, nicht aber sonstige Bekanntmachungsformen betrifft, im verfassungsgerichtlichen Verfahren keine Anwendung (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 6. April 1999 - 2 BvR 299/94 -, Rn. 4; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Juni 2014 - 2 BvR 1004/13 -, Rn. 5; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Februar 2021 - 2 BvR 428/18 -, Rn. 3).

Es kann daher nicht ohne weitere Ermittlungen überprüft werden, ob der Beschwerdeführer die Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG eingehalten hat. Die verbleibenden Unsicherheiten führen nach den durch das Bundesverfassungsgericht aufgestellten Maßstäben zu den formalen Substantiierungsanforderungen zur Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde (vgl. BVerfGE 112, 304 <314 f.>; BVerfGK 5, 170 <171>; 20, 249 <254 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Februar 2021 - 2 BvR 428/18 -, Rn. 12; Jahn, in: Jahn/Krehl/Löffelmann/Güntge, Die Verfassungsbeschwerde in Strafsachen, 2. Aufl. 2017, Rn. 285).

III.

Es spricht allerdings viel dafür, dass der die Revision des Beschwerdeführers nach § 349 Abs. 2 StPO verwerfende Beschluss des Bundesgerichtshofs den verfassungsrechtlichen Vorgaben an das wirksame Zustandekommen einer Verständigung nicht gerecht geworden ist.

1. a) Eine Verständigung, die nach den Vorgaben des Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 (BGBl I S. 2353 - im Folgenden: Verständigungsgesetz) zustande kommt, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Da das Verständigungsgesetz ausreichende Vorkehrungen trifft, um zu gewährleisten, dass sich Verständigungen im Rahmen der verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Strafverfahren halten, ist seine Ausgestaltung mit dem Grundgesetz vereinbar (vgl. BVerfGE 133, 168 <225 Rn. 100>). Die dort normierten Transparenz- und Dokumentationspflichten sichern verfahrensrechtlich ab, dass die mit einer Verständigung einhergehenden rechtsstaatlichen Risiken beherrschbar bleiben (vgl. BVerfGE 133, 168 <232 Rn. 114>), und wirken intransparenten und daher unkontrollierbaren „Deals“ entgegen, die im Strafprozess wegen der mit ihnen verbundenen Gefährdung des Schuldprinzips, der darin verankerten Wahrheitserforschungspflicht und des dem Rechtsstaatsprinzip innewohnenden Prinzips der Verfahrensfairness schon von Verfassungs wegen untersagt sind (vgl. BVerfGE 133, 168 <233 Rn. 115>).

b) Zur Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelungen dürfte der noch immer defizitäre Vollzug des Verständigungsgesetzes jedenfalls derzeit noch nicht führen. Eine gesetzliche Regelung, gegen die in der Rechtsanwendungspraxis in verfassungswidriger Weise verstoßen wird, verletzt nur dann das Grundgesetz, wenn die verfassungswidrige Praxis auf die Vorschrift selbst zurückzuführen ist, mithin Ausdruck eines strukturbedingten Regelungsdefizits ist (vgl. BVerfGE 133, 168 <233 Rn. 118>). Ein solches strukturelles Regelungsdefizit haben auch die Untersuchungsergebnisse von Altenhain/Jahn/Kinzig nicht aufgezeigt. Zwar ergaben diese teils erhebliche Defizite bei der Einhaltung der Transparenz- und Dokumentationspflichten (vgl. Altenhain/Jahn/Kinzig, Die Praxis der Verständigung im Strafprozess - Eine Evaluation der Vorschriften des Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009, 1. Aufl. 2020, S. 530 ff. <533>). Die durchgeführten Befragungen lassen aber den Schluss zu, dass - jedenfalls in Verfahren vor den Landgerichten - die Transparenz- und Dokumentationsvorschriften mehrheitlich beachtet werden (vgl. Altenhain/Jahn/Kinzig, a.a.O., S. 275, 419 ff., 463 f.). Dass die vorgesehenen Schutzmechanismen in einer Weise lückenhaft oder sonst unzureichend wären, die eine gegen das Grundgesetz verstoßende „informelle“ Absprachepraxis förderte (vgl. BVerfGE 133, 168 <233 f. Rn. 118>), erscheint mithin nicht belegt. Die immer noch bestehenden Vollzugsdefizite unterstreichen allerdings die gesetzgeberische Pflicht, die weitere Entwicklung sorgfältig im Auge zu behalten und Fehlentwicklungen durch geeignete Maßnahmen entgegenzuwirken (vgl. BVerfGE 133, 168 <235 f. Rn. 121>).

