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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 204

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 1 BvR 2465/13, Beschluss v. 24.01.2018, HRRS 2018 Nr. 204


BVerfG 1 BvR 2465/13 (3. Kammer des Ersten Senats) - Beschluss vom 24. Januar 2018 (Kammergericht / LG Berlin)

Schutz der Meinungsfreiheit und Strafbarkeit wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (Werturteile; Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und betroffenem Rechtsgut; erhöhtes Gewicht von Beiträgen zur öffentlichen Meinungsbildung; Beachtung des Kontextes bei der Auslegung von Äußerungen; Kritik an der strafrechtlichen Rehabilitierung eines in der ehemaligen DDR Verurteilten als zulässige Kritik am Umgang der Bundesrepublik mit der DDR-Vergangenheit; Persönlichkeitsschutz nur hinsichtlich des fortwirkenden personalisierten Geltungsanspruchs des Verstorbenen, nicht seiner historischen Handlungen).

Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG; § 189 StGB; § 193 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Äußert der Betreiber einer Internetseite Kritik an der strafrechtlichen Rehabilitierung eines im Jahre 1952 nach dem Strafrecht der ehemaligen DDR wegen der Planung von Anschlägen zum Tode Verurteilten, den er unter anderem als „Banditen“ und „Anführer einer terroristischen Vereinigung“ bezeichnet, so verletzt eine darauf gestützte Verurteilung wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener die Meinungsfreiheit, wenn das Strafgericht nicht berücksichtigt, dass die Äußerungen nicht vorrangig darauf zielten, den Verstorbenen verächtlich zu machen, sondern ersichtlich darauf gerichtet waren, den aus Sicht des Betroffenen voreingenommenen Umgang der Bundesrepublik mit der DDR-Vergangenheit und dem gegen die DDR gerichteten Widerstand anzuprangern.

2. Der Schutz des § 189 StGB zielt auf den fortwirkenden personalisierten Geltungsanspruch eines Verstorbenen, nicht hingegen auf eine ausgewogene politische Bewertung seiner historischen Handlungen als solcher. Das Strafgericht verkennt daher das Gewicht des Persönlichkeitsrechts eines Verstorbenen, wenn es nicht berücksichtigt, dass dieser durch eine ihn herabwürdigende Äußerung im Wesentlichen nur noch als historische Figur betroffen ist.

3. Werturteile, die durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet sind, unterfallen der Meinungsfreiheit. Der Schutzbereich des Grundrechts ist unabhängig davon eröffnet, ob die Äußerungen sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind.

4. Steht ein Äußerungsdelikt in Frage, so verlangt Art. 5 Abs. 1 GG eine Gewichtung der Meinungsfreiheit des sich Äußernden einerseits und des durch die Äußerung betroffenen Rechtsguts andererseits. Dessen Schutz tritt umso mehr zurück, je weniger es sich um eine unmittelbar gegen das Rechtsgut gerichtete private Äußerung in Verfolgung eigennütziger Ziele handelt und je mehr der Äußernde einen Beitrag zu einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage leisten will.

5. Bei Äußerungsdelikten kann eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts auch dadurch begründet sein, dass der Sinn der Äußerung nicht zutreffend erfasst worden ist. Die Äußerung muss unter Einbeziehung ihres Kontextes ausgelegt und es darf ihr kein Sinn zugemessen werden, den sie objektiv nicht haben kann. Bei mehrdeutigen Äußerungen müssen andere mögliche Deutungen mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen werden, bevor man die zur Verurteilung führende Bedeutung zugrunde legt.

6. Die Strafvorschrift des § 189 StGB schützt den allgemeinen Achtungsanspruch des Verstorbenen, der insbesondere davor bewahrt werden soll, herabgewürdigt oder erniedrigt zu werden, sowie den sittlichen, personalen und sozialen Geltungswert, den der Verstorbene durch seine Lebensleistung erworben hat. Dabei schwindet das Schutzbedürfnis in dem Maße, in dem die Erinnerung an den Verstorbenen verblasst. Zudem reicht der Achtungsanspruch jedenfalls nicht weiter als der Ehrschutz lebender Personen.

Entscheidungstenor

1. Das Urteil des Landgerichts Berlin vom 18. März 2013 - (574) 231 Js 2310/11 Ns (145/12) - und der Beschluss des Kammergerichts vom 18. Juli 2013 - (3) 121 Ss 122/13 (95/13) - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes.

2. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Berlin zurückverwiesen.

3. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

4. Das Land Berlin hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

5. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen strafgerichtliche Urteile. Er wurde im Zusammenhang mit einem auf seiner Internetseite veröffentlichten Text wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener gemäß § 189 StGB verurteilt.

I.

1. Der Beschwerdeführer ist Inhaber der Website www.m...de, auf der er regelmäßig Beiträge veröffentlicht, die sich mit vermeintlichen Missständen bei der Aufarbeitung der Diktatur der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) beschäftigen.

Im Oktober 2005 stellte der Beschwerdeführer einen Beitrag über B. ins Netz, der am 25. Mai 1952 vom Obersten Gericht der DDR unter anderem wegen „Boykotthetze“ nach Art. 6 Abs. 2 der DDR-Verfassung zum Tode verurteilt und am 2. August 1952 hingerichtet worden war. Anlass des Beitrags war ein Rehabilitationsbeschluss des Landgerichts Berlin vom 2. September 2005, der das Urteil des Obersten Gerichts der DDR vom 25. Mai 1952 für rechtsstaatswidrig erklärte und es aufhob.

Zu den dem B. vorgeworfenen Tathandlungen, auf denen das Urteil des Obersten Gerichts der DDR beruhte, zählte unter anderem, dass dieser sich am illegalen Vertrieb von „Hetzschriften“ beteiligt habe. Er habe als Mitglied der KgU („Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“) Werksspionage betrieben. Vor Beginn der Jugendfestspiele habe er mit seinen Mittätern „Reifentöter“ auf Berliner Ausfallstraßen verteilt und „Stinkbomben“ in Menschenansammlungen und vor „marschierende Kolonnen“ geworfen. Ein Brandsatz unter einer Festsäule habe nicht gezündet, so dass das Attentat erfolglos geblieben sei. Von einem für den 21. Februar 1952 geplanten Sprengstoffanschlag auf eine Eisenbahnbrücke habe er Abstand genommen, da ein Fluchtwagen nicht zur Verfügung gestanden habe. Den zuvor erhaltenen Koffer mit der Sprengladung habe B. an eine andere Bande weitergegeben und deren Mitgliedern die Handhabung der Sprengkörper erklärt.

Der Beitrag des Beschwerdeführers war wie folgt aufgebaut:

„Denkbedarf zum Thema Terrorismus.

BRD-Beitrag zu der von den Vereinten Nationen angestrebten weltweiten Ächtung des Terrorismus: Legalisierung des Terrors gegen die DDR durch Rehabilitierung des KgU-Banditen B.

Mehr zum Fall B.

Beschluss des Landgerichts Berlin vom 02.09.2005 zur Rehabilitierung des Anführers einer terroristischen Vereinigung B. ...“

Die einzelnen Absätze enthielten jeweils vom Beschwerdeführer erstellte Links zu weiteren Beiträgen. Einer davon enthält Auszüge der in dem Urteil des Obersten Gerichts der DDR vom 25. Mai 1952 gegen B. und sechs andere Personen getroffenen Feststellungen. Dabei gibt der Beschwerdeführer zum Teil wörtlich Passagen des Urteils wieder, zum Teil fasst er die Feststellungen mit eigenen Worten zusammen.

2. Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer mit Urteil vom 27. September 2012 wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (§ 189 StGB) zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 30 €.

3. Das Landgericht verwarf die Berufung des Beschwerdeführers nach mündlicher Verhandlung mit angegriffenem Urteil vom 18. März 2013.

Der Beschwerdeführer habe sich der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener nach § 189 StGB schuldig gemacht. Dazu sei eine Verleumdung immer, eine üble Nachrede, wenn sie einiges Gewicht habe, eine einfache Beleidigung aber nur dann ausreichend, wenn sie unter gravierenden Begleitumständen erfolgt sei. Der Beschwerdeführer habe den Verstorbenen gerade im Zusammenhang mit seiner Rehabilitierung als „Banditen“ und „Anführer einer terroristischen Vereinigung“ bezeichnet und ihn damit auf einen bloßen Straftäter reduziert, ohne auf seine Beweggründe und Ziele einzugehen. Bei den Äußerungen handele es sich nicht um Tatsachenbehauptungen, sondern um Werturteile. Schwerpunkt seiner Äußerung sei gewesen, dem Verhalten des Verstorbenen einen Makel zu verpassen. Der Beschwerdeführer habe damit die Ehre des B. durch vorsätzliche Kundgabe der Nicht- und Missachtung angegriffen. Auch wenn der Beschwerdeführer den Verstorbenen nicht direkt als verurteilten Täter bezeichne, komme in seinen weiteren Äußerungen zum Ausdruck, dass er das Urteil des Obersten Gerichts der DDR nicht nur für moralisch gerechtfertigt, sondern auch für rechtsstaatskonform halte, denn er merke mit dem Obersten Gericht in Bezug auf B. an, dass niemals ein „so skrupelloser und gefährlicher Verbrecher“ zur Aburteilung gestanden habe. Mit seinen Äußerungen leugne er implizit die Rehabilitierung des Verstorbenen und verletze damit dessen Würde in erheblicher Weise beziehungsweise verfälsche dessen ehrrelevantes Persönlichkeitsbild in der Öffentlichkeit.

Die Äußerungen des Beschwerdeführers seien auch nicht nach § 193 StGB gerechtfertigt. Bei dem in dieser Bestimmung enthaltenen Rechtfertigungsgrund handele es sich um eine besondere Ausprägung des in Art. 5 Abs. 1 GG normierten Grundrechts der freien Meinungsäußerung. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass das Ausmaß des Schutzes des Art. 5 Abs. 1 GG vom Zweck der Meinungsäußerung abhänge. Beziehe sie sich auf eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage, so sei sie stärker geschützt als eine Äußerung, die lediglich der Verfolgung privater Interessen diene. Es liege zwar keine bloße Schmähkritik vor, da der Beschwerdeführer mit seiner Berichterstattung über das Rehabilitationsverfahren das allgemeine Interesse verfolge, auf seiner Meinung nach bestehende Missstände in der Aufarbeitung der DDR-Diktatur hinzuweisen. Die Verunglimpfung des Verstorbenen sei jedoch kein angemessenes Mittel zur Wahrnehmung der Interessen des Beschwerdeführers, da sie nicht in einem vertretbaren Verhältnis zum Gewicht des vom Beschwerdeführer verfolgten Interesses stehe. Der Täter müsse grundsätzlich das ihm zumutbar schonendste Mittel wählen. Im Bereich der politischen Auseinandersetzung - wozu auch die vorliegend geführte Auseinandersetzung um die historische Wahrheit zähle - müssten zwar auch einprägsame und drastische Formulierungen hingenommen werden. Die bloße Bezeichnung als „Bandit“ beziehungsweise „Anführer einer terroristischen Vereinigung“ sei jedoch ein Makel, der die Wertung des in Art. 20 Abs. 4 GG normierten Widerstandsrechts in dem Persönlichkeitsbild des Betroffenen völlig außen vor lasse und die Veröffentlichung der Äußerung zu einem nicht von Art. 5 GG geschützten Wertungsexzess mache, so dass im Ergebnis der Schutz vor Verunglimpfung den Interessen des Beschwerdeführers vorgehe.

4. Das Kammergericht verwarf die Revision des Beschwerdeführers mit angegriffenem Beschluss vom 18. Juli 2013 ohne weitere Begründung.

5. Mit der Verfassungsbeschwerde vom 26. August 2013 wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Entscheidungen des Landgerichts und des Kammergerichts und rügt - unter anderem - die Verletzung seiner Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG.

6. Der Berliner Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen dem Bundesverfassungsgericht vor.

II.

Soweit der Beschwerdeführer rügt, durch das angegriffene Urteil des Landgerichts und den angegriffenen Beschluss des Kammergerichts in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt zu sein, nimmt die Kammer die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).

1. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Insbesondere ist die für die Entscheidung maßgebliche verfassungsrechtliche Frage der Reichweite von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG bei der strafrechtlichen Beurteilung von Meinungsäußerungen bereits entschieden (vgl. BVerfGE 7, 198 <207 ff.>; 61, 1 <7 ff.>; 90, 1 <14 ff.>; 90, 241 <246 ff.>; 93, 266 <289 ff.>; 124, 300 <320 ff.>).

2. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist danach im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

a) Die inkriminierten Äußerungen fallen in den Schutzbereich des Grundrechts auf Meinungsfreiheit. Sie sind durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägte Äußerungen und deshalb als Werturteile anzusehen (vgl. BVerfGE 7, 198 <210>; 61, 1 <8>; 90, 241 <247>). Der Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ist dabei unabhängig davon eröffnet, ob die Äußerungen sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind (vgl. BVerfGE 90, 241 <247>; 124, 300 <320>).

b) Das Grundrecht der Meinungsfreiheit gilt allerdings nicht vorbehaltlos, sondern findet nach Art. 5 Abs. 2 GG seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, zu denen auch der der vorliegenden Verurteilung zugrunde liegende § 189 StGB gehört. Auslegung und Anwendung der Strafvorschriften ist grundsätzlich Sache der Strafgerichte. Das Bundesverfassungsgericht ist auf die Klärung beschränkt, ob das Strafgericht die wertsetzende Bedeutung des Grundrechts verkannt hat (vgl. BVerfGE 7, 198 <208 f.>; 93, 266 <292>; stRspr). Steht ein Äußerungsdelikt in Frage, so verlangt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG eine Gewichtung der Beeinträchtigung, die der Meinungsfreiheit des sich Äußernden einerseits und dem geschützten Rechtsgut andererseits droht (vgl. BVerfGE 7, 198 <212>; 93, 266 <293>; stRspr). Wird von dem Grundrecht nicht zum Zwecke privater Auseinandersetzung Gebrauch gemacht, sondern will der Äußernde in erster Linie zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen, dann sind die Auswirkungen seiner Äußerungen auf den Rechtskreis Dritter zwar unvermeidliche Folge, aber nicht eigentliches Ziel der Äußerung. Der Schutz des betroffenen Rechtsguts tritt umso mehr zurück, je weniger es sich um eine unmittelbar gegen dieses Rechtsgut gerichtete Äußerung im privaten Bereich in Verfolgung eigennütziger Ziele handelt, sondern um einen Beitrag zu einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage (vgl. BVerfGE 61, 1 <11>).

Bei Äußerungsdelikten kann eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts auch dadurch begründet sein, dass der Sinn der Äußerung nicht zutreffend erfasst worden ist (vgl. BVerfGE 93, 266 <295 f.>; 94, 1 <9>). Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen bei der Deutung einer Äußerung gehört, dass sie unter Einbeziehung ihres Kontextes ausgelegt und ihr kein Sinn zugemessen wird, den sie objektiv nicht haben kann. Bei mehrdeutigen Äußerungen müssen andere mögliche Deutungen mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen werden, bevor man die zur Verurteilung führende Bedeutung zugrunde legt (vgl. BVerfGE 93, 266 <295 f.>; 82, 43 <52>).

Geschützt ist bei Verstorbenen zum einen der allgemeine Achtungsanspruch, der dem Menschen kraft seines Personseins zusteht. Dieser Schutz bewahrt den Verstorbenen insbesondere davor, herabgewürdigt oder erniedrigt zu werden (vgl. BVerfGE 30, 173 <194>). Schutz genießt aber auch der sittliche, personale und soziale Geltungswert, den die Person durch ihre eigene Lebensleistung erworben hat. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Schutzbedürfnis des Verstorbenen in dem Maße schwindet, in dem die Erinnerung an ihn verblasst, so dass im Laufe der Zeit auch das Interesse an der Nichtverfälschung des Lebensbildes abnimmt (vgl. BVerfGE 30, 173 <196>). Unabhängig von der Frage, wie weit der Achtungsanspruch Verstorbener im Einzelfall geht, reicht er jedenfalls nicht weiter als der Ehrschutz lebender Personen.

c) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen die angegriffenen Entscheidungen nicht.

Das Landgericht sieht den Schwerpunkt der Äußerung des Beschwerdeführers darin, dem Verhalten des verstorbenen B. einen Makel zu verpassen. Damit misst es dem Kontext der Äußerungen kein hinreichendes Gewicht zu.

