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HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 17

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 273/15, Urteil v. 14.10.2015, HRRS 2016 Nr. 17


BGH 5 StR 273/15 (alt: 5 StR 377/13) - Urteil vom 14. Oktober 2015 (LG Berlin)

Organisatorische Anforderungen an die Schöffengeschäftsstelle bei Zuziehung eines Hilfsschöffen (Reihenfolge; Zeitpunkt des Eingangs oder der Bearbeitung der Anordnung; Beschränkung der Revisibilität; gravierender Fehler; Auslegung von Zuständigkeitsregeln; gesetzlicher Richter; Geschäftsverteilungsplan); Besorgnis der Befangenheit (Zurückverweisung nach Aufhebung in der Revisionsinstanz; strukturelle Inkaufnahme der Doppelbefassung; Befassung lediglich mit einem Befangenheitsgesuch).

§ 49 Abs. 3 GVG; § 23 StPO; § 354 Abs. 2 StPO; Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Nicht jeder Fehler bei der Heranziehung von Hilfsschöffen - hier ungenaue Erfassung des Eingangszeitpunkts richterlicher Anordnungen - kann mit der Besetzungsrüge erfolgreich geltend gemacht werden. Es muss sich vielmehr um einen gravierenden, die Grenzen des Hinnehmbaren überschreitenden Fehler handeln, also nicht nur um einen bloßen Verfahrensfehler. Die fehlerhafte Auslegung von Zuständigkeitsnormen fällt hierunter nur, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar ist.

2. Etwas anderes gilt lediglich in dem Fall, dass nicht die Auslegung und Anwendung einer Zuständigkeitsregel, sondern die Verfassungsmäßigkeit der der Rechtsanwendung zugrunde liegenden Zuständigkeitsregel selbst (etwa eines Geschäftsverteilungsplans) zu prüfen ist.

3. Nach § 23 Abs. 1 StPO darf an Rechtsmittelentscheidungen nicht mitwirken, wer bei der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat. Ein Richter ist demgegenüber nicht etwa allein deshalb kraft Gesetzes oder wegen Besorgnis der Befangenheit von der Ausübung des Richteramts in einer vom Revisionsgericht zurückverwiesenen Sache ausgeschlossen, weil er bereits an der aufgehobenen Entscheidung mitgewirkt hatte.

4. Eine „strukturelle Inkaufnahme einer Doppelbefassung“ derselben Richter mit einem zurückverwiesenen Verfahren liegt ausgesprochen nahe, wenn aufgrund eines Geschäftsverteilungsplans die Bearbeitung vom Revisionsgericht zurückverwiesener Sachen einer mit solchen Richtern besetzten Strafkammer zugewiesen wird, die zuvor aufgrund einer anderen Kammerzugehörigkeit regelmäßig an den in Rede stehenden zurückverwiesenen Sachen beteiligt waren. Dagegen ist es regelmäßig unbedenklich, wenn sich die ehemals mit der Sache befassten Richter lediglich mit einem Befangenheitsgesuch gegen die nach der Zurückverweisung zuständigen Richter befassen.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 8. Dezember 2014 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch der Nebenklägerin erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom 12. Dezember 2012 wegen Mordes und anderer Delikte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und drei Monaten verurteilt. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hat der Senat diese Entscheidung mit Urteil vom 7. November 2013 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Landgericht den Angeklagten nunmehr zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Seine Revision stützt der Angeklagte auf zwei Verfahrensrügen und erhebt die allgemeine Sachrüge. Der Generalbundesanwalt hat auf eine Verfahrensrüge hin Terminsantrag gestellt. Das Rechtsmittel bleibt - entsprechend dem in der Hauptverhandlung gestellten Antrag des Generalbundesanwalts - ohne Erfolg.

I.

1. Nach den bindenden Feststellungen des Urteils vom 12. Dezember 2012 verschaffte sich der Angeklagte durch einen Trick Zutritt zur Wohnung einer wohlhabenden 81-jährigen Frau, um diese zu bestehlen. Als er im Schlafzimmer nach Geld suchte, wurde er durch sie überrascht. Er würgte die laut um Hilfe schreiende Frau, bis sie tot zu Boden sank, versteckte die Leiche im Keller des Wohnhauses und hob mit der EC-Karte der Getöteten insgesamt rund 2.000 Euro ab. Das Landgericht hatte das Tötungsverbrechen als Verdeckungsmord gewertet. Dieser Schuldspruch ist rechtskräftig (Urteil des Senats vom 7. November 2013 - 5 StR 377/13, NStZ 2014, 80).

2. Da die Begründung, mit der das Landgericht von einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund seiner pathologischen Spielsucht ausgegangen war, revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht standhielt, hatte der Senat den Strafausspruch aufgehoben. Auf der Grundlage des Gutachtens eines neuen Sachverständigen ist das Landgericht nun zu dem Ergebnis gelangt, dass die Spielsucht des Angeklagten nicht den Schweregrad einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB erreicht (UA S. 13).

II.

Die Revision des Angeklagten bleibt erfolglos.

Der Strafausspruch weist keine sachlich-rechtlichen Fehler auf. Das Landgericht hat sich insbesondere sorgfältig und überzeugend mit der Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten auseinandergesetzt.

Auch die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.

1. Mit einer - nicht präkludierten - Besetzungsrüge macht die Revision einen Verstoß gegen § 338 Nr. 1 StPO i.V.m. § 49 Abs. 3 Satz 2 und 3 GVG geltend. Sie rügt einen Rechtsfehler bei der Zuziehung eines Hilfsschöffen durch die Schöffengeschäftsstelle des Landgerichts Berlin. Bis zum 1. Juli 2014 sei es dort „gängige Praxis“ gewesen, Zuweisungsanordnungen zwar mit einem Eingangsstempel zu versehen, der Datum und Uhrzeit angegeben habe; dabei sei aber entgegen § 49 Abs. 3 Satz 2 GVG nicht der eigentliche Eingang, sondern der Beginn der Bearbeitung dokumentiert worden.

a) Folgendes Verfahrensgeschehen liegt zugrunde:

Kurz vor Beginn der Hauptverhandlung wurde eine Hauptschöffin vom Vorsitzenden der Schwurgerichtskammer von ihrer Teilnahme entbunden. Gleichzeitig ordnete er am 11. Juni 2014 gegenüber der Schöffengeschäftsstelle die Zuweisung des nächstbereiten Hilfsschöffen an. Nach der von der Schöffengeschäftsstelle geführten Zuweisungsliste war diese Anordnung die erste von sechs am 12. Juni 2014 eingegangenen Anordnungen. Als Eingangszeit wurde 7:23 Uhr vermerkt. Die nächste Hinzuziehungsanordnung ging laut Vermerk der Schöffengeschäftsstelle um 7:30 Uhr ein.

Der auf eine mögliche fehlerhafte Behandlung zunächst nur von gleichzeitig bei der Schöffengeschäftsstelle eingegangenen Zuweisungsanordnungen aufmerksam gewordene Strafkammervorsitzende ließ sich von dieser Datum und Uhrzeit des Eingangs seiner Anordnung sowie die Eingangszeiten der beiden darauf folgenden Anordnungen bestätigen. Das Ergebnis seiner Anfrage legte er in einem Vermerk vom 22. Oktober 2014 nieder. Er hielt fest, dass der Hilfsschöffe demnach nicht unter Verstoß gegen § 49 Abs. 3 Satz 4 GVG ausgewählt worden sei.

Am 28. Oktober 2014 vermerkte der Vorsitzende als Ergebnis weiterer Nachfragen, dass vor dem 1. Juli 2014 auf der Schöffengeschäftsstelle nur die Bearbeitungs-, nicht aber die Eingangszeiten der Zuweisungsanordnungen eingetragen worden seien. Ein zeitgleicher Eingang mit dem ebenfalls am 12. Juni 2014 um 7:30 Uhr bearbeiteten Antrag der 65. Strafkammer könne daher nicht ausgeschlossen werden. Der 65. Strafkammer sei damals für den 19. Juni 2014 ein Hilfsschöffe zugewiesen worden; an diesem Tag habe um 9:00 Uhr ein Verfahren gegen „Sc.“ begonnen, das sich nach Auskunft der zuständigen Geschäftsstelle der Staatsanwaltschaft immer nur gegen diesen Angeklagten gerichtet habe. Deshalb wäre (auch bei zeitgleichem Eingang, § 49 Abs. 3 Satz 4 GVG) der Antrag der - im hiesigen Verfahren tätigen - 40. Strafkammer als erster zu bearbeiten gewesen.

