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HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 496

Bearbeiter: Stephan Schlegel

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 430/04, Beschluss v. 27.04.2006, HRRS 2006 Nr. 496


BVerfG 2 BvR 430/04 (1. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 27. April 2006 (OLG Köln)

Klageerzwingungsverfahren (Darlegung der Einhaltung der Beschwerdefrist; Auslegung "Einlegung unter dem"; Postlaufzeiten; Mitteilung des Inhaltes der staatsanwaltschaftlichen Bescheide; Möglichkeit der Schlüssigkeitsprüfung); Nichtannahmebeschluss.

Art. 3 Abs. 1 GG; § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn die Vorschrift des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO dahingehend ausgelegt wird, dass ein Antragsteller im Klageerzwingungsverfahren als eine Zulässigkeitsvoraussetzung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung auch die Einhaltung der Beschwerdefrist des § 172 Abs. 1 StPO darzulegen hat (vgl. BVerfG NJW 1993, 382).

2. Dazu reicht es jedoch aus, wenn dargelegt wird, dass nach Abfassung der Beschwerdeschrift ("unter dem") bis zum Ablauf der Zweiwochenfrist noch eine hinreichend lange Zeit verblieb, bei der unter Berücksichtigung normaler Postlaufzeiten davon auszugehen ist, dass die Beschwerde fristgerecht eingegangen war.

3. Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn nach Auffassung der fachgerichtlichen Rechtsprechung in der Antragsschrift der Inhalt der staatsanwaltschaftlichen Bescheide so vollständig dargelegt werden muss, dass ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten eine Schlüssigkeitsprüfung vorgenommen werden kann (vgl. BVerfG NJW 1993, 382).

Entscheidungstenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat weder grundsätzliche Bedeutung noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführerin aus § 90 Abs. 1 BVerfGG angezeigt (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>). Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

1. Die Rüge der Beschwerdeführerin, in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt zu sein, führt im Ergebnis nicht zu einer Aufhebung der angegriffenen Entscheidung, da diese nicht auf einem Verfassungsverstoß beruht.

a) Die Unzulässigkeitsentscheidung des Oberlandesgerichts im Beschluss vom 27. Januar 2004 stützt sich unter anderem darauf, dass die Beschwerdeführerin die Einhaltung der Beschwerdefrist nicht in ihrem Antragsschreiben deutlich gemacht habe. Dabei begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn das Oberlandesgericht die Vorschrift des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO so auslegt, dass ein Antragsteller im Klageerzwingungsverfahren als eine Zulässigkeitsvoraussetzung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung auch die Einhaltung der Beschwerdefrist des § 172 Abs. 1 StPO darzulegen hat (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 16. April 1992 - 2 BvR 877/89 -, NJW 1993, S. 382; vgl. ferner Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Juni 2003 - 2 BvR 1659/01 -, juris-dok). Als nicht mehr verständlich, weil unter keinem denkbaren Aspekt mehr vertretbar und deshalb mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar (zum Maßstab vgl. BVerfGE 4, 1 <7>; 62, 189 <192>; 80, 48 <51>; 87, 273 <278 f.>), erweist sich jedoch die entscheidungstragende Annahme, die Mitteilung in der Antragsschrift, die Beschwerde sei "unter dem 14.09.2003" eingereicht worden, werde dieser Anforderung nicht gerecht.

b) Bei lebensnaher, am allgemeinen Sprachgebrauch orientierter Auslegung genügt es, wenn nach Abfassung der Beschwerdeschrift bis zum Ablauf der Zweiwochenfrist noch eine hinreichend lange Zeit verbleibt, bei der unter Berücksichtigung normaler Postlaufzeiten davon auszugehen ist, dass die Beschwerde fristgerecht eingegangen war (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Oktober 1996 - 2 BvR 502/96 -, juris-dok; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Juni 2003 - 2 BvR 1659/01 -, juris-dok).

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung enthielt die Angabe, dass das Ermittlungsverfahren "mit Bescheid vom 03.09.2003 (...) gemäß § 170 StPO eingestellt" und "der Anzeigenerstatterin am 11.09.2003 zugestellt" worden ist. Weiter wurde mitgeteilt, dass die Beschwerdeführerin "daraufhin unter dem 14.09.2003" Beschwerde gegen die Verfahrenseinstellung eingelegt habe. Berechnet man die Frist des § 172 Abs. 1 Satz 1 StPO gemäß § 43 Abs. 1 StPO unter Zugrundelegung der Angaben im Antrag auf gerichtliche Entscheidung, so lief sie am 25. September 2003 ab. Das am 14. September 2003 verfasste Beschwerdeschreiben hatte mithin elf Tage Postlaufzeit, um bei der Generalstaatsanwaltschaft rechtzeitig einzugehen. Unter Berücksichtigung der zitierten Kammerentscheidungen erweist es sich als nicht mehr nachvollziehbar und deshalb mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, wenn das Oberlandesgericht in einem solchen Fall annimmt, die Einhaltung der Beschwerdefrist sei aus der Antragsschrift nicht ersichtlich.

c) Der angegriffene Beschluss beruht jedoch nicht auf diesem Verfassungsverstoß. Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung zusätzlich und selbständig tragend darauf gestützt, die Beschwerdeführerin habe in ihrer Antragsschrift den Inhalt der staatsanwaltschaftlichen Bescheide nicht so vollständig dargelegt, dass ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten eine Schlüssigkeitsprüfung hätte vorgenommen werden können. Diese verfassungsrechtlich unbedenkliche Forderung des Fachgerichts (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 16. April 1992 - 2 BvR 877/89 - m.w.N., NJW 1993, S. 382) genügt vorliegend den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG.

2. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 496

Bearbeiter: Stephan Schlegel