Das mit der Webseite verfolgte Anliegen des Beschwerdeführers ist eine Kritik an der Bundesrepublik, deren Umgang mit der DDR-Vergangenheit er für einseitig hält. Ausgehend von den Tatvorwürfen, wegen derer der verstorbene B. von dem obersten Gericht der DDR verurteilt wurde, bewertet der Beschwerdeführer die Handlungen des B. als Straftaten und behauptet, die DDR habe ein legitimes Interesse an der Verfolgung dieser Taten gehabt, weshalb man den Verurteilten nicht nachträglich durch die Rehabilitationsentscheidung als Held ehren dürfe. Diese Äußerung zielt in ihrem Schwerpunkt nicht oder jedenfalls nicht nur darauf, den Verstorbenen als Person verächtlich zu machen, sondern auch darauf, einen nach Ansicht des Beschwerdeführers aus politischer Voreingenommenheit doppelbödigen Umgang mit der DDR-Vergangenheit und dem gegen sie gerichteten Widerstand anzuprangern.

Eine solche Meinungsäußerung ist von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG grundsätzlich gedeckt. Ob diese Sichtweise sachlich in irgendeiner Weise vertretbar oder sie von vorneherein unberechtigt ist, spielt für den Schutz der Meinungsfreiheit keine Rolle. Daran ändert auch nichts, dass das vom Beschwerdeführer in Bezug genommene Urteil, wie das Landgericht darlegt, grob rechtsstaatswidrig und unangemessen hart war und der Beschwerdeführer die deswegen ausgesprochene Rehabilitierung des verstorbenen B. in Frage stellt. Der Beschwerdeführer ist in Anerkennung seiner Meinungsfreiheit nicht verpflichtet, die Richtigkeit dieser Rehabilitierungsmaßnahme anzuerkennen. Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist er auch nicht verpflichtet, die Handlungen des verstorbenen B. unter dem Gesichtspunkt zu würdigen, dass in ihnen ein Beitrag zum Widerstand gegen die DDR-Diktatur lag. Der Beschwerdeführer kritisiert die Rehabilitierung des B., weil gegen diesen Vorwürfe erhoben worden waren wie die Planung von Brandsatz- und Sprengstoffanschlägen. Dass der Beschwerdeführer davon ausgehen musste, dass diese Vorwürfe von vorneherein unwahr oder unberechtigt waren, legt weder das Landgericht dar, noch ist dies sonst ersichtlich.

Die auf den Umgang mit der DDR-Vergangenheit zielende Kritik ist bei der Beurteilung des Gewichts der Ehrbeeinträchtigung des Verstorbenen maßgeblich in Rechnung zu stellen. Dabei zielt der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf den Schutz eines fortwirkenden Geltungsanspruchs der Person, nicht aber auf eine ausgewogene politische Bewertung historischer Handlungen als solcher. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die Herabsetzung nach 60 Jahren Herrn B. im Wesentlichen nur noch als historische Figur betrifft. Wieweit das postmortale allgemeine Persönlichkeitsrecht unter diesen Umständen eine Auseinandersetzung mit den genaueren Motiven und Umständen der Tat, wie hier dem Ziel des Verstorbenen, für eine freie Gesellschaftsordnung zu kämpfen, erforderlich macht, haben die Fachgerichte nicht näher erwogen und in ihrer Abwägung nicht berücksichtigt. Dass der Verstorbene in erheblichem Umfang noch als individualisierte Person in der Öffentlichkeit oder durch ihn persönlich verbundene Angehörige und Freunde präsent ist und daraus noch einen besonders gewichtigen personalisierten Geltungsanspruch ableiten kann, ergibt sich aus dem landgerichtlichen Urteil nicht.

Indem das Landgericht den politischen Kontext bei der Deutung der Äußerungen nicht hinreichend berücksichtigt und das entgegenstehende Gewicht des Persönlichkeitsrechts des Verstorbenen unzutreffend gewichtet hat, genügt die Entscheidung den Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht.

d) Da das Kammergericht die Revision als offensichtlich unbegründet erachtet hat, leidet seine Entscheidung an denselben Mängeln wie das Urteil des Landgerichts.

3. Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf der Verkennung der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei erneuter Befassung zu einer anderen Entscheidung in der Sache kommen wird.

4. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Von einer Begründung wird insoweit abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

5. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 204

Bearbeiter: Holger Mann