b) Die Revision macht geltend, in Anbetracht der beschriebenen Dokumentationsmängel ließe sich Datum und Uhrzeit des jeweiligen Eingangs der Vorsitzendenanordnungen nicht aufklären. Dieser Dokumentationsmangel bringe es mit sich, dass nicht mit aller Gewissheit behauptet werden könne, welcher Hilfsschöffe der bereiteste gewesen sei. Die Eingangszeitpunkte sämtlicher von der Schöffengeschäftsstelle für den 11. und 12. Juni 2014 registrierten Anordnung seien ungewiss. Es sei allerdings wahrscheinlich, dass die am 12. Juni 2014 um 7:30 Uhr bearbeitete Anordnung des Vorsitzenden der 65. Strafkammer tatsächlich vor der um 7:23 Uhr bearbeiteten Anordnung des Vorsitzenden der 40. Strafkammer eingegangen sei, da die Verfügung des Vorsitzenden der 65. Strafkammer bereits vom 6. Juni 2014 datiere. Die Schöffengeschäftsstelle des Landgerichts Berlin sei meist nur bis 13:00 Uhr besetzt. Würden nach diesem Zeitpunkt Anordnungen auf den Zutrag gelegt, so bleibe nach der geschilderten Praxis der Eingangszeitpunkt unsicher. Seine Dokumentation hänge vielmehr von der Bearbeitung der gesammelten Eingänge am folgenden Tag ab. Dass dann etwa die zuletzt eingegangene, sich aber im Stapel möglicherweise oben befindende Verfügung oder eine, bei der die Hauptverhandlung in Bälde beginne, vorrangig unter Verstoß gegen das Prioritätsprinzip als „eingegangen“ bearbeitet werde, lasse sich nicht verlässlich ausschließen und sei sogar wahrscheinlich (RB S. 44).

c) Der Präsident des Landgerichts Berlin hat eine Stellungnahme abgegeben, wonach die tatsächlichen Angaben im Zusammenhang mit dieser Verfahrensrüge „grundsätzlich zutreffend“ seien. Aus der Stellungnahme geht hervor, dass die auf der Schöffengeschäftsstelle tätigen Kräfte in Teilzeit arbeiten. Weiter heißt es: „Tatsächlich sind die Mitarbeiterinnen der Schöffengeschäftsstelle bis zum 1. Juli 2014 der auch in der damals gültigen Dienstanweisung enthaltenen Pflicht zur Dokumentierung des tatsächlichen Eingangs der Befreiungsanordnung nicht zutreffend nachgekommen. Vielmehr wurden die morgens bei Dienstantritt vorgefundenen Befreiungsanordnungen stets als gleichzeitig eingegangen behandelt und abgearbeitet, wobei dann jeweils die Bearbeitungszeit dokumentiert worden ist. Danach eingegangene Befreiungsanordnungen wurden aber auch erst als später eingegangen behandelt.“ Zu dieser Stellungnahme des Präsidenten des Landgerichts Berlin hat der Strafkammervorsitzende folgende dienstliche Erklärung abgegeben: „Mir hat eine Mitarbeiterin im Oktober 2014 die Auskunft erteilt, der Antrag der Strafkammer 65 könne nur später, allenfalls gleichzeitig mit dem Antrag der Strafkammer 40 auf der Schöffengerichtsgeschäftsstelle eingegangen sein. Ein Missverständnis schließe ich aus“ (Revisionsgegenerklärung S. 3).

d) Der von der Revision geltend gemachte Rechtsfehler lässt den Bestand des Urteils unberührt.

aa) Nach der Stellungnahme des Präsidenten des Landgerichts wurden in der Schöffengeschäftsstelle zwar die morgens bei Dienstantritt vorgefundenen Befreiungsanordnungen entgegen § 49 Abs. 3 Satz 2 GVG stets als gleichzeitig eingegangen behandelt; danach eingegangene Befreiungsanordnungen wurden aber erst als später eingegangen registriert. Daraus folgt, dass die bereits am 11. Juni 2014 bearbeiteten Zuweisungsanordnungen jedenfalls vor der im hiesigen Verfahren am 12. Juni 2014 um 7:23 Uhr erfolgten Zuweisung eingegangen sind. Darüber hinaus erscheint auch sicher, dass die am 12. Juni 2014 für 10:52 Uhr und noch später vermerkten Anordnungen tatsächlich nach der das hiesige Verfahren betreffenden eingegangen sind.

Naheliegend ist allerdings, dass die beiden für 7:23 Uhr und für 7:30 Uhr vermerkten Anforderungen am Vortag nach Dienstschluss der Schöffengeschäftsstelle tatsächlich mit demselben Zutrag, also gleichzeitig, eingegangen sind. In diesem Falle träfe die von dem Strafkammervorsitzenden in seinem Vermerk vom 28. Oktober 2014 niedergelegte Hilfserwägung zu, wonach auch dann der Antrag der 40. Strafkammer als erster zu bearbeiten gewesen wäre (§ 49 Abs. 3 Satz 4 2. Variante GVG). Freilich kann auch nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die um 7:30 Uhr bearbeitete Anforderung des Vorsitzenden der 65. Strafkammer zwar am Vortag nach Dienstschluss der Schöffengeschäftsstelle, aber bereits vor der Anforderung des Vorsitzenden der 40. Strafkammer einging. Nur in diesem Fall läge - was der Revisionsführer jedoch nicht bewiesen hat - ein Verstoß gegen § 49 Abs. 3 Satz 2 und 3 GVG vor, der das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) berührt, da die Reihenfolge für die Zuweisung der Hilfsschöffen nicht eingehalten worden wäre.

bb) Dieser Verstoß würde indes nicht zur Aufhebung des Urteils nötigen.

(1) Nicht jeder Fehler bei der Heranziehung von Hilfsschöffen kann mit der Besetzungsrüge erfolgreich geltend gemacht werden. Es muss sich vielmehr um einen gravierenden, die Grenzen des Hinnehmbaren überschreitenden Fehler handeln, also nicht nur um einen bloßen Verfahrensfehler (Gittermann in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 49 GVG Rn. 11). Das Bundesverfassungsgericht beanstandet die fehlerhafte Auslegung von Zuständigkeitsnormen nur, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar ist (BVerfG, Beschluss vom 16. Februar 2005 - 2 BvR 581/03, NJW 2005, 2689, 2690; BGH, Urteil vom 22. November 2013 - 3 StR 162/13, BGHSt 59, 75, 79 f.). Etwas anderes gilt lediglich in dem Fall, dass nicht die Auslegung und Anwendung einer Zuständigkeitsregel, sondern die Verfassungsmäßigkeit der der Rechtsanwendung zugrunde liegenden Zuständigkeitsregel selbst (etwa eines Geschäftsverteilungsplans) zu prüfen ist (BVerfG aaO; Beschluss vom 23. Mai 2012 - 2 BvR 610/12 u.a., NJW 2012, 2334, 2335 mwN). Die gerügte Praxis der Schöffengeschäftsstelle beruhte nicht auf einer das Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzenden Regelung. Vielmehr waren entsprechend der Stellungnahme des Präsidenten des Landgerichts die Mitarbeiterinnen der Schöffengeschäftsstelle auch nach der damals gültigen Dienstanweisung zur Dokumentierung des tatsächlichen Eingangs von Befreiungsanordnungen verpflichtet. Tatsachen, die einen Organisationsmangel belegen könnten, sind von der Revision indes nicht vorgetragen worden.

(2) Auf der Grundlage des Revisionsvortrags ist demnach von einem die Auslegung und Anwendung des § 49 Abs. 3 Satz 2 GVG betreffenden Fehler der Schöffengeschäftsstelle auszugehen, weil sie die Bearbeitungszeit und nicht den Eingangszeitpunkt dokumentiert hat. Allerdings ergibt sich aus dem Revisionsvortrag und insbesondere aus dem Vermerk des Strafkammervorsitzenden vom 28. Oktober 2014, dass dieser sich durch Nachfragen bei der Schöffengeschäftsstelle vergewissert hat, dass der Antrag der 40. Strafkammer und der um 7:30 Uhr bearbeitete Antrag der 65. Strafkammer allenfalls gleichzeitig eingegangen sein können. Mit Blick auf die Regelung des § 49 Abs. 3 Satz 4 GVG hat er daraufhin weitere Nachforschungen unternommen und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass auch in diesem Fall der dem hiesigen Verfahren zugewiesene Hilfsschöffe zur Mitwirkung berufen gewesen wäre. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot läge danach nicht vor.

