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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 787

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 20/19, Beschluss v. 14.04.2020, HRRS 2020 Nr. 787


BGH 5 StR 20/19 - Beschluss vom 14. April 2020

Vorlage an den Großen Senat für Strafsachen zur Frage der Erforderlichkeit eines rechtlichen Hinweises auf mögliche Einziehung von Taterträgen.

§ 265 StPO; § 132 Abs. 2 GVG; § 73 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Der Senat legt dem Großen Senat für Strafsachen die Frage zur Entscheidung vor, ob der Angeklagte nach § 265 Abs. 1 oder nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO auf die obligatorische Einziehung des Wertes von Taterträgen (§§ 73, 73c StGB) hinzuweisen ist, wenn die ihr zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen bereits in der Anklageschrift enthalten sind (vgl. den Anfragebeschluss BGH HRRS 2019 Nr. 1054; zur Antwort des 1. Strafsenats BGH HRRS 2019 Nr. 1228).

Entscheidungstenor

Dem Großen Senat für Strafsachen wird folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:

Ist der Angeklagte nach § 265 Abs. 1 oder nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO auf die obligatorische Einziehung des Wertes von Taterträgen (§§ 73, 73c StGB) hinzuweisen, wenn die ihr zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen bereits in der Anklageschrift enthalten sind?

Gründe

I.

Der Senat hat über die Revision des Angeklagten zu entscheiden, der wegen Bestechlichkeit zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und gegen den damit einhergehend eine Einziehungsentscheidung getroffen worden ist.

1. Der Senat möchte die Revision verwerfen. Daran sieht er sich hinsichtlich der auf Verletzung des § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO gestützten Verfahrensrüge wegen eines weder in der Anklageschrift noch innerhalb oder außerhalb der Hauptverhandlung erteilten rechtlichen Hinweises auf eine in Betracht kommende Einziehung des Wertes von Taterträgen aufgrund entgegenstehender Rechtsprechung des 1. Strafsenats (Beschluss vom 6. Dezember 2018 - 1 StR 186/18, NStZ 2019, 747) gehindert. Im Übrigen hält er die Sachrüge - aus den Gründen des Beschlusses betreffend die Revision des Mitangeklagten (BGH, Beschluss vom 3. April 2019 - 5 StR 20/19) - und die weitere Verfahrensrüge für unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

a) Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten in ihrer Anklageschrift vom 25. Juni 2014 unter anderem zur Last gelegt, im Zusammenhang mit der Veräußerung zweier Grundstücke seine Dienstpflichten verletzt zu haben. Er habe sich unter Hinweis auf seine Amtsstellung für den Verkauf der Grundstücke an die gemäß der Unrechtsvereinbarung eigens zum Zwecke deren Verwertung durch den Mitangeklagten gegründete Gesellschaft eingesetzt. Dieser seien die Erlöse aus dem Weiterverkauf der Grundstücke in der Folge zugeflossen. Seine Einflussnahme auf die Erwerbergesellschaft sei ihm dabei durch seinen als Strohmann eingesetzten Stiefsohn gesichert worden, der die an ihn ausgekehrten Ausschüttungen im „Hinblick auf die verkauften Grundstücke“ nach Abzug einer Vergütung an die Ehefrau des Angeklagten weitergeleitet habe. Die Ehefrau habe ihrerseits Gelder auf das Firmenkonto des Angeklagten transferiert.

Weder in der vom Landgericht unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage, noch im Eröffnungsbeschluss oder in der Hauptverhandlung ist der Angeklagte darauf hingewiesen worden, dass auf dieser Grundlage gegen ihn eine Einziehung des Wertes von Taterträgen in Betracht kommt. Die Vorsitzende hat lediglich nach § 243 Abs. 4 StPO im Hinblick auf den Mitangeklagten mitgeteilt, dass bezüglich diesem „eine Vermögensabschöpfung im Raum stehe“; mit dessen Verteidiger hatte außerhalb der Hauptverhandlung eine Erörterung nach §§ 202a, 212 StPO stattgefunden.

Das Landgericht hat gegen den Angeklagten auf der Grundlage der im Anfragebeschluss mitgeteilten Feststellungen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juni 2019 - 5 StR 20/19, NStZ 2019, 748) die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 68.300 Euro angeordnet, ohne zuvor auf diese Maßnahme hingewiesen zu haben.

b) Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts ist die Rüge nicht bereits unzulässig erhoben, weil die Revision die Verlesung des Erörterungsvermerks nicht vorträgt. Dessen bedurfte es schon deswegen nicht, da selbst ein im Rahmen der Erörterung mit dem Mitangeklagten erfolgter Hinweis nicht genügen würde, um einen förmlichen Hinweis an den Angeklagten zu ersetzen. Tatsächlich haben bezüglich des Angeklagten keine Erörterungen nach §§ 202a, 212 StPO stattgefunden, weshalb der Inhalt des Vermerks sich nicht an den Beschwerdeführer richtete und er damit durch dessen Verlesung nicht auf die Möglichkeit einer ihn betreffenden Einziehung hingewiesen werden konnte.

c) Der Senat hält die Verfahrensrüge des Angeklagten für unbegründet.

aa) Der gerügte Verstoß liegt nicht vor, da der für die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen nach §§ 73, 73c StGB besonders vorgesehene Umstand, dass der Angeklagte durch eine rechtswidrige Tat etwas erlangt hat (vgl. dazu Ceffinato, JR 2020, 6, 11), sich anders als von § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO vorausgesetzt nicht „erst in der Verhandlung“ ergeben hat. Mit der in der Anklageschrift erfolgten Bezeichnung des als Gegenleistung für die Diensthandlung erlangten Vorteils, wonach der Angeklagte aufgrund seiner Einflussnahme auf den Firmenmantel Verfügungsgewalt über die realisierten Verkaufsgewinne erlangt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2018 - 5 StR 185/18, NZWiSt 2019, 195, 198), waren diesem die tatsächlichen Voraussetzungen einer Einziehung bereits mit Zustellung der Anklage bekannt, so dass er auch seine Verteidigung hierauf einrichten konnte; eines darüber hinausgehenden rechtlichen Hinweises auf eine in Betracht kommende Einziehungsanordnung bedurfte es daher nicht. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen weichen auch nicht in relevanter Art und Weise ab.

bb) Zu diesem Ergebnis vermag der Senat unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des 1. Strafsenats (BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2018 - 1 StR 186/18, NStZ 2019, 747) nicht zu gelangen. Denn ein Ausschluss des Beruhens der Entscheidung auf einem etwaigen Rechtsverstoß kommt nicht in Betracht (vgl. dazu aber BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2019 - 1 ARs 14/19, NStZ-RR 2020, 25, 27).

(1) Ein Urteil beruht auf einem Verfahrensfehler, wenn nicht auszuschließen ist, dass sich dieser auf jenes ausgewirkt hat (vgl. Niemöller, NStZ 2015, 489, 493). Im Bereich des § 265 StPO reicht für diese nicht ausschließbare Möglichkeit einer Urteilsauswirkung des Fehlers nach ständiger Rechtsprechung bereits die Möglichkeit, dass sich der Angeklagte hätte erfolgreicher verteidigen können (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 63. Aufl., § 265 Rn. 48 mwN; Niemöller aaO, 489).

(2) Hieran gemessen kann der Senat das Beruhen nicht ausschließen. Insofern hat auch der 1. Strafsenat selbst bei einem geständigen Angeklagten das Beruhen der Einziehungsentscheidung auf dem Rechtsfehler nicht auszuschließen vermocht, da „die Vorschriften der §§ 73 Abs. 1, 73c Satz 1 StGB neben der Begehung der rechtswidrigen Tat weitere Voraussetzungen für die Abschöpfung“ enthalten (vgl. BGH, Beschluss vom 26. April 2019 - 1 StR 471/18, NJW 2019, 2486, 2487).

Eben solche waren dem Angeklagten vorliegend in Form der Erlangung seiner Verfügungsgewalt über die zunächst bei der Gesellschaft eingetretenen Veräußerungsgewinne (vgl. zur Einziehung des Vorteils beim Mitangeklagten BGH, Beschluss vom 3. April 2019 - 5 StR 20/19) zwar durch die Anklage bekannt. Allein dieses evidente Vorliegen der Anordnungsvoraussetzungen einer Maßnahme sagt im Anwendungsbereich des § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO nichts darüber aus, ob sich die Verletzung der Hinweispflicht auf das Urteil ausgewirkt hat (vgl. dazu BGH, Urteil vom 14. Februar 1995 - 1 StR 725/94, NStZ-RR 1996, 10; Beschluss vom 19. Oktober 2017 - 3 StR 310/17, NStZ 2018, 159; aA BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2019 - 1 ARs 14/19, NStZ-RR 2020, 25, 27). Denn hierzu müsste zur Überzeugung des Senats weiter feststehen, dass der den Tatvorwurf bestreitende Angeklagte sich auch bei ergangenem Hinweis nicht anders als geschehen hätte verteidigen können (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 2019 - 1 StR 363/18, NStZ 2020, 47, 48). So liegt es hier aber gerade nicht, wenn er - unter Zugrundelegung der Rechtsprechung, von welcher der Senat abweichen möchte - unabhängig vom Vorliegen neuer Tatsachen und deren Evidenz auf die Möglichkeit der Einziehung hinzuweisen ist. Denn in diesem Fall kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte sich bei Erteilung eines förmlichen Hinweises schon deshalb erfolgreicher verteidigt hätte, weil er bis zu diesem Zeitpunkt nicht mit einer Einziehungsanordnung zu rechnen brauchte; es liegt dann vielmehr nahe, dass er ohne den Rechtsfehler auf die Entscheidung (etwa bei der Überzeugungsbildung hinsichtlich des Wertes des Erlangten) hätte Einfluss nehmen können.

(3) Das Beruhen ist schließlich auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Angeklagte im Rahmen der Erfüllung der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 StPO von Vorgesprächen erfahren hat, in denen gegenüber dem Verteidiger des Mitangeklagten die Möglichkeit einer Einziehung thematisiert wurde. Der Inhalt dieser Mitteilung betraf ihn nicht.

2. Der beabsichtigten Entscheidung steht damit in entscheidungserheblicher Weise Rechtsprechung des 1. Strafsenats entgegen (Beschluss vom 6. Dezember 2018 - 1 StR 186/18, NStZ 2019, 747). Dieser vermag sich der Senat aus den Gründen des Anfragebeschlusses nicht anzuschließen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juni 2019 - 5 StR 20/19, NStZ 2019, 748, 750 f.). Er hat deshalb mit dem vorgenannten Beschluss bei dem 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs angefragt, ob er an seiner entgegenstehenden Rechtsprechung festhält und bei den übrigen Strafsenaten, ob der beabsichtigten Entscheidung Rechtsprechung entgegensteht und ob gegebenenfalls an dieser festgehalten wird.

Der 1. Strafsenat hat am 10. Oktober 2019 (1 ARs 14/19, NStZ-RR 2020, 25) beschlossen, dass er an seiner bisherigen Rechtsprechung festhält. Die übrigen Senate haben mitgeteilt, dass dortige Rechtsprechung der beabsichtigen Entscheidung nicht entgegensteht. Der 2. Strafsenat hat - in Übereinstimmung mit der Ansicht des anfragenden Senats - überdies mitgeteilt, dass § 265 StPO nach seiner Rechtsauffassung keine allgemeine Hinweispflicht in Fällen einer Einziehung statuiere, ein solcher in bestimmten Fallgestaltungen (etwa bei der Problematik der Mitverfügungsgewalt von mehreren Tatbeteiligten) aber unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs geboten sein könne (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2020 - 2 ARs 236/19). Der 4. Strafsenat hat demgegenüber ergänzend erwähnt, dass er im Hinblick auf die Auslegung des Normtextes „erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände“ im Sinne des § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO der Rechtsauffassung des 1. Strafsenats zuneige (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2020 - 4 ARs 15/19).

Aufgrund der bestehenden Divergenz legt der Senat die streitige Rechtsfrage dem Großen Senat für Strafsachen zur Entscheidung vor (§ 132 Abs. 2 GVG).

II.

