HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juni 2021
22. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Transnationaler Strafklageverbrauch durch nationale Staatsanwaltschaften

Anmerkung zu EuGH HRRS 2021 Nr. 610

Von Univ. Professor Dr. Otto Lagodny, Salzburg

Vorab sei betont, dass es sich um die Entscheidung einer "Großen Kammer" mit 15 Richtern handelt und nicht um die einer "Kammer" mit drei oder fünf Richtern. Damit waren nach Art. 16 der Satzung des EuGH und Art. 15 Abs.2 der EuGH-Verfahrensordnung nicht nur der EuGH-Präsident als Vorsitzender und die Vizepräsidentin beteiligt, sondern hier konkret sieben (!) Kammerpräsidentinnen und -präsidenten (statt nur drei als satzungsgemäßer Mindestzahl). Schon daraus kann man bereits die allgemeine, grundlegende und nachhaltige Bedeutung dieser Entscheidung erkennen.

Der EuGH-Entscheidung lag ein Verfahren zur Vorabentscheidung zugrunde, in dem es um folgende Problematik ging: Der in Deutschland ansässige Kläger des dortigen deutschen Ausgangsverfahrens vor dem Verwaltungsgericht wollte erreichen, dass er aus einer "Red-Notice"-Fahndung von Interpol gestrichen wird. Hintergrund war das hohe Alter des Klägers, der in seinen EU-Heimatsstaat reisen können wollte. Die Ausschreibung ist von den USA als Drittstaat veranlasst worden, um nach der Festnahme ein Auslieferungsersuchen stellen zu können. Art. 54 SDÜ/50 Abs. 2 EU-GrCH stehe einer solchen Fahndung und Festnahme in der Europäischen Union entgegen, weil gegen den Kläger des Ausgangsverfahrens wegen "derselben Taten", die dieser Fahndung zugrunde gelegen waren, bereits in Deutschland ein Strafverfahren geführt worden sei. Dieses sei nach § 153a StPO eingestellt worden.

Der EuGH antwortete in RN 122 auf die 1. Vorlagefrage in meinen eigenen Worten: Eine Ausschreibung zur Fahndung tangiert als solche nicht Art. 54 SDÜ/50 Abs. 2 EU-GrCh. Das ist aber nur der "Standard-Fall". Im "Ausnahme-Fall" greifen Art. 54 SDÜ/50 Abs. 2 EU-GrCh jedoch bereits bei der Ausschreibung oder Festnahme und erst recht hinsichtlich der Auslieferung an einen Drittstaat. Dies alles ist dann unzulässig. Auf diesen Ausnahme-Fall kommt es deshalb nachfolgend an.

Für die deutsche Praxis ist zentral von Bedeutung, warum und unter welchen Voraussetzungen jedenfalls die Auslieferung aus einem anderen EU-Staat an einen Drittstaat gegen EU-Verfassungsrecht verstößt. Die Frage nach diesem Ausnahme-Fall war im Urteil dann die argumentative Voraussetzung für die Schlussfolgerungen zur Fahndungsausschreibung.

Für die deutsche Praxis steht mithin die vom EuGH im Urteil herausgearbeitete Ausnahme im Vordergrund. Dieser Ausnahmefall liegt nach dem Urteil vor, wenn es eine "rechtskräftige Entscheidung" in einem ersten EU-Staat gibt. Für den EuGH liegt eine solche Ausnahme jedenfalls dann vor, wenn ein Gericht diese Entscheidung getroffen hat. Für die Praxis sehr bedeutsam ist jedoch die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Entscheidung einer Staatsanwaltschaft eine "rechtskräftige Entscheidung" darstellt.

Hierzu haben der EuGH und auch der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen Ausführungen gemacht. Letztere sind für das Verständnis des EuGH-Urteils zentral von Bedeutung. Dies zeigt sich daran, dass die Schlussanträge im offiziellen Amtsblatt bzw. auf der Homepage des Gerichtshofs (curia.eu) veröffentlicht werden. Man vergleicht die Funktion der Generalanwälte wohl zum Teil mit einer Entscheidung erster Instanz, vor allem, weil die Generalanwälte nach der Satzung des Gerichtshofs den EuGH-Richtern völlig gleichgestellt sind. Doch sei dies hier dahingestellt. Die Schlussanträge sind in der Praxis jedenfalls essenziell für das Verständnis jeder EuGH-Entscheidung und keinesfalls nur die bloß unmaßgebliche Meinung eines gleichsam "beliebigen" Verfahrensbeteiligten.

In aller Deutlichkeit gilt: Ignoriert man die Schlussanträge bei der Analyse eines EuGH-Urteils, so liegt ein glatter Verstoß gegen die juristische "lex artis" vor.

Die Ausführungen des Generalanwalts hat sich der Gerichtshof zwar nicht ausdrücklich zu eigen gemacht; er ist den Ausführungen des Generalanwalts aber in der Sache weitgehend und sogar in den Schlussanträgen gefolgt.

Zu beachten ist: Der EuGH formuliert in seinen Entscheidungen abstrakt-generelle Rechtssätze, weil er nur abstrakt und generell das EU-Recht verbindlich auslegt. Deshalb muss man aus dem Urteil und den Schlussanträgen subsumtionsfähige abstrakt-generelle Rechtssätze gewinnen, die für die oben angesprochene Rechtsfrage

relevant ist. Diese Rechtsfrage lautet hier: Unter welchen Voraussetzungen führt bereits die Entscheidung einer Staatsanwaltschaft in einem "Erststaat" zu einem Strafklageverbrauch nach Art. 54 SDÜ bzw. 50 Abs. 2 EU-GRCh?

Dazu formuliere ich vier subsumtionsfähige Rechtssätze. Das ist nicht meine "Erfindung" oder "Meinung", sondern nur eine Handreichung für die deutsche Praxis. Diese muss die EuGH-Entscheidung zwingend umsetzen, soll die Bundesrepublik nicht vertragsbrüchig werden.

Für diese Rechtsfrage gelten die Grundsätze der bisherigen Rechtsprechung des EuGH in den Fällen Miraglia, Turansky und Schotthöfer (siehe RN 47 ff. und 72 der Schlussanträge), die Ausführungen des EuGH im neuen Urteil sowie jeweils alle Schlussanträge. Dies alles kann man folgendermaßen in vier abstrakt-generelle Kernrechtssätze zusammenfassen, damit die Entscheidung einer Staatsanwaltschaft allein ausreicht:

(1) Der Betroffene hat ohne Mitwirkung eines Gerichts bestimmte Auflagen erfüllt und insbesondere einen von der Staatsanwaltschaft festgesetzten Geldbetrag entrichtet (Schlussanträge, RN 45; EuGH RN 73).

Für die Einstellung nach § 153a StPO ist dies klar, weil die EuGH-Rechtsprechung auf die Entscheidung in den verbundenen Rechtssachen Gözütök und Brügge und das Urteil vom 11. 2. 2003 (C-187/01 und C-385/01) zurückgeht. Dort ging es zentral um § 153 a StPO.

(2) Die Einstellung durch die Staatsanwaltschaft erfolgt auf der Grundlage eingehender Ermittlungen und einer Prüfung in der Sache.

Das Erfordernis einer Prüfung in der Sache hebt der Gerichtshof selbst in seinem Urteil hervor: Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft müsse "auf einer Prüfung in der Sache" beruhen (RN 73 des Urteils). Das hat auch der Generalanwalt in RN 47 ausgeführt: Im Urteil Miraglia (C-469/03) habe der EuGH Art. 54 SDÜ deshalb abgelehnt, weil bei der Erstentscheidung durch die Staatsanwaltschaft keine Prüfung in der Sache erfolgt sei. Die Staatsanwaltschaft habe nur deshalb beschlossen, die Strafverfolgung nicht fortzusetzen, weil in einem anderen EU-Staat Strafverfolgungsmaßnahmen gegen den Beschuldigten wegen derselben Tat eingeleitet worden sein.

Dieser Rechtssatz folgt dann auch aus den Ausführungen des Gerichts in RN 81. Dort wird auf die Entscheidung im Fall Kossowski (C-486/14. RN 52) Bezug genommen, auf die auch der Generalanwalt in RN 48 seiner Schlussanträge rekurriert. Der Gerichtshof führt in RN 81 aus, es komme darauf an, dass der zweite Vertragsstaat in der Lage sei, sich zu vergewissern, dass es um eine Entscheidung gehe, "die eine Prüfung in der Sache" enthalte. Es müssten nach den Erwägungen in RN 52f. des Falles Kossowski "eingehende Ermittlungen durchgeführt" worden sein (RN 48 der Schlussanträge).

Gerade die Überlegungen im Fall Miragila zeigen: Eine formale Entscheidung, die man umgangssprachlich charakterisieren könnte als Ausprägung des "Prinzips der heißen Kartoffel", reicht nicht aus. Damit ist die Weiterleitung des Falles an einen anderen Staat gemeint, ohne dass die Staatsanwaltschaft den Fall substanziell prüft.

Diese Voraussetzung hat natürlich ihre Tücken wegen ihrer Zweischneidigkeit: Wann entscheidet eine nationale Staatsanwaltschaft ohne substantielle Prüfung?

(3) Der Umfang der im Erststaat verfolgten Tat muss sich für den Zweitstaat als "verbindlich definiert" (RN 49 und 83 der Schlussanträge) und damit hinreichend "konkret" (RN 97 der Schlussanträge) ergeben .

Dies ergibt sich aus den zitierten Stellen. Ergänzend sei auf RN 49 der Schlussanträge verweisen. Dort wird in der Sache gefordert, dass es darauf ankommt, ob im Erststaat der "Raum", also der Umfang des idem, nicht offenbleiben dürfe.

Dazu führen die Schlussanträge in RN 49 aus (Hervorhebung von mir, O. L.):

"Zusammenfassend gibt es einerseits rechtskräftige Entscheidungen wegen einer Straftat (über die Erfüllung oder Nichterfüllung ihrer Tatbestandsmerkmale oder sonstige besondere Formen von Entscheidungen, die eine solche Aussage nicht enthalten, jedoch zu einer wirksamen Beendigung der Rechtssache führen), die nach nationalem Recht jede spätere Strafverfolgung wegen derselben Tat im selben Mitgliedstaat und somit auch in anderen Mitgliedstaaten ausschließen. Andererseits gibt es andere Formen der Einstellung oder Nichteröffnung von Strafverfahren, die typischerweise von den Polizeibehörden auf nationaler Ebene vorgenommen werden und die nicht zu diesen Folgen führen. Diese Abgrenzung ist recht einleuchtend, lässt sich aber angesichts der verschiedenen Regelungen und Verfahren in den Mitgliedstaaten schwer abschließend fassen. Der Grundsatz ne bis in idem kann nur dann wirksam greifen, wenn es eine rechtskräftige Erklärung eines Mitgliedstaats gibt, die den Umfang des idem verbindlich definiert, das ab diesem Zeitpunkt das ne bis ausschließen kann. Wenn, bildlich gesprochen, dieser Raum offenbleibt, sind die anderen Mitgliedstaaten durch nichts daran gehindert, selbst zu ermitteln und die Strafverfolgung durchzuführen."

Vor diesem Hintergrund ist es auch zu sehen, dass die Schlussanträge von einer rechtskräftigen "Erklärung" eines Mitgliedsstaates sprechen (zB RN 49 der Schlussanträge). Damit ist nicht etwa eine völkerrechtlich verbindliche Erklärung im technischen Sinne gemeint, sondern die funktionelle Erklärung durch die Entscheidung einer Justizbehörde des Erststaats, also auch einer Staatsanwaltschaft, sofern deren Entscheidung maßgeblich ist.

(4) Art. 54 SDÜ bzw. Art. 50 EU-GRCh ist auch auf die Auslieferung aus einem EU-Staat in einen Drittstaat anzuwenden, weil auch in dieser Auslieferung ein Akt der Strafverfolgung zu sehen ist.

Der EuGH und die Schlussanträge gehen davon aus, dass schon die Auslieferung ein Akt der Strafverfolgung in dem einen (ersuchten) Staat ist, nicht erst die Fortset-

zung der Strafverfolgung im ersuchenden Staat nach erfolgter Auslieferung. Das ist eine völlig andere Sichtweise als die herkömmlich in Deutschland vertretene. Danach ist die Auslieferung "nur" ein Akt der "Rechtshilfe", nicht der "Rechtspflege". Dahinter verbergen sich heute überholte Konzeptionen, die nur in Deutschland und nur im Hinblick auf die bundesstaatlichen Kompetenzverteilung nach Art. 30, 70 und 83 GG entwickelt worden sind (siehe dazu: Hackner, in: Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl. 2020, § 74 IRG RN 8-10). Schon für die Grundrechtsgeltung geben sie aber wegen Art. 1 Abs. 3 GG nichts her. Vor allem werden sie nicht EU-weit vertreten. Und schon gar nicht für EU-Primärrecht, um das allein es hier geht.

Man darf deshalb Art. 54 SDÜ bzw. Art. 50 Abs. 2 EU-GrCH nach RN 99 der Schlussanträge "nicht eng auslegen" und nicht auf die Hauptverhandlung und den "Gerichtssaal" beschränken. Er greife vielmehr schon bei Akten der Strafverfolgung, die ganz zu Beginn des Ermittlungsverfahren liegen. Dies wurde in RN 99 der Schlussanträge in aller Deutlichkeit ausgeführt. Dort heißt es:

"Der Grundsatz ne bis in idem wird vom Unionsgesetzgeber nicht lediglich als Verbot dahin verstanden, dass ein Bürger nicht zweimal in einem Gerichtssaal stehen darf. Er geht darüber eindeutig hinaus. Nach diesem Grundsatz müssen zumindest Maßnahmen verboten sein, die unabhängig von ihrer Bezeichnung nach nationalem Recht die Freiheiten einer Person erheblich einschränken (wie eine Verhaftung oder vorübergehende Festnahme) und deren Ergehen in einem logischen, funktionellen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Strafverfahren steht, auch wenn dieses in einem Drittstaat stattfindet" (RN 99 der Schlussanträge).

Auf die Problematik des Verhältnisses eines bilateralen Vertrages zwischen der EU und einem Drittstaat (z. B. USA wie im Vorlageverfahren) gehen die Schlussanträge ein und führen in RN 74-84 aus, dass dies nur insoweit zulässig sei, als die Mitgliedstaaten keine Verpflichtung eingehen, "die mit den sich aus dem Unionsrecht ergebenden Verpflichtungen nicht im Einklang steht" (RN 80 der Schlussanträge). Das bedeutet: Jeder EU-Staat (und die EU selbst) muss sich fragen, ob er gegenüber dem Drittstaat eine Verpflichtung eingegangen ist, die sogar dem "EU-Verfassungsrecht", dem Primärrecht, widerspricht. Hier ist es für die europarechtliche Sicht entscheidend, dass Art. 50 EU-GrCH zum EU-"Verfassungsrecht" gehört. Das Urteil selbst stellt in RN 98 f. sogar noch auf die rein internen Interpol-Vorschriften für die Verarbeitung von Daten (RPD) ab, wonach eine Red-Notice-Fahndung und eine Festnahme nur zulässig seien, wenn solche Maßnahmen "nach[ihren]Rechtsvorschriften und den geltenden internationalen Verträgen zulässig" sind.

