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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 134

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 2422/16, Beschluss v. 16.12.2016, HRRS 2017 Nr. 134


BVerfG 2 BvR 2422/16 (3. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 16. Dezember 2016 (OLG Dresden)

Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde mangels Rechtswegerschöpfung bei möglicher Wiedereinsetzung in die Revisionsbegründungsfrist (mangelhafte Revisionsbegründung aufgrund eines Versäumnisses des Rechtspflegers; Grundrecht auf ein faires Verfahren; Belehrung über die Wiedereinsetzungsmöglichkeit; Wiedereinsetzungsfrist).

Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 20 Abs. 3 GG; § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG; § 45 StPO; § 344 Abs. 2 StPO; § 345 Abs. 2 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Zu dem vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde zu erschöpfenden Rechtsweg gehört es auch, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu stellen, soweit der Beschwerdeführer auf diese Weise fachgerichtlichen Rechtsschutz erlangen kann.

2. Das Grundrecht auf ein faires Verfahren gebietet es, einem Angeklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn seine zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegebene Revisionsbegründung aufgrund eines Versäumnisses des Rechtspflegers den förmlichen Anforderungen der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht genügt.

3. Über die Möglichkeit der Wiedereinsetzung ist der Angeklagte zu belehren, soweit der Wiedereinsetzungsgrund in einem der Justiz zuzurechnenden Fehler liegt. Ist die Belehrung unterblieben, kommt auch eine Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist in Betracht.

Entscheidungstenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Sie ist mangels Erschöpfung des Rechtswegs unzulässig (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG), da der Beschwerdeführer durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand noch fachgerichtlichen Rechtsschutz erreichen kann (vgl. BVerfGE 10, 274 <281>; 42, 252 <256 f.>; 77, 275 <282>).

Das Revisionsgericht hat die gemäß § 345 Abs. 2 StPO zu Protokoll der Geschäftsstelle begründete Revision des Beschwerdeführers allein deswegen als unzulässig verworfen, weil sie vom zuständigen Rechtspfleger nicht in einer den Anforderungen der fachgerichtlichen Rechtsprechung genügenden Weise (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2015 - 4 StR 483/15 -, NStZ-RR 2016, S. 89) aufgenommen wurde. In diesen Fällen gebietet es das Grundrecht auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG), dass der Beschwerdeführer zuvor die Möglichkeit erhält, über das Verfahren der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eine Korrektur zu erreichen, falls die den förmlichen Anforderungen des § 345 Abs. 2, § 344 Abs. 2 StPO nicht entsprechende Begründung der Revision auf ein Versäumnis des Rechtspflegers und nicht auf ein Verschulden des Beschwerdeführers zurückzuführen sein sollte (vgl. BVerfGK 8, 303 <304>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. September 2006 - 2 BvR 1612/06 -, juris, Rn. 6; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Oktober 2012 - 2 BvR 1095/12 -, NJW 2013, S. 446 <447>; vgl. auch BGH, Beschluss vom 3. Mai 2006 - 2 StR 64/06 -, NStZ 2006, S. 585). Das ist nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Verfassungsbeschwerde jedenfalls nicht ausgeschlossen, auch wenn - worauf das Oberlandesgericht zutreffend hinweist - das Protokoll mit der Erklärung des Rechtspflegers schließt, der Beschwerdeführer habe auf Aufnahme des Antrags in der vorliegenden Form bestanden. Über die Möglichkeit der Wiedereinsetzung ist der Betroffene gegebenenfalls zu belehren (vgl. BVerfGK 8, 303 <304>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. September 2006 - 2 BvR 1612/06 -, juris, Rn. 9; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Oktober 2012 - 2 BvR 1095/12 -, NJW 2013, S. 446 <447>). Dies ist hier - soweit ersichtlich - unterblieben.

Eine Wiedereinsetzung scheidet dann auch nicht wegen Fristablaufs aus. Soweit der Beschwerdeführer die Frist zur Stellung eines Wiedereinsetzungsantrags versäumt hat und nicht entsprechend belehrt war, kommt zumindest eine Wiedereinsetzung auch in diese Frist in Betracht (vgl. BVerfGK 5, 151 <154 f.>; 8, 303 <304>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. September 2006 - 2 BvR 1612/06 -, juris, Rn. 9; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Oktober 2012 - 2 BvR 1095/12 -, NJW 2013, S. 446 <447>).

Der Beschwerdeführer kann somit innerhalb einer Woche ab Zugang dieses Beschlusses gemäß § 45 StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowohl hinsichtlich der Wiedereinsetzungsfrist als auch hinsichtlich der Frist zur Anbringung einer Revisionsbegründung beantragen, die den Anforderungen des § 344, § 345 Abs. 2 StPO genügt; innerhalb dieser Frist kann er zugleich - durch eine von einem Rechtsanwalt unterzeichnete Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle - eine erneute Revisionsbegründung anbringen (§ 45 Abs. 2 Satz 2 StPO). Auf Basis des Vortrags des Beschwerdeführers ist der Rechtsweg daher jedenfalls derzeit noch nicht erschöpft.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 134

Bearbeiter: Holger Mann