2. a) Eine Verständigung kommt gemäß § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO nur wirksam zustande, wenn Staatsanwaltschaft und Angeklagter einem Verständigungsvorschlag des Gerichts zustimmen. Fehlt es an den Zustimmungserklärungen und geht ein Gericht dennoch vom Zustandekommen einer Verständigung aus, beruht das Urteil regelmäßig auf dem Verfahrensfehler, denn das Geständnis eines Angeklagten, das nach § 257c Abs. 2 Satz 2 StPO Bestandteil einer jeden Verständigung sein soll, kann regelmäßig durch das rechtsfehlerhafte Verständigungsverfahren beeinflusst sein (vgl. BGH, Urteil des 2. Strafsenats vom 14. Mai 2014 - 2 StR 465/13 -, Rn. 8 f.).

Das auch für die Staatsanwaltschaft geltende Zustimmungserfordernis ist wesentlicher Bestandteil der Verständigungsregeln, denn die Mitwirkung der Staatsanwaltschaft an einer Verständigung sichert die Gesetzmäßigkeit der Verständigung und damit die Verfahrensfairness (vgl. BVerfGE 133, 168 <219 Rn. 91 ff.>). Die Staatsanwaltschaft trägt so in ihrer Rolle als „Wächter des Gesetzes“ (vgl. BVerfGE 133, 168 <220 Rn. 93>) Verantwortung für die Wahrung rechtsstaatlicher Standards bei einer Verständigung. Von ihr wird erwartet, dass sie gesetzwidrigen Vorgehensweisen im Zusammenhang mit einer Verständigung nicht zustimmt und darüber hinaus gegen Urteile, die auf gesetzwidrigen Verständigungen beruhen, Rechtsmittel einlegt (vgl. BVerfGE 133, 168 <220 Rn. 93>). Mit dem Zustimmungserfordernis ist auch der mit der Möglichkeit der Verfahrensverkürzung durch eine Verständigung einhergehenden Gefahr einer Motivationsverschiebung bei dem erkennenden Gericht entgegengewirkt und dem mit der Zusage einer wesentlichen Strafmilderung für den Fall eines Geständnisses verbundenen Anreiz für den Angeklagten, ein (teilweise) falsches Geständnis abzulegen, Rechnung getragen (vgl. BVerfGE 133, 168 <232 Rn. 114>).

b) Die Vorgaben an die Transparenz des Verständigungsverfahrens erfordern, dass Angeklagter (vgl. BGH, Beschluss des 1. Strafsenats vom 23. Juli 2019 - 1 StR 169/ 19 -, Rn. 11) und Staatsanwaltschaft (vgl. BGH, Beschluss des 5. Strafsenats vom 7. Dezember 2016 - 5 StR 39/16 -) dem Verständigungsvorschlag ausdrücklich - und nicht lediglich konkludent - zustimmen. Eine nur konkludente Zustimmung läuft den Vorgaben an die Transparenz einer Verständigung zuwider (aa) und bietet keinen ausreichenden Schutz vor verfassungsrechtlich unzulässigen informellen Verfahrensabsprachen (bb). Nur in Ausnahmefällen kann verfassungsrechtlich tragfähig begründet werden, dass ein Urteil nicht darauf beruht, dass das erkennende Gericht bei einer verfahrensrechtswidrig nur konkludent erklärten Zustimmung von einer wirksamen Verständigung ausgegangen ist (cc).

