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HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 325

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 424/15, Beschluss v. 04.02.2016, HRRS 2016 Nr. 325


BGH 1 StR 424/15 - Beschluss vom 4. Februar 2016 (LG Stuttgart)

Körperverletzung mit Todesfolge (Vorhersehbarkeit der schweren Folge); Mittäterschaft (gemeinsamer Tatplan); Beihilfe (psychische Beihilfe durch Anwesenheit am Tatort).

§ 227 StGB; § 25 Abs. 2 StGB; § 27 Abs. 1 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Der hinsichtlich der qualifizierenden Tatfolge erforderlichen Vorhersehbarkeit steht für eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung mit Todesfolge nicht entgegen, dass der Täter vor dem Beginn der Körperverletzungshandlungen nichts von dem Mitführen der späteren Tatwaffe gewusst hat. Denn es reicht für die Erfüllung der subjektiven Fahrlässigkeitskomponente aus, wenn der Täter die Möglichkeit des Todeserfolgs im Ergebnis hätte voraussehen können. Einer Voraussehbarkeit aller Einzelheiten des zum Tode führenden Geschehensablaufs bedarf es nicht (vgl. BGH NStZ-RR 2009, 309, 310).

2. Bei Beteiligung mehrerer Personen, von denen nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkmale verwirklicht, ist Mittäter, wer seinen eigenen Tatbeitrag so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Stets muss sich diese Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen (st. Rspr). Voraussetzung für die Zurechnung späteren fremden Handelns als eigenes mittäterschaftliches Tun ist ein zumindest konkludentes Einvernehmen der Mittäter.

3. Die bloße Anwesenheit am Tatort in Kenntnis einer Straftat reicht selbst bei deren Billigung für eine psychische Beihilfe nicht aus (vgl. dazu BGH NStZ 2002, 139, 140 mwN). Die Hilfeleistung im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB kann zwar auch in der Billigung der Tat bestehen, wenn sie gegenüber dem Täter zum Ausdruck gebracht und dieser dadurch in seinem Tatentschluss bestärkt wird und der Gehilfe sich dessen bewusst ist. Das setzt aber voraus, dass der die Tat unmittelbar Ausführende den Angeklagten und dessen Billigung eines Tötungsdelikts wahrgenommen hat und dadurch in seinem Tatentschluss bestärkt oder ihm zumindest ein erhöhtes Sicherheitsgefühl vermittelt wurde.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 26. Februar 2015

a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte der Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in acht tateinheitlichen Fällen und in Tateinheit mit Beteiligung an einer Schlägerei schuldig ist, sowie

b) im Strafausspruch aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtmittels, an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in acht tateinheitlichen Fällen zu einer Jugendstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die weiteren Mitangeklagten hat es jeweils wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in acht tateinheitlichen Fällen und in Tateinheit mit Beteiligung an einer Schlägerei zu mehrjährigen Jugendstrafen verurteilt.

Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts war der damals 20 Jahre und elf Monate alte Angeklagte Mitglied der Gruppierung „Red Legion“, die am Tatabend aus mindestens 26 Personen bestand. Diese der „Red Legion“ zugehörigen Personen hatten elf Angehörige der gegnerischen Gruppierung „Black Jackets“ aus einer Bar gelockt und umstellt, um sie ohne Vorwarnung in Überzahl plötzlich und brutal anzugreifen und erheblich zu verletzen. Zu Beginn der Auseinandersetzung zog der Angeklagte unvermittelt ein Messer, stach zweimal gezielt in die Bauchregion des hierdurch überraschten Anführers der gegnerischen Gruppierung und fügte diesem u.a. eine stark blutende Stichverletzung zu. Der Angegriffene schlug dem Angeklagten mit der Faust in das Gesicht, um den Angriff zu beenden. Ein weitergehender Tatplan der Angreifer, der das Mitführen von Waffen oder gefährlichen Werkzeugen umfasste und sich darauf erstreckte, mit diesen die Gegner lebensgefährlich zu verletzen oder zu töten, konnte nicht festgestellt werden. Jedem Angreifer war aber bewusst, dass es bei den Angegriffenen auch zu tödlichen Verletzungen kommen könnte.

Der Angeklagte setzte mit dem Einsatz seines Messers als Startsignal bewusst das Niveau der Intensität des Angriffsgeschehens und nahm billigend in Kauf, dass auch andere Angreifer Messer in lebensgefährlicher Weise verwenden und dabei zum Tode führende Verletzungen auf Seiten der „Black Jackets“ verursachen könnten. Nach dem Messerangriff des Angeklagten begann „explosionsartig“ der Angriff. Für jeden Angreifer war vorhersehbar, dass es bei den Gegnern zu tödlichen Verletzungen kommen konnte. Tatsächlich wurde im Rahmen des Kampfgeschehens ein Mitglied der „Black Jackets“ durch Stiche mit einem Messer getötet. Wer das Messer auf diese Weise eingesetzt hatte, der genaue Zeitpunkt im Kampfgeschehen, die zeitliche Abfolge und die sonstigen Umstände der Messerstiche konnten nicht aufgeklärt werden. Ebenso wenig konnte festgestellt werden, ob der Angreifer, der die tödlichen Messerstiche gesetzt hatte, zuvor den Messerangriff des Angeklagten beobachtet hatte.

Die Strafkammer hat in der rechtlichen Würdigung ausgeführt, der Angeklagte müsse sich die tödlichen Messerstiche nach den Regeln der Mittäterschaft aufgrund seiner Tatherrschaft und seines Tatinteresses zurechnen lassen. Mit seiner den Angriff einleitenden Messerattacke auf den Anführer der gegnerischen Gruppierung habe er auch die potentiell tödliche Verwendung von Messern durch andere Angreifer gebilligt.

II.

Der zu der rechtsfehlerfreien Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung in acht tateinheitlichen Fällen tateinheitlich hinzutretende Schuldspruch wegen Mordes hat keinen Bestand.

1. Die tödlichen Stiche können dem Angeklagten auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen nicht nach § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden.

Die subjektiven Voraussetzungen der Mittäterschaft sind erst gegeben, wenn ein Tatbeteiligter mit seinem Beitrag nicht bloß fremdes tatbestandsverwirklichendes Tun fördern will, sondern dieser Beitrag im Sinne arbeitsteiligen Vorgehens Teil einer gemeinschaftlichen Tätigkeit sein soll. Dabei muss der Beteiligte seinen Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatanteils wollen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 29. September 2015 - 3 StR 336/15, NStZ-RR 2016, 6 f. und vom 2. Juli 2008 - 1 StR 174/08, NStZ 2009, 25, 26; Urteil vom 17. Oktober 2002 - 3 StR 153/02, NStZ 2003, 253, 254). Voraussetzung für die Zurechnung späteren fremden Handelns als eigenes mittäterschaftliches Tun ist ein zumindest konkludentes Einvernehmen der Mittäter.

An dieser Zurechnungsgrundlage fehlt es. Die Tathandlung des Angeklagten wurde nach den Feststellungen nicht von einem gemeinsamen Tatplan hinsichtlich des Mitführens von Waffen und der Tötung eines Gegners getragen. Sie ist auch nicht Teil einer späteren konkludenten Erweiterung des Tatplans durch bewusstes und gewolltes Zusammenwirken des Angeklagten mit dem für die tödlichen Stiche verantwortlichen Angreifer.

Der vor Beginn des Kampfgeschehens gefasste gemeinsame Tatplan sah keine Bewaffnung und keine Tötung der Gegner vor. Der Angeklagte selbst beging mit dem Einsatz seines Messers einen Exzess. Feststellungen über eine Erweiterung des Tatplans unter Einbindung des die tödlichen Stiche setzenden Angreifers sind nicht getroffen worden. Die einseitige Zustimmung des Angeklagten zur todbringenden Verwendung mitgeführter Messer durch andere Angreifer genügt nicht. Ein zumindest konkludentes wechselseitiges Einvernehmen hätte zunächst vorausgesetzt, dass der die Tat unmittelbar Ausführende die Messerattacke des Angeklagten überhaupt wahrgenommen hat. Das ist gerade nicht festgestellt. Damit entbehrt der Schluss des Landgerichts, auch der tödliche Messerstich sei aufgrund einer konkludenten Erweiterung des ursprünglichen Tatplans dem Angeklagten zuzurechnen, einer tragfähigen Grundlage.

2. Eine Verurteilung des Angeklagten wegen Anstiftung zum vollendeten Tötungsdelikt kommt nicht in Betracht, weil nach den Feststellungen des Landgerichts gerade nicht feststeht, dass der Angeklagte bei dem anderen durch seine Messerattacke den Tatentschluss zur Tötung hervorgerufen hat. Dies hätte zumindest vorausgesetzt, dass dieser das Messer in der Hand des Angeklagten überhaupt wahrgenommen hat und zu diesem Zeitpunkt noch nicht zur Begehung eines Tötungsdelikts entschlossen war. Daran fehlt es indes.

3. Eine Verurteilung wegen Beihilfe scheidet nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ebenfalls aus.

Als Gehilfe wird gemäß § 27 Abs. 1 StGB bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe leistet. Diese Hilfeleistung muss sich auf die Begehung der Haupttat zwar nicht kausal auswirken; erforderlich ist aber, dass sie die Haupttat zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen Versuchsbeginn und Beendigung in irgendeiner Weise erleichtert oder fördert (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 9. Juli 2015 - 2 StR 58/15, NStZ-RR 2015, 343, 344; Urteil vom 16. Januar 2008 - 2 StR 535/07, NStZ 2008, 284 mwN). Dies belegen die Feststellungen nicht.

Auch eine psychische Beihilfe scheidet aus, da diese vorausgesetzt hätte, dass der die Tat unmittelbar Ausführende die Messerattacke des Angeklagten wahrgenommen hat und dadurch in seinem Tatentschluss bestärkt oder ihm ein erhöhtes Sicherheitsgefühl vermittelt wurde.

4. Der Angeklagte war nach der rechtsfehlerfreien Wertung der Strafkammer Mittäter der begangenen gefährlichen Körperverletzung in acht tateinheitlichen Fällen.

Die rechtsfehlerfreien Feststellungen tragen auch einen Schuldspruch wegen Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB), der nach dem Wegfall der Verurteilung wegen Mordes nicht mehr zurücktritt.

Die tödlichen Messerstiche wurden durch die vorsätzlich begangene, gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung verursacht. Nach den Feststellungen erfolgten sie im Rahmen des Kampfgeschehens, das durch einen plötzlichen Angriff der äußerst aggressiv gestimmten und sich in Überzahl befindenden Angreifer auf den Signalwirkung entfaltenden Messerangriff des Angeklagten eröffnet worden war, nachdem der Gegner umzingelt worden war. Darin war die spezifische Gefahr einer Eskalation mit tödlichem Ausgang angelegt. Der hinsichtlich der qualifizierenden Tatfolge erforderlichen Vorhersehbarkeit steht dabei nicht entgegen, dass der Angeklagte vor dem Beginn des Kampfgeschehens nichts von dem Mitführen eines Messers durch andere Gruppenmitglieder gewusst hatte. Denn es reicht für die Erfüllung der subjektiven Fahrlässigkeitskomponente aus, wenn der Täter die Möglichkeit des Todeserfolgs im Ergebnis hätte voraussehen können. Einer Voraussehbarkeit aller Einzelheiten des zum Tode führenden Geschehensablaufs bedarf es nicht (BGH, Urteil vom 10. Juni 2009 - 2 StR 103/09, NStZ-RR 2009, 309, 310).

Der Angeklagte hat sich darüber hinaus auch wegen Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht.

5. Der Senat konnte den Schuldspruch entsprechend ändern (§ 354 Abs. 1 StPO). § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht erfolgreicher als geschehen hätte verteidigen können. Die Schuldspruchänderung führt zur Aufhebung des Strafausspruchs.

HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 325

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede