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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 659

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 592/16, Beschluss v. 27.04.2017, HRRS 2017 Nr. 659


BGH 2 StR 592/16 - Beschluss vom 27. April 2017 (LG Aachen)

Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (Grenzen rechtlich zulässiger Schlussfolgerungen).

§ 261 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts, dem es allein obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind und der Tatrichter von ihrer Richtigkeit überzeugt ist. Die zur richterlichen Überzeugung erforderliche persönliche Gewissheit des Richters setzt allerdings objektive Grundlagen voraus, die aus rationalen Gründen den Schluss erlauben, dass das festgestellte Geschehen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Deshalb müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und sich nicht als bloße Vermutung erweist.

2. Die Tatsache, dass eine geringe Menge Amphetaminöl in einem Behälter mit einer Gesamtfüllmenge von 5 l aufgefunden wurde, trägt nicht die Annahme, dass der Kanister vollständig mit dem Stoff gefüllt gewesen sei. Ein Erfahrungssatz, wonach eine Rauschgiftmenge dem Fassungsvermögen des zu ihrer Aufbewahrung benutzten Behältnisses entspricht, besteht nicht.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 10. Oktober 2016, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,

a) im Fall II.1. der Urteilsgründe,

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe,

c) im Ausspruch über den Verfall des Wertersatzes.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Aachen zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und Wertersatzverfall in Höhe von 15.000 € angeordnet. Darüber hinaus hat es die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von einem Jahr keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

Die hiergegen gerichtete, auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Teilerfolg und führt zur Aufhebung im Fall II.1. der Urteilsgründe. Dies entzieht dem Ausspruch über die Gesamtstrafe sowie der Anordnung des Wertersatzverfalls die Grundlage. Im Übrigen erweist sich das Rechtsmittel des Angeklagten als unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

Der Generalbundesanwalt hat in seiner Zuschrift ausgeführt:

„Die Verurteilung des Angeklagten im Fall 1 der Urteilsgründe kann […] keinen Bestand haben. Die Beweiswürdigung zu dieser Tat […] begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Zwar ist die Beweiswürdigung Sache des Tatgerichts, dem es allein obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind und der Tatrichter von ihrer Richtigkeit […] überzeugt ist. Die zur richterlichen Überzeugung erforderliche persönliche Gewissheit des Richters setzt allerdings objektive Grundlagen voraus, die aus rationalen Gründen den Schluss erlauben, dass das festgestellte Geschehen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Deshalb müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und sich nicht als bloße Vermutung erweist (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 24. November 1992 - 5 StR 456/92, StV 1993, 510; BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2001 - 5 StR 520/01, StV 2002, 235; BGH, Beschluss vom 22. August 2013 - 1 StR 378/13, NStZ-RR 2013, 387).

An diesen Grundsätzen gemessen ist die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe in der von ihm angemieteten Garage Amphetaminpaste hergestellt und hierzu Amphetaminöl verwendet, dessen Reste sich in dem in der Garage sichergestellten Kanister mit einem Fassungsvermögen von 5 Litern befanden, rechtlich nicht zu beanstanden. Soweit es indes weitergehend davon ausgegangen ist, dass der Kanister vollständig mit Amphetaminöl gefüllt gewesen sei, hält diese Würdigung rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Strafkammer begründet ihre diesbezügliche Überzeugung allein mit der Erwägung, die Hauptverhandlung habe keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass dies nicht der Fall gewesen sein könnte […]. Diese Überlegung erweist sich schon deshalb als nicht tragfähig, weil ein Erfahrungssatz, wonach eine Rauschgiftmenge dem Fassungsvermögen des zu ihrer Aufbewahrung benutzten Behältnisses entspricht, nicht besteht. Hinzu kommt, dass nach dem sonstigen Ergebnis der Beweisaufnahme - entgegen den Ausführungen des Landgerichts - Umstände vorliegen, die dafür sprechen konnten, dass der Angeklagte im Fall 1 über weniger als 5 l Amphetaminöl verfügte. Dies gilt insbesondere insoweit, als die Zeugin H. die - spätere - Einfuhr von 880,03 g Amphetaminöl im Fall 4 in einem überwachten Telefonat mit dem Angeklagten als 'das große Ding' bezeichnete […]. Die Beweisbedeutung dieser Äußerung konnte das Landgericht in der vorliegenden Beweissituation nicht mit dem Hinweis verneinen, sie lasse 'nicht zwingend' darauf schließen, dass die Amphetaminölmenge im Fall 1 geringer als angenommen war […], zumal auch die Mengen von 80 g Amphetaminpaste im Fall 2 […] und 599,6 g Amphetaminsulfatzubereitung in Fall 3 […] erheblich unterhalb den von der Kammer im Fall 1 zu Grunde gelegten Mengen von 5 l Amphetaminöl bzw. 12 kg daraus hergestellter Amphetaminpaste liegen. Die nicht tragfähige begründete Würdigung zur Betäubungsmittelmenge entzieht dem Schuldspruch zu dieser Tat insgesamt die Grundlage.“

Diesen Ausführungen tritt der Senat bei.

Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 659

Externe Fundstellen: NStZ 2017, 486

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner