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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 6

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 1238/14, Beschluss v. 30.11.2016, HRRS 2017 Nr. 6


BVerfG 2 BvR 1238/14 (2. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 30. November 2016 (OLG Hamm)

Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen an die Republik Polen aufgrund eines Europäischen Haftbefehls (Vertrauensschutz bei maßgeblichem Inlandsbezug; Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; detaillierte Abwägung im Einzelfall bei Handlung im Inland und Erfolgseintritt im Ausland; maßgeblicher Auslandsbezug bei organisiertem Menschenhandel mit typischerweise grenzüberschreitendem Charakter; Tatort und Versuchsbeginn beim Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung; fachgerichtlicher Wertungsrahmen).

Art. 16 Abs. 2 GG; Art. 4 Nr. 7 Buchstabe a RbEuHb; § 80 Abs. 1 IRG; § 232 Abs. 1 StGB a. F.

Leitsätze des Bearbeiters

1. Mit dem grundsätzlichen Auslieferungsverbot des Art. 16 Abs. 2 GG sollen die Rechtssicherheit und das Vertrauen des von einer Auslieferung betroffenen Deutschen in die eigene Rechtsordnung gewahrt werden. Dieses Vertrauen ist vor allem dann in besonderer Weise geschützt, wenn die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegende Handlung einen maßgeblichen Inlandsbezug aufweist.

2. Ein maßgeblicher Inlandsbezug, der regelmäßig ein Auslieferungshindernis entstehen lässt, ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn Handlungs- und Erfolgsort im Wesentlichen auf deutschem Staatsgebiet liegen. Wer hingegen in einer anderen Rechtsordnung handelt, indem er die Tathandlung vollständig oder in wesentlichen Teilen auf dem Territorium eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union begeht oder dort einen Taterfolg herbeiführt, muss damit rechnen, auch dort zur Verantwortung gezogen zu werden.

3. Einer konkreten Abwägung im Einzelfall bedarf es immer dann, wenn der Beschuldigte ganz oder teilweise in Deutschland gehandelt hat, der Erfolg aber im Ausland eingetreten ist. In diesen Fällen sind insbesondere das Gewicht des Tatvorwurfs und die praktischen Erfordernisse einer effektiven Strafverfolgung mit den grundrechtlich geschützten Interessen des Verfolgten unter Berücksichtigung der mit der Schaffung eines Europäischen Rechtsraums verbundenen Ziele zu gewichten und zueinander ins Verhältnis zu setzen.

4. Ein Gericht verkennt Bedeutung und Tragweite des Grundrechts aus Art. 16 Abs. 2 GG nicht, wenn es einen maßgeblichen Auslandsbezug der einem Auszuliefernden vorgeworfenen Taten annimmt, weil es sich um organisierten Menschenhandel mit typischerweise grenzüberschreitendem Charakter handelt und die Delikte zumindest teilweise auch im ersuchenden Staat - hier: Polen - begangen wurden.

5. Die Annahme, eine vom Tatvorsatz getragene Einwirkung auf das Opfer in Form einer Anwerbung oder Beförderung reiche aus, um eine Strafbarkeit wegen versuchten Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung i. S. d. § 232 Abs. 1 StGB in der bis zum 15. Oktober 2016 geltenden Fassung zu begründen, bewegt sich im fachgerichtlichen Wertungsrahmen und ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.

Entscheidungstenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gründe

Der Beschwerdeführer, der die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, wendet sich gegen seine Auslieferung an die Republik Polen zum Zweck der Strafverfolgung. Er macht eine Verletzung von Art. 16 Abs. 2 GG geltend, da die ihm vorgeworfenen Straftaten einen maßgeblichen Inlandsbezug aufwiesen.

I.

1. Der Beschwerdeführer betrieb von 2002 bis 2006 ein Bordell in Nordrhein-Westfalen. Das Landgericht Bielefeld verurteilte ihn im Jahre 2007 unter anderem wegen Vergewaltigung in mehreren Fällen und gewerbsmäßigen Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Jahren und 9 Monaten. Aufgrund dieses Urteils befindet er sich derzeit in Strafhaft. Er wird die Strafe im Frühjahr 2017 verbüßt haben.