aa) Die Zustimmungserklärungen sind nach § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO für die Verständigung konstituierend. Wie alle wesentlichen Elemente einer Verständigung sind sie deshalb zum Gegenstand der öffentlichen Hauptverhandlung zu machen und zu protokollieren, um der Öffentlichkeit, der Staatsanwaltschaft und dem Rechtsmittelgericht eine effektive Kontrolle des Verständigungsgeschehens zu ermöglichen (vgl. BVerfGE 133, 168 <214 f. Rn. 80, 82>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 1. Juli 2014 - 2 BvR 989/14 -, Rn. 11; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Februar 2020 - 2 BvR 900/19 -, Rn. 22). Daraus folgt auch das Gebot einer ausdrücklichen Zustimmung. Ließe man eine konkludente Zustimmung ausreichen, führte das - wie hier - zu Unsicherheiten über Form und Inhalt der Erklärung. Da jede Unsicherheit über den wesentlichen Verfahrensablauf die Kontrolle des Verständigungsgeschehens jedenfalls erschwert, wenn nicht sogar verhindert, lässt sich eine nur konkludente Zustimmung mit den Transparenz- und Dokumentationspflichten der Regelungen zur strafprozessualen Verständigung nicht in Einklang bringen.

bb) Die mit einer konkludenten Zustimmung einhergehenden Unsicherheiten über das Zustandekommen einer Verständigung ließen auch Raum für „informelle“ Absprachen und „Deals“, die wegen der mit ihnen verbundenen Gefährdung des Schuldprinzips, der darin verankerten Wahrheitserforschungspflicht und des dem Rechtsstaatsprinzip innewohnenden Gebots der Verfahrensfairness schon von Verfassungs wegen untersagt sind (vgl. BVerfGE 133, 168 <233 Rn. 115>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 1. Juli 2014 - 2 BvR 989/14 -, Rn. 11; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 21. April 2016 - 2 BvR 1422/ 15 -, Rn. 18). Verklausulierte Zustimmungserklärungen bergen die Gefahr eines - für den Angeklagten und die Öffentlichkeit nicht erkennbaren - „Schulterschlusses“ zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung, vor dem die Konzeption der Verständigungsregeln den von der Verständigung betroffenen Angeklagten schützen soll (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 1. Juli 2014 - 2 BvR 989/14 -, Rn. 11; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Februar 2020 - 2 BvR 900/19 -, Rn. 23). Mithin erfordert das Gebot der Verfahrensfairness eine Auslegung des § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO, nach der eine nur konkludente Zustimmung des Angeklagten oder der Staatsanwaltschaft nicht zu einer wirksamen Verständigung führt.

cc) Auf einer fehlenden ausdrücklichen Zustimmung zur Verständigung wird ein Urteil auch regelmäßig beruhen, da das Erfordernis einer ausdrücklichen Zustimmung zum Kern des dem Verständigungsgesetz zugrundeliegenden Schutzkonzepts gehört und in engem Zusammenhang mit den Transparenz- und Dokumentationspflichten steht. Die für einen Verstoß gegen diese Pflichten entwickelten Maßstäbe gelten somit auch für Verfahrensfehler bei Abgabe und Dokumentation der nach § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO erforderlichen Zustimmung.

Durch die strengen Formalia des Verständigungsverfahrens, insbesondere durch die strengen Transparenz- und Dokumentationspflichten, soll der Gefahr von intransparenten, unkontrollierbaren „Deals“ vorgebeugt werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 1. Juli 2014 - 2 BvR 989/14 -, Rn. 11; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Februar 2020 - 2 BvR 900/19 -, Rn. 22). Daher sind diese Vorschriften als Schutzmechanismen vor gesetzwidrigen Verständigungen zu verstehen und nicht als reine Ordnungsvorschriften (vgl. BVerfGE 133, 168 <222 Rn. 96>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Dezember 2015 - 2 BvR 1043/15 -, Rn. 7). Ein Verstoß gegen die Transparenz- und Dokumentationspflichten führt deshalb grundsätzlich zur Rechtswidrigkeit einer gleichwohl getroffenen Verständigung. Hält sich das Gericht an eine solche gesetzwidrige Verständigung, wird ein Beruhen des Urteils auf diesem Gesetzesverstoß regelmäßig schon deshalb nicht auszuschließen sein, weil die Verständigung, auf der das Urteil beruht, ihrerseits mit einem Gesetzesverstoß behaftet ist (vgl. BVerfGE 133, 168 <223 Rn. 97>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Februar 2020 - 2 BvR 900/19 -, Rn. 37). Nur in besonderen Ausnahmefällen wird man ein Beruhen des Urteils auf einem Verstoß gegen die Transparenz- und Dokumentationspflichten ausschließen können (vgl. BVerfGE 133, 168 <223 Rn. 97>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Februar 2020 - 2 BvR 900/19 -, Rn. 38).

3. Es erscheint zweifelhaft, ob die Revisionsentscheidung sich mit diesen Maßstäben in Einklang bringen lässt.

a) Bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung der Revisionsentscheidung ist die Antragsschrift des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof heranzuziehen, da der Bundesgerichtshof die Revision des Beschwerdeführers nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen hat, ohne zu den erhobenen Verfahrensrügen auszuführen. Daher kann davon ausgegangen werden, dass sich das Revisionsgericht die Rechtsauffassung der Revisionsstaatsanwaltschaft zu eigen gemacht hat (vgl. BVerfGK 5, 269 <285 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juni 2014 - 2 BvR 792/11 -, Rn. 17; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 21. April 2016 - 2 BvR 1422/15 -, Rn. 17).

b) Die Ausführungen in dem Verwerfungsantrag dürften verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügen, soweit eine „eindeutige (konkludente) Zustimmungserklärung“ als ausreichend für eine wirksame Zustimmung zur Verständigung erachtet wurde. Die herangezogenen Prozesserklärungen der Staatsanwaltschaft können nicht verfassungsrechtlich tragfähig als hinreichend bestimmte, ausdrückliche Zustimmungserklärungen im Sinne des § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO gewertet werden (aa). Unabhängig davon enthalten hier weder die Zustimmung zur Verfahrensabtrennung (bb) noch der Strafantrag (cc) ausreichend konkrete Hinweise auf eine Zustimmung zur Verständigung.

aa) Ausdrücklich hat die Staatsanwaltschaft der Verständigung nicht zugestimmt. Soweit eine konkludente Zustimmung im Raum steht, belegt schon der Verweis auf den Verfahrensgang bei der Auslegung der als Zustimmungserklärung gedeuteten Erklärung zur Verfahrensabtrennung Unsicherheiten über Form und Inhalt dieser Erklärung, die die verfassungsrechtlich gebotene effektive Kontrolle des Verständigungsgeschehens (vgl. BVerfGE 133, 168 <214 f. Rn. 80, 82>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 1. Juli 2014 - 2 BvR 989/14 -, Rn. 11; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Februar 2020 - 2 BvR 900/19 -, Rn. 22) erschweren.

Auch zum Schutz des Angeklagten ist es unzulässig, den Verfahrensablauf heranzuziehen, um sonstige Prozesserklärungen der Staatsanwaltschaft als Zustimmungserklärung im Sinne des § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO zu werten, wenn die Prozesserklärungen zeitlich erst nach dem - im Rahmen einer Verständigung gemäß § 257c Abs. 2 Satz 2 StPO abgelegten - Geständnis abgegeben wurden. Das Gebot der Verfahrensfairness erfordert, dass der Angeklagte sich bei Abgabe des verständigungsbasierten Geständnisses sicher sein kann, dass ihm die strafprozessualen Regelungen zur Verständigung Schutz bieten (vgl. BVerfGE 133, 168 <224 Rn. 99>). Nur dann kann er abschätzen, ob das Gericht nach § 257c Abs. 4 StPO an die zugesicherte Strafobergrenze gebunden ist, und sich sicher sein, dass sein Geständnis gemäß § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO beim Entfallen der Bindungswirkung nicht verwertet wird. Es ist daher unzulässig, einen von einer Verständigung betroffenen Angeklagten darauf zu verweisen, dass er im Nachgang seines Geständnisses Klarheit über das Vorliegen einer wirksamen Verständigung erhält. Erst recht darf er nicht bis zum nach Abschluss der Beweisaufnahme gehaltenen Schlussvortrag der Staatsanwaltschaft über das Vorliegen einer Verständigung im Unklaren gelassen werden.

bb) Der Erklärung der Staatsanwaltschaft, sie stimme einer Verfahrensabtrennung zu, kann hier ohnehin kein Erklärungsinhalt dahingehend entnommen werden, dass sie auch dem Verständigungsvorschlag zustimme, denn ein inhaltlicher Bezug der Verfahrensabtrennung zur vorangegangenen Verständigung ist nicht erkennbar. Begründet wurde die Verfahrensabtrennung mit der Verhinderung der Verteidiger des Beschwerdeführers an dem nächsten angesetzten Sitzungstag und weiter damit, die für diesen Sitzungstag vorgesehene Beweiserhebung betreffe den Beschwerdeführer nicht. Die Kammer plante an diesem Sitzungstag nach der Einführung der Gutachten zweier psychiatrischer Sachverständiger über zwei Mitangeklagte des Beschwerdeführers den Abschluss des Verfahrens gegen diese Mitangeklagten. Diese weitere Beweisaufnahme hatte auf den Beschwerdeführer unabhängig von dem Vorliegen einer Verständigung ersichtlich keinen Einfluss.

cc) Der Strafantrag im Schlussvortrag des Staatsanwalts lässt sich ebenfalls nicht als Zustimmungserklärung im Sinne des § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO werten. Unabhängig davon, dass schon vor dem Schlussvortrag Klarheit über das Vorliegen einer Verständigung bestehen muss, ist der Schluss von einem Strafantrag der Staatsanwaltschaft, der sich im Strafrahmen des Verständigungsvorschlags bewegt, auf eine Zustimmung der Staatsanwaltschaft zu einem Verständigungsvorschlag nicht zulässig. Es gibt keinen Grundsatz, dass sich nach einer gescheiterten Verständigung die Strafe oder - vorangehend - der Strafantrag der Staatsanwaltschaft nicht im Rahmen eines Verständigungsvorschlages bewegen dürfe. Eine solche Strafzumessungsregel missachtete nicht nur das verfassungsrechtliche Gebot schuldangemessenen Strafens (vgl. dazu BVerfGE 20, 323 <331>; 120, 224 <253 f.>; 133, 168 <198 Rn. 55>), das nicht zur Disposition der Verfahrensbeteiligten steht (vgl. BVerfGE 133, 168 <229 Rn. 109>). Sie bewirkte auch eine unzulässige Einwirkung auf den im Verfassungsrang stehenden Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit (vgl. dazu BVerfGE 38, 105 <113 f.>; 110, 1 <31>; 133, 168 <201 Rn. 60>), denn eine solche (ungeschriebene) Strafzumessungsregelung verstärkte die für eine Verständigung typische Anreiz- und Verlockungssituation bei dem Angeklagten (vgl. 133, 168 <224 f. Rn. 99; 231 Rn. 112; 237 f. Rn. 126>) und verletzte die Verfahrensfairness. Aus diesem Grund ist es auch für sich genommen nicht rechtsfehlerhaft, wenn ein Urteil einem früheren Verständigungsvorschlag, dem die Staatsanwaltschaft nicht zugestimmt hat, entspricht (vgl. BGH, Urteil des 5. Strafsenats vom 10. November 2010 - 5 StR 424/10 -, Rn. 2; Urteil des 2. Strafsenats vom 22. Januar 2014 - 2 StR 393/13 -, Rn. 2).

c) Auch hinsichtlich der Argumentation zum fehlenden Beruhen bestehen verfassungsrechtliche Bedenken. Ein besonderer Ausnahmefall, in dem ein Beruhen auszuschließen ist (vgl. BVerfGE 133, 168 <223 Rn. 97>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Februar 2020 - 2 BvR 900/19 -, Rn. 38), dürfte hier nicht vorliegen, weil der Beschwerdeführer auf die Wirksamkeit der Verständigung - insbesondere den Schutz durch § 257c Abs. 4 StPO - vertraute, als er ein Geständnis ablegte. Ohnehin darf die Frage des Beruhens des Urteils auf dem Verstoß gegen das im Zusammenhang mit den Transparenzvorschriften stehende Zustimmungserfordernis nicht allein unter dem Gesichtspunkt einer Einwirkung auf das Aussageverhalten des Angeklagten beurteilt werden, denn eine solche Argumentation blendete die Bedeutung des Zustimmungserfordernisses für die Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit, die auch dem Schutz des Angeklagten und damit der Verfahrensfairness dient, aus (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Februar 2020 - 2 BvR 900/19 -, Rn. 39).

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 523

Bearbeiter: Holger Mann