Weder die Union noch die Mitgliedstaaten könnten einen Verstoß gegen die EU-Grundrechte "mit einer ihnen obliegenden Verpflichtung zur Einhaltung eines oder mehrerer völkerrechtlicher Verträge oder Rechtsakte rechtfertigen". Der Vorrang des Völkerrechts beziehe sich nicht auf das Primärrecht der EU (RN 81 der Schlussanträge).

In den EU-Schlussanträgen des Generalanwalts werden schließlich Ausführungen gemacht, die in der Sache ein geradezu irritiertes Unverständnis ausdrücken für immer noch in Deutschland anzutreffende Auffassungen: Die Anwendung von allgemein akzeptierten Aussagen zu Art. 54 SDÜ und seinem Verhältnis zum Recht auf Freizügigkeit (Art. 21 AEUV) ist nach den Ausführungen des Generalanwalts nämlich sogar "kompromisslos einfach" (RN 55). Es wäre auch ein "eher seltsames Verständnis" von Art. 50 der Charta (bzw. Art. 54 SDÜ), wenn die Bedeutung und Reichweite dieses Grundrechts für die Behörden der Mitgliedsstaaten "an der Außengrenze der Union enden würden" (RN 70 der Schlussanträge).

Genau ein solches (in den Worten des Generalanwalts:) "seltsames Verständnis" liegt aber den erwähnten deutschen Auffassungen zugrunde, vor allem wenn eine neue Entscheidung des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Dezember 2020 (2 BvR 1845/18 und 2 BvR 2100/18 = HRRS 2021 Nr. 90) noch nicht bekannt ist. Dort hat das BVerfG jetzt ausdrücklich anerkannt (RN 37), dass die Unionsgrundrechte heute zu den "gegenüber der deutschen Staatsgewalt durchzusetzenden Grundrechtsgewährleistungen" gehören und "ein Funktionsäquivalent zu den Grundrechten des Grundgesetzes" darstellten. Deshalb bildeten der EuGH in Luxemburg, der EGMR in Straßburg und das BVerfG in Karlsruhe einen "Verfassungsgerichtsverbund" (RN 38).

Der EuGH und die Schlussanträge argumentieren damit bei Lichte betrachtet schlicht europäisch, weil mit diesem Grundverständnis zur exterritorialen Reichweite von Grundrechtsgarantien letztlich auch Grundsätze umgesetzt werden, die bereits der Europäische Gerichtshof (zuerst in der Entscheidung Soering v. 7 7. 1989 und dann in der Entscheidung Matthews v. 18. 2. 1999) nachdrücklich geprägt hat. Diese sind aber auch über 30 Jahre später im Jahr 2021 in Deutschland im Rechtshilferecht offensichtlich noch nicht umfassend rezipiert, obwohl das BVerfG mit dem Urteil von 19. 5. 2020 – 1 BvR 2835/17 (Grundrechtsschutz im Ausland gegen Aktivitäten des deutschen Auslandsgeheimdienstes) den Weg zeigt.

Um ein praxisrelevantes Beispiel zu wählen: In einer Verjährungskonstellation (mit Einstellung durch die nationale Staatsanwaltschaft im EU-Erststaat) den Schutz durch Art. 54 SDÜ/50 EU-GRCh gegenüber der Auslieferung von einem EU-Zweitstaat an einen Drittstaat abzulehnen, würde vor allem bedeuten, ein ganz großes Feld strafprozessualer Verfahren und die darin Verfolgten letztlich "rechtlos" zu stellen: Jeder EU-Staat oder jeder Drittstaat mit Verjährungsvorschriften, die länger sind als im Erststaat, könnte sein Recht "durchsetzen", selbst wenn die Tat im Erststaat (oder auch in weiteren Staaten) verjährt wäre. Diese Rechtlosigkeit wäre eklatant im Widerspruch zu Art. 54 SDÜ/50 EU-GRCh. Man hätte einen ganzen "Flickenteppich" von EU-weit höchst unterschiedlich verjährenden Strafbefugnissen. Das würde dem Zweck und den Zielen des Art. 54 SDÜ/50 Abs. 2 EU-GrCh zuwiderlaufen.