2. Am 26. März 2013 erließ das Bezirksgericht Stettin (Szczecin) gegen den Beschwerdeführer einen Europäischen Haftbefehl, dem ein Haftbefehl des Amtsgerichts Stettin-Zentrum vom 13. Juli 2011 zugrunde liegt. Darin wird dem Beschwerdeführer zur Last gelegt, drei Frauen aus Polen nach Deutschland befördert, sie zusammen mit einer weiteren Person - seiner früheren Ehefrau - in seinem Bordellbetrieb zur Prostitution gebracht und sich dadurch eine fortdauernde Einnahmequelle verschafft zu haben. So soll er die Geschädigte N… von Ende Oktober 2005 bis Anfang Dezember 2005 nach Deutschland gebracht, ihr die Freiheit entzogen und sie durch Schläge und Tritte zur Ausübung der Prostitution gezwungen haben. In der Zeit vom 1. Oktober 2006 bis 2008 soll er die Geschädigte G… nach Deutschland befördert und zur Prostitution gebracht haben. Die Geschädigte B… soll er vom 1. Januar 2007 bis Juli 2007 im Kofferraum seines Fahrzeugs nach Deutschland gebracht und durch Schläge und die Androhung von Schlägen zur Ausübung der Prostitution gezwungen haben. Nach dem Recht des ersuchenden Staats sind die beschriebenen Taten als Menschenhandel und Straftaten gegen die sexuelle Freiheit strafbar.

3. Nachdem die Generalstaatsanwaltschaft Hamm die polnischen Behörden darauf hingewiesen hatte, dass der Beschwerdeführer am 17. Juni 2006 festgenommen worden sei und sich seitdem in Untersuchungs- und Strafhaft befinde, und um eine Konkretisierung der Tatzeiten und Tatvorwürfe gebeten hatte, ergänzte die Bezirksstaatsanwaltschaft Stettin die Angaben aus dem Haftbefehl und übersandte Protokolle über Vernehmungen der Geschädigten.

Mit Blick auf den Tatort wurde mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer die ihm vorgeworfenen Taten sowohl in Deutschland als auch in Polen begangen habe. Er habe alle drei Frauen mit seinem Fahrzeug von Polen nach Deutschland gebracht. Hinsichtlich der Tatzeiten wurde ausgeführt, dass die im Europäischen Haftbefehl angegebenen Daten auf den Zeugenaussagen der Geschädigten beruhten. Diese seien wegen des Zeitablaufs nicht mehr imstande, präzise Tatzeiten anzugeben, so dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass die angegebenen Daten ungenau seien. Es bestünden jedoch keine Zweifel, dass der Beschwerdeführer die ihm vorgeworfenen Taten begangen habe. Die mitgeteilten Tatumstände wurden dahingehend ergänzt, dass die Geschädigte B… am 31. Dezember 1986 und die Geschädigte G… am 10. März 1987 geboren seien, so dass beide Geschädigte zur Tatzeit unter 21 Jahre alt gewesen seien. Alle drei Geschädigten seien mit der Reise nach Deutschland einverstanden gewesen. Der Zeugin G… sei zudem bewusst gewesen, dass sie in einem Nachtclub als Prostituierte habe arbeiten sollen, während den Zeuginnen B… und N… vorgespiegelt worden sei, dass sie in der Gastronomie arbeiten würden. Aus den übersandten Vernehmungsprotokollen ergibt sich, dass alle Geschädigten von einer - in Polen gesondert verfolgten - B… angeworben worden sein sollen. Diese soll zumindest zeitweise als Prostituierte in dem Bordell des Beschwerdeführers gearbeitet und ihm gegen Entgelt polnische Frauen vermittelt haben.

4. Nachdem das Oberlandesgericht Hamm den Erlass eines Auslieferungshaftbefehls zunächst mit der Begründung abgelehnt hatte, dass die dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Taten einen maßgeblichen Bezug zum Inland aufwiesen, ordnete es auf einen erneuten Antrag der Generalstaatsanwaltschaft mit Beschluss vom 21. Januar 2014 die Auslieferungshaft nach § 15 Abs. 1 IRG an. In der Begründung führte das Oberlandesgericht unter anderem aus, dass die deutsche Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers der Auslieferung nicht entgegenstehe. Die Voraussetzungen des § 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 IRG seien erfüllt, weil es sich bei den dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Taten um schwere Taten mit typisch grenzüberschreitendem Charakter handele, die zumindest teilweise im ersuchenden Staat begangen worden seien.

Ausgehend von dem Europäischen Haftbefehl und den übersandten Vernehmungsprotokollen habe sich der Beschwerdeführer in Bezug auf die Geschädigten G… und B…, die zum Tatzeitpunkt unter 21 Jahre alt gewesen seien, auch nach deutschem Recht gemäß § 232 Abs. 1 Satz 2 StGB - in der zur Tatzeit und bis zum 14. Oktober 2016 geltenden Fassung - strafbar gemacht und die Taten teilweise in Polen begangen. Zur Tatbestandserfüllung reiche es aus, das Opfer dazu zu bringen, die in § 232 Abs. 1 Satz 1 StGB a.F. genannten Handlungen zu vollziehen oder vornehmen zu lassen. „Dazu bringen“ bedeute, das Opfer zur tatsächlichen Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution oder zur Vollziehung oder Duldung sonstiger sexueller Handlungen zu veranlassen, das Opfer also dazu zu bestimmen oder diesen Erfolg auf andere Weise zu verursachen. Indem er die Geschädigten wissentlich und willentlich im Zusammenwirken mit einer Gehilfin angeworben und eigenhändig nach Deutschland verbracht habe, habe der Beschwerdeführer somit bereits Tathandlungen im Sinne des § 232 Abs. 1 Satz 2 StGB a.F. begangen. Bezüglich der Geschädigten N…, die zur Tatzeit 26 Jahre alt gewesen sei, habe sich der Beschwerdeführer nach § 232 Abs. 1 Satz 1 StGB a.F. strafbar gemacht. Durch seine Handlungen in Polen habe er zur Tatbestandsverwirklichung zumindest unmittelbar angesetzt.

Da der Beschwerdeführer die Taten teilweise in Polen begangen habe und es sich um Taten des organisierten Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung mit typisch grenzüberschreitendem Charakter handele, wiesen die Taten einen maßgeblichen Bezug zum ersuchenden Staat auf.

5. Mit dem angegriffenen Beschluss vom 30. April 2014 erklärte das Oberlandesgericht die Auslieferung des Beschwerdeführers für zulässig. Der Senat bemerkte insbesondere, dass die deutsche Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers seiner Auslieferung nicht entgegenstehe, und verwies insoweit auf die diesbezüglichen Ausführungen in dem Beschluss vom 21. Januar 2014.

6. Die Auslieferung wurde am 6. Mai 2014 durch die Generalstaatsanwaltschaft bewilligt. Die Bewilligung erfolgte unter dem Vorbehalt, dass dem Beschwerdeführer im Falle der Verhängung einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe angeboten werde, ihn zur Vollstreckung in das Bundesgebiet zurückzuüberstellen. Des Weiteren wurde das Auslieferungsverfahren bis zur Verbüßung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Bielefeld ausgesetzt.

II.

1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 30. April 2014. Er rügt eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 16 Abs. 2 GG.

Der angegriffene Beschluss verletze den Beschwerdeführer nach den vom Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 18. Juli 2005 (BVerfGE 113, 273) aufgestellten Maßstäben in seinem Grundrecht aus Art. 16 Abs. 2 GG, da die ihm vorgeworfenen Taten einen maßgeblichen Inlandsbezug aufwiesen. Der Beschwerdeführer habe die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegenden Handlungen ganz überwiegend auf deutschem Staatsgebiet begangen. Mit einer Auslieferung nach Polen habe er daher zu keinem Zeitpunkt rechnen müssen.

Das Oberlandesgericht begründe einen vermeintlichen Auslandsbezug damit, dass der Beschwerdeführer bereits in Polen unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt habe. Wann bei § 232 StGB a.F. von einem Versuchsbeginn auszugehen sei, sei in der strafrechtlichen Literatur jedoch sehr umstritten. Unter anderem werde vertreten, dass das Opfer selbst zu der das Rechtsgut schädigenden Handlung unmittelbar angesetzt haben müsse. Vorgelagerte Akte, etwa die Einladung zu einer angeblichen Urlaubsreise, reichten nicht aus. Weil der Tatbestand nur solche Opfer schützen solle, deren Entscheidungsfreiheit durch eine Zwangslage beeinträchtigt sei, genüge es nicht, wenn diese Bedrängnis durch das fragliche Handeln erst herbeigeführt werde. Unter Berücksichtigung des Grundrechts aus Art. 16 Abs. 2 GG sei zudem eine restriktive Auslegung des Straftatbestands geboten. Der Versuchsbeginn dürfe nicht so weit vorverlagert werden, dass der Täter die Strafbarkeit seines Verhaltens, noch dazu des in einem anderen Staat begangenen Tatbeitrags, nicht mehr vorhersehen könne.

Selbst wenn man davon ausgehe, dass die in Polen vorgenommenen Handlungen bereits den Versuchsbeginn markierten, stellten sie gegenüber den Handlungen in Deutschland einen derart untergeordneten Tatbeitrag dar, dass sie nicht geeignet seien, einen hinreichenden Auslandsbezug zu begründen und ein Absehen von der inländischen Strafverfolgung zu rechtfertigen.

Ein hinreichender Auslandsbezug ergebe sich auch nicht daraus, dass es sich bei den dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Taten um solche mit typischerweise grenzüberschreitendem Charakter handele. Auch bei derartigen Taten sei eine zumindest teilweise Tatbegehung im Ausland zu verlangen.

Durch die Auslieferung werde der Beschwerdeführer in seinen Verteidigungsmöglichkeiten eingeschränkt. Alle Zeugen, die bestätigen könnten, dass die mutmaßlich Geschädigten freiwillig in dem Nachtclub des Beschwerdeführers gearbeitet hätten, hätten sich zur Tatzeit im Inland aufgehalten. Schon in einem inländischen Strafverfahren werde es schwer fallen, Angestellte und Kunden aus den Jahren 2005 und 2006 ausfindig zu machen. Im Rahmen eines polnischen Strafverfahrens sei dies nahezu unmöglich. Dagegen seien die Hauptbelastungszeuginnen in Polen bereits vernommen worden und erreichbar. In einem inländischen Verfahren könnten sie audiovisuell vernommen werden. Hinzu komme, dass das Strafverfahren gegen die tatbeteiligte frühere Ehefrau des Beschwerdeführers mangels Auslandsbezugs ohnehin im Inland geführt werden müsse und mit dem Verfahren gegen den Beschwerdeführer verbunden werden könne. Daher sei es sachgerecht, der inländischen Strafverfolgung den Vorzug zu geben.

2. Mit Blick auf das nahende Ende der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Bielefeld hat der Beschwerdeführer nachträglich einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG gestellt.

III.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, da die Annahmevoraussetzungen aus § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Weder hat die Verfassungsbeschwerde grundsätzliche Bedeutung, da die entscheidungserheblichen Fragen durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung bereits geklärt sind (vgl. BVerfGE 90, 22 <24>; 96, 245 <248>), noch ist eine Annahme zur Durchsetzung der Grundrechte angezeigt, da die Verfassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>; 96, 245 <250>). Sie ist unbegründet. Der angegriffene Beschluss verletzt den Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht aus Art. 16 Abs. 2 GG.

1. a) Art. 16 Abs. 2 GG schützt deutsche Staatsangehörige grundsätzlich vor Auslieferung. Ausnahmsweise ist eine Auslieferung in den Fällen des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG zulässig, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind. Die damit verbundenen Anforderungen werden unter anderem durch § 80 Abs. 1 und Abs. 2 IRG konkretisiert, der zugleich die von Art. 4 Nr. 7 Buchstabe a des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl Nr. L 190 vom 18. Juli 2002, S. 1) eröffneten Spielräume ausfüllt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Januar 2016 - 2 BvR 1860/15 -, juris, Rn. 13; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Juni 2016 - 2 BvR 468/16 -, juris, Rn. 12; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 9. November 2016 - 2 BvR 545/16 -, juris, Rn. 31).

b) Mit dem Auslieferungsverbot des Art. 16 Abs. 2 GG sollen unter anderem die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes für den von einer Auslieferung betroffenen Deutschen gewahrt werden (vgl. BVerfGE 113, 273 <301 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Januar 2016 - 2 BvR 1860/15 -, juris, Rn. 15; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Juni 2016 - 2 BvR 468/16 -, juris, Rn. 14). Das Vertrauen des Verfolgten in die eigene Rechtsordnung ist von Art. 16 Abs. 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip vor allem dann in besonderer Weise geschützt, wenn die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegende Handlung ganz oder teilweise an einem Ort unter deutscher Hoheitsgewalt begangen wurde. Straftatvorwürfe mit einem insofern maßgeblichen Inlandsbezug sind bei tatverdächtigen deutschen Staatsangehörigen prinzipiell im Inland durch deutsche Strafermittlungsbehörden aufzuklären (vgl. BVerfGE 113, 273 <302>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Januar 2016 - 2 BvR 1860/15 -, juris, Rn. 16; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Juni 2016 - 2 BvR 468/16 -, juris, Rn. 15; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 9. November 2016 - 2 BvR 545/16 -, juris, Rn. 40).

aa) Ein maßgeblicher Inlandsbezug liegt jedenfalls dann vor, wenn wesentliche Teile des Handlungs- und Erfolgsortes auf deutschem Staatsgebiet liegen. In dieser Konstellation treffen die Verantwortung des Staates für die Unversehrtheit seiner Rechtsordnung und die grundrechtlichen Ansprüche des Verfolgten dergestalt zusammen, dass regelmäßig ein Auslieferungshindernis entsteht. Wer als Deutscher im eigenen Rechtsraum eine Tat begeht, muss grundsätzlich nicht mit einer Auslieferung an eine andere Staatsgewalt rechnen. Für den Verfolgten bedeutet die Überstellung in eine andere, auch in eine durch die europäische Integration näher gerückte, mitgliedstaatliche Rechtsordnung nicht nur eine verfahrensrechtliche Schlechterstellung, die in Sprachhindernissen, kulturellen Unterschieden sowie andersartigem Prozessrecht und Verteidigungsmöglichkeiten liegen kann. Sie bindet ihn auch im Ergebnis an ein materielles Strafrecht, das er demokratisch mitzugestalten nicht in der Lage war, das er - anders als das deutsche Strafrecht - nicht kennen muss und das ihm in vielen Fällen wegen mangelnder Vertrautheit der jeweiligen nationalen öffentlichen Kontexte auch keine hinreichend sichere Parallelwertung in der Laiensphäre erlaubt (vgl. BVerfGE 113, 273 <302 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Januar 2016 - 2 BvR 1860/15 -, juris, Rn. 17; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Juni 2016 - 2 BvR 468/16 -, juris, Rn. 16).

bb) Anders fällt die Beurteilung aus, wenn die vorgeworfene Tat einen maßgeblichen Auslandsbezug hat. Wer in einer anderen Rechtsordnung handelt, muss damit rechnen, auch hier zur Verantwortung gezogen zu werden. Dies wird regelmäßig der Fall sein, wenn die Tathandlung vollständig oder in wesentlichen Teilen auf dem Territorium eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union begangen wurde und der Erfolg dort eingetreten ist (vgl. BVerfGE 113, 273 <303>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Januar 2016 - 2 BvR 1860/15 -, juris, Rn. 18; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Juni 2016 - 2 BvR 468/16 -, juris, Rn. 17; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 9. November 2016 - 2 BvR 545/16 -, juris, Rn. 40). Der Auslandsbezug ist auch und gerade dann anzunehmen, wenn die Tat von vornherein eine typische grenzüberschreitende Dimension hat und eine entsprechende Schwere aufweist, wie beim internationalen Terrorismus oder beim organisierten Drogen- oder Menschenhandel; wer sich in solche verbrecherische Strukturen einbindet, kann sich auf den Schutz der Staatsangehörigkeit vor Auslieferung nicht in vollem Umfang berufen (vgl. BVerfGE 113, 273 <303>).

cc) Während in den zuvor genannten Fallgestaltungen das Ergebnis der Verhältnismäßigkeitsprüfung in aller Regel vorgezeichnet ist, bedarf es wegen der norminternen Direktiven von Art. 16 Abs. 2 GG der konkreten Abwägung im Einzelfall, wenn ganz oder teilweise in Deutschland gehandelt worden, der Erfolg aber im Ausland eingetreten ist. Bei dieser Fallgestaltung werden insbesondere das Gewicht des Tatvorwurfs und die praktischen Erfordernisse und Möglichkeiten einer effektiven Strafverfolgung mit den grundrechtlich geschützten Interessen des Verfolgten unter Berücksichtigung der mit der Schaffung eines Europäischen Rechtsraums verbundenen Ziele zu gewichten und zueinander ins Verhältnis zu setzen sein (vgl. BVerfGE 113, 273 <303>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Januar 2016 - 2 BvR 1860/15 -, juris, Rn. 19; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Juni 2016 - 2 BvR 468/16 -, juris, Rn. 18; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 9. November 2016 - 2 BvR 545/16 -, juris, Rn. 41).

2. Gemessen an diesen Maßstäben genügt der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Das Oberlandesgericht hat die Bedeutung und Tragweite des Grundrechts aus Art. 16 Abs. 2 GG bei der Auslegung und Anwendung von § 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 IRG nicht verkannt. Es hat in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen, dass die dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Taten einen maßgeblichen Auslandsbezug aufweisen, da es sich um organisierten Menschenhandel mit typischerweise grenzüberschreitendem Charakter handele und sämtliche Taten zumindest teilweise auch in Polen begangen worden seien.

a) Die Auffassung, dass es sich bei den dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Taten um organisierten Menschenhandel mit typisch grenzüberschreitender Dimension handele, ist zumindest vertretbar. In dem Europäischen Haftbefehl werden dem Beschwerdeführer drei Fälle des Menschenhandels zur Last gelegt. Durch die Taten soll er sich im Rahmen eines Bordellbetriebs eine fortdauernde Einnahmequelle verschafft haben, so dass vom Vorwurf gewerbsmäßigen Handelns auszugehen ist. Alle drei Fälle weisen einen grenzüberschreitenden Bezug auf, da die Geschädigten aus Polen nach Deutschland gebracht worden sein sollen. Der Beschwerdeführer soll die Taten unter Mitwirkung von mindestens zwei weiteren Beteiligten - seiner früheren Ehefrau und der B… - und nach einem ähnlichen Muster begangen haben, so dass von einem gewissen Organisationsgrad ausgegangen werden kann. Hinzu kommt, dass das Landgericht Bielefeld den Beschwerdeführer bereits rechtskräftig unter anderem wegen gewerbsmäßigen Menschenhandels verurteilt hat und die diesem Urteil zugrunde liegenden Taten in denselben Zeitraum fallen wie die Taten, die Gegenstand des polnischen Ermittlungsverfahrens sind. Sie weisen zwar keinen grenzüberschreitenden Charakter auf, stehen aber ebenfalls in Zusammenhang mit dem gewerbsmäßigen Betrieb eines Bordells durch den Beschwerdeführer.

b) Auch die Feststellung, dass die Taten teilweise in Polen begangen worden seien, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Der Beschwerdeführer soll die Geschädigten im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit der anderweitig verfolgten B… in Polen angeworben und sodann eigenhändig in seinem Fahrzeug nach Deutschland befördert haben, wobei die Geschädigten G… und B… unter 21 Jahre alt gewesen und die Geschädigten B… und N… über den Zweck der Reise getäuscht worden sein sollen. Das Oberlandesgericht ist in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt, dass diese Handlungen nach dem insoweit maßgeblichen deutschen Recht keine straflosen Vorbereitungshandlungen gewesen sind, sondern bereits den Tatbestand des versuchten Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung erfüllen.

aa) Ob die Anwerbung und Beförderung bereits eine versuchte Tat nach § 232 Abs. 1 Satz 1 oder Satz 2 und Abs. 2 StGB a.F. darstellen, ist in der strafrechtlichen Literatur umstritten. Tathandlung des § 232 Abs. 1 StGB a.F. ist das „Bringen“ des Opfers zu den näher beschriebenen sexuellen Handlungen. Teilweise wird vertreten, dass bei einer hinreichend konkreten Vorstellung des Täters bereits das Anwerben im Ausland einen Versuch darstellen könne (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl. 2016, § 232 Rn. 19). Ausreichend seien Einwirkungen auf das Opfer, mit denen in den Fällen des § 232 Abs. 1 Satz 1 StGB a.F. die tatspezifische Schwächesituation herbeigeführt werden solle (Böse, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 4. Aufl. 2013, § 232 Rn. 27). Dagegen soll der Versuch nach anderer Auffassung erst mit der Einwirkung auf das Opfer beginnen, durch die der Täter es unmittelbar zu sexuellen Handlungen bringen will (Renzikowski, in: Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. 2012, § 232 Rn. 86; Heger, in: Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl. 2014, § 232 Rn. 10; vgl. auch Kudlich, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2015, § 232 Rn. 36, der eine unmittelbare Gefährdung des Rechtsguts nach der Vorstellung des Täters fordert). Letztlich handelt es sich hierbei um eine Frage des einfachen Rechts. Von Verfassungs wegen ist die Auffassung des Oberlandesgerichts, wonach eine vom Tatvorsatz getragene Einwirkung auf das Opfer ausreiche, um eine Versuchsstrafbarkeit zu begründen, unter Berücksichtigung des Wortlauts des § 232 Abs. 1 StGB a.F. nicht zu beanstanden.

bb) Zudem ist in den Blick zu nehmen, dass sich gemäß § 233a StGB in der bis zum 14. Oktober 2016 geltenden Fassung (vgl. auch § 232 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a und Abs. 2 Nr. 1 StGB in der nunmehr geltenden Fassung) wegen Förderung des Menschenhandels strafbar macht, wer einem Menschenhandel Vorschub leistet, indem er eine andere Person anwirbt oder befördert. § 233a Abs. 2 StGB a.F. sieht Qualifikationen - unter anderem für gewerbsmäßiges Handeln - vor. Gemäß § 233a Abs. 3 StGB a.F. ist auch der Versuch strafbar. Der Tatbestand erfasst nach wohl überwiegender Auffassung auch die Vorbereitung eigener Taten des Menschenhandels (vgl. Eisele, in: Schönke/Schröder, 29. Aufl. 2014, § 233a Rn. 2 m.w.N.; Böse, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 4. Aufl. 2013, § 233a Rn. 1; Renzikowski, in: Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. 2012, § 233a Rn. 2; a.A. Fischer, StGB, 63. Aufl. 2016, § 233a Rn. 2; kritisch Kudlich, in: Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2015, § 233a Rn. 4).

cc) In diesem Zusammenhang ist schließlich zu berücksichtigen, dass nach der Definition des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates vom 19. Juli 2002 zur Bekämpfung des Menschenhandels (ABl Nr. L 203 vom 1. August 2002, S. 1) unter anderem schon die unter der Voraussetzung einer arglistigen Täuschung oder eines „Betrugs“ erfolgende Anwerbung oder Beförderung einer Person zum Zweck der Ausbeutung mittels Prostitution als Menschenhandel einzustufen ist. Gemäß Art. 1 des Rahmenbeschlusses sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, derartige Handlungen unter Strafe zu stellen. Gemäß Art. 2 muss zudem der Versuch unter Strafe gestellt werden. Die Definition dieses Rahmenbeschlusses lehnt sich an die des Zusatzprotokolls zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels, zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität (BGBl 2005 II S. 995) an. Gemäß Art. 3 Buchstabe a des Zusatzprotokolls bezeichnet der Ausdruck Menschenhandel unter anderem die Anwerbung, Beförderung oder Verbringung von Personen unter Anwendung von „Betrug“ oder Täuschung zum Zweck der Ausbeutung. Der Tatbestand des § 233a StGB a.F. ist eingeführt worden, um verbliebene Strafbarkeitslücken bei der Umsetzung des Rahmenbeschlusses zu schließen (vgl. BTDrucks 15/4048, S. 13 f.).

IV.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Durch die Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 6

Bearbeiter: Holger Mann