2. Auch die weitere Verfahrensrüge einer Verletzung von § 338 Nr. 1 StPO i.V.m. § 27 StPO bleibt ohne Erfolg.

a) Die Revision macht insoweit geltend, dass über ein in der Hauptverhandlung gestelltes Befangenheitsgesuch gegen die Berufsrichter der erkennenden 40. Strafkammer zu Unrecht die 32. Strafkammer als nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständige Vertretungskammer entschieden habe. Die 32. Strafkammer, die das Befangenheitsgesuch durch Beschluss vom 26. Juni 2014 als unbegründet zurückgewiesen hat, war im ersten Durchgang mit der Strafsache befasst und hatte das vom Senat im Strafausspruch aufgehobene Urteil vom 12. Dezember 2012 gesprochen. Von der Verteidigung sind deshalb die zur Entscheidung über das Befangenheitsgesuch berufenen Richterinnen und Richter ihrerseits wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden, da sie alle am ersten Durchgang des Verfahrens mitgewirkt hatten. Dieses Befangenheitsgesuch wurde durch die Vertreterkammer der 32. Strafkammer mit Beschluss vom 25. Juni 2014 als unbegründet zurückgewiesen.

b) Die Revision ist der Auffassung, dass § 23 Abs. 1 StPO zwar unmittelbar keine Anwendung finde, jedoch „sein Rechtsgedanke einschlägig“ bleibe. Entscheidend sei die „strukturell bedingte Vorbefassung“ der Vertreterstrafkammer aufgrund des Geschäftsverteilungsplans des Landgerichts (RB S. 79). Dieser sehe im Falle einer Rückverweisung eine Zuweisung im Turnussystem vor, wobei zwar, die Strafkammer die in dem Verfahren das Urteil gefällt habe, unberücksichtigt bleibe; eine vergleichbare Ausnahmeregelung für die Vertreterkammer enthalte er aber nicht.

c) Ein Verfahrensfehler liegt nicht vor. Nach § 23 Abs. 1 StPO darf an Rechtsmittelentscheidungen nicht mitwirken, wer bei der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat. Ein Richter ist demgegenüber nicht etwa allein deshalb kraft Gesetzes oder wegen Besorgnis der Befangenheit von der Ausübung des Richteramts in einer vom Revisionsgericht zurückverwiesenen Sache ausgeschlossen, weil er bereits an der aufgehobenen Entscheidung mitgewirkt hatte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Mai 1994 - 3 StR 628/93, NStZ 1994, 447; vom 27. August 1991 - 1 StR 438/91, NStZ 1991, 595, und vom 27. April 1972 - 4 StR 149/72, BGHSt 24, 336; Urteil vom 9. September 1966 - 4 StR 261/66, BGHSt 21, 142).

Auch eine rechtswidrige Umgehung des § 354 Abs. 2 StPO durch eine „strukturelle Inkaufnahme einer Doppelbefassung“ derselben Richter mit einem zurückverwiesenen Verfahren ist nicht ersichtlich. Eine solche liegt zwar ausgesprochen nahe, wenn aufgrund eines Geschäftsverteilungsplans die Bearbeitung vom Revisionsgericht zurückverwiesener Sachen einer mit solchen Richtern besetzten Strafkammer zugewiesen wird, die zuvor aufgrund einer anderen Kammerzugehörigkeit regelmäßig an den in Rede stehenden zurückverwiesenen Sachen beteiligt waren (BGH, Beschluss vom 28. November 2012 - 5 StR 416/12, BGHR StPO § 338 Nr. 1b Geschäftsverteilungsplan 1). Dieser Fall ist hier aber nicht gegeben. Die insoweit im Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts getroffenen Regelungen gewährleisten vielmehr, dass eine vom Revisionsgericht zurückverwiesene Sache von anderen Richtern bearbeitet wird. Die Vertreterkammer musste sich bei der Entscheidung über das Befangenheitsgesuch gegen die 40. Strafkammer nicht - wie die Revision geltend macht - „implizit mit ihrem früheren Urteil befassen“ (RB S. 80), sondern lediglich mit dem geltend gemachten Befangenheitsgesuch. Im Übrigen beruhte es - wie im Beschluss des Landgerichts Berlin vom 25. Juni 2014 über das Ablehnungsgesuch gegen die Richter der 32. Strafkammer ausgeführt - auf „reinem Zufall“, dass mit der 40. Strafkammer ein Spruchkörper für das vorliegende Verfahren zuständig geworden war, der von der 32. Strafkammer vertreten wurde. Ein Verstoß gegen § 338 Nr. 1 StPO liegt demnach nicht vor.

HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 17

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2016, 17 ; StV 2016, 633

Bearbeiter: Christian Becker