Der Senat hält die Rechtsfrage darüber hinaus aufgrund der überwiegend zur alten Rechtslage ergangenen und in sich nicht einheitlichen Rechtsprechung zu einem rechtlichen Hinweis bei der in Betracht kommenden Anordnung von Maßnahmen bzw. der Verhängung von Nebenstrafen und Nebenfolgen auch für eine solche von grundsätzlicher Bedeutung (§ 132 Abs. 4 GVG).

1. Eine Rechtsfrage ist von grundsätzlicher Bedeutung, wenn sie sich über den vorgelegten Einzelfall hinaus jederzeit wieder stellen kann und ihre Beantwortung deshalb für die Rechtsanwendung richtungsweisend ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 225; vom 15. Juli 2016 - GSSt 1/16, BGHSt 61, 221, 229; vom 8. Mai 2017 - GSSt 1/17, BGHSt 62, 164, 168; vom 24. Juli 2017 - GSSt 3/17, BGHSt 62, 247, 253).

2. Die Entscheidung geht über die Hinweispflicht nach § 265 StPO bei Einziehungsentscheidungen nach §§ 73, 73c StGB hinaus. Sie betrifft die verfahrensrechtlichen Maßgaben der Hinweispflicht nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO in der Fassung des Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17. August 2017 (BGBl. I S. 3202, 3210) im Hinblick auf sämtliche dort aufgezählten Rechtsfolgeentscheidungen und ist deshalb richtungsweisend für eine Vielzahl vergleichbarer Fälle. Sie ist somit für die Rechtsanwendung von zukunftsweisender Bedeutung.

Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist sie erforderlich, da zu vermeiden ist, dass in einer derart praxisrelevanten und für die Verteidigungsrechte des Angeklagten maßgeblichen Verfahrensfrage zukünftig unterschiedliche Entscheidungen ergehen. Dies gilt umso mehr, als die bisherige Rechtsprechung zu den verfahrensrechtlichen Maßgaben eines Hinweises nach § 265 Abs. 2 StPO und dort insbesondere die Anordnung von Sicherungsmaßregeln betreffend nicht durchweg einheitlich ist.

a) Der 3. Strafsenat hat im Fall der Anordnung eines Berufsverbots eine Auslegung von § 265 Abs. 2 StPO a.F., wonach unter in der Hauptverhandlung hervorgetretenen Umständen solche tatsächlicher Art zu verstehen seien, verworfen, weil „dann der Angeklagte mit einer ihn belastenden Entscheidung des erkennenden Richters überrascht werden könnte, mit der er nach dem Inhalt des Eröffnungsbeschlusses nicht zu rechnen braucht.“ (BGH, Urteil vom 27. September 1951 - 3 StR 596/51, BGHSt 2, 85, 87) Dennoch hat er eine die Hinweispflicht auslösende neue Tatsache darin erblickt, dass „der Angeklagte seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit zu einem seinen Berufsaufgaben zuwiderlaufenden Zweck ausgenützt hat“ (BGH aaO), womit er neben der abweichenden rechtlichen Würdigung auch auf das Hervortreten einer nachträglichen Tatsache abgestellt hat.

Der 1. Strafsenat hat diese Rechtsprechung in seinem Urteil vom 12. März 1963 im Zusammenhang mit der Entziehung der Fahrerlaubnis dahingehend verallgemeinert, dass ein rechtlicher Hinweis auf eine nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung in Betracht kommende Maßregel erforderlich sei, wenn der Eröffnungsbeschluss die ihm zur Last gelegte Tat nicht als Voraussetzung für die Entziehung gekennzeichnet habe (1 StR 54/63, BGHSt 18, 288, 289). Seiner Ansicht nach kann es für die Ausübung der Verteidigungsrechte des Angeklagten „keinen Unterschied ausmachen, ob in der Hauptverhandlung neue Tatsachen hinzutreten, die erst die Anordnung der Sicherungsmaßnahme ermöglichen, oder ob das Gericht bei gleichbleibendem Sachverhalt infolge anderer Beurteilung entgegen dem Eröffnungsbeschluss die Maßnahme in Erwägung zieht“ (BGH aaO).

Im Wesentlichen auf diese beiden Entscheidungen stützt sich die Auffassung, der zufolge das Tatgericht - nach ständiger Rechtsprechung - unabhängig von einer eingetretenen Veränderung der Sachlage verpflichtet ist, den Angeklagten gemäß § 265 Abs. 2 StPO förmlich auf die mögliche Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung hinzuweisen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 1. August 2017 - 4 StR 178/17; Urteil vom 21. Mai 1963 - 1 StR 131/63, NJW 1964, 459; LRStPO/Stuckenberg, 26. Aufl., § 265 Rn. 46, 72; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 265 Rn. 20; vgl. auch BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2019 - 1 ARs 14/19, NStZ-RR 2020, 25, 26). Der Vielzahl der Entscheidungen lässt sich hingegen nicht entnehmen, ob die Anknüpfungstatsachen der Maßregelanordnung bereits in der Anklageschrift benannt waren und es deshalb allein auf die abweichende rechtliche Würdigung ankam (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 30. März 1988 - 3 StR 78/88; BGHR StPO § 265 Abs. 2 Hinweispflicht 2; vom 8. Januar 1991 - 1 StR 683/90; BGHR StPO § 265 Abs. 2 Hinweispflicht 3; vom 4. Juni 2002 - 3 StR 144/02, NStZ-RR 2002, 271; vom 8. April 2003 - 5 StR 140/03; vom 23. Oktober 2008 - 3 StR 350/08, NStZ 2009, 227; vom 8. Januar 2009 - 4 StR 568/08, NStZ 2009, 468; vom 28. Januar 2010 - 5 StR 552/09, NStZ-RR 2010, 215).

b) Demgegenüber hat der 4. Strafsenat in seinem Beschluss vom 8. Mai 1980 ausgeführt, es genüge anders als in Fällen des Absatzes 1 für die Hinweispflicht des § 265 Abs. 2 StPO aF nicht, dass die Straferhöhung oder Maßregel allein aufgrund einer anderen rechtlichen Beurteilung des dem Angeklagten durch die zugelassene Anklage bekannt gewordenen Sachverhalts vom Gericht in Erwägung gezogen wird (4 StR 172/80, BGHSt 29, 274, 279). Bereits in seinem Urteil vom 7. September 1962 (4 StR 266/62, BGHSt 18, 66, 67 f.) hatte der 4. Strafsenat entschieden, dass ein Hinweis auf die Zulässigkeit der Polizeiaufsicht deshalb nicht erforderlich sei. Denn diese hänge allein von der Wertung des Gerichts ab und verlange keine besondere Feststellung der Gefährlichkeit des Täters, mithin keine weiteren tatsächlichen Voraussetzungen als die Erfüllung des Tatbestandes des § 248 StGB aF.

c) Andererseits hat der 1. Strafsenat nunmehr für eine von § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO in der Fassung des Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17. August 2017 (BGBl. I S. 3202, 3210) erfasste Nebenstrafe nach § 375 Abs. 1 Nr. 1 AO, § 45 Abs. 2 StGB eine nachträgliche Tatsache darin gesehen, dass „der Angeklagte zur Zeit des Urteils als Landtagsabgeordneter tätig war“ (BGH, Beschluss vom 24. Juli 2019 - 1 StR 363/18, NStZ 2020, 47) und eine Verletzung der Hinweispflicht angenommen. Die einzige, neben die Verwirklichung des Tatbestandes tretende Voraussetzung zur Verhängung der Nebenstrafe besteht nach § 45 Abs. 2 StGB aber in der tatgerichtlichen Ermessensausübung. In seinem Antwortbeschluss hat der 1. Strafsenat dementsprechend auch ausgeführt, dass „die Verteidigung gegen den Hauptvorwurf mit der Verteidigung gegen die Nebenstrafen oder -folgen identisch ist, es also deshalb keines Hinweises bedarf, weil kein weiteres faktisches Verteidigungsvorbringen möglich ist“ (BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2019 - 1 ARs 14/19, NStZ-RR 2020, 25, 27).

III.

Zur Begründung der Vorlage nimmt der Senat auf die Ausführungen im Anfragebeschluss Bezug. Lediglich zu den im Antwortbeschluss des 1. Strafsenats (vom 10. Oktober 2019 - 1 ARs 14/19, NStZ-RR 2020, 25) angesprochenen zusätzlichen Gesichtspunkten wird ergänzend Folgendes angemerkt:

1. Aus dem Wortlaut des § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO lässt sich für die Auffassung des 1. Strafsenats auch eingedenk der sonstigen Auslegungsmethoden kein Anhalt herleiten (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 8. Mai 1980 - 4 StR 172/80, BGHSt 29, 274, 279; vom 18. Juni 2019 - 5 StR 20/19, NStZ 2019, 748, 749; Abraham, HRRS 2020, 51, 54).

a) Für die Auslegung von Gesetzen maßgebend ist der in der Norm zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist (vgl. BVerfGE 11, 126, 130 f.; 133, 168, 205). Zwar zieht der Wortlaut im Strafprozessrecht keine starre Auslegungsgrenze (vgl. BVerfGE 118, 212, 243). Eine an teleologischen Gesichtspunkten ausgerichtete Norminterpretation gelangt aber dann an ihre Grenzen, wenn sie den Wortlaut des Gesetzes hintanstellt und vom Gesetzgeber dabei auch nicht ausdrücklich oder stillschweigend gebilligt wird (vgl. BVerfGE 118, 212, 243; 122, 248, 283).

b) Nach dem Wortlaut von § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO ist ein förmlicher Hinweis auf die in Betracht kommende Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge dann zu erteilen, „wenn sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben“.

aa) Die Hinweispflicht nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO wird demgemäß („erst“) durch nachträgliche Umstände ausgelöst (vgl. BT-Drucks. 18/11277, S. 37; vgl. auch BGH, Beschluss vom 27. August 2019 - 5 StR 374/19); auf eine mögliche Änderung des Schuldspruchs im Verhältnis zur zugelassenen Anklage ist nach § 265 Abs. 1 StPO demgegenüber stets hinzuweisen. Versteht man mit dem 1. Strafsenat das Verhältnis der beiden Absätze zutreffend dahingehend, dass sie sich auf die unterschiedlichen Kategorien von Schuld (§ 265 Abs. 1 StPO) und Rechtsfolgenfrage (§ 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO) beziehen, wird für die Auslösungstatbestände der Hinweispflicht ein Differenzierungskriterium benannt. Dem wird der 1. Strafsenat jedoch selbst nicht gerecht, wenn er beide Konstellationen gleichbehandelt.

Zwar nimmt die Rechtsprechung bei Sicherungsmaßregeln wie bereits dargelegt eine Hinweispflicht auch bei im Verhältnis zur Anklage gleichbleibendem Sachverhalt und lediglich abweichender rechtlicher Würdigung an (vgl. BGH, Urteil vom 12. März 1963 - 1 StR 54/63, BGHSt 18, 288, 289; Beschluss vom 1. August 2017 - 4 StR 178/17, NStZ-RR 2018, 23; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 265 Rn. 20 mwN). Dort kommt es aber immer nur auf die Gefährlichkeitsprognose im Zeitpunkt der Hauptverhandlung an, so dass der Auslösungstatbestand der Hinweispflicht eines „sich erst in der Verhandlung“ ergebenden „vom Strafgesetz besonders vorgesehenen Umstands“ (§ 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO) auch „erst“ dann eintritt. Demgegenüber wird mit der Einziehung (des Wertes) von Taterträgen (§§ 73, 73c StGB) lediglich ein durch das Erlangen von Taterträgen entstandener quasibereicherungsrechtlicher Anspruch des Staates tituliert.

Diese Besonderheit der durch das Tatgericht vorzunehmenden Prognose spiegelt sich auch in der unterschiedlichen Rechtsnatur der Maßnahmen wider. Während Sicherungsmaßregeln als - zum Teil strafähnlich ausgestaltete - Sonderopfer (vgl. BVerfGE 109, 133, 174; 128, 326, 374; BVerfG, NJW 2012, 1784, 1785; sowie zur strafähnlichen Ausgestaltung BGH, Urteil vom 9. März 2010 - 1 StR 554/09, NJW 2010, 1539, 1542; Beschluss vom 15. April 2008 - 5 StR 431/07, BGHSt 52, 205, 210) ausgeformt sind, wird die Einziehung (des Wertes) von Taterträgen in ständiger Rechtsprechung als Maßnahme mit kondiktionsähnlichem Charakter angesehen (vgl. BGH, Urteil vom 15. Mai 2018 - 1 StR 651/17, NStZ-RR 2018, 241; Beschlüsse vom 6. Februar 2018 - 5 StR 600/17, NStZ 2018, 366, 367; vom 22. März 2018 - 3 StR 42/18, NStZ 2018, 400; vom 23. Oktober 2018 - 5 StR 185/18, NZWiSt 2019, 195, 196). Die Eingriffsintensität der Maßnahmen ist damit nicht deckungsgleich.

bb) Erforderlich für einen vom Strafgesetz besonders vorgesehenen Umstand im Sinne des § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO ist ein über die bloße Tatbestandserfüllung hinausgehendes Merkmal (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Mai 1980 - 4 StR 172/80, BGHSt 29, 274, 279; Ceffinato, JR 2020, 6, 11), worunter etwa auch das Erlangen von Taterträgen im Rahmen der Einziehung fällt (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juli 2019 - 1 StR 620/18, NJW 2019, 3012, 3014; Beschluss vom 10. Oktober 2019 - 1 ARs 14/19, NStZ-RR 2020, 25, 27). Eine lediglich abweichende rechtliche Beurteilung kann hierunter - auch wenn sie sich erst in der Hauptverhandlung herausbildet - demgegenüber nicht gefasst werden, da sie nicht „vom Strafgesetz besonders vorgesehen“ ist (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Mai 1980 - 4 StR 172/80, BGHSt 29, 274, 279; vgl. für § 265 Abs. 3 StPO auch BGH, Beschluss vom 13. März 2018 - 4 StR 27/18, NStZ 2018, 558). Anderes kann bei Ermessensentscheidungen oder solchen im Bereich der Maßregeln der Besserung und Sicherung gelten, sofern deren Anordnung an eine in der Hauptverhandlung zu treffende Wahrscheinlichkeitsprognose geknüpft ist, die dann als derartiger Umstand verstanden werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 7. September 1962 - 4 StR 266/62, BGHSt 18, 66, 67 f.; vgl. für die Verhängung einer Nebenstrafe nach § 375 Abs. 1 Nr. 1 AO, § 45 Abs. 2 StGB aber auch BGH, Beschluss vom 24. Juli 2019 - 1 StR 363/18, NStZ 2020, 47).

So liegt es bei einer im Verhältnis zur Anklage abweichenden rechtlichen Beurteilung der Einziehung des Wertes von Taterträgen jedoch nicht. Auch der 1. Strafsenat geht hiervon aus, wenn er - in Übereinstimmung mit der Auffassung des vorlegenden Senats - das Hinzutreten weiterer tatsächlicher Voraussetzungen für maßgeblich erachtet und hervorhebt, die Einziehung setze mit dem Erlangen von Taterträgen „mehr als die bloße Tatbestandserfüllung voraus“. Dieser tatsächliche Umstand kann jedoch, anders als beispielsweise die tatgerichtliche Feststellung der Gefährlichkeit des Täters, wie im zugrundeliegenden Sachverhalt bereits vor der Hauptverhandlung bekannt sein, etwa durch die zugelassene Anklage. Das „Mehr“ gegenüber der Tatbestandserfüllung ist in diesem Fall dann nicht „erst“ in der Hauptverhandlung hervorgetreten.

c) Der insoweit eindeutige Wortlaut führt zudem zu einer sinnvollen Anwendung des Gesetzes und steht einer anderweitigen Auslegung unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung entgegen (vgl. BVerfGE 8, 28, 33; 78, 20, 24; 133, 168, 205 f.).

aa) Der Gesetzgeber hat die Bezugspunkte der Hinweispflichten nach § 265 StPO durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17. August 2017 (BGBl. I S. 3202, 3210) erweitert, weil seiner allein maßgeblichen Auffassung nach die Änderung der Sachlage, die Anordnung der Einziehung oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge für die Verteidigung in gleichem Maße bedeutsam sein können, wie in Konstellationen bereits zuvor bestehender Hinweispflichten (vgl. BT-Drucks. 18/11277, S. 37). Die Anwendungsvoraussetzungen des § 265 StPO in Form der die Hinweispflichten auslösenden verfahrensrechtlichen Maßgaben wollte er demgegenüber nicht ausdehnen (vgl. BT-Drucks., aaO; vgl. auch BGH, Beschluss vom 8. Mai 2018 - 5 StR 65/18, NStZ 2019, 239; Arnoldi, NStZ 2020, 99, 101), was insbesondere auch darin zum Ausdruck kommt, dass er die Erweiterung in das bestehende System des § 265 StPO eingepasst hat.

bb) Dabei hat er die Hinweispflichten zwar ausnahmslos auf alle Maßnahmen erstreckt. Entgegen der Auffassung des 1. Strafsenats kann dieser Gesetzgebungstechnik jedoch nicht entnommen werden, sämtliche dem Begriff des § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB zuzuordnenden Maßnahmen sollten identischen verfahrensrechtlichen Maßgaben folgen. Der Gesetzgeber hat vielmehr lediglich die zuvor umstrittene Frage, ob auf eine in Betracht kommende Einziehungsentscheidung hinzuweisen ist (vgl. dazu BGH, Urteil vom 8. Februar 1961 - 2 StR 622/60, BGHSt 16, 47, 48; LRStPO/Stuckenberg, 26. Aufl., § 265 Rn. 72), entschieden. Angesichts allein dieses belastbaren gesetzgeberischen Willens liegt es daher nahe, dass es sich bei der Zusammenfassung der Sicherungsmaßregeln und der Einziehung unter den Oberbegriff der Maßnahme im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB lediglich um eine sprachliche Vereinfachung handelt, die dessen feststellbares Regelungsanliegen nicht relativieren darf (vgl. dazu BVerfGE 122, 248, 284; 133, 168, 206).

2. Auch der Anspruch des Angeklagten auf ein faires Verfahren zwingt nicht zur Annahme einer allgemeinen Hinweispflicht in den Fällen einer Einziehung.

Mit der Norm des § 265 StPO hat der Gesetzgeber den Anspruch des Angeklagten auf ein faires Verfahren insoweit konkretisiert, als diesem im Hauptverfahren die Möglichkeit gegeben werden soll, sich mit den tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen einer drohenden Verurteilung auseinanderzusetzen, die vom zugelassenen Anklagesatz abweichen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Juni 2019 - 5 StR 20/19, NStZ 2019, 748, 751 mwN; vom 7. April 2020 - 6 StR 52/20). Eine Überraschung des Angeklagten, auf die er seine Verteidigung nicht hat einstellen können, stellt es demgemäß dar, wenn Änderungen des rechtlichen Gesichtspunkts oder der Sachlage den Schuldspruch bzw. wenn tatsächliche Änderungen die Rechtsfolgenentscheidung betreffen. Die Regelung stellt daher eine Ausformung des Rechts auf ein faires Verfahren dar.

Soweit Vorgänge während des Hauptverfahrens die Verteidigung des Angeklagten durch Abweichungen vom zugelassenen Anklagesatz gefährden können, ist ein Hinweis aus Fairnessgründen aber nur in den gesetzlich vorgeschriebenen Fällen erforderlich (vgl. dazu auch BGH, Beschlüsse vom 8. Mai 1980 - 4 StR 172/80, BGHSt 29, 274, 278 f.; vom 7. April 2020 - 6 StR 52/20; aA Abraham, HRRS 2020, 51, 57 f.), da die Strafprozessordnung insoweit eine konforme Ausgestaltung des Grundsatzes des fairen Verfahrens darstellt. Ist demnach eine Einziehungsmaßnahme bei Vorliegen der Anordnungsvoraussetzungen durch das Gericht zwingend auszusprechen und hatte der Angeklagte bereits durch die zugelassene Anklage die Möglichkeit, von deren Vorliegen Kenntnis zu nehmen, werden dessen Verteidigungsrechte nicht beeinträchtigt. Die Erweiterung des Anwendungsbereichs der Hinweispflichten durch Ausdehnung der normierten Auslösungstatbestände fällt allein in die Befugnis des Gesetzgebers.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 787

Externe Fundstellen: StV 2020, 730

Bearbeiter: Christian Becker